Protokoll der Sitzung vom 07.03.2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Diese an sich hocherfreulichen Tatsachen haben wir und konnten wir nicht – zumindest nicht in diesem Umfang – voraussehen, nicht nur wir, sondern auch Experten bundesweit konnten dies nicht. Grundlage der Berechnungen des Wissenschaftsministeriums ist stets die Prognose der Kultusministerkonferenz, also die Prognose von ausgewiesenen Experten. Einen Ansturm dieser Größenordnung hat alle Vorausberechnungen gesprengt.

Am 24. Januar hat die Kultusministerkonferenz ihre Prognose korrigiert, und zwar deutlich nach oben, zum Teil um 30 %. In ihrem aktuellen Beschlussvorschlag zur 337. Kultusministerkonferenz, die heute Abend in Berlin beginnt und morgen dort stattfinden wird, heißt es – Zitat -: „Damit liegen die Studienanfängerzahlen der aktuellen Vorausberechnung signifikant über denjenigen der Vorausberechnung vom 18. Mai 2009, die die tatsäch

liche Entwicklung der Studienanfängerzahlen der Jahre 2009 bis 2011 deutlich unterschätzt hat.“

Eine Art Selbstkritik, wenn Sie so wollen, der Kultusministerkonferenz. Seit gut zwei Wochen nun, seit dem 20. Februar 2012, liegen uns erste Zahlen auch für Sachsen vom Statistischen Landesamt vor; diese Zahlen sind für alle einsehbar.

Welche Gründe nun sind für diese gestiegenen Studienanfängerzahlen verantwortlich? Nach unserer ersten Einschätzung ist es ein ganzes Bündel von Gründen. Ich will nur fünf kurz nennen.

Erstens: Doppelte Abiturjahrgänge in einer ganzen Anzahl von Bundesländern haben für erhebliche Zuwanderungseffekte nach Sachsen gesorgt. Diese Gründe waren bekannt – keine Überraschung.

Zweitens: Die Aussetzung der Wehrpflicht und des Wehrersatzdienstes; das kam kurzfristig, das war nicht voraussehbar.

Drittens: Eine deutlich gestiegene allgemeine Studierneigung unter den jungen Menschen. Auch dies konnte niemand in dieser Größenordnung voraussehen.

Viertens: Die gestiegene Attraktivität unserer Hochschulen für Studierenden aus dem Ausland.

Fünftens: Der erhöhte Zugang zu den Hochschulen, auch aus der beruflichen Qualifikation heraus, im Grunde die Durchlässigkeit im Bildungsbereich, die wir uns immer gewünscht haben.

Meine Damen und Herren! Ich denke, ich konnte deutlich machen, dass wir diese eben skizzierte Entwicklung ausdrücklich begrüßen. Auf der anderen Seite müssen wir jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die finanziellen Möglichkeiten des Freistaates Sachsen begrenzt sind. Sie kennen die ehrgeizigen finanzpolitischen Ziele der Staatsregierung, und Ihnen ist auch bekannt, dass zur Umsetzung dieser finanzpolitischen Ziele ein Stellenabbau erforderlich ist, der auch vor den Hochschulen nicht Halt machen kann.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Doch, wenn mehr Studenten da sind, geht es nicht anders!)

Das ist kein Selbstzweck. Das dient der Schaffung nachhaltiger Strukturen, um künftigen Generationen – Ihre Kinder, meine Kinder und deren Kinder wiederum – größere Handlungsspielräume zu ermöglichen. Das ist kluge, das ist auch zukunftsgerichtete Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir dürfen zum Beispiel nicht übersehen, wenn ein heute Mittdreißigjähriger oder eine Mittdreißigjährige an eine sächsische Hochschule kommt und dort eine unbefristete Stelle erhält, dass diese Person uns mehr als dreißig Jahre erhalten bleibt, von den Pensionslasten einmal ganz zu schweigen. Man darf auch nicht vergessen – und auch das gehört zum Gesamtbild –, dass es langfristig zu einem Absinken der Studierendenzahlen in Sachsen kommen

wird. Auch daraufhin müssen wir unsere Strukturen ausrichten.

Ohne Wenn und Aber stehe ich erstens zu diesen langfristig angelegten finanzpolitischen Zielen und zweitens auch zu den daraus erwachsenden Konsequenzen für die sächsischen Hochschulen.

Der vorgesehene Stellenabbau war, wie Sie wissen, bereits unter meinen Vorgängern im Jahr 2003 im Rahmen der Hochschulvereinbarung beschlossen worden. Dieser Abbau umfasst 300 Stellen. Er ist nicht – wie ursprünglich vorgesehen – bis 2010 zu erbringen, sondern gestreckt, gestaffelt 2013, 2014, 2015. Von der Gesamtzahl sind das 3,5 %.

(Holger Mann, SPD, steht am Mikrofon.)

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde gern in meiner Rede fortfahren.

Bitte.

Das sind 3,5 % der Gesamtsumme an Stellen, die bis 2015 abzubauen sind. Prof. Besier, da ist keine Fusion und auch keine Schließung von Hochschulen erforderlich.

Wir werden diese Strukturmaßnahmen gemeinsam mit den Hochschulen nutzen, um die Profilierung des Fächerkanons der Hochschulen und das landesweit abgestimmte Fächerangebot voranzubringen.

Weitere Entscheidungen zum Stellenabbau werden im Licht der 2015 durchzuführenden Evaluation getroffen werden. Diese Evaluation wird in sachgerechter Weise die Studierendenentwicklung in den Blick nehmen. Darüber sind sich alle Beteiligten einig.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als Wissenschaftsministerin sehe ich mich zugleich in der Verantwortung, mit allem Nachdruck nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, die enormen Chancen zu nutzen, die der gegenwärtige Zustrom von Studierenden für unseren Freistaat eröffnet. Die Entwicklungen waren – wie schon skizziert – zum Teil überraschend.

Die Verhandlungen zur Aufstellung des Doppelhaushaltes haben gerade erst begonnen. Auch wenn ich also zum jetzigen Zeitpunkt noch kein in allen Feinheiten abgestimmtes Finanzierungskonzept vorlegen kann – das wäre ansonsten wirklich Flickschusterei –, gibt es in meinem Haus mehr als nur erste Überlegungen, wie wir konstruktiv mit dieser Situation umgehen werden.

Ich möchte Ihnen im Folgenden kurz die Grundlinien unseres weiteren Vorgehens schildern.

Erstens. Wir brauchen eine Langfriststrategie gegenüber dem Bund. Nach allem, was wir wissen, wird die Last im

Hochschulsystem auf längere Sicht hoch bleiben. Ersten Analysen zufolge werden wir voraussichtlich bis 2020 und möglicherweise darüber hinaus mehr als

100 000 Studierende an den sächsischen Hochschulen sehen, darunter ein stattlicher Prozentsatz aus anderen Bundesländern. Da dies so ist, muss sich der Bund nach unserer Auffassung auch langfristig an der Finanzierung der Hochschulen beteiligen. Wir loten – übrigens seit Monaten und durchaus aktiv – auf der Ebene des Bundes neue Wege aus, um sicherzustellen, dass eine Beteiligung des Bundes an der Hochschulfinanzierung auch längerfristig stattfindet. Dabei geht es um Fragen wie die Verlängerung des Hochschulpaktes über das Jahr 2015 hinaus. Da geht es auch um die Lockerung des Kooperationsverbotes im Wissenschaftsbereich. Im Bund muss eine Beteiligung nicht nur an Vorhaben, sondern auch an Einrichtungen im Hochschulbereich möglich sein, also letztlich eine institutionelle Förderung.

Zweitens. Wir brauchen eine zeitnahe Lösung, um auf die bestehende Überlast zu reagieren und vor allen Dingen die Qualität der Lehre zu sichern. Die Studenten sind jetzt da. Wir haben neue Rekordzahlen, und wir werden jetzt reagieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

In Absprache mit Finanzminister Prof. Unland sind die Grundzüge eines mehrjährigen Maßnahmenpakets zur Abdeckung der Spitzenauslastung erarbeitet worden. Dies sieht vor, dass die Hochschulen mit Beginn des kommenden Wintersemesters 2012/2013 Mittel an die Hand bekommen, um mit befristetem Lehrpersonal, insbesondere im Bereich des akademischen Mittelbaus, die Lehrergebnisse auf gutem Niveau abzusichern. Hier geht es um eine Stärkung des Mittelbaus. Es handelt sich um mehrjährige Verträge; drei plus drei ist sechs, das ist das, was wir als Stärkung des Mittelbaus gezielt einsetzen wollen. Die jungen Nachwuchswissenschaftler werden promovieren und werden eine gute Lehre machen. Das ist das, was wir anstreben.

Wir dürfen in den nächsten Jahren mit steigenden Mitteln aus dem Hochschulpakt 2020 rechnen. Diese Mittel werden uns erlauben, in der beschriebenen Weise vorzugehen. Sachsen erhält die Hochschulpaktmittel genau deshalb, um die Studienkapazitäten, bezogen auf das Referenzjahr 2005, weitgehend aufrechtzuerhalten.

Drittens. Wir unterstützen die Hochschulen mit weiteren Maßnahmen, um eine hohe Qualität der Lehre zu sichern. Dazu leistet das vom SMWK unterstützte sehr erfolgreiche Abschneiden der sächsischen Hochschulen beim Bundesprogramm „Qualität Lehre“ einen wichtigen Beitrag. Ich habe bereits diesem Hohen Haus das erfolgreiche Abschneiden unserer Hochschulen im Jahr 2011 dargestellt.

Außerdem werden wir durch eine Änderung der Dienstaufgabenverordnung reagieren und den Hochschulen mehr Flexibilität bei der Verteilung von Ressourcen im Bereich Lehre und Forschung geben. Beispielsweise

werden wir das Lehrdeputat erhöhen, um anschließend dem entsprechenden Lehrenden einen Ausgleich zu geben.

Schließlich werden wir uns gemeinsam mit den Hochschulen darüber Gedanken machen, wie viele Studienplätze wir künftig bereitstellen und finanzieren wollen. Wir werden in Sonderzielvereinbarungen mit den Hochschulen festlegen, dass zum Beispiel der Zuwachs dort begrenzt wird, wo die Qualität der Lehre nicht gesichert ist. Wir haben also einen Steuerungsmechanismus, der es uns erlaubt, auf den anhaltenden Zustrom von Studierenden angemessen zu reagieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen abschließend versichern, dass das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst alles in seiner Macht Stehende tun wird, um eine verantwortungsvolle Finanzierung der Hochschulen sicherzustellen. Eine auch zukünftig tragfähige Wissenschaftspolitik ist essenziell für die Wohlfahrt in unserem Land und auch für das Gedeihen Sachsens. Hierzu bedarf es allerdings einer aktiven Mitwirkungsbereitschaft aller Akteure.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE:... und des Finanzministers!)

Ich würde es als eine große Hilfe ansehen, wenn mich die Mitglieder dieses Hauses auch bei der Erfüllung dieser Aufgabe unterstützen würden.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Sollen wir einen Antrag stellen?)

Flickschusterei darf und wird es nicht geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin.

(Holger Mann, SPD, steht am Mikrofon.)

Herr Abg. Mann, vielleicht warten Sie noch meinen Hinweis ab, da sich dann vielleicht eine völlig andere Situation für Sie ergibt.

Ich darf Sie auf die Spielregeln unserer Geschäftsordnung hinweisen. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die ihr zur Verfügung stehende Zeit zu sprechen. Möchte davon jemand Gebrauch machen?