Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

Allgemeine Toleranzappelle genügen aber nicht. Der Freistaat Sachsen und wir als Parlament, die Regierung, Verwaltung und Justiz haben die Pflicht und Schuldigkeit, alles dafür zu tun, dass es keine Diskriminierung von Menschen bei uns gibt, die eine andere sexuelle Identität haben und sie auch leben wollen.

Wo steht Sachsen bei Erfüllung dieser Pflichtaufgabe? Die wenigen Antworten und vielen Nichtantworten, die wir auf unsere Große Anfrage zu diesem Thema erhalten haben, zeigen: Die Staatsregierung weiß sehr wenig – fast nichts – über die Situation der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Sie weiß nichts über die Situation von Jugendlichen mit homosexuellen Eltern oder Kindern von Migranten oder Alten. Sie weiß nichts über Opfer von Homophobie und Transphobie, wie ich aus den Reihen der NPD-Fraktion schon wieder kräftig höre.

(Andreas Storr, NPD: Das ist auch gut so!)

Teilweise versucht die Staatsregierung, ihre Ignoranz mit dem Datenschutz zu bemänteln. Das ist nun wirklich eine schlechte Ausrede. Anonyme Statistiken sind möglich und üblich. Tatsächlich spricht aber der Unwille der Regierung sehr deutlich aus den meisten Antworten zu diesem Thema. Die Regierung weiß vieles nicht, weil sie es nicht wissen will. Das Wenige, was wir wiederum als Antwort aus der Großen Anfrage erfahren haben, spricht leider für sich. Ein Beispiel ist, dass seit Jahren regional angebotene Fortbildungen für Lehrer zum Thema sexuelle Identität mangels Anmeldung abgesagt werden mussten.

(Sebastian Fischer, CDU: Mangels Interesse abgesagt!)

Ihre Politik des Wegsehens ist inakzeptabel. Es muss gehandelt werden, meine Damen und Herren von der Koalition.

Beginnen wir mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft Homosexueller. Seit zehn Jahren gibt es dies nun in unserem Land. Seit sieben Jahren sind wir europarechtlich verpflichtet, die Betroffenen gleich zu behandeln. Mehrere Gerichte haben das festgestellt. Sachsen ist zusammen mit Thüringen bundesweit das Schlusslicht bei der Umsetzung. Dabei haben wir schon fast 1 000 Lebenspartnerschaften. Ihre Anzahl steigt.

Das Ergebnis ist, dass Recht und Praxis weit auseinanderklaffen. Die Betroffenen müssen ihr Recht einklagen. Der Freistaat hat einen völlig unnötigen Aufwand mit den Klagen, die er alle verliert.

Während sich die Abgeordneten von Schwarz und Gelb gern mit dem Bürokratieabbau schmücken, herrscht hier eine bürokratische Prüferitis ohnegleichen. Dabei geht es einfach nur um die juristische Frage: Wo muss man den Begriff „Ehegatte“ durch den Begriff „Lebenspartner“ ergänzen? Mehr muss man nicht tun.

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Ihr wollt diesen ersetzen!)

Dass wir den Justizminister, den ich hier ohne Überraschung, aber mit großem Bedauern vermisse, seit seinem Amtsantritt nicht ein einziges Mal in dieser Sache engagiert erleben durften, ist bezeichnend für das Fehlen liberaler Politik in dieser Regierung.

Bezeichnend ist aber auch die Antwort im ersten Teil zur Frage 5: „Eine grundsätzliche Gleichstellung ist nicht gewollt.“ Mein Gott, was steht denn in unserer Verfassung?

(Jürgen Gansel, NPD: Der Vorrang der Familien steht dort drin! – Andreas Storr, NPD: Nicht der homosexueller Paare!)

Versprochen war, dass die Regierung die jeweilige Beratung der einzelnen Fachgesetze nutzt, um die eingetragenen Lebenspartnerschaften zu integrieren. Uns liegen nunmehr erneut Fachgesetzentwürfe vor – vorgestern war das bereits ein Thema; wir haben darauf hingewiesen –, die das missachten.

Aus den vagen Antworten und Zeitangaben der Regierung auf unsere konkrete Frage im Teil 2 der Großen Anfrage wird deutlich: Wenn wir so weitermachen, haben wir am Ende dieser Legislaturperiode die eingetragene Lebenspartnerschaft im Landesrecht noch immer nicht umgesetzt – ein Armutszeugnis.

Wir wollen Sie deshalb auffordern, nunmehr endlich ein Artikelgesetz vorzulegen. Auf dem anderen Wege klappt es offensichtlich nicht. Über den Sommer könnten alle Landesregelungen abgecheckt werden – zum Beispiel verbunden mit der Arbeit des Normenkontrollausschusses. Der Landtag könnte dann zehn Jahre nach Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes endlich darüber beraten.

Sehen wir uns die Situation von Menschen an, die lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell oder intersexuell sind.

(Alexander Krauß, CDU: Was ist das? – Jürgen Gansel, NPD: Ich wüsste gern die Duden-Definition!)

Für sie und ihre Angehörigen gehören versteckte und offene Diskriminierungen zum Alltag – sogar in diesem Parlament von der rechten Seite. Außerdem gehören vorurteilsmotivierte Kriminalität und Gewalt dazu.

Wir halten es deshalb für dringend notwendig, dass sich die Landesregierung überlegt, was sie dagegen tun möchte.

(Christian Piwarz, CDU: Was ist mit Asexualität?)

Sie muss außerdem einen Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie erarbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Schwerpunkte sind: Bildung, Vorbildwirkung der öffentlichen Hand, Beratungsangebote für die Betroffenen, ein breiter gesellschaftlicher Dialog, den wir alle brauchen, und mehr Wissensgrundlagen, um kompetent handeln zu können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht hier um Menschen und ihre Rechte. Jede und jeden von ihnen brauchen wir als engagierten Mitbürger in diesem Land. Es geht außerdem um die Reputation von Sachsen. Eine Parlamentsmehrheit, die sich nicht endlich um die elementare Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft bemüht, muss über Staatsmodernisierung und ein weltoffenes Sachsen gar nicht reden. Gehen Sie das an! Packen Sie das mit uns zusammen an! Setzen Sie heute ein deutliches Zeichen!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wir setzen fort mit der allgemeinen Aussprache. Als nächster Redner ist Herr Krauß für die CDU-Fraktion an der Reihe. Herr Krauß, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vorweg sagen: Jeder Mensch hat das Recht, so zu leben, wie er möchte. Er kann sich frei entscheiden, ob er in einer Ehe leben möchte, ob in einer Partnerschaft, mit dem anderen Geschlecht oder auch mit dem eigenen Geschlecht. Er kann also auch gern in einer homosexuellen Beziehung leben. Das ist in das Belieben eines jeden Einzelnen gestellt. Das haben wir als Staat nicht zu bewerten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Grundgesetz wie auch die Sächsische Verfassung schützen Einwohner vor jeder Diskriminierung, und das ist gut so. Jeder hat das Recht, dass der Staat alles unternimmt, damit niemand Opfer von Straftaten wird. Das betrifft Homosexuelle genauso wie Ausländer, Obdachlose, Kinder, Männer oder Frauen. Ich finde es gut, dass wir keine Zweiklassengesellschaft aufmachen nach dem Motto – das wollen ja die GRÜNEN –: Die einen sind sozusagen die wichtigeren Opfer und die anderen sind die weniger wichtigen Opfer. Es muss klar sein: Egal, wer geschlagen wird – ob das ein Kind ist, ein Obdachloser, Ausländer oder Homosexueller –, das ist gleich schlimm. Deswegen kann ich die Hervorhebung, die Sie wollen, wenn Sie sagen, es ist ganz schlimm, wenn den Homosexuellen etwas passiert, nicht verstehen.

Wir sollten ganz deutlich sagen: Es geht gegen Gewalt, und damit heißt das, es wird keine Gruppe besonders herausgehoben. Das gilt auch bei der Opferberatung. Sie fordern dort einen Status besonders für Homosexuelle. Wir sagen: Egal, wer Opfer einer Straftat wird, hat Anspruch auf Beratung – bei uns durch die Opferhilfe. Das ist gut so. Da kann es nicht sein, dass Sie fordern, eine Gruppe besonders hervorzuheben. Das finde ich ungerecht allen anderen gegenüber.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Krauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte schön.

Herr Kollege Krauß, teilen Sie meine Auffassung, dass eine qualifizierte Opferberatung immer davon ausgehen muss, wie die persönliche Lebenssituation des Opfers ist und wie es dem Opfer möglich ist, seine Individualität umzusetzen, und dass deshalb auch spezifische Kompetenz bei der Opferberatung gerade bei Minderheiten erforderlich ist?

Ich glaube, dass jede Opferberatungsstelle in der Lage ist, Menschen zu beraten, unabhängig davon, ob sie homosexuell sind –

(Andreas Storr, NPD: Jeder Mensch ist eine Minderheit!)

dahinein kann sich auch jemand anders gut versetzen – oder ob es Ausländer sind. Es geht zum Beispiel darum, dass diese Menschen das psychisch aufarbeiten können

und dass sie bei der Bewältigung der spezifischen Ereignisse unterstützt werden. Das ist vollkommen unabhängig davon, zu welcher Opfergruppe sie gehören.

Herr Krauß, würden Sie noch eine Nachfrage gestatten?

Ja, bitte schön.

Haben Sie sich einmal mit Praktikern unterhalten, ob das tatsächlich so ist?

(Lachen bei der NPD)

Ich war auch schon bei der Opferberatung und kann nicht feststellen, dass die Beratung dort nicht erfolgt. Ich glaube, das funktioniert ganz gut.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich weiter vorankommen.

Wir haben seit 2001 das Gesetz über die Eingetragenen Lebenspartnerschaften. Festzustellen ist, dass seitdem auf Bundes- und Landesebene eine Menge unternommen worden ist, um die bestehenden Rechtsvorschriften an die Vorgaben des Lebenspartnerschaftsgesetzes anzupassen. So sind beispielsweise das Sächsische Schieds- und Gütestellengesetz sowie beim überwiegenden Teil der berufsständischen Versorgungseinrichtungen die Satzungen an die Vorgaben des Lebenspartnerschaftsgesetzes angepasst worden. Hinsichtlich der noch nicht angepassten Normen zeigt die Antwort der Staatsregierung auch einen Zeitplan für deren Umsetzung auf.

Das Thema Aidsberatung ist kurz gestreift worden. Dort leisten wir in Sachsen Vorbildliches. Wir unterstützen das sehr stark. Wir wissen, dass gerade homosexuelle Menschen besonders auf die Beratung angewiesen sind, da sie deutlich häufiger den Sexualpartner wechseln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man fragt sich bei dieser Aktuellen Debatte natürlich schon: Haben wir eigentlich nichts Wichtigeres in unserem Lande zu tun?

Ich glaube auch nicht, dass sich jemand, der normal seiner beruflichen Tätigkeit als Krankenschwester oder Facharbeiter nachgeht, vorstellen kann, was denn Bi-, Trans- oder Intersexuelle sind. Ich glaube, das versteht niemand.

Wir sollten im Landtag viel stärker über das Thema Familie diskutieren oder darüber, wie wir Kinder stärken können.