Meine Damen und Herren! Wir kommen zurück zu Tagesordnungspunkt 2, zweiter Wahlgang. Ich hatte soeben vorgetragen, dass die Kandidatin der Fraktion DIE LINKE nicht die erforderliche Stimmenmehrheit erhalten hat. Es liegt ein neuer Wahlvorschlag vor, und ich möchte sagen, dass es dazu eine Verständigung gegeben hat. Aber Sie können sich bitte auch dazu äußern, Herr Tischendorf.
Danke, Frau Präsidentin. – Es gab in der Zwischenzeit zwischen allen Fraktionen die erforderliche Verständigung, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, und es liegt ein Wahlvorschlag für die zweite Wahl vor.
Das ist wiederum Frau Julia Bonk. Sie kennen das Verfahren: Wir können eine offene Abstimmung durchführen. Sofern jemand widerspricht, werden wir eine geheime Wahl durchführen. Widerspricht jemand einer offenen Wahl? – Ich sehe, dass
dies nicht der Fall ist. Damit können wir in die offene Wahl gehen. Ich rufe nochmals die Wahl eines Stellvertreters der G-10-Kommission auf. Vorgeschlagen ist Frau Julia Bonk. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich sehe wenige Stimmenthaltungen und eine große Mehrheit der Zustimmung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich weiß, dass es nach dieser emotionalen Phase sicher nicht ganz einfach ist, sich wieder auf die Sacharbeit zu konzentrieren. Ich will es trotzdem versuchen.
In einem gemeinsamen Aufruf stellten die Expertinnen und Experten des von der Bundesregierung eingesetzten Forums „Frühkindliche Bildung“ fest – ich zitiere –: „Bildung und bestmögliche Förderung aller Kinder schaffen Chancengerechtigkeit. Die frühe Kindheit ist eine Zeit besonderer Möglichkeiten, die genutzt werden sollten. Zugleich ist es für Kinder eine Zeit der Entwicklung und der spielerischen Entfaltung, für die Kinder eine breite Erfahrungsbasis brauchen. Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass Erzieherinnen und Erzieher, Tagesmütter und Tagesväter dem gerecht werden.“
Sie appellieren damit eindringlich an die Verantwortlichen, die pädagogische Praxis durch besser ausgebildetes und besser bezahltes pädagogisches Personal, –
Einen kleinen Moment, bitte. – Meine Damen und Herren! Seien Sie doch bitte ein wenig nett zu unserer Kollegin, die sich hier viel Mühe gibt, das Gesetz einzubringen.
einen verbesserten Kind-Personal-Schlüssel und gesicherte Vor- und Nachbereitungszeiten für das pädagogische Personal nachhaltig zu verbessern.
Welche Bedeutung die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung seit einigen Jahren auch in Deutschland gewonnen hat, dokumentiert auch der erst jüngst veröffentlichte Länderreport „Frühkindliche Bildung 2009“ der Bertelsmann Stiftung. So heißt es darin: „Einen Nutzen für das einzelne Kind, die Gesellschaft und die Volkswirtschaft haben Angebote der frühkindlichen Bildung jedoch nur dann, wenn sie die Bildungs- und Entwicklungsprozesse der Kinder tatsächlich positiv fördern. Unzureichende Bedingungen, insbesondere unzulängliche Personalressourcen in den frühkindlichen Bildungsangeboten, können sich nach internationalen Studien auch nachteilig auf die Persönlichkeitsentwicklung sowie die gesamte Bildungsbiografie der Kinder auswirken. Gerade für Kinder unter drei Jahren zeigen Studien, dass positive
Entwicklungsverläufe erheblich von der Beziehungsqualität zwischen Erwachsenen und Kindern und damit vom Umfang sowie der Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte abhängig sind.“
Der Länderreport stuft den Personalschlüssel in den Kitas in Sachsen im Bundesvergleich als eher ungünstig ein. Sachsen hat seit 2006 mit dem Sächsischen Bildungsplan einen guten Leitfaden für die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte geschaffen. Doch bereits der Dritte Kinder- und Jugendbericht, der 2009 durch zahlreiche Expertinnen und Experten erarbeitet und vom Sozialministerium veröffentlicht wurde, enthält in seinen Empfehlungen klare kritische Aussagen zur praktischen Betreuungssituation in den Kitas, die nicht einmal den gesetzlichen Rahmenvorgaben entspricht. So kommen rechnerisch bestenfalls acht Krippenkinder – statt sechs – auf eine Erzieherin. Auch im Kindergarten kann mit 16 bis 18 Kindern auf eine pädagogische Fachkraft keine individualisierte Entwicklungsförderung erfolgen.
Diese Aussagen wurden in den Anhörungen des Ausschusses für Schule und Sport am 31. Mai 2010 von allen geladenen Expertinnen und Experten nachdrücklich bestätigt. Auch die jüngst von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit vorgestellte Studie zu den Möglichkeiten von Kindertageseinrichtungen in Sachsen zum Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen kommt zu dem Ergebnis, dass bildungsbenachteiligte Kinder im kognitiven und sprachlichen Bereich gegenwärtig nicht ausreichend gefördert werden können, obwohl dies als größter Handlungsbedarf für diese circa 10 % der Kinder angesehen wird. Hauptursache sind die unzureichenden Rahmenbedingungen, die die Realisierung kompensatorischer Maßnahmen erschweren.
Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege hat in einer breiten Kampagne unter dem Motto „Weil Kinder Zeit brauchen“ gemeinsam mit den Eltern auf diese unzureichenden Rahmenbedingungen hingewiesen. Sie fordern deutlich mehr Personalressourcen, um die hohen qualitativen Anforderungen des Sächsischen Bildungsplanes auch in der Praxis umsetzen zu können. Das Engagement der Erzieherinnen stößt an objektive Grenzen, und die Unbeweglichkeit der Politik – trotz aller fachlichen Kritik – seit Einführung des Bildungsplanes wirkt stark demotivierend. Krankheitsbedingte Ausfälle verstärken die Situation wie in einem Brennglas.
Die SPD-Fraktion hat daher gemeinsam mit dem Runden Tisch „Familie“ einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Ihnen heute vorliegt und diesem Anliegen – verbesserte Personalausstattung – Rechnung trägt. Die Kernelemente sind:
Der erste Punkt: In einem gestuften Verfahren sollen die Personalschlüssel für die Krippen von heute in der Regel 1 : 6 bis 2016 auf verpflichtende 1 : 4, für Kindergärten von 1 : 13 auf 1 : 10 und für Horte von 1 : 22 auf 1 : 17 gesenkt werden.
Der zweite Kernpunkt ist, dass die Leitungstätigkeit entsprechend den gewachsenen Aufgaben aufgewertet wird.
Der dritte Punkt: Der Einsatz der pädagogischen Fachkräfte wird entsprechend dem Auftrag aus dem Bildungsplan um die sogenannte kinderfreie Verfügungszeit – sprich: die Vor- und Nachbereitungszeit der Bildungsprozessgestaltung – erweitert.
Der vierte Punkt: Die Bedarfseinschränkungen, zum Beispiel für arbeitslose Eltern, werden ausgeschlossen.
Die mit der aufgabenadäquaten Ausstattung der Kitas verbundenen Mehrkosten sollen überwiegend durch den Freistaat Sachsen über eine gestufte Anhebung der Zuschüsse bis 2016 aufgefangen werden. Damit soll – das ist das Ziel – unabhängig vom Wohnort der Kinder und der Eltern eine vergleichbare qualitative und quantitative Ausstattung der Kitas gewährleistet werden; denn Kinder können sich nicht aussuchen, ob sie in einer reichen oder armen Kommune leben wollen.
Durch die Finanz- und Steuerpolitik des Landes und der Bundesregierung sind die Kommunen in einer äußerst schwierigen Situation, die nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden darf. Darüber hinaus hat sich die Landesregierung gemeinsam mit der Bundesregierung 2008 verpflichtet und dies erst jüngst wieder bekräftigt, die Ausgaben für Bildung auf mindestens 7 % des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Derzeit liegen Sachsen mit knapp 4 % und die Bundesrepublik mit 6 % weit darunter. Auch wenn die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern erneut vertagt wurden, erinnere ich daran, dass das Ziel damit nicht aufgegeben wurde, bis 2015 13 Milliarden Euro zusätzlich in Bildung zu investieren. Es reicht nicht aus, vor den Wahlen Gipfelstürmer zu spielen und danach im Nebel zu verschwinden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder von Ihnen wünscht sich, dass seine Kinder und Enkel bestmögliche Bedingungen für ein erfolgreiches und gelingendes Aufwachsen haben. Gesamtgesellschaftlich gebietet es die Vernunft, dass uns kein Kind verloren geht. Bester Garant dafür sind starke Eltern und professionelle pädagogische Fachkräfte. Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen jedes Kindes zu schaffen. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise und der demografischen Entwicklung in Sachsen kommt es darauf an, klare Prioritäten für die Zukunft des Landes zu setzen; und die Prioritäten liegen nun einmal in der Bildung unserer Kinder. Statt in Krisenzeiten in die Schuldentilgung und einen unnötig aufgeblähten Pensionsfonds zu finanzieren, sollte mehr Geld in die einzige Ressource, die unser Land hat, die Köpfe der Kinder, investiert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade gestern wurde veröffentlicht, dass jeder sechste Jugendliche in Deutschland zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ohne einen Bildungsabschluss lebt und damit auch kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Das lässt sich nur durch eine gute frühkindliche Bildung verhindern und nicht durch Maßnahmen für Karrieren, die uns Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge kosten.
Meine Damen und Herren! Ich wünsche mir eine konstruktive Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes und bin gespannt auf die Sachdiskussion.
Meine Damen und Herren! Der soeben eingebrachte Gesetzentwurf soll an den Ausschuss für Schule und Sport überwiesen werden. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich sehe Einstimmigkeit. Damit ist die Überweisung beschlossen.
1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Regelung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Einrichtung, Betrieb und befristete Fortführung von Gemeinschaftsschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Gemeinschaftsschuleneinführungsgesetz – SächsGemSchulEG)
gab es durch den Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Jahre 2004 und die Leitlinien für die Gemeinschaftsschulen des Sächsischen Staatsministeriums für
Kultus vom Juli 2005 in Sachsen erstmals die Möglichkeit für Schulträger, Gemeinschaftsschulen einzurichten.
Ich denke, das war eine der wenigen positiven Hinterlassenschaften der letzten Wahlperiode. Bislang erfolgten die Einrichtung und der Betrieb von Gemeinschaftsschulen im Rahmen des § 15 des Schulgesetzes als Schulversuch. „Schulen mit besonderem pädagogischem Profil/Gemeinschaftsschulen“, so lautet die offizielle Bezeichnung. Für den Schulversuch ist eine Laufzeit von mindestens sechs Jahren und im Erfolgsfall der reguläre Weiterbetrieb vorgesehen. Neun Mittelschulen beteiligen sich seit dem Jahre 2006 am laufenden Schulversuch.
Die Eltern nehmen den Schulversuch und damit die Gemeinschaftsschule für ihre Kinder mit großem Interesse wahr. Die Anmeldezahlen an den Gemeinschaftsschulen für die 5. Klassen im kommenden Schuljahr 2010/2011 sind sehr gut. Ich nenne hier nur das Chemnitzer Schulmodell mit 100 Anmeldungen, Geithain mit 85 Anmeldungen, Moritzburg mit 101 Anmeldungen, Zittau mit 95 Anmeldungen und Dresden-Pieschen mit 82 Anmeldungen. Viele andere Schulen in Sachsen wären froh, wenn sie über derartige Anmeldezahlen verfügen könnten.
Dann kam allerdings die neue Wahlperiode und mit ihr der Regierungswechsel. Im September 2009 erklärten CDU und FDP in ihrer Koalitionsvereinbarung den Schulversuch „Schule mit besonderem pädagogischem Profil/Gemeinschaftsschulen“ ohne jede Not für beendet – und das vor allen Dingen, ohne überhaupt die abschließende Evaluation abzuwarten.