Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Reihenfolge in der ersten Runde: SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer kennt sie nicht, die Situation – zumindest diejenigen unter uns, die Schulkinder haben, kennen sie –, dass am Anfang des Schuljahres nicht nur die neue Schultasche fällig ist, dass neues Sportzeug fällig ist, sondern dass auch diverse Unterrichtsmaterialien – Verbrauchsmaterialien, wie es so schön heißt – bis hin zum Taschenrechner bezahlt werden müssen. Schnell summiert sich das Ganze auf 100 Euro, auf 200 Euro. Bundesweite Vergleiche des Bundeselternrates haben ergeben, dass pro Monat circa 80 bis 100 Euro für Schulmaterialien und die Schülerbeförderung ausgegeben werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Antrag schließt an die Debatte an, die wir schon einmal während der Haushaltsberatung geführt haben, als wir versucht haben, ein Schulbudget in den Haushalt einzubringen, das den Schulträgern zur Verfügung gestellt wird, um Schritt für Schritt tatsächlich eine Schulgeldfreiheit, einen kostenfreien Schulbesuch in Sachsen einführen zu können.
Die heutige Praxis ist noch weit von der Verfassung unseres Landes entfernt. In Artikel 102 Abs. 4 Satz 1 steht: „Unterricht und Lernmittel an den Schulen in öffentlicher Trägerschaft sind unentgeltlich.“
Das Kultusministerium teilt in seiner Stellungnahme mit, dass es einen konkurrierenden Artikel gibt, und zwar hinsichtlich der Elternpflicht. Elternpflicht besagt nach Aussage des Kultusministeriums, dass die Eltern dafür zu sorgen haben, dass die Kinder für den Schulbesuch zweckentsprechend ausgestattet sind. Eine sehr weite Auslegung, wenn unter dieses „zweckentsprechend“ fällt, dass damit die regelmäßige Beteiligung der Eltern an den Schülerbeförderungskosten verbunden ist, auch dann übrigens, wenn ein kostenfrei zu erreichendes Schulangebot nicht zur Verfügung steht. Gerade Eltern in den ländlichen Räumen, deren Kinder einen weiteren Weg zum Gymnasium oder zu einer Schule der freien Schulwahl hätten, schrecken oft vor den Kosten der Schülerbeförderung zurück und lassen ihre Kinder dann doch lieber in die nächstgelegene Mittelschule gehen. Das hat aus unserer Sicht nichts mit Gleichbehandlung und auch nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Übrigens – vielleicht wissen das viele nicht –: Ganztagsangebote fallen nicht unter die Schülerbeförderungskosten, die die Landkreise oder kreisfreien Städte zu übernehmen haben. Das führt regelmäßig dazu, dass die Schülerbeförderung, wenn Ganztagsangebote außerhalb der Schulzeit und an einem anderen Ort stattfinden, von den Eltern selbst zu tragen ist.
Schulische Angebote wie Museumsbesuche oder Theaterbesuche sind oft mit zusätzlichen Elternbeiträgen verbunden. Deswegen ist es zwar sehr löblich, dass es jetzt bei den staatlichen Museen einen kostenfreien Museumsbesuch gibt. Aber ein Kind aus Görlitz, aus Kamenz oder aus Plauen kommt nicht ohne Weiteres zum Hygienemuseum oder zu den Staatlichen Kunstsammlungen, es sei
denn, es beteiligt sich an der Finanzierung für die Fahrt, denn die Regelung der Schülerbeförderung gilt dort nicht.
Noch zu dem Stichwort Lernmittelfreiheit. Auch diesbezüglich findet eine schrittweise Ausweitung und Aushöhlung unseres Verfassungsgrundsatzes statt, denn es sind eben nicht nur die notwendigen Schulbücher, die Kosten erzeugen – diese werden zwar heute noch übernommen –, sondern es sind vor allen Dingen die Arbeitshefte, die dem Schüler an die Hand gegeben werden, es sind die Taschenrechner mit erheblichen Kosten, es sind aber auch Kosten für die Selbstbeschaffung von Atlanten oder Wörterbüchern.
Nun schlägt das Kultusministerium den Schulen vor, denn es wird alles in die Verantwortung der Schulen oder der Schulträger delegiert, Tauschbörsen in den Schulen einzurichten. Das ist ein interessanter Vorschlag. Die Schulleiter werden sich freuen, wenn sie jetzt dafür auch noch verantwortlich sein sollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Thema Schulfahrten ist die Antwort des Kultusministeriums ebenfalls sehr interessant. Schulfahrten sind eine regelmäßige Belastung für die Eltern, vor allen Dingen dann, wenn es sich um Alleinerziehende handelt, um Niedrigverdiener oder um Familien mit mehreren Kindern, wenn die Kinder in der Regel einmal im Jahr eine Schulfahrt durchführen. Es wird gesagt, dass man das Ziel, das pädagogische Anliegen genauso gut in einem nicht so weit entfernten Ziel erreichen könnte.
Das heißt zu gut Deutsch: Die Schüler aus dem Gymnasium oder vielleicht auch aus einer Mittelschule, die einen sehr guten Förderverein hat, können es sich leisten, nach England oder nach Tschechien zu fahren oder vielleicht auch einen Besuch in Polen zu machen. Die Kinder, die es sich nicht leisten können, sind in der Regel gerade die Kinder in den Mittelschulen, gerade in den Mittelschulen mit einer Zusammensetzung, wie wir sie in städtischen Räumen haben. Sie haben nicht ohne Weiteres einen potenten Schulförderverein. Diese Kinder gehen dann ins nähere Umland oder vielleicht, wenn es gut geht, in die Sächsische Schweiz. Das hat nichts mit sozialer Gleichbehandlung zu tun.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte über die Regelsätze für die Kinder aus Hartz-IV-Familien hat deutlich gemacht, dass die soziale Benachteiligung Auswirkungen auf die Bildungschancen hat. Genau deshalb wurde über das Bildungs- und Teilhabepaket debattiert, das zwar in seiner Ausführung große Schwierigkeiten bereitet, das aber nichts anderes schließen soll als die Lücke bei dieser kostenfreien Lernmittel- und Unterrichtsbereitstellung.
Es konnte erreicht werden, dass nicht nur die Hartz-IVKinder, sondern auch die Kinder sogenannter Aufstocker, also derjenigen, die einen sehr niedrigen Verdienst haben, in dieses Paket aufgenommen werden und eine Zuzahlung bekommen. Letztlich ist das aber eine Diskriminierung
dieser Kinder und deren Eltern, wenn sie sich extra für schulische Angelegenheiten, also für Kosten, die im Zusammenhang mit der Schule stehen und eigentlich laut Verfassung kostenfrei sein sollten, Geld vom Arbeitsamt – oder jetzt von der Kommune – holen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schlagen der Koalition deshalb noch einmal vor, darüber nachzudenken, dass den Schulträgern in Zusammenarbeit mit den Schulen ein Budget zur Verfügung gestellt wird, um schrittweise die Verantwortung der Schulträger für einen kostenfreien Schulbesuch einschließlich der Lernmittel tatsächlich umsetzen zu können und damit auch Kinder aus dem Kreislauf „Einmal arm, immer arm“ und aus der Rolle der Bittsteller gegenüber dem Amt, gegenüber von Fördervereinen oder denjenigen, die vielleicht durch Spenden eine Schule unterstützen, herauszuholen.
Das kann nicht Sinn und Zweck unseres Schulsystems sein und so kann auch die Verfassung des Freistaates Sachsen, die für uns ein hohes Gut ist, nicht gemeint sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stellungnahme des Kultusministeriums, wonach das Kultusministerium nicht weiß, wie hoch die Kosten, die mit Gebühren und Lernmitteln verbunden sind, für Eltern sind, spricht Bände. Das Kultusministerium hat offenbar keine Ahnung über die soziale Situation und die soziale Belastung der Eltern und Schulträger, die das Ministerium selbst durch die Aufgaben, die die Schulen zu erfüllen haben, überträgt. Deswegen rege ich das Kultusministerium an, an dieser Stelle vielleicht einmal eine eigene Untersuchung, eine eigene Studie in Auftrag zu geben, um sich selbst darüber einen Einblick zu verschaffen und auf dieser Grundlage tatsächlich ein Schulbudget aufzusetzen, das Kinder aus sozial schwachen Familien, Kinder aus Familien, die mehrere Kinder haben, aber auch aus alleinerziehenden Familien endlich aus dieser prekären Situation herausholt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie im Intranet des Landtages den Suchbegriff „Lernmittelfreiheit in Sachsen“ eingeben, erhalten Sie rund 1 500 Einträge.
Ich stelle das deshalb voran, weil wir das mit dem Antrag erneut aufgerufene Thema auch parlamentarisch über verschiedene Drucksachen, in einer Anhörung und auf einer Grundlage von Anträgen bereits sehr umfassend
Bevor ich auf die rechtlichen und sachlichen Zusammenhänge des Antrages eingehe, gestatten Sie mir eine grundsätzliche Anmerkung. Politische Forderungen an staatliches Handeln erwachsen aus gesellschaftlichen Bedarfen von Einzelnen, von Gruppen oder der ganzen Gesellschaft. Staatliche Bildungsangebote stellen zweifellos einen solchen öffentlichen Bedarf dar.
Es ist undenkbar und natürlich völlig unrealistisch, dem Einzelnen die Finanzierung dieses Bedarfs zu überlassen. Insofern ist Bildung in Sachsen wie auch anderswo nicht nur frei zugänglich, sondern sie ist grundsätzlich kostenfrei. Soweit ist dem vorliegenden Antrag schon einmal entsprochen. Aber darum geht es im Kern wohl auch nicht, sondern es geht um die Frage: Kann und soll man Eltern an der Finanzierung ausgewählter, weniger Angebote in diesem Bildungsprozess beteiligen, und zwar im Blick auf die Gesamtfinanzierung zu einem verschwindend geringen Anteil? Ist das zumutbar oder steht es dem gesellschaftlichen Bedarf entgegen, es nicht zu tun?
Meine Damen und Herren! Ich meine, es ist zumutbar, dass sich Familien an der Finanzierung der Bildung ihrer Kinder beteiligen, und zwar sowohl mit verschwindend geringem Anteil an der Gesamtfinanzierung und noch verschwindend geringerem Anteil am Maßstab dessen, was in einer Wohlstandsgesellschaft an sonstigem individuellem Konsum und Luxus verbraucht wird.
Meine Damen und Herren! Für die große Mehrheit der Familien im Land ist das nicht nur vertretbar, sondern es ist individuell gewollt. Zweifellos stellt sich die Situation bei sozial schwächeren Familien dramatischer dar. Hier sind natürlich auch staatliche Hilfen notwendig. Aber diese Differenzierung greift der vorliegende Antrag nicht auf, sondern er geht von einer pauschalen Forderung aus.
Nun nimmt der vorliegende Antrag Bezug auf die Sächsische Verfassung Artikel 102 Abs. 4 und leitet daraus eine Kostenfreiheit für alle möglichen Angebote ab, die mit Schule in irgendeiner Weise in Verbindung stehen. Ich denke, auch das haben wir schon mehrfach diskutiert. Ich will trotzdem noch einmal feststellen, dass nämlich diese Sichtweise mit Blick auf die bestehende Rechtslage offensichtlich falsch ist. Denn der Begriff Lernmittel wird in der Verfassung nicht genauer definiert, sondern es wird Bezug genommen auf eine ganz andere gesetzliche Regelung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits existierte, nämlich das Sächsische Schulgesetz. Dort ist in § 38 bestimmt, dass notwendige Schulbücher kostenfrei überlassen werden.
Die im Antrag angeführten sonstigen Materialien und Hilfsmittel oder auch stattfindende Veranstaltungen sind damit eben nicht erfasst. Außerdem ist wohl auch festzustellen, dass sonstige Materialien nicht alle für schulische Zwecke genutzt werden. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Schulgesetz sind die Eltern zudem verpflichtet, den Schülern die für die Teilnahme an Schulveranstaltungen entsprechenden Ausstattungen zu gewähren.
Ähnliche Regelungen finden sich im Schulgesetz zur Frage der Schülerbeförderung in Verantwortung der jeweiligen Schulträger.
Meine Damen und Herren! Es macht Sinn, diese Verantwortung beim Land zu belassen, zumal dort die Verantwortung für die Schulnetzplanung und damit auch die Möglichkeit zur Optimierung von Schulwegen gegeben ist.
Okay, danke schön. – Herr Colditz, Sie haben jetzt im Prinzip das zitiert, was auch die Stellungnahme des Kultusministeriums ist. Deshalb meine Nachfrage: Was verstehen Sie als ganz normaler Bürger unter „zweckentsprechend ausgestattet“? Kinder für den Schulbesuch sind zweckentsprechend auszustatten. Was verstehen Sie darunter?
Das sind entsprechende Mittel, die zum Lernprozess zusätzlich erforderlich sind, außer denen, die bereits durch die Schule zur Verfügung gestellt werden, dass das zweckentsprechend den Schülern dann zur Verfügung gestellt wird, finanziert über die Eltern. Also beispielsweise Arbeitsmittel, Hefte usw., das würde ich dort einbeziehen wollen.
Geben Sie mir recht, dass dieser Begriff „zweckentsprechend auszustatten“ ein dehnbarer Begriff ist und somit auch zu Missbrauch reizt?
Es ist sicherlich im Einzelfall zu hinterfragen, dass das möglicherweise ausgeweitet werden kann. Das muss man dann sicherlich sehr konkret diskutieren. Aber ich denke, das allgemein infrage zu stellen, halte ich erst einmal für problematisch. Dazu haben wir uns über Anhörungen auch Klarheit verschaffen können oder wollen. Ich gebe Ihnen recht, das ist natürlich interpretierbar. Das gestehe ich schon ein, ja.
Meine Damen und Herren! Ich war bei der Schülerbeförderung. An der Stelle möchte ich noch sagen: Zudem hat auch die örtliche Ebene die Satzungshoheit, was die