Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Aus der Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehören dazu alle Formen: von stillem Gedenken über Mahnwachen in Kirchen oder auf Plätzen bis hin zu Demonstrationen und friedlichen Blockaden.

(Andreas Storr, NPD: Brennende Mülltonnen und Steinewerfen wahrscheinlich auch!)

In meiner Heimatstadt Dresden ist schon im Jahr 2005, unterstützt von allen demokratischen Stadtratsfraktionen, auch der FDP, ein Rahmen des Erinnerns definiert worden, der das umfasst und beschreibt. Die Handlungsfähigkeit des demokratischen Staates hängt eben auch davon ab, wie die Demokratinnen und Demokraten dies wahrnehmen. Sie ist nicht allein durch staatlich angesagte Demonstrationen gegeben.

Dies vorausgeschickt, sagen wir: Wir halten eine Verbotsstrategie nicht für tauglich, dem Problem der Naziaufmärsche zu begegnen. Dadurch unterscheiden wir uns teilweise von Vorstellungen, die mein Vorredner vortrug bzw. der Antrag in Punkt 2 enthält. Wir halten Gewalt für ein untaugliches Mittel, und wir halten es für untauglich, die Verantwortung für Fehlleistungen jeweils den anderen oder der anderen Institution zuzuschieben.

Gerade nach dem Geschehen am 19. Februar mit all seinen guten und schlechten Seiten – wir haben es zur Aktuellen Stunde reflektiert – brauchen wir eine kritische und genaue Analyse der Vorgänge. Die von uns beantragte Sondersitzung des Innen- sowie des Verfassungs-, Rechts und Europaausschusses hat durch das Bemühen des Innenministeriums Ansätze dazu gezeigt. Das Justizministerium hat dazu leider nichts beigetragen. Aber es sind erste Ansätze und Zwischenfazite, und wir sehen auch, dass ein Teil unserer Anfragen bisher sehr lückenhaft beantwortet worden ist.

Wir begrüßen ausdrücklich die Ansätze des Innenministers, neue Denkansätze zu entwickeln und zu überlegen,

(Andreas Storr, NPD: Gemeinsam mit Herrn Thierse, dem Dauerblockierer!)

wie man einen Protest in Hör- und Rufweite realisiert – was am 19. Februar nicht möglich war. Aber wir fragen uns natürlich auch, wie der Innenminister das in der Polizeiführung und der Koalition durchsetzen will und kann. Wir würden Sie im Zweifel unterstützen. Wir begrüßen auch, Herr Innenminister, dass Sie angekündigt haben, die Fehler, die bei den Polizeieinsätzen in der schweren Einsatzlage der Polizei offensichtlich gemacht worden sind – unverhältnismäßige Einsätze und Übergriffe –, tabulos aufzuklären. Wir wissen aber noch nicht, wie Sie das angehen wollen; denn die Sonderkommission "19. Februar" wird sich allein mit dem strafrechtlich relevanten Teil beschäftigen und keine Aufklärung über Einsatztaktiken und -strategien betreiben.

(Andreas Storr, NPD: Was ist mit Gewaltübergriffen von Linken? Dazu schweigen Sie!)

Analyse heißt aber auch: Es ist kein Mittel, wenn das Innenministerium die Gerichte verantwortlich macht, die Gerichte auf die Versammlungsbehörde zeigen und wir im Innenausschuss gehört haben, dass die Versammlungsbehörde ihre Agenda eigentlich von der Polizeiführung vorgegeben bekommen hat. Deshalb zieht die GRÜNEFraktion als Zwischenfazit: Das sogenannte Trennungskonzept ist am 19.02. gescheitert.

(Andreas Storr, NPD: Es ist nicht umgesetzt worden, das ist das Problem!)

Es ist gescheitert, weil ein Protest in Ruf- und Hörweite der Nazidemonstrationen nicht vollständig möglich war. Es ist auch deshalb gescheitert, weil wir gesehen haben, dass wir nicht zum Schutz einer Innenstadt ganze Stadtteile leerräumen können und Nazidemonstrationen mal nach Cotta, nach Plauen oder in andere Stadtteile schicken können. Zudem war es mit erheblichen Nachteilen verbunden. Wir müssen aber auch konstatieren, dass das Versammlungsgesetz mit dem großen Versprechen "Jetzt können wir alles, was stört, verbieten" gescheitert ist.

(Beifall der Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Es ist erneut nicht angewendet worden, und es bietet keine Lösung; es ist gescheitert. Angesichts dieser Fragen und der Situation fordern wir als GRÜNE eine offene Auseinandersetzung, und wir werden uns an dieser auch beteiligen – rechtzeitig vor den nächsten Ereignissen –: mit der Kritik, der Analyse und neuen Handlungsszenarien für ein politisches Konzept und ein Sicherheitskonzept. Beides kann einander nicht ersetzen. Das ist dringend notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen; aber wir GRÜNEN meinen, es ist auch eine Chance, die Demokratie zu stärken und den Naziaufmärschen den Boden und die Lust zu entziehen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Andreas Storr, NPD: Ach, darum geht es Ihnen!)

Vielen Dank, Frau Jähnigen. – Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abg. Modschiedler. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sache möchte ich die umfassende Diskussion von heute Morgen nicht nochmals aufgreifen, jedenfalls nicht inhaltlich. Der Innenminister hat sich umfassend zu den aufgeworfenen Themengebieten geäußert. Die Fragen, die hier von beiden Antragstellern aufgelistet sind, decken sich im Wesentlichen mit der Aktuellen Stunde bzw. sind im Innen- sowie im Verfassungs-, Rechts und Europaausschuss umfassend erörtert worden und sollen dort – die

Anträge sind ja vertagt worden – auch noch weiter behandelt werden.

Es sei mir deshalb der Hinweis gestattet, dass man erst einmal miteinander in den Gremien des Landtages die Thematik aufarbeitet, bevor man wieder einmal mit einem populistischen Schnellschuss die laufende Diskussion mit solchen Anträgen konterkariert.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Was war denn die Aktuelle Debatte? Das war doch das Gleiche!)

Das war eine Aktuelle Debatte. Wir haben hier konkrete Anträge, die parallel noch einmal im Ausschuss laufen.

Soweit es in den Anträgen um Ermittlungsergebnisse aus Straftaten geht, hat der Justizminister mehrfach die Problematik der laufenden Ermittlungsverfahren erläutert. Wir haben die Staatsanwaltschaft, um unabhängig und ohne die Einmischung der Legislative zu ermitteln. Wir haben uns nicht – in welcher Form auch immer – in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einzumischen, also sollten wir die Ergebnisse zunächst einmal abwarten, bevor in fragwürdigen, vorgreifenden Aktionismus verfallen wird.

Eigentlich geht es den Antragstellern aber doch um etwas anderes. Auf den Punkt gebracht: Sie wollen alle Demonstrationen der Rechten verbieten, und Sie wollen den Widerstand und den Protest durch Blockaden legalisieren. Sie halten das auch noch für legitim.

(Andreas Storr, NPD: So sieht es aus! Sehr richtig!)

Wer das tut, begräbt damit aber auch viele unserer hehren, verfassungsrechtlich codierten Grundwerte und löst unseren Rechtsstaat Schritt für Schritt auf. Warum?

(Vereinzelt Beifall bei der NPD – Klaus Bartl, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Modschiedler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Bartl, lassen Sie mich das rechtlich noch einmal ausführen. Ich stoppe dann vorher; aber jetzt wäre es erst einmal sinnvoll, das wenigstens auszuführen.

Jetzt gestatten Sie also keine Zwischenfrage?

Nein, danke, aber später.

Warum? Unsere Verfassung gewährt jedem Bürger das Recht auf Versammlung – so sie denn friedlich ist. Die Verfassung verbietet damit aber auch, dass die Freiheit nach Inhalten differenziert wird, also nach guten und nach schlechten Versammlungen, und genau das ist auch richtig so. Was ist gut, was ist schlecht, und wer bestimmt das? Eine Anmaßung, die ganz schnell zu einem Gesinnungsrecht wird, das zu einer nicht mehr aufzuhaltenden Eigendynamik führt.

(Jürgen Gansel, NPD: Zu 100 Millionen Toten des Weltkommunismus!)

Seien Sie vorsichtig. Das hatten wir mehrfach in der deutschen Geschichte, immer mit gravierenden Folgen, und im Übrigen:

(Jürgen Gansel, NPD: Warum Ihre Beißreflexe?)

Mir passen auch viele linksextremistische Demonstrationen nicht. Dennoch akzeptiere ich, dass diese im Rahmen der Gesetze auch stattfinden. Ich käme auch gar nicht erst auf die Idee, dagegen grundsätzlich vorzugehen.

Genau aus diesen Gründen hat das Bundesverfassungsgericht nur sehr, sehr restriktiv Möglichkeiten zugelassen, in das Versammlungsrecht einzugreifen. Einzig bei dem sogenannten Wunsiedel-Urteil, Herr Bartl, das im Antrag der Linken auch als Grundlage genannt wird, lässt das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Änderung des § 130 Abs. 4 des Strafgesetzbuches durch den Bundestag die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu, wenn die Würde der Opfer in verletzender Weise dadurch gestört wird, dass der Täter die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. So steht es sinngemäß in § 130 Abs. 4. Diese wirkliche Verschärfung durch den Bundestag hat das Gericht mit dieser Entscheidung gebilligt. Das hat auch in Rechtskreisen zu erheblicher Kritik geführt.

Das heißt aber doch nun nicht, dass mit diesem Urteil in der Tasche jeder jetzt alles darf, wenn vor ihm ein Rechter demonstrieren will. So sind nach diesem genannten Urteil im Einzelfall Voraussetzungen des § 130 in der Güteabwägung zu prüfen. Dies haben im Vorfeld die Behörden und die Gerichte getan, und dies haben sie auch vor dem 19. Februar 2011 getan.

(Dr. André Hahn und Klaus Bartl, DIE LINKE: Kein Bescheid geprüft!)

Das ist geprüft. Sie können jede Behörde hernehmen –, ich komme noch dazu.

Wenn einem dies nicht gefällt, da muss die Demokratie, da müssen wir Demokraten aktiv werden. Wir alle müssen Aufklärung betreiben.

Die Demokratie lebt von der Information und von der Meinungsäußerung. Wir sind aufgerufen, die politische Willensbildung zu unterstützen. Die Menschen müssen über die Hintergründe dieser menschenverachtenden rechtsextremistischen Organisation auch informiert werden. Wir müssen auf die Bürger zugehen und es ihnen erklären. Wenn die Menschen und die Wähler die Wahrheit sehen und erkennen und ihr demokratisches Wahlrecht wahrnehmen, dann können wir dieses Problem auch lösen. Dies ist ein langer, klar, und auch ein schwieriger Weg. Aber dafür gibt es letztlich meiner Ansicht nach keine Alternative.

Wenn wir das tun, was hier aber mit den Anträgen gefordert wird, lösen wir nicht einmal das Problem, da wir es nur verschieben. Sie erklären mit Ihren Anträgen nichts,

sondern Sie wollen nur verbieten. Aber mit dem Verbot nehmen wir uns im Umkehrschluss eines der wichtigsten Grundrechte, für die viele, sehr viele Bürger 1989 auf die Straße gegangen sind, nämlich unser aller Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dies kann nicht Ihr erklärter Wille sein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Die CDU-Fraktion ist sich sicher, dass unsere Demokratie auch die Freiheit der Versammlungen für Minderheiten wie diese, wie besprochen, aushält. Sie kann das. Wenn wir aber nun nach Gesinnungsmerkmal – und selbige sind es – in alle Richtungen einfach verbieten, sind wir bald kein Rechtsstaat mehr.

Das sächsische Parlament hat in den engen Räumen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten mit dem aktuellen Versammlungsrecht den Rahmen für eine friedliche Demonstration in Sachsen und auch in Dresden gesetzt. Man darf und soll es im Sinne aller unserer demokratischen Rechte auch nicht mehr tun. Das ist genug. Das reicht. Blockaden sind deshalb – das ist der Kern – nicht der richtige Weg und vor allem nicht der legale und erst recht nicht dieser legitime Weg.

Klar, ich möchte keinen der Nazis durch Dresden marschieren sehen – ich vor allem nicht. Aber ich möchte nicht wissen, was los ist, wenn die ersten Braunen sich vor einen Demonstrationszug der LINKEN setzen. Ist dies dann auch noch legal? Oder ist das jedenfalls dann noch legitim, wie es immer wieder gesagt wird? Wer rechtsfeindlich gegen den Rechtsstaat vorgeht, der muss mit der Härte der Mittel ebendieses Rechtstaates auch rechnen. Das ist sinngemäß übrigens auch das Ergebnis des Wunsiedel-Urteils.

Mit Ihren Anträgen soll aber mit rechtsfeindlichen Mitteln, nämlich mit diesen Gesinnungsverboten, gegen den Rechtstaat und mithin gegen unsere Grundrechte vorgegangen werden. Wir, die CDU-Fraktion, werden uns daran aber nicht beteiligen, wenn DIE LINKEN die Verfassung ändern wollen, damit unangenehme Teile der Bevölkerung sie an der Ausübung ihrer Grundrechte hindern können. Wer demonstrieren will – für oder gegen etwas –, der soll die Möglichkeit haben, friedlich auf die Straße zu gehen und seine Meinung dort zu äußern. Dieses Recht steht allen zu. Die einzige Instanz, die dieses Recht letztendlich mit den anderen im Einzelfall beschränken kann, sind die Gerichte.

Übrigens – damit kommen wir wieder zu Ihnen, Herr Dr. Hahn –, die Behördenentscheidungen können ebenso von den Gerichten überprüft werden. An die Entscheidungen der Gerichte sind wir nämlich gebunden. Was ist, wenn wir das nicht mehr wollen, darüber möchte ich nicht nachdenken müssen. Mit Blockaden wird sich über die Rechte der Bürger hinweggesetzt. Ob dies im Einzelfall schön oder nicht schön ist, darf nicht unser Maßstab sein.

Gestatten Sie mir noch einmal ein Wort zu unserer Polizei, auch wenn das der Kollege Thierse von der SPD im Bund etwas anders sieht. Unsere Polizisten schützen keine Neonazis, wie das immer gesagt wird, sondern sie schüt