Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Mangel Nummer zwei grenzt schon an ein Husarenstück. Da leistet sich der Freistaat für nicht unbedingt wenig Geld eine Förderbank, die die Städtebauförderung für die Kommunen und die Wohnungswirtschaft in Sachsen abwickelt. Aber genau diese Förderbank, die Sächsische Aufbaubank SAB, findet in der Fachregierungserklärung des Staatsministers nicht mit einer Silbe Erwähnung.
Ich habe gegrübelt, weshalb das so sein könnte. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt, und heureka, nach einigem Überlegen bin ich drauf gekommen.
Bei Erwähnung der SAB wäre der Minister am Wohnungsbaumonitoring 2011 der SAB nicht vorbeigekommen. Schließlich hat die SAB sehr fundiert die soziodemografische Entwicklung in Sachsen unter die Lupe genommen und die Folgen für den sächsischen Wohnungsmarkt ausgelotet. Nur, Herr Staatsminister, im Wohnungsbaumonitoring der SAB stößt man auf eine ganz andere, bittere und ernüchternde Bilanz. Sie gestatten, dass ich zitiere?
In der Stellungnahme der Staatsregierung auf den Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/3058 „Programm Stadtumbau Ost – Fortsetzung eines Erfolgsprogramms im Freistaat Sachsen sichern!“ vom 18. April 2011 berichtet der Innenminister – vermutlich wahrheitsgemäß – auf die Bitte, darzustellen, ob die Staatsregierung am Langfristziel aus dem Koalitionsvertrag 2004 zum Rückbau von insgesamt 250 000 Wohnungen bis zum Jahr 2016 festhielte – ich zitiere –:
„Die Staatsregierung hält aufgrund der Bevölkerungsentwicklung den Rückbau von 250 000 Wohneinheiten für geboten. Die erforderlichen Finanzhilfen für den Rückbau von Wohngebäuden werden durch den Freistaat Sachsen bereitgestellt. Die Finanzhilfen werden jedoch von den Eigentümern derzeit nur beschränkt in Anspruch genommen.“
Die SAB stellt im Wohnungsbaumonitoring fest, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nur für den Rückbau von 50 000 Wohnungen reichen und dieses Ziel somit für den avisierten Horizont nicht mehr realisierbar ist.
Bevor Sie von der vor Jahresfrist bestätigten Zielzahl von 250 000 Wohnungen zum Rückbau abrücken, sollten Sie zunächst belastbar und nachvollziehbar abrechnen, wie sich der Rückbau entwickelt hat und welches Ziel zur Fortschreibung des Rückbauprozesses aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und der Nachfrageentwicklung bis 2020 oder 2025 gelten soll. Zudem wäre es nicht nur interessant, sondern für das Verständnis der weiteren Entwicklung von Bedeutung zu erfahren, warum der Rückbau sich verlangsamt hat, warum die Leistungsfähigkeit im Stadtumbauprozess rückläufig ist, welche Wohnungsunternehmen den Stadtumbauprozess im
Wesentlichen getragen haben und welche Schlussfolgerungen Sie aus den hinter uns liegenden zehn Jahren Stadtumbau Ost in Sachsen für die kommenden Jahre ziehen, vor allem in Verquickung mit den von Ihnen beschrieben künftigen Herausforderungen Klimawandel und demografischer Wandel, ziehen. – Leider Fehlanzeige!
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Anstatt sich einzugestehen, dass das Langfristziel bis 2015 oder 2016 nicht erreichbar ist, hört sich die Botschaft der 150 000 Wohnungen als Rückbaupotenzial gleich viel freundlicher an. Das ist nur bei einer positiven Entwicklung des demografischen Wandels so anzunehmen; denn die 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose kennt auch ein Worst-CaseSzenario.
Offenbar hat diese Staatsregierung ein unüberbrückbar schlechtes Verhältnis zu solchen großen Zielzahlen. Der eine, der Chef, hat große Schwierigkeiten, die Zielzahl 70 000 sachgerecht zu unterfüttern, und der andere, der Innenminister, kommt mit der Revision seiner Zielzahl gar nicht erst zu Rande. Welche dieser großen Zahlen darf es denn nun sein, Herr Minister? Aber bitte, sich nicht etwa eine Zahl wünschen! Der Leerstand ist dort, wo er real ist, gut sichtbar. Dieser lässt sich also nicht mit einem flotten Zauberspruch hinforthexen, sondern nur durch
Ehrlichkeit und klare Analyse erfassen und mit tatsächlich brauchbaren Konzepten und Förderprogrammen aus der Welt schaffen.
Lassen Sie sich von mir kurz entführen, Herr Staatsminister, und machen doch bitte einmal kurz die Augen zu.
Offen gestanden: Der Gebrauch des unlandschen Abakus will wirklich gelernt sein und übt sich keinesfalls in der ministeriellen Probierstube. Während es Meister Unland schier geräuschlos vermag, allerlei Überraschungseier für die vorwahl- oder wahljährlichen Osterbeglückungen der Gefolgschaft in manch kleinerer oder größerer Mulde des undurchdringlichen Haushaltsdickichts zu verstecken,
kommt der Innenminister beim Versuch, seine Zielzahl von 250 000 abgerissenen Leerstandswohnungen in Sachsen mittels dieses Abakus verschwinden zu lassen oder vergessen zu machen, ins Straucheln und klemmt sich gar schmerzlich die Finger dabei. – Autsch, und Augen wieder auf!
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Lassen Sie sich von mir in mitfühlender Solidarität ob der eingeklemmten Finger trösten und Ihnen einen Rat mit auf den Weg zur nächsten Rechenübungsstunde geben: Glauben Sie mir, wir, die Fraktion DIE LINKE, haben durchaus Erfahrungen mit historischen Irrtümern. Sie einzugestehen fällt zunächst schwer, aber danach fühlen Sie sich wesentlich besser.
Nachdem nun schon die erste Leerstandswelle nicht beseitigt wurde, droht bereits die zweite. Auch diese Feststellung findet in Ihrer Fachregierungserklärung nicht statt, aber sie ist real und wirkt sich direkt auf die Anforderungen bei der weiteren Ausgestaltung des Stadtumbaus Ost aus.
Mit unserem Entschließungsantrag – der hoffentlich jetzt verteilt wird – wollen wir Ihnen, sehr geehrter Herr Staatsminister, behilflich sein, diese Lücke der Erkenntnis zu schließen und den Schritt in die Zukunft dafür zu gehen. Sachsen soll für die schrumpfenden Regionen eigene und geeignete Programme entwickeln, um vor allem dieser zweiten Leerstandswelle erfolgreich begegnen zu können.
Der Mangel Nummer drei: Herr Staatsminister, Sie stellen doch allen Ernstes in der Regierungserklärung fest – ich zitiere –: "Eins vorweg: Bei den Verhandlungen mit dem Bund ist an mehreren Stellen alles noch im Fluss."
Was zum Henker soll denn der geneigte Zuhörer damit anfangen? Sie selbst haben am 20. Februar 2012 die Verwaltungsvereinbarung für die Bund-Länder-Programme der Städtebauförderung unterschrieben. Mit der Unterschrift des rheinland-pfälzischen Amtskollegen am 4. April 2012 ist diese in Kraft. In Ihrer Erklärung heute
vor dem Hohen Hause findet diese Verwaltungsvereinbarung für 2012 gar nicht statt. Für 2012 ist also nichts mehr im Fluss! Ich hätte mir gewünscht, dass mein Fachminister in seiner Fachregierungserklärung die Grundzüge dieser Verwaltungsvereinbarung und der Programmgestaltung vorstellt, erläutert und die Anforderungen für Sachsen formuliert.
Herr Staatsminister, Sie sagen weiter – ich zitiere –: "Insbesondere das Kürzen von Förderungen, nur um kurz danach wieder halbherzig zu erhöhen, ist für uns alle sehr unbefriedigend. Wir erwarten darüber hinaus, dass der Bund seine verschiedenen Programme qualitativ weiterentwickelt. Außerdem brauchen wir verlässliche Aussagen zur Laufzeit einzelner Programme – darauf sind unsere Städte und Gemeinden angewiesen."
Erstens. Es gibt immer einen, auf den man schimpfen kann. Wie in Sachsen im eigenen Haushalt mit Kürzungen und Wiedereinstellungen umgegangen worden ist, haben wir leidlich erfahren müssen. An diesem Punkt haben Sie sogar recht. Mit unserem Entschließungsantrag wollen wir Ihnen die Unterstützung des gesamten Hauses angedeihen lassen und haben diesen Anspruch auf längerfristige Budgetvereinbarungen formuliert. Das Grundproblem für eine dauerhaft planungssichere Städtebauförderung liegt tatsächlich in der jährlichen Laufzeit der Vereinbarungen.
In diesem Sinne soll Ihnen der Entschließungsantrag beim Schreiben Ihres alljährlichen Juni-Briefes an den Bundesbauminister in Vorbereitung der kommenden Bundeshaushaltsrunde helfen, den nötigen Nachdruck gegenüber dem Bund vermitteln zu können. Lassen Sie uns tatsächlich zusammenarbeiten.
Wenn wir schon bei den Städtebauförderprogrammen sind, kommen wir zu Mangel Nummer vier. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Staatsminister sprach heute sehr oft von nachhaltiger Stadtentwicklung, städtebaulicher Nachhaltigkeit – in verschiedener Anordnung der Worte. Dabei bezog er sich ausschließlich auf die Gestaltung der Auswirkungen des demografischen Wandels, also Infrastrukturrückbau, und die Anforderungen aus dem Klimawandel, zum Beispiel energetische Sanierung und kompakte Stadt als Stadt der kurzen Wege. Völlig unterbelichtet, eine völlige Leerstelle, ist die Frage der sozialen Dimension der Nachhaltigkeitsstrategie bei der Bewältigung des Klimawandels und des demografischen Wandels.
Öffnen wir also unser Blickfeld ein wenig, um zu verstehen, was wirklich erforderlich ist. Dabei spreche ich noch nicht einmal von der Gefahr der teilweisen Gendrifizierung in unseren Großstädten. Tatsache und von allen Seiten unbestritten ist, dass wir es künftig mit zunehmender Altersarmut und mit einer stetig wachsenden Zahl einkommensschwächerer und älterer Haushalte zu tun haben. Einerseits haben vor allem die nach 1990 gebrochenen Erwerbsbiografien zu geringen Rentenhöhen geführt. Andererseits sind Generationen von Geringverdienern, Aufstockern und Vollverdienern mit kleinsten
Einkommen in Fragen der Rentenvorsorge regelrecht auf das Abstellgleis geraten, sind schon jetzt einkommensschwächere Haushalte und werden dies künftig bis hin zur Altersarmut sein.
Das hat massivste Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter, und damit werden wir es mit erheblichen Problemen bei der energetischen Sanierung und der Schaffung weitgehender Barrierefreiheit für die älterwerdende Wohnbevölkerung zu tun haben. Vor dem Hintergrund dieser soeben beschriebenen sozioökonomischen Zusammenhänge steht die Finanzierung der energetischen Sanierung und der Schaffung weitgehender Barrierefreiheit über die Mietumlage tatsächlich begründet in Zweifel.
Hier ist staatliches Handeln erforderlich. Energetische Sanierung und die Festlegung energetischer Standards sind nicht Mietersache, sondern vielmehr ist dies eine gesamtstaatliche Vorgabe. Auch die Schaffung von Wohnraum, der es ermöglicht, weite Phasen des Alters in den eigenen vier Wänden zu verbringen, ist nicht mieterseitig zu stemmen. Diese Aufgaben können als gesamtgesellschaftliche Herausforderungen auch nicht gesamtgesellschaftlich bzw. gesamtstaatlich bewältigt werden.
Mieterseitig ist weitgehend – zumindest dort, wo es um Rentnerinnen und Rentner, Hartz-IV-Betroffene, Geringverdiener, Aufstocker und einkommensschwächere
Familien geht – das Ende der Fahnenstange bei der Gestaltung der Nettokaltmiete erreicht. Die Wohnungsunternehmen können, da sie die Mieterinnen und Mieter nicht verlieren wollen, diese neue Sanierungs- und Modernisierungsqualität nicht auf die Mieten umlegen. Zugleich werden wohl mit den sächsischen Vorstellungen zur SGB-II-Ausführung – – Sehr geehrte Frau Ministerin Clauß, nicht, dass Sie sich an dieser Stelle langweilen,
wo ist eigentlich der von Ihnen versprochene Gesetzentwurf zum SGB-Ausführungsgesetz geblieben? Versprochen war er bereits im September letzten Jahres mit einer ungebührlichen Antwort auf den Antrag meiner Fraktion. Ich darf kurz zitieren: „Zurzeit wird ein Gesetz erarbeitet. Solange dies nicht innerhalb meines Hauses fertiggestellt und mit den anderen Ressorts abgestimmt ist, kann und werde ich mich dazu inhaltlich nicht äußern. Ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf gegen Ende des Jahres vorliegt und danach in die Anhörung gehen wird.“
Sehr geehrte Frau Ministerin, welches Jahr haben Sie gemeint? Darauf würde ich heute ganz gern eine Antwort bekommen. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft werden die Kommunen zur Pauschalierung ermächtigt, was die Gestaltung der KdU nach Kassenlage wahrscheinlich macht und dennoch keine Regelungen zur Angemessenheit und zu den einfachen Standards energetischer Sanierung beinhaltet. Damit werden große Personengruppen von gutem Wohnraum ausgeschlossen.
Ich hätte mir durchaus gewünscht, dass mein Fachminister hier und heute erklärt, wie denn seine Vorstellungen
von einer Altschuldenhilfeanschlussregelung sind bzw. wie eine sinnvolle, die eben beschriebenen Zusammenhänge berücksichtigende Investitionsförderung künftig aussehen soll bzw. wie der Freistaat Sachsen, also diese Staatsregierung, Einfluss nehmen will, um eine so geartete Regelung mit dem Bund vereinbaren zu können.
Eine solche Anschlussregelung zur Altschuldenhilfe kann sich doch nicht wirklich nur in einem Vorrang bei Förderanträgen erschöpfen. Es muss doch grundsätzlich Übereinstimmung darin bestehen, dass am Stadtumbau Beteiligte, die sich freiwillig durch zeitnahe Maßnahmen des Rückbaus und der Aufwertung in den Stadtentwicklungsprozess integrieren, gerade infolge des Abrisses besonderen zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt sind, die die Investitionsfähigkeit der Unternehmen einschränken. Insoweit – so unsere Vorstellungen – sollten im Rahmen einer zu entwickelnden zukünftigen Investitionsförderung in diesem Fall die mit dem Rückbau entstandenen finanziellen bzw. wirtschaftlichen Nachteile angemessen durch zusätzliche Förderanteile ausgeglichen werden.
Die von Ihnen beschriebene Förderstrategie des Freistaates ist der eigentliche Mangel Nummer fünf. Nach dem Jammern über die zurückgehenden Zuweisungen des Bundes und der Solidarpaktmittel sowie die zurückgehende Unterstützung durch Bund und EU kommt im Wesentlichen nichts mehr. Wie viel eigenes Geld will Sachsen denn einsetzen, also Geld, das nicht von der EU oder dem Bund kommt? Warum wollten denn die Länder die Wohnraumförderung 2007 in die eigene Regie haben, wenn außer den Kompensationsmitteln des Bundes de facto kein Cent eigenen Geldes dafür bereitgestellt wird?
Der Minister sagt tatsächlich – ich zitiere –: „Bei der Wohnraumförderung ist es unbedingt erforderlich, dass auch für die Jahre 2014 bis 2019 weiterhin Kompensationsmittel zur Verfügung gestellt werden. Diese Mittel bilden die wichtigste Fördergrundlage.“ Wäre es nicht ehrlicher gewesen zu sagen, die Kompensationsmittel sind die einzige Fördergrundlage?
Kommen wir zu Mangel Nummer 6. Ministerpräsident Tillich lässt sich am 24. April 2012 von dpa folgendermaßen zur Frage der Altschuldenanschlussregelung zitieren: „Wir brauchen eine Anschlusslösung, um den bisher erfolgreichen Stadtumbauprozess fortzuführen.“ Weiter heißt es: „Eine künftige Regelung könnte beispielsweise so aussehen, dass Stadtzentren und Altbaugegenden gestärkt würden, während sich der Abriss, sofern möglich, auf die Stadtränder beschränke.“ Der Innenminister erklärt heute: „Das Leitbild der kompakten Stadt ist dafür das geeignete Instrument. Es sieht vor, die Innenstädte als Zentren für Wohnen, Handel, Gewerbe, Infrastruktur und Daseinsfürsorge zu stärken. Die Innenstadtentwicklung
hat Vorrang. Leerstände müssen vorrangig am Stadtrand zurückgebaut werden. Nur so verhindern wir, dass unsere Städte auseinanderfallen.“
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle muss man innehalten und überlegen, von welchem Abriss wir eigentlich sprechen. Es ist ja Abriss, der damit verbunden ist. Geht es um den Rückbau von außen nach innen, von der Peripherie zu den Kernen hin? Das mag gut klingen, ist aber doch sehr ambivalent.
Herr Staatsminister, Sie selbst wohnen am Rande der Stadt Pirna im eigenen Haus. Muss ich Sie nun so verstehen,
dass Sie in naher Zukunft in Pirnas Innenstadt ziehen und Ihr Haus am Rande der Stadt für den Rückbau nicht benötigten Wohnraumes zur Verfügung stellen werden? Ich finde das vorbildlich und tatsächlich uneigennützig.