Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 49. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages und ich hoffe, dass sich die da und dort noch etwas lichten Reihen schnell füllen.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Schiemann, Frau Dr. Franke und Frau Falken.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 3 bis 9 festgelegt: CDU bis zu 112 Minuten, DIE LINKE bis zu

79 Minuten, SPD bis zu 48 Minuten, FDP bis zu 48 Minuten, GRÜNE bis zu 43 Minuten, NPD bis zu 43 Minuten und die Staatsregierung 77 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf diese Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt 14, Kleine Anfragen, ist zu streichen.

Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 49. Sitzung ist damit bestätigt und wir treten ein in den

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Schwarzgelbe Scharlatanerie:

Wie durch Stellenabbau Lehrermangel bekämpft werden soll

Antrag der Fraktionen der SPD und DIE LINKE

2. Aktuelle Debatte: Gefahr für Mensch und Tier –

Sachsen braucht Regeln für Antibiotikaeinsatz

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 30 Minuten, DIE LINKE 23 Minuten, SPD 14 Minuten, FDP

12 Minuten, GRÜNE 15 Minuten, NPD 10 Minuten und die Staatsregierung 20 Minuten, wenn gewünscht.

Wir kommen nun zu

1. Aktuelle Debatte

Schwarzgelbe Scharlatanerie:

Wie durch Stellenabbau Lehrermangel bekämpft werden soll

Antrag der Fraktionen der SPD und DIE LINKE

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen SPD und DIE LINKE das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde lautet: CDU, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort hat jetzt die einbringende Fraktion der SPD. Es spricht Frau Kollegin Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen schrieb ein Vater an den Kultusminister: „Sachsen macht Schule – dies ist nicht nur Motto, sondern sogar Namensgeber für eine Internetseite Ihres Ministeri

ums. Hoffentlich nicht, kann ich da nur sagen, wenn ich mein Anliegen betrachte.“

Er beschreibt anschließend die Situation am Gymnasium Einsiedel, die davon geprägt ist, dass vor allem Gymnasiallehrer an Förderschulen abgeordnet werden und dadurch eine doppelte Belastung auch zu Ausfallzeiten am Gymnasium führt. Er schreibt weiter: „Ich habe den Eindruck, dass Sie und Ihr Ministerium keinen belastbaren Zukunftsplan haben.“ Recht hat der Mann, kann man nur sagen. Er wird auch unterstützt – das sehen wir an den Protesten und Schreiben in den letzten Monaten – durch

den Landeselternrat, den Landesschülerrat, durch die Lehrerverbände und die GEW.

Genau zwei Jahre nach der Veröffentlichung der besorgniserregenden Zahlen zum Einstellungsbedarf im Lehrerbereich bis 2019/2020 hat die Landesregierung kurz vor Weihnachten – man könnte sagen ein Weihnachtspaket – das sogenannte Bildungspaket Sachsen 2020 vorgelegt. Die Landesregierung hatte nicht nur viel Zeit – mehr als zwei Jahre –, das drängende Problem des zukünftigen Lehrerbedarfs gründlich zu beraten, sondern es gab mittlerweile auch ausreichend Vorschläge, unter anderem vonseiten der SPD.

Doch stattdessen wird der Öffentlichkeit vor Weihnachten ein Paket präsentiert, das mehr Fragen als Antworten aufwirft und das sich bei näherem Hinsehen als plumpes mediales Täuschungsmanöver entlarvt. Schon die Überschrift lautet schwarz-gelbe Scharlatanerie. Da steht: Koalitionsausschuss beschließt mehr Investitionen in Bildung. Das liest jeder erfreut, der weiß, dass das drängende Problem des Lehrernachwuchses nur mit zusätzlichem Geld in den nächsten Jahren in den Griff zu bekommen ist. Doch das dicke Ende kommt am Schluss dieser Pressemitteilung. Dort steht: Eine Konkretisierung und genaue Umsetzung erfolgt auf der Haushaltseckwerte-Klausur Anfang 2012.

Also nichts ist beschlossen. Der Haushaltsvorbehalt gilt nach wie vor und es ist noch nicht einmal klar, ob dieses Geld zusätzlich kommt oder aus dem Kultusministerium durch Streichung zum Beispiel der Ganztagsangebote oder durch Kürzungen bei der Landespauschale für die Kindertagesstätten entnommen werden muss. Kein Wort von den Lehrerstellen, die in den Jahren 2019/2020 noch existieren sollen, obwohl hier seit Monaten der größte Streit der Landesregierung zwischen Kultusministerium und Finanzministerium tobt. Werden nach dem Willen des Finanzministers in den kommenden Jahren tatsächlich 6 000 Stellen abgebaut, dann droht den Schulen der Kollaps. Kein Wort zum Thema Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention, denn ohne zusätzliche Lehrerstellen ist das nicht zu realisieren. Das angestrebte Ziel, schulische Qualität durch ausreichend gut ausgebildete Lehrer zu sichern, wird nicht nur verfehlt, sondern es wird mit diesem Paket noch nicht einmal angestrebt.

Es ist ein Betrug, und diesen hätte sich nicht einmal der Wunderheiler Eisenbart erlaubt. So kann man lesen: „Trotz der ohnehin in Sachsen im Ländervergleich guten Schüler-Lehrer-Relation stellen wir weiter neue Lehrer ein.“ Hört, hört! Was hat diese Aussage damit zu tun, dass nach Berechnung des Kultusministeriums von 2009 in den kommenden vier Jahren ein Einstellungsbedarf allein aufgrund des Altersabgangs von 4 000 Lehrkräften existiert und bis 2020 sogar von 8 000? Bereits in diesem Jahr war der Ersatzbedarf deutlich höher, als er berechnet war. 630 Lehrkräfte wurden eingestellt, 400 waren nur berechnet. Nun kommt aber der Zaubertrick: Bis 2015/ 2016 sollen laut diesem Paket insgesamt 2 200 Neueinstellungen erfolgen.

Es bedarf wahrlich keiner höheren Mathematik, um zu erkennen, dass sich das Finanzministerium bei dieser Rechnung durchgesetzt hat. Es werden offenbar bis 2015/2016 mindestens 2 000 Stellen abgebaut. Über die praktischen Folgen in den Schulen muss ich, glaube ich, nichts sagen, weil sich jeder Abgeordnete in seinem Wahlkreis davon überzeugen kann.

Aber es gibt ja einen Trost. Nach dem Willen der FDP sollen die Schulleiter zukünftig mehr Handlungsspielraum bekommen. Sie erhalten Honorarbudgets, um vielleicht zukünftig den Chemielaboranten für 11,50 Euro den Chemielehrer ersetzen zu lassen.

Und zu Recht schlagen die Wogen hoch bei der Ankündigung des Kultusministers, jetzt Grundschul-Lehramtskollegen aus Bayern zu holen. Wie kann man so blauäugig sein, allen Ernstes zu meinen, damit das Problem des Lehrerbedarfs zu lösen? Doch noch viel schlimmer: Wie ignorant muss ein Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten sein, der von Zeit zu Zeit nicht vergisst, öffentlich zu loben – er wird es sicher auch heute tun –, um ihnen jetzt bei bundesweit schlechtester Bezahlung mit 30 bis 40 Arbeitsjahren junge, deutlich besser bezahlte, verbeamtete Kolleginnen und Kollegen an ihre Seite zu stellen?

(Beifall bei der SPD)

Das schwarz-gelbe Bildungspaket –

Die Redezeit ist abgelaufen Frau Stange.

– ist ein gut getarnter Zauberkasten, den es zu entschlüsseln gilt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Für die miteinbringende Fraktion sprach die Abg. Frau Dr. Stange. – Nun spricht für die miteinbringende Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Meiwald.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Novemberplenum haben Sie, Herr Minister Prof. Wöller, in der Aktuellen Debatte zum Lehrermangel behauptet, es würden nur Lehrer eingestellt, die eine entsprechende pädagogische Ausbildung haben, und Sie haben die Aussagen meiner Kollegin Falken als schlichtweg falsch dargestellt.

Meine Damen und Herren, wie das Kultusministerium selbst zugeben musste, entsprach das nicht der Wahrheit. Böswillig könnte man nun meinen, Herr Wöller, Sie haben das Parlament getäuscht. Vielleicht wussten Sie es aber auch nicht besser. Was schlimmer ist, will ich an dieser Stelle nicht bewerten. Dass Sie sich inzwischen persönlich bei Frau Falken entschuldigt haben, ist ein erster richtiger Schritt.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Aber das soll heute nicht Gegenstand der Debatte sein. Zu unserer Aktuellen Debatte hat uns unter anderem die Tatsache veranlasst, dass die neuen Botschaften aus dem Hause Wöller in den Lehrerzimmern und Hörsälen für Empörung und Protest sorgen. Die GEW sagt dazu: Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht. Dem können wir nur zustimmen, und eigentlich könnte ich jetzt hier die komplette Pressemitteilung der GEW vortragen, denn ihr ist nichts hinzuzufügen.

Meine Damen und Herren, seit Jahren verweisen wir auf den drohenden Lehrermangel. Ich erinnere hier nur an unsere vielen Änderungsanträge zu den Haushaltsberatungen, zum Stellenplan, zu Einstellungskorridoren und zur Eingruppierung. In schöner Regelmäßigkeit wurde uns in diesem Haus und aus dem Hause Wöller Übertreibung der Opposition vorgeworfen. Nein, meine Damen und Herren, wir haben nicht übertrieben, die Situation an den sächsischen Schulen ist bereits heute dramatisch, und das nur deshalb, weil Sie in den vergangenen Jahren die Augen fest vor den Problemen verschlossen hatten.

(Beifall bei den LINKEN)

Laut Ihrer eigenen Bedarfsprognose – Frau Stange ging darauf ein – gehen bis zu 75 % der jetzigen Lehrerschaft in Rente. Bis 2020 scheiden 7 793 Lehrkräfte aus dem Schuldienst aus, bis 2025 weitere 6 600 und bis zum Jahre 2030 weitere 7 000. Um sicherzugehen, dass Unterricht im Freistaat Sachsen überhaupt noch stattfinden kann, brauchen wir demzufolge jährlich 1 000 bis 1 500 Neueinstellungen. Im Stellenabbaukonzept der Staatsregierung bis 2020 stehen aber immer noch über 5 000 Lehrerstellen zur Disposition. Herr Unland geht demnach immer noch von 23 000 Lehrerstellen im Jahr 2020 aus. Im Gegensatz dazu haben Sie, Herr Wöller, noch im Mai verkündet, den derzeitigen Bestand von 29 000 Lehrerstellen nicht deutlich zu unterschreiten.

Wer sich durchgesetzt hat – das hat Frau Stange schon erwähnt –, ist in dem mit heißer Nadel gestrickten Bildungspaket vom Dezember zu sehen. Die 2 200 Neueinstellungen in vier Stufen widersprechen selbst dem von Ihnen, Herr Prof. Wöller, ermittelten Bedarf. Die jetzige Ankündigung, verbeamtete Lehrer aus westdeutschen Bundesländern zu holen, zeigt das ganze Ausmaß Ihrer Hilflosigkeit.

Bereits im Ausschuss habe ich von zwei sächsischen Lehramtsstudenten erzählt, die im Master für das höhere Lehramt an Gymnasien studieren, und das in den händeringend gesuchten MINT-Fächern. Bereits vor Ihrer Ankündigung hatten diese beiden beschlossen, sich für einen Weggang aus Sachsen zu entscheiden. Die Bedingungen, die sie hier vorfinden, sind wohl jetzt schon abschreckend genug.

Das Signal aber, das Sie mit dem Wunsch, verbeamtete Lehrer nach Sachsen holen zu wollen und ihnen sowohl Beamtenstatus als auch Gehalt zu belassen, gegeben

haben, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine dieser Studentinnen, die dem Freistaat Sachsen den Rücken kehren, ist meine Tochter. Aber ich kann sie gut verstehen.