Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Wer möchte noch zum Antrag sprechen? – Ich sehe, es gibt keinen Bedarf. Dann lasse ich über den Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/9374, abstimmen. Wer möchte die Zustimmung geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Drucksache 5/8658, Antrag der Fraktion der SPD. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen und eine ganze Reihe von Stimmen dafür; dennoch Ablehnung mit Mehrheit.

Wir kommen zur Drucksache 5/9266, Antrag der Fraktion der GRÜNEN. Wer gibt seine Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Auch hier wieder gleiches Stimmverhalten: Bei einer ganzen Reihe von Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren, der Tagesordnungspunkt ist damit beendet.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 9

Frauen nach vorn – Chancengleichheit an sächsischen Hochschulen

Drucksache 5/5543, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen wieder Stellung nehmen. Es beginnt die einreichende Fraktion mit Herrn Dr. Gerstenberg, danach folgen CDU, DIE LINKE, SPD, FDP und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten am heutigen Vormittag eine kurze Diskussion zum 20. Jahrestag der Verabschiedung der Sächsischen Verfassung. In dieser unserer Verfassung wird nicht nur unter den Grundrechten erklärt, Frauen und Männer sind gleichberechtigt; Artikel 8 führt auch klar aus: „Die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist Aufgabe des Landes.“

Diese Aufgabe erweist sich als eine Daueraufgabe, die in Politik, Wirtschaft und Kultur zu leisten ist. Es zeigt sich

aber auch, dass wenige Bereiche so männerdominiert sind wie der, der eigentlich ein Ort der Aufgeklärtheit sein sollte, nämlich die Wissenschaft.

Ein Blick in das aktuelle Gleichstellungsranking des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) zeigt mit Stand 2009 bedrückende Geschlechterunterschiede. Die Studierenden in Sachsen sind zur Hälfte weiblich. Bei den Promotionen sind es immerhin noch 42 % Frauen, 23 % habilitieren und ganze 16 % besitzen 2009 eine Professur.

Diese Zahlen zeigen – und das ist deutschlandweit so –, dass mit der Promotion die Schere aufgeht. Die Schere geht aber auch auf in den Fächern, in denen junge Frauen eigentlich dominieren, zum Beispiel in den Kulturwissenschaften. Dort überkreuzen sich die Karrierewege mit der Promotion. Es ist eine Tatsache: Nach der Promotion

stoßen junge Wissenschaftlerinnen auch in Sachsen an die berühmte gläserne Decke. Sachsen landet in diesem Ranking im Ländervergleich im dort so bezeichneten mittleren Mittelfeld. Wenn Sie nun darüber jubeln, dann muss ich Ihnen leider mitteilen: In der Gruppe hinter uns kommt nur noch Thüringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte jetzt auch sagen, es geht voran. In den Jahren 2004 bis 2009 hat es eine Steigerung des Frauenanteils bei Professuren in Sachsen um 2 % gegeben. Ich muss zugeben, der Fortschritt kommt – aber er kommt im Schneckentempo. Wenn wir das einmal extrapolieren: Wenn dieses Tempo so anhalten würde, dann hätten wir tatsächlich in 85 Jahren – also Ende dieses Jahrhunderts – bereits die Geschlechterparität bei den Professuren erreicht. Ich denke, wir sind uns zumindest in diesem Punkt einig: Das kann nicht unser Ziel sein; hier ist es notwendig zu beschleunigen.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Die Herstellung von Chancengleichheit ist eine Frage der Gerechtigkeit. Das ist eine Frage des guten Rechts von jungen Frauen auf Karriere, auf die Hälfte der Jobs und auf die Hälfte der Spitzenpositionen. Es ist aber ebenso eine Frage der wissenschaftlichen und der ökonomischen Vernunft. Wir brauchen in der Wissenschaft wie auch in der Wirtschaft die weiblichen Sichten. Wir brauchen ihre Lebenswirklichkeiten und Lebensentwürfe. Das gilt nicht nur für die Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern ebenso für die Technik. Wir brauchen in der Forschung wirklich, um nichts zu verschleudern, alle Talente und nicht nur die männlichen. Kurz gesagt: Exzellenz braucht Chancengleichheit.

(Beifall der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE, und Horst Wehner, DIE LINKE)

Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im angelsächsischen Raum, was die Wissenschaft betrifft, ist die Erkenntnis schon weiter. Dort wurde längst erkannt und in die Praxis umgesetzt, welchen Wert Vielfalt, die wir neudeutsch als Diversity bezeichnen, in sich birgt. Was ist also hier bei uns in Sachsen zu tun?

Wir brauchen selbstverständlich Veränderungen, und zwar in allen Bereichen: in den Institutionen, in den Kulturen und in den Köpfen. Die Herstellung von Chancengleichheit muss eine Führungsaufgabe sein. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Hochschulen und für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.

Ich unterschätze überhaupt nicht die Schwierigkeit dieser Aufgabe, soweit es nicht nur um unverbindliche Erklärungen wie „Ja, ich bin für Geschlechtergerechtigkeit“ geht, sondern um harte Forderungen. Dann werden immer wieder Ablehnungen laut und viele von Ihnen werden sie kennen. Sie lauten dann: Das ist ein Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft. Sachfremde Kriterien werden hier angeführt oder: Das Leistungsprinzip wird gefährdet.

Ich habe den zwingenden Eindruck, die von meiner Fraktionsvorsitzenden so gern zitierten „älteren Herren“ gelangen als Wissenschaftler oft erst dann zur Einsicht, wenn ihre eigenen begabten Töchter an die zitierte gläserne Decke stoßen.

Was ist zu tun? Die bisherige Gleichstellungspolitik mit ihren Instrumentarien, der Gleichstellungsbeauftragten, den Frauenförderplänen und den vereinzelten Programmen für weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs, hat sich als richtig und notwendig erwiesen. Im Sächsischen Hochschulgesetz müssen die Rechte und Möglichkeiten der Gleichstellungsbeauftragten noch gestärkt werden. Aber wenn wir die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft beseitigen wollen, dann setzt das vor allem verbindliche Zielstellungen voraus.

Es ist doch so, dass viele Frauen schon vor der Familiengründungsphase ihren wissenschaftlichen Karriereweg abbrechen. Bei allen Stufen wissenschaftlicher Laufbahnentscheidungen wirken oft subtile Diskriminierungsmechanismen einer vorwiegend männlich geprägten Wissenschaftskultur, und möglicherweise wollen das einige Herren jetzt hier in diesem Hause sofort wieder bestreiten. Ich kann nur konstatieren: Der Wissenschaftsrat und die Hochschulrektorenkonferenz haben dieses Problem längst erkannt und fordern deshalb seit über fünf Jahren intelligente und ehrgeizige Zielstellungen.

Wir wollen deshalb, wie in diesem Antrag formuliert – den Sie vielleicht als Anschlag empfinden –, die Entwicklung beschleunigen: durch flexible, aber verbindliche Zielquoten nach dem Kaskadenmodell.

Dieses Modell zielt darauf, dass auf jeder Qualifikationsebene zumindest der Frauenanteil der darunterliegenden Ebene wieder erreicht wird. Es geht also nicht um eine starre Quote, sondern um Zielsetzungen, die im Rahmen der Zielvereinbarung von den Hochschulen flexibel und eigenverantwortlich umgesetzt werden können.

Die Hochschulleitungen wiederum sind gehalten, mit ihren Fakultäten fächerspezifische Zielquoten zu vereinbaren. Ich lege hier besonderen Wert auf „verbindliche Zielquoten“; denn das Nichterreichen von Zielen muss sich angemessen in der Mittelzuweisung, beispielsweise im Leistungsbudget, niederschlagen. Kurz gesagt: Es muss wehtun.

Wer an dieser Stelle das Gesicht verzieht – angesichts des Wortes „Quote“ –, dem muss ich sagen: Die alte Diskussion „Qualität oder Quote“ ist ad acta gelegt. Sie gehört wahrlich in das Geschichtsbuch der Vorurteile.

(Beifall der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE, und des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Es geht hier um nicht weniger als um „Qualität durch Quote“. Deshalb hat auch der Wissenschaftsrat in seiner Bestandsaufnahme zu „Fünf Jahre Offensive für Chancengleichheit“ Ende Mai eindeutige Empfehlungen für verbindliche Zielquoten ausgesprochen. Auch in der Anhörung des Forschungsausschusses im Bundestag an diesem Montag bestand unter den Expertinnen und

Experten große Übereinstimmung, dass flexible und zugleich verbindliche Zielquoten nach dem Kaskadenprinzip das richtige Mittel sind.

Diese Quoten reichen aber nicht aus. Ich will deshalb aus der Fülle der Punkte unseres Antrags zumindest noch einen zweiten Punkt erwähnen: Wir müssen es auch schaffen, dass die Beschäftigungsbedingungen der jungen Wissenschaftlerinnen deutlich verbessert werden, damit sie ihre wissenschaftliche Karrieren planen können. Dazu gehört, dass wir die strukturierte Promotion stärken. Dort ist keine Abhängigkeit mehr von einem einzelnen Professor gegeben, der die Promovenden eventuell durch Handauflegen auswählt und ihnen sozusagen die Promotion gewährt, sondern es gibt damit transparente und zeitlich berechenbare Wege zur Promotion. Alle Umfragen und Studien zeigen: Das ist besonders wichtig für Frauen.

Wir müssen auch die etwas in Vergessenheit geratene Juniorprofessur stärken und insbesondere den Tenure Track. Nach allen Studien bietet auch dieser Weg wiederum Vorteile insbesondere für Frauen.

Wir müssen aber vor allem Schluss damit machen, dass bisher mehr Frauen als Männer auf befristeten und schlecht bezahlten Stellen beschäftigt werden.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Wir brauchen deshalb auch hier in Sachsen mehr unbefristete Postdoc-Stellen. Wenn es um befristete Verträge geht – diese werden immer ihren Anteil haben –, dann müssen diese zumindest längere Laufzeiten haben. Was hier in Sachsen aber gerade geschieht, dass nämlich an den Hochschulen Stellen gekürzt werden und diese wegfallenden Stellen wiederum durch befristete Arbeitsverhältnisse ersetzt werden sollen, führt zu einer steigenden Prekarisierung und ist für das Ziel der Chancengleichheit pures Gift.

Nun gibt es vielleicht einige hier im Raum, die Zweifel an der Veränderbarkeit dieser Strukturen, Denkhaltungen und Kulturen in Fächern haben. Ich möchte deshalb zum Schluss noch den Berliner Ökonomieprofessor Tilman Brück zitieren, der in einer Diskussion zur Quote sagte: „Nur wenn die Regeln und die Systeme konsequent verändert werden, wird es funktionieren. Sonst können noch so viele Frauen studieren.“

Tilman Brück untermalte diese Haltung damals mit einem sehr harten und vielleicht verblüffenden Beispiel für die Veränderbarkeit von alten, fest eingefahrenen kulturellen Normen unter großem Druck am Beispiel der Kriegerwitwen in Ruanda. Diese Frauen mussten wegen des Genozids entgegen der Tradition in ihrer Kultur und Gesellschaft ohne Männer auskommen und auch typische Männerarbeiten, zum Beispiel Dachdecken, selbst verrichten. Nachdem sich die Lage konsolidiert hatte und die Männer zurückkehrten, haben sie die Frauen aufgefordert, doch jetzt wieder vom Dach herunterzukommen. Die Frauen aber haben gesagt: „Nein, wir bleiben hier oben.“

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Nächster Redner: Prof. Schneider für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den Herr Kollege Dr. Gerstenberg vorgestellt hat, beinhaltet eine Thematik, deren erfolgreiche Umsetzung für die CDU-Fraktion durchaus als wichtige strategische Aufgabe im Hochschulbereich anzusehen ist.

(Beifall des Abg. Geert Mackenroth, CDU)

Wir haben uns mit diesem Thema im Sächsischen Landtag der vergangenen Legislatur wiederholt befasst. Ich erinnere an die Debatten über die Anträge der GRÜNEN zu den Themen „Förderung von Frauen in der Wissenschaft intensivieren“ und „Exzellenz braucht Chancengleichheit – die Hälfte der neuen Professuren bis 2020 an Frauen“. Jetzt könnte ich auf die Debatten insoweit Bezug nehmen, vor allem auf die Ausführungen von Frau Kollegin Firmenich, die an gleicher Stelle zu diesen Anträgen gesprochen hat.

Der heute vorliegende Antrag ist gut gemeint. Er identifiziert ein Thema, das in der deutschen Hochschullandschaft hochaktuell ist. Frauen sind – ich kann Ihnen, Herrn Dr. Gerstenberg, insoweit nur beipflichten – mit Blick auf das wissenschaftliche Personal und vor allem auf die Professuren im Hochschulbereich stark unterrepräsentiert.

So sehr ich diese Analyse teile, so sehr möchte ich der Behauptung widersprechen, die Sie aufgestellt haben und die auch in Ihrem Antrag deutlich wird, die Staatsregierung fördere die Chancengleichheit von Frauen und Männern an sächsischen Hochschulen nicht. Das Gegenteil ist der Fall!

Mit allen Maßnahmen, die Sie – auch in Ihrem Antrag – aufgeführt haben, ist die Staatsregierung auf dem Weg. Man mag aus Ihrer Sicht beklagen – das ist Ihre Philosophie –, es gehe nur „im Schneckentempo“ voran; ich behaupte anderes.

Bereits heute sind die politischen Rahmenbedingungen für die Herstellung von Chancengleichheit an sächsischen Hochschulen vorhanden. Das Sächsische Hochschulgesetz in der aktuellen Fassung beinhaltet die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern als Aufgabe der Hochschulen. Es bestehen Programme wie das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern; diese sind ausdrücklich auf die Förderung von Frauen im Wissenschaftsbereich ausgerichtet. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Programme, in denen der Aspekt der Chancengleichheit ebenfalls als Förderkriterium eine wichtige Rolle spielt.