Meine Damen und Herren, da keiner der drei Änderungsanträge die erforderliche Mehrheit bekommen hat, stimmen wir nun über die unveränderte Drucksache 5/9545 ab, Beschlussempfehlung des Innenausschusses. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Bei keiner Stimmenthaltung und zahlreichen Gegenstimmen ist der Beschlussempfehlung des Innenausschusses in Drucksache 5/9545 mehrheitlich zugestimmt worden. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Als Einreicherin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE, es folgen in der ersten Runde: CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Herr Dr. Pellmann, Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Großen Anfrage betreten wir in gewissem Sinne parlamentarisches Neuland. Wir haben – zumindest, seitdem ich diesem Hause angehöre – diese Altersgruppe der über 50-Jährigen in Gänze bisher noch nicht im Blick gehabt; und wenn man Neuland betritt, dann ist das sowohl für den Fragesteller als auch für die Seite, die die Fragen zu beantworten hat, ein gewisses Risiko, das gebe ich gern zu. Wir haben insgesamt 143 Fragen gestellt, und bei genauerem Hinsehen wurden 60 Fragen seitens der Staatsregierung nicht oder de facto nicht beantwortet.
Nun muss ich sagen, verehrter Herr Hahn, das ist eine für mich außerordentlich positive Quote; denn ich habe in den letzten weit mehr als zehn Jahren schon ganz andere Antworten erhalten, insofern – obwohl ich das als Opposition überhaupt nicht tun sollte – zumindest ein verstecktes Lob, da eine ganze Reihe von Fragen sehr gut beantwortet wurde.
Das heißt noch lange nicht, dass ich insgesamt zufrieden sein kann; denn mit dieser Großen Anfrage wollten wir – das war unser Anliegen – weitere Erkenntnisse über den bereits in Gang befindlichen demografischen Wandel erlangen. Wir wollten ganz bewusst, wenn wir die Prognose bis 2025 vorliegen haben, auch jene Jahrgänge hinterfragen und in den Blick nehmen, die bis dahin in Rente gehen, und wir wollten kontrollieren – das ist unsere verfassungsgemäße Aufgabe als Opposition –, was die Staatsregierung zu diesem Sachverhalt auszusagen und welche Handlungsoptionen sie hat.
Wir haben dabei die Methode des sogenannten wissenschaftlich untersetzten Lebenslagenansatzes gewählt. Das hatte für die Staatsregierung zum Teil den Vorteil, dass sie nicht nur von einem Staatsministerium bei der Beantwortung Informationen beschaffen konnte, sondern – man merkt es auch an der Qualität der verschiedensten Komplexe, was die Antworten betrifft – selbstverständlich andere Staatsministerien einbezogen werden mussten. Insofern haben wir sozusagen auch einen Beitrag zur kameradschaftlichen Zusammenarbeit im Kabinett geleistet, weil dadurch eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet werden musste – zumindest auf dem Papier.
Das Erste. Der Anteil der über 50-Jährigen – das wird Sie nicht überraschen; denn viele in diesem Hause gehören dazu; manche wollen es aber nicht wahrhaben – ist in Sachsen beträchtlich gewachsen. Hatten wir 1990 einen Anteil von 35 %, so betrug er Ende 2011 46,7 % – wobei ich nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass sich die Weisheit des fortgeschrittenen Alters immer politisch niederschlagen würde.
Der demografische Wandel ist in vollem Gange. Wir müssen nicht erst darüber sprechen, dass er auf uns zukommt, sondern wir haben insbesondere in Sachsen bei dieser Zunahme zu berücksichtigen, dass er vornehmlich mehr als in anderen Ländern durch Massenabwanderung bedingt ist – wir haben seit 1990 in Sachsen einen Bevölkerungsrückgang von weit über 800 000 Menschen – und sich sehr differenziert vollzogen hat. Während die beiden Großstädte Dresden und Chemnitz durchaus relevante Werte über dem deutschen Durchschnitt haben, gehören etwa der Vogtlandkreis und, Herr Bandmann, der Kreis Görlitz zu denen, wo wir die problematischsten Zahlen zu verzeichnen haben, was den demografischen Wandel insgesamt betrifft.
Das Zweite. Wenn wir uns die Prognosen bis 2025 anschauen, nimmt man an, dass 54 % der Bevölkerung dann über 50 Jahre alt sein werden. Nun kann sich keine Regierung dieser Entwicklung generell verschließen und etwa der Auffassung sein, dass sich durch politische Entscheidungen Wesentliches daran ändern ließe. Um noch einmal die beiden Kreise zu nennen, da Sie etwas verstört dazwischenriefen: Nach den Prognosen, die nicht von mir sind, läge im Kreis Görlitz und im Vogtlandkreis der Anteil sogar bei weit über 60 %, den wir bis 2020 bzw. 2025 zu erwarten hätten.
Aber Politik kann sehr wohl gegensteuern, und als gelernte DDR-Bürger – heute hat sich sogar Herr Morlok in einer anderen Debatte als gelernter DDR-Bürger geoutet –
ja, ja, ich habe das sehr wohl verfolgt – wissen wir, was wir von Prognosen zu halten haben. Prognosen sind kein Axiom, sie können durchaus durch politische Entschei
dungen zwar nicht grundlegend verändert, aber zumindest beeinflusst werden. Ich möchte nicht im Einzelnen darauf eingehen.
Entscheidend – auch das haben wir in der Großen Anfrage erneut widergespiegelt bekommen – für die Lebenslagen ist selbstverständlich das Einkommen. Ich meine hier insbesondere das Realeinkommen, das auch bei den über 50-Jährigen seit zehn Jahren – – Ich spreche über das Realeinkommen, nicht über die letzten Daten, die heute in der Presse zu verzeichnen waren und bei denen es um das Bruttoeinkommen ging; ich kann im Unterschied zu anderen durchaus zwischen brutto und netto unterscheiden.
Es geht darum, dass wir in den letzten zehn Jahren eine Stagnation oder sogar einen Rückgang haben. Bei Neurentnern ist beispielsweise ein Rückgang im Einkommen zu verzeichnen, der sich insbesondere aus unterbrochenen Erwerbsbiografien und auch aus den seit dem Jahr 2001 von den damaligen Bundesregierungen ins Werk gesetzten Dämpfungsfaktoren ergibt, die massiv wirken.
Das nächste Problem, das dieses verdeutlicht, ist Folgendes: Das Einkommen der 50- bis 65-jährigen Frauen liegt bereits 19 % unter dem vergleichbaren Einkommen der Männer. Das impliziert bereits bei dieser Altersgruppe, dass die voranschreitende Altersarmut vornehmlich weiblich sein wird.
Der Anteil der Älteren bei den Erwerbstätigen ist von 23 % im Jahr 1991 auf mittlerweile 31 % gestiegen. Meine Damen und Herren! Das ist nicht etwa ein Beleg dafür, dass wir die Rente mit 67 realistisch einführen könnten, sondern es ist einfach eine Frage der Abwanderungsbewegung, die ich vorhin genannt hatte. Dabei gibt es bereits – das ist dann der Gegenbeweis – 19 % der 50- bis 55-jährigen Männer, die kein eigenes Erwerbseinkommen haben, sondern von anderen Leistungen leben müssen. Bei den Frauen liegt dieser Prozentsatz bereits bei 21 %.
Wir haben – auch das machen die Antworten auf die Große Anfrage deutlich, wenn auch sehr differenziert – eine Überalterung bei einer Reihe von Berufsgruppen, die uns zu denken gibt und die nicht neu ist. Die neuen Angaben, die die Staatsregierung geliefert hat, belegen das nachdrücklich. Sowohl bei den Ärzten als auch beim Pflegepersonal, als auch bei Polizeibeamten und – um noch ein Beispiel konkret zu nennen – bei Lehrern an den allgemeinbildenden Schulen ist die Hälfte bereits heute über 50 Jahre alt. Bei den Lehrern an den Mittelschulen sind es bereits 58 %. Ich denke, hier ist Handlungsbedarf dringend geboten.
Das Qualifikationsniveau dieser Altersgruppe ist sehr hoch – erstaunlich hoch könnte man im Vergleich zu der nachfolgenden sagen –, aber es wird zu wenig genutzt. Wir brauchen mehr Beschäftigung älterer Menschen. Das ist oft auch eine ideologische Barriere, die bei den Unternehmen nach wie vor besteht und wegzuräumen ist. Hier genügen eben nicht nur Appelle, sondern wir brauchen – das ist das Erste – seitens der Staatsregierung – das ist in
erster Linie eine Aufgabe im Wirtschaftsministerium – einen genauen Überblick darüber, wie sich die Motivation bzw. die Möglichkeit zur Beschäftigung älterer Menschen in Sachsen entwickelt. Wir brauchen eigene Programme – das haben wir immer wieder gesagt – der Einbeziehung bzw. der Eingliederung und der Qualifizierung Älterer. Wir wollen nicht wissen, wie viele Millionen Euro von der EU und vom Bund gekommen sind, sondern wir erwarten eigene sächsische Programme und auch mehr Mittel. Das ist ganz logisch.
Die Förderung in ganzer Breite wünschen wir uns beim bürgerschaftlichen Engagement. Wenn wir immer wieder hören, dass wir in Sachsen besonders gut auf diesem Gebiet sind, dann weisen die Antworten dies so nicht aus.
Zu einer Reihe von Fragen, die wir gestellt haben, gibt es keine Antworten. Wir sind dann schon der Auffassung, dass dies daran liegt, dass die Staatsregierung über diese Dinge nicht ausreichend informiert ist.
Erste Pressemeldungen belegen – wir haben den Entwurf für den nächsten Doppelhaushalt noch nicht vorliegen –, dass es vornehmlich im Sozialbereich offenbar nicht zu der notwendigen Aufstockung kommen könnte – vorausgesetzt, die Pressemeldungen stimmen.
Die Bedingungen für das bürgerschaftliche Engagement sind besonders aufgrund des gegenwärtigen Doppelhaushalts schlechter geworden, weil es zu massiven Kürzungen gekommen ist.
Abschließend will ich noch auf einen Punkt aufmerksam machen: Es gibt natürlich auch Lücken. Auf einige hatte ich aufmerksam gemacht, denn ich kann nicht alle nennen. Ich möchte mich auf zwei Dinge beziehen, zu denen die Staatsregierung angeblich keine genauen Erkenntnisse hat. Die Staatsregierung hat keinerlei Erkenntnisse über das Problem der Altersdiskriminierung. Wir wissen aus der tagtäglichen Tätigkeit in unseren Wahlkreisen oder wo auch immer wir agieren, dass es durchaus Altersdiskriminierung auf den verschiedensten Gebieten gibt. Ich erwarte, dass hier hingeschaut wird, man auch Untersuchungen anstellt und dass ihr dort, wo sie auftritt – und sie tritt auf –, entgegengewirkt wird.
Ein weiterer Punkt hat mich erstaunt. Es gibt angeblich keine Angaben darüber, welchen Einfluss das Einkommen, die Berufstätigkeit oder die Ernährung auf die Lebenserwartung der Menschen hat. Wir wissen aber aus Studien – wir haben auch bereits Fachtagungen dazu durchgeführt –, dass Menschen mit besonders niedrigem Einkommen oder prekären Beschäftigungen im Durchschnitt eine kürzere Lebensdauer haben.
Ich erwarte auch hierzu, dass nicht nur darauf verwiesen wird, dass man dazu keine Daten hat, sondern es ist durchaus angebracht, sich diesbezüglich tiefer in die Dinge hineinzubegeben, und auch Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die bereits existieren, weil man erst dann handeln kann.
Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, handelt es sich bei dieser Großen Anfrage nicht darum,
dass wir die Staatsregierung nun polemisch vorführen wollten, sondern uns ging es in erster Linie um die Frage, welches Wissen wir auf diesem Gebiet haben und wie wir mit diesem Wissen insgesamt vorankommen können. Diesbezüglich ist einiges durchaus positiv zu benennen. Wo Lücken bestehen, darauf habe ich verwiesen. Aber alles in allem – ganz gleich, wer hier regiert: Der demografische Wandel ist für uns alle eine gewaltige Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zur Großen Anfrage „Leben in der zweiten Lebenshälfte – über 50-Jährige in Sachsen“ oder wie es eine große überregionale Zeitung Anfang der Woche titelte „Der große Ü-50-Report für Sachsen“ Stellung nehmen.
In Vorbereitung auf den heutigen Redebeitrag kam bei vielen meiner Kolleginnen und Kollegen und auch bei mir selbst die Frage auf, worin denn das große Interesse an dieser Altersgruppe besteht. Grundsätzlich finde ich es in Ordnung, dass man sich über die Lebenssituation bestimmter Bevölkerungsgruppen informiert. Ich habe allerdings allein unter Kosten-Nutzen-Aspekt meine Zweifel, ob man dabei immer den Weg einer Großen Anfrage nehmen muss.
Viele der in der Anfrage angesprochenen Aspekte sind bekannt bzw. wären nach einer Recherche beim Sächsischen Landesamt für Statistik auffindbar gewesen.