Es gibt eine allgemeine Aussprache. Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Herr Abg. Lichdi, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Morgen werden wir in diesem Hohen Haus eine Aktuelle Debatte zum Thema „Der Ausweg aus der Atomsackgasse – Sachsen umsteuern in Richtung 100 % erneuerbarer Strom“ führen. Heute haben wir bereits Gelegenheit, diesen Weg zu beschreiten; denn unser Gesetzentwurf wird bzw. kann, falls er Ihre Zustimmung findet, einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
Die Solarenergie wird neben der Windkraft eine der Säulen der zukünftigen Stromerzeugung sein. In Deutschland hat sie bereits einen Anteil von 2 % erreicht. Das klingt zwar wenig, aber wichtig ist dabei der Trend. Der Anteil hat sich nämlich in einem Jahr verdoppelt. Das sind immerhin 12 Milliarden Kilowattstunden – mehr als etwa die beiden Atomkraftwerke Biblis A und Isar 1, die jetzt zum Glück abgeschaltet sind, zusammen erzeugen. Oder: Die 12 Milliarden Kilowattstunden sind schon mehr als die Hälfte des gesamten sächsischen Stromverbrauchs von 21 Milliarden Kilowattstunden.
Aber leider trägt Sachsen zu diesem Wachstum wenig bei. Die installierte Leistung lag hier im Jahr 2009 bei 69 Watt pro Einwohner – gerade einmal gut die Hälfte des deutschen Durchschnitts. Das ist nicht nur ein Problem für die Erreichung der sächsischen Ziele beim Klimaschutz. Nein, meine Damen und Herren, hier geht es auch um die Wirtschaft. Hier ist es richtig, mit den Worten Bill Clintons in seinem Wahlkampf von 1992 zu sagen: „It's the economy, stupid“.
Ein kleines Rechenbeispiel: Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung hat vor Kurzem eine Studie zur regionalen Wertschöpfung der Fotovoltaik veröffentlicht. Jedes installierte Kilowatt Leistung deckt mehr als 1 000 Euro Beschäftigungskosten ab. Davon entfällt rund die Hälfte auf die Modulfertigung. Eine Modulfertigung – ich hoffe, Sie wissen es – haben wir in Freiberg, Chemnitz, Plauen, Leipzig und Dresden. 365 Euro von den 1 000 Euro fließen in die Beschäftigung von Planern und Installateuren.
Meine Damen und Herren, das ist regionale Wertschöpfung. Hinzu kommen noch einmal 200 Euro über die Nutzungsdauer für die Wartung. Wir können allein durch 100 installierte 10-Kilowatt-Hausdachanlagen mit der Planung, Installation usw. usf. eine Wertschöpfung in Höhe von 300 000 Euro in einer Kommune generieren. Die 100 Anlagen führen ohne die Produktion über die
gesamte Laufzeit zu kommunalen Steuereinnahmen in Höhe von 160 000 Euro. Meine Damen und Herren und diejenigen, die mir zuhören, jetzt wissen Sie, warum die Bayern und Schwaben das tun.
Eine letzte Zahl: Sachsen ist nach dem EEG-Umlageverfahren mit 43 Millionen Euro ein Nettozahler. Die bayerischen Energieerzeuger haben hingegen im letzten Jahr eine Milliarde Euro netto mehr eingenommen.
Warum ist das so? Es sind vor allem die politischen und bürokratischen Hürden hier im Freistaat Sachsen. Beim Bundesländervergleich der Agentur für erneuerbare Energien liegt Sachsen im Bereich der Anstrengungen zur Förderung des technologischen Wandels immerhin auf Platz 2, aber auf dem letzten Platz bei den Anstrengungen zur Nutzung der erneuerbaren Energien.
Ich zitiere: „Die Vorbildfunktion ist in Sachsen relativ schwach ausgeprägt.“ – Eine wirklich euphemistische Formulierung! – „Die gesellschaftliche Akzeptanz erneuerbarer Energien und die Zufriedenheit mit der Landes- und Kommunalpolitik sind in Sachsen im Vergleich der Bundesländer am geringsten.“
Meine Damen und Herren, genauso ist es. Die jahrelange Verteufelung der erneuerbaren Energien durch die CDU und die FDP wirkt hier nach.
Dies ist umso bedauerlicher, weil wir in Sachsen die komplette Wertschöpfungskette der Fotovoltaik von Forschung und Entwicklung über Maschinenbau, Wafer- und Modulherstellung bis zur Endmontage im eigenen Land haben. Sie wissen es, die Branche hat in Sachsen im letzten Jahr circa 2 Milliarden Euro umgesetzt. Zurzeit investiert Wacker in Nünchritz 800 Millionen Euro. Im nächsten Jahr werden dort 450 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Silizium für Solarzellen herstellen.
Gott sei Dank! – Bereits jetzt arbeiten in der sächsischen Solarbranche circa 6 000 Menschen und selbst in der letzten Krise stellten die Unternehmen neue Beschäftigte ein. Die Solarwirtschaft ist damit der größte Wachstumsmotor in Sachsen. Wenn das derzeitige konjunkturbereinigte Wachstum von 20 % im Jahr anhält, dann ver
doppeln sich die Mitarbeiterzahlen und der Umsatz alle vier bis fünf Jahre. Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten uns diesen Schluck aus der Pulle durchaus gönnen.
Unser Gesetzentwurf stellt gebäudegebundene Solaranlagen generell von der Genehmigungspflicht frei. Dies gilt auch für aufgeständerte Anlagen sowie für einspeisende Anlagen. Derzeit – und das versteht niemand – ist eine Fotovoltaik-Anlage nur dann Teil der haustechnischen Ausrüstung und damit genehmigungsfrei, wenn der erzeugte Strom im Haus selbst verbraucht wird. Dagegen unterliegt eine Anlage der Genehmigungspflicht, wenn der Strom ins Netz eingespeist wird.
Meine Damen und Herren, diese Unterscheidung ist schon physikalisch unsinnig, denn auch der ins Netz eingespeiste Sonnenstrom wird zunächst immer in die Hausanlage geleitet. Das ist natürlich auch ökonomisch und bauordnungsrechtlich unsinnig. Mit unserem Gesetzentwurf können wir die kostenträchtige und unsinnige Ungleichbehandlung von Bauherren und Anlagenbetreibern beenden.
Meine Damen und Herren, das ist wahrlich keine Revolution, sondern geltende Rechtslage in Bayern und BadenWürttemberg. Wo stehen die meisten Anlagen? Wo sind die höchsten Zuwachsraten? Eben in Bayern und BadenWürttemberg. Wir orientieren uns im Wortlaut an der baden-württembergischen Bauordnung – immerhin ein Land, das noch bis nächsten Sonntag von Schwarz-Gelb regiert wird, und danach werden wir ja eine grün-rote Regierung haben.
Meine Damen und Herren! Wir hatten eine höchst spannende öffentliche Anhörung im Innenausschuss. Was haben uns die Fachleute gesagt? Die Vertreter der Solarbranche, der Landkreise und Gemeinden begrüßten in ihren Stellungnahmen ausdrücklich die generelle Genehmigungsfreiheit. Sie sei ein wichtiger Schritt zur Steigerung der Nutzung erneuerbarer Energien und zur Entbürokratisierung. Die Fragen des Brandschutzes und der Statik seien nicht durch die Bauämter, sondern durch Qualifizierung, Forschung und eine enge Zusammenarbeit zwischen Handwerkern, Herstellern, Ingenieuren und der Feuerwehr zu lösen. Ich sage das ausdrücklich, weil es während der Anhörung darüber Bedenken gegeben hat. Diese Bedenken hat uns Herr Jäde – immerhin einer der renommiertesten Bauordnungsrechtler aus dem bayerischen Innenministerium – ausgeräumt und durchaus angeraten, uns darüber keine Sorgen zu machen.
Also, meine Damen und Herren, lassen Sie uns die bürokratischen und teuren Hürden des Genehmigungsverfahrens beseitigen und damit drei Dinge bewirken:
Erstens, einen Boom bei der Installation von Solaranlagen mit positiven Auswirkungen auf die regionale Wertschöpfung und den Arbeitsmarkt.
Zweitens, Sachsens Bürger sollen selbst Energieerzeuger werden und viel stärker von der EEG-Umlage profitieren.
Drittens, bereits in zehn Jahren wollen wir rund ein Viertel des sächsischen Stromverbrauchs klimafreundlich und ungefährlich mit der Sonne decken.
Meine Damen und Herren! Deutschland hatte sich in der EU-Richtlinie verpflichtet, diesen Schritt zu gehen. Die Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie ist bereits im Dezember 2010 abgelaufen. Ich fordere Sie deshalb auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Dann würden Sie ein kleines Stück dazu beitragen, die Atomkraft zu ersetzen und wirklich ernsthaft Klimaschutz zu betreiben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrter Herr Lichdi, ich bin ein wenig überrascht, dass Sie die Verfahrensfrage der Genehmigung, die in diesem Gesetzentwurf den Kern darstellt, mit einem Plädoyer für die erneuerbaren Energien verknüpfen und es nicht unterlassen können, einen Seitenhieb in Richtung CDU/FDP-Koalition loszulassen.
Denn es steht doch vollkommen außer Frage, dass wir alle im Freistaat Sachsen ganz besonders stolz auf die Solarwirtschaft sind, die einen großen Beitrag zum Wirtschaftswachstum im Freistaat leistet.
(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Markus Ulbig – Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)
Ich würde gern mit meiner Rede beginnen und wir können zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in den Dialog eintreten.
Wir widmen uns hier dem Gesetz über die Verfahrensfreiheit gebäudeintegrierter Solaranlagen. In einem kleinen Nebensatz am Schluss Ihrer Ausführungen haben Sie den Hintergrund dieser Debatte benannt. Ich möchte das noch einmal wiederholen: Es ist die Umsetzung der Richtlinie
2009/28/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der bis dahin bestehenden Richtlinien.
Ziel dieser Richtlinie ist die Verbreitung der Nutzung von Energien aus erneuerbaren Energiequellen. Das heißt, die Aufgabe, die von der Europäischen Union formuliert wird – wir sind also hier vor Ort mit der Aufgabe konfrontiert –, ist die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der Europäischen Union in Landesrecht. Bei der Umsetzung dieser Richtlinie haben die Länder einen gewissen Spielraum, da die Gestaltung der Vorschriften eher allgemein gehalten ist und keine konkreten Anforderungen formuliert sind. Es ist nur ausdrücklich beschrieben, dass der gewünschte Rechtszustand in einer Weise herzustellen ist, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie am besten eignet. Die Wahl der Form und Mittel ist den innerstaatlichen Stellen überlassen.
Für den Freistaat Sachsen ist anzumerken, dass das Landesrecht in weiten Teilen schon den Vorgaben der EU entspricht und Anpassungsbedarf – das kam auch in Ihrem Redebeitrag heraus – jedoch im Hinblick auf die Durchführung des Genehmigungsverfahrens besteht. Auf den Freistaat Sachsen heruntergebrochen, heißt das: Für den Freistaat Sachsen ergibt sich Anpassungs- und Änderungsbedarf in der Sächsischen Bauordnung. Sofern keine Genehmigung nach immissionsschutzrechtlichen und wasserrechtlichen Vorschriften erforderlich ist, ist das Baugenehmigungsverfahren das wesentliche Zulassungsverfahren für die Errichtung einer Reihe von ErneuerbareEnergien-Anlagen.
In der Umsetzung der EU-Richtlinie – um es noch einmal deutlich zu sagen – geht es im Wesentlichen um die Frage der Verfahrensfreiheit gebäudeintegrierter Solaranlagen. Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine kurze Anmerkung zum Thema der Verfahrensfreiheit. Unter Verfahrensfreiheit ist zu verstehen, dass ein Bauvorhaben ohne formelles Baugenehmigungsverfahren realisiert werden darf. Mit der Verfahrensfreiheit entfällt damit die bauaufsichtliche Vorabprüfung durch die Behörde. Der Bauherr hat gemäß § 59 Abs. 2 der Sächsischen Bauordnung die Verantwortung, die Einhaltung aller öffentlich-rechtlichen Vorschriften sicherzustellen, was selbstverständlich hohe Ansprüche an die Vorkenntnisse des Bauherrn stellen kann.
Zu diesen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die beachtet werden müssen und denen das jeweilige Vorhaben zu entsprechen hat, zählen insbesondere das Planungsrecht, aber auch das Denkmalschutzrecht, das Sanierungsrecht und das Naturschutzrecht. Man könnte diese Aufzählung um Weiteres ergänzen. Aus meiner Sicht ist an dieser Stelle sogar die Konsultation der unteren Bauaufsichtsbehörde vor der Realisierung des Vorhabens zu empfehlen.
Die Umsetzung der EU-Richtlinie Erneuerbare Energien erfordert – das habe ich bereits erwähnt – eine Änderung der Sächsischen Bauordnung. Daher haben wir uns innerhalb der Koalition aus CDU und FDP entschieden,
bei dieser Änderung weitere Themenfelder abzuarbeiten, bei denen wir Änderungsbedarf innerhalb der Sächsischen Bauordnung sehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird dem Hohen Haus in naher Zukunft zur Diskussion zugeleitet.
Wir als Koalition haben uns dazu entschlossen; denn wir erachten es als geboten, so zu verfahren, um den von der Koalition gesehenen Änderungsbedarf der Bauordnung in einem eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Daher möchten wir von weiteren Änderungsanträgen zum vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN absehen. Wir lehnen daher den vorliegenden Gesetzesantrag ab.