Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht. Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE Herr Abg. Dr. Pellmann; Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, das Schicksal hat es gefügt – oder diejenigen, die die Tagesordnung zusammengestellt haben:
Wir können unmittelbar an die Debatte von heute Morgen anknüpfen. Allerdings geben wir Ihnen – so sind wir! – nunmehr die Möglichkeit, nicht nur zu diskutieren. Sie könnten auch, wenn Sie das wollen,
Lassen Sie mich zunächst zum Thema aus meiner Sicht einige grundsätzliche Überlegungen anführen. Altersarmut – ich denke, das haben wir heute Vormittag herausgearbeitet, wenn auch mit unterschiedlichen Positionen – ist eigentlich nicht unabwendbar. Sie ist kein – von wem auch immer – unabwendbares Schicksal, sondern es gibt dafür Ursachen. Sie liegen in aller Regel im politischen Raum, und das bedeutet, dass beispielsweise in der Vergangenheit begangene Fehler eingeräumt und dann auch korrigiert werden müssen. Altersarmut bedarf sozusagen einer klaren Analyse sowie einer Entscheidung.
Zugleich ist Altersarmut nur dann abzuwenden, wenn man auf der Grundlage der Analyse ein Gesamtkonzept bietet. Sachsen könnte – das will ich ebenfalls deutlich sagen, denn es gehört für mich zu den grundsätzlichen Überlegungen – aus verschiedenen Gründen Vorreiter sein und über die Bundesebene mit einer Gesamtinitiative oder, wie wir es nennen, einem Sofortprogramm initiativ werden.
Die allgemeine Altersarmutsquote liegt in Sachsen – ich möchte das heute Vormittag Gesagte korrigieren – mit den jüngst veröffentlichten Zahlen bei 19,6 %. Sie ist damit erheblich höher als im Bundesdurchschnitt – dort liegt sie bei 15,1 % – und auch geringfügig höher als die Armutsquote in den neuen Bundesländern. Dort beträgt sie 15,5 %. Dass die offizielle Altersarmutsquote – auch das ist nicht neu – gegenwärtig noch nicht so hoch ist wie die allgemeine Altersarmutsquote, hat vornehmlich etwas mit
Aber das wird sich – das ist dann unser Problem – grundlegend ändern. Für Sachsen besteht deshalb die Notwendigkeit, initiativ zu werden, weil bei uns der demografische Wandel zuerst durchschlägt. Wir sind bekanntermaßen das Bundesland – auch das ist nicht neu – mit dem ältesten Bevölkerungsdurchschnittsalter von inzwischen über 46 Jahren. Wir sind leider auch – auch das hatte ich heute Vormittag ausgeführt – das Musterland des Niedriglohnes, was sich später wiederum auf die Rentenanwartschaften auswirken wird.
Wir müssen, wenn wir dem Ganzen auf den Grund gehen und wirklich eine Lösung haben wollen, mit einem Gesamtkonzept herangehen. Im Augenblick – das zieht sich durch verschiedene Parteien – gibt es nach wie vor Vorschläge, die als einzelne Aspekte durchaus sinnvoll sein können, aber das genügt nicht. Wir können doch – wenn wir es nun endgültig gemeinsam erkannt haben, dass Altersarmut zur Massenerscheinung in der Perspektive werden kann – sicherlich darin übereinstimmen, dass das einer Gesamtlösung bedarf und wir nicht kleckern dürfen, wie gut das auch immer im Einzelnen gemeint sein könnte. Deswegen der Vorschlag zu unserem Sofortprogramm.
Sie werden vielleicht die einzelnen Punkte, die ich noch einmal kurz erläutern werde, im Einzelnen durchgehen und sagen: Ja, das habt ihr doch schon mehrfach beantragt. Natürlich ist das so. Ich könnte jetzt als alter Pädagoge sagen: Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Aber ich denke, das sollte nicht ausschlaggebend sein.
Wir als Fraktion haben einen Erkenntnisprozess durchlaufen und sind der Meinung, dass Einzelforderungen, wenn sie losgelöst voneinander gestellt werden, uns einer Lösung nicht nahebringen werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept.
Auf eines möchte ich aufmerksam machen: Wir müssen die in der Vergangenheit getroffenen gesetzlichen Regelungen, insbesondere in der Rentenfrage, überprüfen, gegebenenfalls korrigieren und vielleicht in einigen Punkten auch rückgängig machen. Dazu sind wir unterschiedlicher Meinung.
Wer nach wie vor glaubt, das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 % absenken zu können, muss mir auch sagen, wie er Altersarmut vermeiden will. Wir bleiben nach wie vor bei der ersten Forderung und sagen: Es müssen wenigstens über 50 % des bisherigen Nettolohnes sein. Sonst wird man Altersarmut nicht bekämpfen können.
Es ist bereits heute absehbar, dass die Fehler der Vergangenheit schon zur Absenkung des Rentenniveaus bei den Neurentnern geführt haben. Wenn man diese Daten mit denen des Jahres 2000 vergleicht, stellt man fest, dass in Sachsen der Rentenbetrag bei den Männern bereits um über 100 Euro gesunken ist. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Es ist nicht so, dass das alles erst auf uns zukommt, sondern wir befinden uns bereits in diesem verheerenden Prozess. Deswegen sage ich: Wir müssen zu einer vernünftigen Rentenformel zurückkehren. Das heißt insbesondere, dass die zahlreichen Dämpfungsfaktoren abzuschaffen sind.
Das heißt aber auch, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter, das schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden soll, mindestens auf das 65. Lebensjahr festzuschreiben ist. Wenn wir das nicht ändern, ist das letztlich – das haben wir mehrfach erörtert und ich muss es nicht erneut begründen – ein wesentlicher Baustein zur Rentenabsenkung.
Auch dazu hat sich – das hat mich sehr gefreut – die sächsische SPD im Unterschied zu ihrem Bundesvorstand auf dem letzten Parteitag deutlich bekannt, nämlich die Herstellung der deutschen Renteneinheit. Es kann doch nicht sein, dass wir 22 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch einen Abstand bei den aktuellen Rentenwerten von über 11 % haben. Das Kuriose war: Bei der letzten Rentenanhebung führte das dazu, dass der Abstand beim Wert der Rentenpunkte sogar wieder angestiegen ist. Das kann nicht sein.
In diesem Zusammenhang sage ich auch: versprochen und gebrochen! Es steht doch klar im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Bundeskoalition, bestehend aus CDU, CSU und FDP, dass Sie das Problem in dieser Legislaturperiode lösen wollten. Jetzt höre ich allerorten: Nein, es wird nicht gelöst, es sei viel zu kompliziert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben demnächst Bundestagswahl, und dann werden Sie eine Abrechnung vorlegen müssen, wie Sie damit umgegangen sind.
Der zweite Punkt in unserem Konzept lautet: Wir wollen, dass keine artfremden Leistungen aus der unmittelbaren Rentenkasse bezahlt werden.
Mit artfremden Leistungen meine ich jetzt nur die Klarstellung, dass wir nach wie vor für eine Stärkung des Umlageprinzips sind. Es sind ja keine schlechten Dinge, die damit finanziert werden. Das ist keineswegs der Fall.
Ich will einmal die Dinge nennen, die eindeutig aus Steuermitteln finanziert werden sollten. Das sind zum Beispiel solche Dinge wie die Hochwertungsfaktoren, die wir damit bedienen, insbesondere was die Ostrenten betrifft. Das war heute früh ein falscher Zungenschlag.
Oft wurde diese Hochwertung aus Steuermitteln bezahlt und nicht aus der gesetzlichen Rentenkasse. Das wäre überhaupt nicht möglich gewesen.
Die Kindererziehungszeiten sind eine politische Entscheidung. Ich bin dankbar dafür. Aber wir können sie nicht einfach aus Rentenbeiträgen finanzieren. Deswegen, Frau Clauß – ich weiß, dass die Frauenunion auf meiner Seite ist, vielleicht könnten Sie diesbezüglich ordentlich Druck machen –, sind wir selbstverständlich dafür, dass endlich die Ungerechtigkeit bei den Erziehungszeiten für Mütter beseitigt wird. Wir müssen die Schwelle 1992 überwinden. Alle Mütter sollen drei Jahre pro Kind angerechnet bekommen. Die Kinder, die nach 1992 geboren wurden, sind doch nicht mehr wert als meine Kinder, die vorher geboren wurden.
Selbst wenn das abgesenkt worden ist, müssen auch die Ausbildungsjahre, die Pflegezeiten und Ähnliches aus Steuermitteln angerechnet werden. Ich könnte das fortsetzen.
Der dritte Punkt ist: Wir müssen dazu kommen – weil Sie immer nach den Einnahmen fragen, um das, was wir fordern, zu finanzieren –, dass alle Einkommens- und Erwerbsformen in eine gesetzliche Rentenpflichtversicherung einbezogen werden. Sie können das von mir aus auch anders nennen. Von mir aus können Sie das auch Erwerbstätigenversicherung nennen. Allerdings als
deutsche Volksversicherung, wie sie die Herrschaften rechts von mir wollen, sollten wir sie nicht bezeichnen.
Es sollten auch diejenigen davon profitieren, die keine deutschen Staatsbürger sind, aber in Deutschland Rentenansprüche erworben haben – um das eindeutig klarzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich bedarf es – ich bin doch kein Phantast – für diese Rentensystemumstellung gewisser Übergangsfristen. Ich werde doch einen Teufel tun und in erworbene eigentumsgleiche Pensionsansprüche, etwa von Beamten, eingreifen. Diese Umstellung im Rentensystem bedarf eines langen Übergangszeitraums. Aber davor, meine Damen und Herren, dürfen wir doch nicht zurückschrecken.
Beginnen wir mit einer Umstellung des Rentensystems auf die Einbeziehung aller und bedenken wir dabei, dass die Übergangsfristen selbstverständlich eingehalten
Viertens möchte ich Sie an unsere heutige Vormittagsdebatte erinnern. Ich werde jetzt nicht noch einmal aus Zeitgründen die Faktoren wiederholen, die ich heute früh genannt habe und die aus meiner Sicht wirklich nötig sind, damit es gar nicht erst durch eine sinnvolle Vergütung von Erwerbsarbeit zu Altersarmut kommt. Das können Sie dann im Protokoll nachlesen. Ich hatte heute Vormittag in sieben Punkten angesprochen, was wir als Fraktion unter fairer Arbeit verstehen.
Deswegen komme ich zum fünften Punkt. Der ist natürlich in der Aktuellen Debatte gegenwärtig besonders ausgeprägt. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, darin sind wir uns mit dem jüngsten Rentenkonzept des DGB völlig einig. Wir sind prinzipiell gegen eine Senkung des Rentenbeitrages auf 19,0 %, wie das ab 01.01. nächsten Jahres stattfinden soll, denn das ist nichts anderes als ein Verschieben der Probleme auf die nächsten Jahre und nichts anderes als ein vergiftetes Geschenk der Koalition zur Bundestagswahl. Deswegen lehnen wir das ab. Wir meinen gemeinsam mit dem DGB, dass wir von den gegenwärtigen Überschüssen in der Rentenkasse – die verschweige ich doch auch nicht, ich bin doch froh, dass es sie gibt – eine Demografiereserve bilden müssen, um für kompliziertere Jahre, die auf uns zukommen, auch Zugriff zu haben, um nach wie vor Wohlstand sichernde Renten zahlen zu können.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, lehnen wir auch das Konzept von Frau von der Leyen für eine Zuschussrente ab. Diese ist durchaus für einige wenige eine Verbesserung. Aber für einen großen Teil derer, die auf eine vernünftige Rente angewiesen sind, ist es eine Mogelpackung, sie werden ausgegrenzt. Das kann keine Lösung sein. Ich weiß ja, dass Martin Dulig sich dort – er ist ein vorsichtiger Mensch – etwas kritisch gegen Herrn Gabriel geäußert hat, wenn er mit den Betriebsrenten, die Herr Gabriel besonders favorisieren will, nicht so richtig klarkommt. Darin gebe ich ihm recht.
Also auch Betriebsrenten als Ersatz für gesetzliche Rentenversicherungsleistungen oder als Kompensation sind zumindest für Ostdeutschland kein gangbarer Weg.
Wir haben hier überhaupt keine Möglichkeit, dass Unternehmen aus ihrem Bestand Betriebsrenten finanzieren könnten. Da sollte die SPD noch einmal in sich gehen, um hier Klarheit zu schaffen.