Wir fahren fort in unserer Rednerreihe. Das Wort ergreift für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Prof. Besier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Bürgerkompass Sachsen“ – was ist das überhaupt? Als es mich getroffen hat, hier reden zu müssen, habe ich einmal rumgefragt.
Ich habe also gefragt: Wisst ihr, was „Bürgerkompass Sachsen“ ist? Ich habe das auch in diesem Haus getan. Ich übertreibe nicht: Einen Einzigen habe ich getroffen, der eine vage Vorstellung hatte.
Die meisten hatten also keine Ahnung. Was macht man dann? Man schaut ins Internet. Im Internet steht, dass man sich an einen bestimmten Mitarbeiter in der Staatskanzlei oder an einen in der Bertelsmann-Stiftung wenden könne,
Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe bei beiden Stellen angerufen. In der Bertelsmann-Stiftung meldete sich keiner. Ich habe es an mehreren Tagen morgens, mittags, abends versucht. Keiner hat sich gemeldet.
In der Staatskanzlei meldete sich ein völlig verängstigter, anscheinend junger Mann, der, als ihm klar wurde, mit wem er da sprach – zunächst habe ich meinen Namen so ein bisschen eher unverständlich gemurmelt –,
ganz einsilbig wurde. Erfahren habe ich in der ersten Gesprächsphase immerhin, dass das Projekt ungefähr 140 000 Euro kosten soll. So genau wisse er es auch nicht, weil noch ein paar Rechnungen ausstünden. Auf meine Frage, wer denn die Idee zu dem Projekt gehabt habe, antwortete er, das wisse er auch nicht. Die Dinge hätten sich eben so im Gespräch entwickelt. Neben der Staatskanzlei und der Bertelsmann-Stiftung, die die Hälfte der Kosten übernimmt, ist eine Dortmunder Beraterfirma mit dem Namen “IKU – die Dialoggestalter“ der Dritte im Bund.
IKU steht für „Institut für Kommunikation und Umweltplanung“. Sie hat laut firmeneigener Website den „Bürgerkompass Sachsen entworfen und ist verantwortlich für die Durchführung und Moderation“. Das Letzte war ein Zitat. Im November wurden rund 200 sächsische Bürger – wohl eher 170 – nach ihrer Einschätzung der Arbeit der Staatsregierung befragt und danach, wie man ihrer Meinung nach den Freistaat Sachsen attraktiver machen könne und welche weiteren Anregungen sie geben könnten.
Es ist in der Tat ein Problem. Seit geraumer Zeit stellen Politikwissenschaftler fest, dass die Parteien nicht mehr in der Lage sind, als Mediator zwischen Wahlbürgern und Regierung zu wirken. Das ist an sich die Aufgabe der Parteien – die genuine Aufgabe. Darum entwickelte sich ein bürgerschaftliches Engagement, seit Mitte der Siebzigerjahre, zunächst außerhalb der Parteien. Dem Engagement haben die GRÜNEN ihre Existenz zu verdanken.
Was soll man davon halten, wenn die Staatsregierung nun mithilfe einer Beraterfirma den Bürgerdialog voranbrin
gen will? Es ist eine Firma, die als ihre Spezialgebiete – bitte, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – im Internet unter anderem „Konfliktmanagement“, „Konfliktlösung“ und „Risikokommunikation“ angibt.
Ist es denn schon so weit gekommen? Anstatt das doch überschaubare Ländchen Sachsen zu bereisen und sich direkt den Fragen der Bürger zu stellen, lässt der Ministerpräsident das Gespräch mit knapp 200 zufällig Ausgewählten simulieren – nicht direkt wohlgemerkt, sondern über eine Beraterfirma. Nach Abschluss der Konsultationsprozedur nahm der Ministerpräsident lediglich die Empfehlungen – ein Zitat – „persönlich entgegen“. Dass ist das, was Herr Kollege Dulig immer meint: Seine Majestät lässt bringen.
(Beifall und Lachen bei den LINKEN und der SPD – Andreas Storr, NPD: Das ist eine großzügige Geste unseres Ministerpräsidenten!)
Donnerwetter, man verbeugt sich. Das Ganze ist natürlich eine PR-Inszenierung zugunsten der Staatsregierung – eine Inszenierung zur Imagination von Bürgernähe. Der zweite Gewinner ist die gut verdienende Beraterfirma.
Der Verlierer aber ist die offene Gesellschaft, weil der lebendige Austausch zu einer PR-Inszenierung verkommt. Sachsen wird zur Beraterrepublik und zur Werbefläche mit den uns allen bekannten leeren Floskeln wie der „neuen Beteiligungskultur“.
Herr Kollege Besier, die Redezeit ist schon deutlich überschritten. Das tut mir leid. Sie müssen noch ein zweites Mal nach vorne kommen.
Für die Fraktion DIE LINKE sprach Herr Prof. Besier. Jetzt sehe ich an Mikrofon 7 eine Kurzintervention von Herrn Gansel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf meinen Vorredner Bezug nehmen. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich diese fünfminütige Rede mit großer Begeisterung aufgenommen habe.
Ich möchte eine Formulierung von Herrn Besier aufgreifen, in der er der Staatsregierung „Imagination von Bürgernähe“ vorgeworfen hat. Das ist der Grundbefund, den auch die NPD teilt, seitdem sie im Jahr 2004 in den Landtag eingezogen ist.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass die NPD-Fraktion seit dem Jahr 2004 zahlreiche Anträge in dieses Haus eingebracht hat, um direktdemokratische Elemente zu stärken. Ich erinnere an unseren Antrag auf Bundesratsinitiative zur Direktwahl des Bundespräsidenten. Dieses basisdemokratische Anliegen ist von der CDU abgelehnt worden. Ich erinnere an unseren Antrag auf Bundesratsinitiative zur Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene in allen Lebensfragen der deutschen Nation. Dieser Antrag auf Stärkung plebiszitärer Elemente ist von der machtverwöhnten CDU ebenso abgelehnt worden.
Damit bin ich bei der Grundkritik der NPD am real existierenden Parteiensystem – vor allem aber an der selbstherrlichen CDU in diesem Land. Diese Partei lehnt alle direktdemokratischen Initiativen ab. In Redebeiträgen wird wortreich erklärt, warum sie selbst Volksentscheide in den Lebensfragen der deutschen Nation ablehnt. Nur weil es in diesem Land Volksentscheide nicht gibt, findet eine Masseneinwanderung statt, die die Mehrheit der Deutschen nicht möchte.
Deswegen ist auch damals die D-Mark zugunsten des Euro aufgegeben worden. Die Deutschen sollten nicht darüber befinden, wie weit sie die sogenannte europäische Integration haben wollten.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Die Deutschen sind noch nie befragt worden, ob sie ihre demokratischen Souveränitätsrechte nach Brüssel abgeben wollen oder nicht. Insofern ist der Befund klar: Wir haben es hier mit einem eklatanten Demokratiedefizit zu tun. Diese Debatte in diesem Haus in Richtung der CDU zeigt dies auf das Neue.