Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

Ich will unsere Position an einigen Thesen deutlich machen: Erstens. Aus unserer Sicht – das zeigen auch andere Expertenberechnungen – folgt die Erhöhung um 5 Euro lediglich einer Vorgabe des Bundesfinanzministers. Interessant ist, dass der Bundesfinanzminister, bevor die erste Berechnung überhaupt vorlag, im Haushaltsplan des Bundes für das nächste Jahr deutlich machte, wie hoch der Regelsatz sein könnte. Daran hat man sich dann – hört, hört! – bei der Berechnung auch gehalten.

Diese 5 Euro – ich habe es einmal nachgerechnet – kosten den Bundeshaushalt circa 300 Millionen Euro. Wenn Sie die „Mövenpick-Steuer“ zurücknehmen würden – Sie können da stöhnen, wie Sie wollen, aber es ist nun einmal so, das werden Sie nicht verhindern können –, dann könnte, ohne dass der Bundeshaushalt weiter belastet würde, der Regelsatz für alle von Hartz IV Betroffenen im Monat sofort um 30 Euro steigen.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Ist es denn zu glauben!)

So ist die Realität.

Wenn wir uns das sogenannte Kürzungspaket der Bundesregierung insgesamt anschauen, dann wird bei den HartzIV-Betroffenen nicht etwa zugelegt, sondern dann werden in der Summe sogar über 3 Milliarden Euro eingespart. Das ist nicht hinzunehmen.

(Zuruf der Abg. Andrea Roth, DIE LINKE)

Zweitens. Nach wie vor bleibe ich bei meiner hier schon oft geäußerten These: Wir brauchen eine nachvollziehbare Definition, was Existenzminimum und was soziokulturelles Existenzminimum im Konkreten ist. Die jetzt vorliegende Berechnung ist das nicht. Es ist, wie gesagt, hingeschrieben oder hingerechnet. Die Statistik betreffend, kann ich alles – wenn ich das möchte – so manipulieren, wie ich es haben will. Es ist entsprechend der Vorgabe des Bundesfinanzministers hingeschrieben und es bleibt bei der Ausgrenzung von deutschlandweit aktuell 6,6 Millionen Menschen.

Drittens. Die Berechnungsgrundlagen haben sich im Prozess der Erörterung geändert. Ursprünglich hatten wir 20 %, bezogen auf Ein-Personen-Haushalte der Menschen mit niedrigstem Einkommen. Flugs hat man, um auf das Endresultat zu kommen, nur noch 15 % genommen, also faktisch innerhalb des Berechnungsprozesses einfach die Voraussetzungen geändert. Dass man dann dort insbesondere Mini-Jobber, Menschen mit niedriger Rente, die auch auf Grundsicherung angewiesen sind, oder Aufstocker vergleicht, ist klar. Das impliziert, dass wir damit eben nicht zu einer Berechnung kommen, die wirklich lebensnah ist.

Viertens. Die Manipulation und Trickserei hat dazu geführt, dass der Warenkorb, der als Grundlage dient, nicht nachvollziehbar ist. Ich will Ihnen an einigen Beispielen benennen, was einem Hartz-IV-Betroffenen täglich zusteht, wenn es so bleibt, wie es jetzt vorgesehen ist. Pro Tag sind das 4,52 Euro für Ernährung und 1 Euro für Kleidung. Nun kauft man sich nicht jeden Tag ein Paar Schuhe, aber Sie wissen, wie lange man sparen muss, sich welche kaufen zu können, insbesondere vor dem Winter. Dann sind das 0,50 Euro für Gesundheit und Pflege. Rechnen Sie sich aus, was allein die Praxisgebühr kostet. Oder 0,76 Euro für Bus und Bahn. Man kann also laut Warenkorb nicht jeden Tag mit der Straßenbahn von hier nach da fahren. Hört, hört: Ganze 5 Cent sind für Bildung vorgesehen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich

sage Ihnen, das stützt meine These: Davon kann man nicht menschenwürdig leben!

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Richtig! – Beifall bei den LINKEN und des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ob Sie das anders sehen oder nicht, es ist trotzdem eine eindeutige Tatsache.

Fünftens, das Bildungs- und Teilhabepaket. Meine Damen und Herren, ich will nicht bösartig argumentieren, aber mehr als die Größe einer Streichholzschachtel hat es nicht. Das muss ich wirklich sagen, denn es kann sehr schnell zum bürokratischen Monster werden. Rechnen Sie sich aus, was Sie mit 10 Euro pro Monat wirklich anfangen können! Insbesondere die Angebote auf dem flachen Land betreffend, ist vieles gar nicht nutzbar, weil allein die Fahrkarte dorthin wesentlich mehr kosten würde, als was man in Anspruch nehmen könnte.

Wenn man schon der Meinung ist, man müsse Geld vorhalten, was direkt dem Kind zukommt, wäre noch etwas viel günstiger gewesen – ganz abgesehen davon, dass das von vornherein eine Diskriminierung der betroffenen Eltern ist; aber das will ich beiseite lassen –: Man hätte wirklich über ein kostenfreies Mittagessen für die Bedürftigen nachdenken können und müssen. Oder man hätte die Betreuungsleistungen in den Kindertagesstätten finanziell stärker unterstützen oder für Kinder von Einkommensbedürftigen, darunter Hartz-IV-Betroffenen, endlich die Lehr- und Lernmittelfreiheit auch in Sachsen wirklich durchsetzen können. Sie steht zwar im Gesetz, aber wir haben sie leider nicht. Jeder, der Kinder oder Enkel hat, wird mir das bestätigen können.

Sechstens. Hartz IV – auch das zeigt die Debatte – ist nicht ohne die Kombination mit der Debatte zum Mindestlohn versteh- und denkbar. Seit 2005 hat sich gezeigt, dass Hartz IV nichts anderes als ein LohndumpingProgramm für alle ist. Indem ich eine sogenannte Reservearmee von Arbeitslosen habe,

(Zurufe von der CDU)

wird Druck auf die Gesamtlöhne ausgeübt. Deshalb brauchen wir dringend – ich sage das heute nicht zum ersten Mal – einen armutsfesten Mindestlohn

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Oh-Rufe von der CDU)

und können dann logischerweise darüber debattieren, wie hoch der Regelsatz sein muss. Aus unserer Sicht sollte er – so unser Antrag – auf 420 Euro angehoben werden. Sie wissen, ich habe hier schon andere Forderungen gestellt. Das ist nicht die Forderung, die etwa in den programmatischen Vorstellungen der LINKEN steht. Dort stehen 500 Euro drin, und das wäre auch angemessen. Aber ein erster Schritt, der auch Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes folgt, ist allemal wichtiger und besser als gar kein Schritt oder die 5 Euro.

Ich kann die Staatsregierung nur herzlich auffordern, diesen Gesetzentwurf abzulehnen und im Sinne unseres Antrages initiativ zu werden.

(Beifall bei den LINKEN)

Als nächster Redner spricht Herr Krauß für die CDUFraktion. – Herr Krauß, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf auf die einleitenden Worte von Herrn Pellmann zurückkommen und ihm sagen, dass er prophetische Fähigkeiten hat. Er hat bereits vorausgesehen, dass wir am heutigen Tage wahrscheinlich nicht einer Meinung sein werden.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Nicht nur am heutigen Tage!)

Ja, das ist schade. Da haben Sie recht.

Wie Sie wissen, hat sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Neuberechnung der Hartz-IVRegelsätze notwendig gemacht, wobei der besondere Anspruch an die Nachvollziehbarkeit gestellt worden ist. Im Ergebnis kam eine Steigerung des Regelsatzes um 5 Euro ab dem nächsten Jahr heraus. Ich darf am Rande erwähnen: Die Mehrheit der Bevölkerung, die dazu befragt worden ist, hat gesagt: Wir halten eine Erhöhung für nicht richtig. Die Mehrheit der Bevölkerung unseres Landes sagt, eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ist nicht richtig. Das möchte ich am Rande sagen.

Jetzt haben Sie eine exorbitant hohe Forderung aufgemacht; das ist Ihr gutes Recht. Ich denke, dass der vorgeschlagene Kompromiss der Bundesregierung – eine Erhöhung um 5 Euro – ein recht guter Kompromiss ist.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Was?)

Wie kommen die Sätze zustande? Ich hatte den Eindruck, als ich Herrn Pellmann zuhörte, da sitzt irgendwo ein Beamter im Bundesministerium, der sagt 3,73 Euro hierfür und 4,79 Euro dafür, und dann kommt das irgendwo zustande.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Es waren drei Beamte!)

Das waren nicht drei Beamte. Die Realität ist eine andere, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es waren 60 000 Leute, die daran mitgewirkt haben, nämlich über die Einkommens- und Verbraucherstichprobe. Man schaut genauer hin, was die Menschen bei uns im Land wofür ausgeben. Was geben die Menschen für Lebensmittel, Kleidung, Schulbedarf usw. aus? Dann schaut man sich das untere Fünftel an von denen, die jeden Tag früh aufstehen und arbeiten gehen, und sagt: Das, was derjenige bekommt, der früh aufsteht, arbeitet und zum unteren Einkommensfünftel gehört, soll auch jemand bekommen, der langzeitarbeitslos ist. Nach dem Motto, da sei irgendetwas zusammengeschustert worden – das kann man dazu nicht sagen.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Krauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Das kann er gern tun. Ich gehe auf die Berechnung noch näher ein, falls die Frage darauf gerichtet ist.

Sie gestatten also eine Zwischenfrage?

Ja, bitte schön.

Herr Dr. Pellmann, bitte schön.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Krauß, ich will Sie nicht zur Einzelberechnung befragen. Darüber haben wir sowieso eine unterschiedliche Meinung. Ich will Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass bei diesem unteren Fünftel – das Sie erwähnt haben und was inzwischen laut Berechnung nur noch 15 % sind – nicht nur diejenigen, die arbeiten gehen und früh aufstehen, dabei sind, sondern auch jene, die bereits in Rente sind und eine Minirente bekommen und somit nicht früh aufstehen müssen, um zur Arbeit zu gehen? Das ist eine beträchtliche Zahl.

Bei diesem Fünftel sind die Transfergeldempfänger herausgenommen. Das heißt, wir reden vor allem über diejenigen, die früh aufstehen und arbeiten gehen und ein relativ geringes Gehalt haben. Das ist die Vergleichsgröße. Von mir aus können Sie dort gern die Rentner hinzuzählen. Damit habe ich überhaupt kein Problem, weil sie sich ihren Rentenanspruch natürlich erarbeitet haben.

Es werden bei dieser Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 230 Positionen verglichen. Es wird ein Haushaltsbuch geführt, sodass man bei diesen 60 000 Haushalten genau schauen kann, wofür sie was ausgeben. Das ist also keine Geschichte, bei der irgendetwas zusammengeschustert wird, sondern man hat einen sehr validen statistischen Wert herausbekommen.

Mit dem neuen Vorschlag wird an einigen Stellen nachjustiert. Es ist positiv, dass man gesagt hat, die Praxisgebühr kam dazu – das war 2004 und davor, als man das Modell erarbeitet hat, noch nicht so im Blick –, oder auch Softwaredownloads sind dazugekommen und in den Regelsatz aufgenommen worden.

Man hat andere Dinge aus der Regelsatzberechnung herausgenommen, zum Beispiel die Haushaltshilfen. Denn es ist nachvollziehbar: Wer den ganzen Tag zu Hause ist, ist auch in der Lage, seine Wohnung sauber zu halten; das muss man nicht in den Regelsatz hineinnehmen. Man hat illegale Drogen herausgenommen – wobei man sich fragen muss, warum diese vorher überhaupt Bestandteil waren. Man hat Tabak, Alkohol und Glücksspiel herausgenommen. Es ist auch legitim, darüber

nachzudenken, warum man diese Dinge früher in Regelsätze aufgenommen hatte.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind uns sicher alle einig, dass der Staat für Gesundheitsleistungen zahlen sollte. Aber wir können doch nicht erwarten, dass der Staat auch dafür bezahlt, wenn jemand seine Gesundheit ruiniert.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Wer will, kann natürlich trotzdem rauchen, aber er tut es dann nicht auf Kosten des Steuerzahlers. Das ist eine gute, legitime Lösung, die man gefunden hat. Man hat die Kosten für die Autos herausgenommen – ob das eine gute Lösung war, darüber kann man streiten –; im Großen und Ganzen gilt aber: Das neue Zusammenschnüren des Paketes der 230 Kriterien ist aus meiner Sicht in Ordnung; insofern ist es akzeptabel.

Nun kommen wir zum zweiten Punkt, den man immer wieder mit ins Blickfeld nehmen muss, der uns wichtig ist: Wer arbeitet, muss am Monatsende mehr haben als jemand, der nicht arbeitet, weil sich sonst Arbeit nicht lohnt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von den LINKEN)

Daran muss sich auch der Vorschlag der LINKEN messen lassen; denn Sie müssen der Krankenschwester oder dem einfachen Handwerker erklären, wieso sie früh aufstehen und arbeiten gehen sollen, wenn sie am Monatsende nicht unbedingt mehr haben als jemand, der nicht aufgestanden ist. Das ist aus meiner Sicht eine tiefe soziale Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)