Protokoll der Sitzung vom 14.06.2012

wenn man Gäste aus Kassel oder Hannover zu Besuch hat und durch Dresden oder Leipzig geht und zeigen kann, wie toll sie sich mit Unterstützung aus den westdeutschen Bundesländern entwickelt haben. Wir dürfen stolz sein und das gern zeigen. Wir dürfen sagen: Wenn ihr wollt, könnt ihr gern bei uns wohnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Ich bin mal gespannt, ob sich heute auch die Opposition freut oder ob Sie Ihren Kopf wieder so lange schütteln, bis Sie irgendein Haar in der Suppe finden.

Im Februar hat die Staatsregierung eine Umfrage unter allen Sachsen in Auftrag gegeben, welches die Zukunftsthemen für den Freistaat sind.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: CDU abwählen!)

99 % der Sachsen sagen: Die wichtigste Aufgabe, die es gibt, ist, die Jugend in Sachsen zu halten.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Heike Werner, DIE LINKE: Aber wie denn? – Weitere Zurufe von den LINKEN)

Und das können wir erfüllen. Wir bieten in diesem Jahr jedem Jugendlichen, der dies möchte, einen Ausbildungsplatz. Es werden Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. In meiner Region rechnen wir dieses Jahr mit 200 nicht besetzten Lehrstellen, weil uns die Bewerber fehlen. Das zeigt, dass sich die Situation vollkommen geändert hat. Die Jobperspektiven, gerade für junge Leute, sind sehr, sehr gut.

(Widerspruch bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben in Deutschland die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa.

(Andreas Storr, NPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Die Jugendarbeitslosigkeit im Freistaat Sachsen ist innerhalb eines Jahres im vergangenen Jahr um 19 % gesunken. Da sieht man, wie gut sich der Arbeitsmarkt, gerade auch für junge Leute, entwickelt hat.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte schön.

Herr Storr, bitte.

Herr Abg. Krauß, ist Ihnen eigentlich der Grundwiderspruch Ihrer Aussage bewusst? Sie sagen einerseits, dass Lehrstellen besetzt werden können, Lehrlinge händeringend gesucht werden, auf der anderen Seite zitieren Sie eine Umfrage, nach der 99 % der Sachsen die Abwanderung der Jugend als das größte Problem betrachten. Können Sie diesen Grundwiderspruch aufklären?

Der Widerspruch ist kein Widerspruch. Es zeigt sich, dass sich auf dem Arbeitsmarkt etwas fundamental geändert hat. Wir haben vor fünf Jahren noch riesengroße Probleme gehabt, Lehrstellen zu besetzen. Wir können wirklich jedem Jugendlichen eine Perspektive geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass den Truppenteilen, zu denen Sie gehören, das Wasser abgegraben wird, weil junge Leute sehen, dass sie eine Perspektive haben und auf solche – ich hätte jetzt fast gesagt Idioten – Mitbürger wie Sie verzichten; sie müssen sich nicht in rechtsextremen Kreisen tummeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Auch das will ich einmal sagen: Ich freue mich nicht über jeden Zuzug. Ich hätte mich gefreut, wenn wir diesen Zuzug – die NPD-Fraktion besteht ja größtenteils aus Westkadern – nicht gehabt hätten. Auf die könnten wir ganz gern verzichten.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Nichtsdestotrotz, wir haben in den kommenden Jahren einen sehr großen Bedarf an Fachkräften. Bis 2025 gehen im Freistaat Sachsen 500 000 Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt heraus, als junge Leute nachkommen. Wir haben also eine Lücke von 500 000 Arbeitsplätzen dadurch, dass mehr Ältere in den Ruhestand gehen als Jüngere nachkommen. Es wird eine Herausforderung für uns sein, diese Lücke zu füllen. Das werden wir mit den 208 000 Arbeitslosen allein nicht schaffen, sondern wir müssen uns Gedanken machen, was wir noch tun können.

Aber erst einmal ist es ein Grund zur Freude, dass wir das Problem haben. Dass die Arbeitslosenzahlen unter RotGrün ständig gestiegen sind, war das größere Problem. 2005 war eine Zeit, in der täglich in Deutschland 2 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Schauen wir uns das vergangene Jahr im Freistaat Sachsen an. Woche für Woche ist die Arbeitslosigkeit in Sachsen um 1 000 Arbeitsplätze gesunken – jede Woche 1 000 Arbeitslose weniger im Freistaat Sachsen.

Das zeigt, dass wir eine wahnsinnig gute Entwicklung haben, und ich sage auch – denn es werden wieder welche kommen, die sagen, da haben die vielleicht die Statistik geschönt und die Leute in Ein-Euro-Jobs gesteckt –: Schaut euch an, wie sich die Arbeitsmaßnahmen entwickelt haben.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Aufstocker!)

19 000 weniger durch Leute, die in Weiterbildungen sind oder Ein-Euro-Jobs. Daran liegt es nicht.

(Julia Bonk, DIE LINKE: Demografie!)

Gesunken ist die Arbeitslosigkeit vor allem deswegen, weil neue Jobs entstanden sind. Ich sage es noch einmal, und das hat auch etwas mit Demografie zu tun, keine Frage, aber die gesamtdeutsche Zahl des vergangenen Jahres lautet: täglich 1 500 neue Jobs durch eine gute Wirtschaftspolitik.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Nee!)

Das sollte man auch einmal sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir werden uns darauf nicht ausruhen. Wir haben viel zu tun. Wir haben zum Beispiel 130 000 Pendler. Ich würde mich freuen, wenn sie wieder zurückkommen und in Sachsen eine Arbeit finden. Ich denke aber auch an Schüler, die keinen richtigen Schulabschluss haben. Ich wünsche mir, dass sie eine gute Perspektive haben, indem sie einen guten Schulabschluss machen.

Die Redezeit ist zu Ende.

Ich wünsche mir, dass wir Frauen stärker die Möglichkeit bieten, wenn sie in Vollzeit arbeiten wollen, dass sie dies können und nicht gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten. All das sind Aufgaben, die noch vor uns liegen. Wir haben hochattraktive Arbeitsplätze und eine sehr gute Lage – nicht nur hier im Landtag, sondern das gilt insgesamt für die Bewohner des Freistaates. Darüber freuen wir uns.

Die Redezeit läuft ab.

Deswegen lasst uns weiter daran arbeiten, dass Sachsen ein attraktives Bundesland bleibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Wir treten jetzt in die erste Rednerrunde ein. Die Reihenfolge ist DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich bitte Frau Kollegin Klepsch für die Fraktion DIE LINKE ans Rednerpult.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erfordert schon viel Mut oder Chuzpe für eine Debatte, die dermaßen dem Eigenlob dienen soll, aber der FDP-Fraktion ist ja nichts zu peinlich. Herr Zastrow, wenn Sie nur positive Nachrichten aus Sachsen vernehmen, dann frage ich mich schon, ob Sie nur noch mit Scheuklappen im Land unterwegs sind.

(Andreas Storr, NPD: Hauptsache gute Stimmung, alles andere ist egal!)

Ich will nicht verhehlen, dass Sachsen Zuwanderung hat. Das ist natürlich erfreulich, aber ich sage auch, dass man genauer hinschauen muss, denn dieses Zuzugsglück ist gewissermaßen ein Scheinriese wie bei Jim Knopf, der beim näheren Hinsehen schnell schrumpft und ganz klein wird. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen: Die noch so hochgelobte Bildungslandschaft Sachsen hat sich inzwischen zur Blase entwickelt, die bald platzen wird, wenn der Unterrichtsausfall so fortbestehen bleibt.

Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, liebe Kollegen von der FDP-Fraktion, die Menschen kommen nicht wegen Morloks Eierschecke nach Sachsen, sondern sie kommen zurück, weil sie zu ihren Verwandten und Bekannten zurück wollen oder weil sie vielleicht eine Arbeit gefunden haben. Alle Untersuchungen zu dem Thema sagen aus, dass viele Fachkräfte wegbleiben oder doch weggehen, weil die Verdienste in anderen Bundesländern höher sind. Das ist bei Lehrerinnen und Lehrern so, das ist bei Ingenieuren so. Ich sage Ihnen auch: Der Rentnerboom in Görlitz ersetzt eben keine jungen Familien, die für eine positive demografische Entwicklung sorgen. Erst recht kommt niemand nach Sachsen wegen des Mantras der Schuldenfreiheit, das Sie Tag für Tag herunterbeten.

(Widerspruch des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Die Niedriglohnstrategie der Staatsregierung, die in den letzten 20 Jahren die Wirtschaftspolitik hier geprägt hat, führte zu einer Verarmung der Unter- und Mittelschicht. Wir haben noch immer 122 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen, die Grundsicherung dazubekommen müssen, weil sie so wenig verdienen. Diese Grundsicherung wird aus Steuergeldern bezahlt, Geld, das wir eigentlich dringend für andere Maßnahmen benötigen. Herr Krauß, wenn Sie so viele freie Lehrstellen im Erzgebirge haben, fragen Sie sich bitte mal, warum die jungen Leute aus dem Erzgebirge weggehen. Selbst diejenigen in Sachsen, die gut verdienen und Steuern zahlen, werden von Herrn Tillich und dem Finanzminister veräppelt. Denn beide tun nämlich so, als wären die Ausgaben des Freistaates großzügige und mildtätige Gaben aus der privaten Geldschatulle des Ministerpräsidenten und nicht aus Steuergeldern, die alle Arbeitenden finanzieren.

Ich sage deutlich: Das Einstellen von Lehrerinnen und Lehrern, das Ausfinanzieren von Hochschulen, der Straßenbau und auch der Kinderschutz, den Herr Tillich so gern lobt – das zu finanzieren, sind keine Almosen und milden Gaben, sondern das sind gesetzliche Pflichtaufgaben. Sie haben es zum Glück gesagt, Herr Krauß: Immer noch 10 % der Schüler haben keinen Abschluss, aber die Antwort Ihrer Regierung darauf gerade war, das Berufsvorbereitungsjahr kürzen zu wollen. Zum Glück haben Sie sich dann noch einmal korrigiert.

Auch die von Ihnen angepriesene Kulturlandschaft, Herr Zastrow, wird gerade kaputtgeschrumpft, denn sich allein die Staatsoper und die Kunstsammlungen in Dresden zu halten und damit in den Nahen Osten zu reisen, ist noch keine Kulturpolitik.

Schauen wir uns doch einmal an, wer hier zuwandert und warum: Ja, das sind Studierende aus den alten Bundesländern wegen doppelter Abiturjahrgänge und wegen des Verzichts auf Studiengebühren hier im Freistaat. Wenn es innerhalb von vier Jahren einen Anstieg von Studierenden gibt – allein von 5 500 im Jahre 2005 auf 7 500 im Jahre 2009 –, dann hat das nicht dazu geführt, den Stellenabbau an den Hochschulen auszusetzen, sondern er wird nur verzögert, und die Antwort ist, jetzt nur befristete Stellen an den Hochschulen einzuführen.

Wenn wir uns anschauen, wie sich das akademische Personal an den Hochschulen entwickelt hat, stellen wir fest, dass es dort eine ganz deutliche Prekarisierung gibt. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat sich verdoppelt. Die Zahl der unbefristeten Vollzeitstellen sank um 25 %. Die Untersuchung von Professorin Anke Matuschewski von der Uni Bayreuth von vor zwei Jahren hat ergeben, dass die Rückkehrinnen und Rückkehrer zum einen überwiegend männlich sind – daraus folgt noch keine positive demografische Entwicklung – und zum anderen deutlich weniger verdienen als in anderen Bundesländern und daran schon Stellenbesetzungen mit Rückwanderungswilligen gescheitert sind.

Ich sage deshalb deutlich: Sachsen braucht nicht nur ein Zuwanderungskonzept für Fachkräfte, sondern nach wie vor auch Strategien gegen Abwanderung, insbesondere aus dem ländlichen Raum. Wer diesen Heimatbegriff hier hervorkramt, Herr Zastrow, der muss Heimat auch neu definieren, nämlich Heimat als ein weltoffenes Sachsen, –

Die Redezeit läuft ab.

– eine Vielfalt von Lebensweisen und als Zukunftschancen für diejenigen, die hier aufwachsen und leben.