Wir beginnen mit der Aussprache über die Große Anfrage. Zunächst spricht als Einbringerin die Fraktion DIE LINKE. Dann folgen CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht. Meine Damen und Herren, für die einbringende Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Stange. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs, sodass dies gleich abgearbeitet ist, einer
seits jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums danken, die gewillt waren, unsere Anfragen gewissenhaft und umfänglich zu beantworten.
Andererseits widerspiegeln die Antworten auf die Fragen 7 und 8 im Teil 1 der Großen Anfrage entweder, Herr Staatsminister, den Unwillen der Staatsregierung, dem Landtag bzw. einer Oppositionsfraktion der Volksvertretung gewünschte Informationen, die sich zwingend auf den Erkenntnisstand der Staatsregierung beziehen und stützen, zur Verfügung zu stellen und mithin einen reaktionären Umgang mit dem Parlament und seinen Aufgaben
Diese Nichtantworten sind ein Armutszeugnis für die Staatsregierung und lassen wiederum nichts Gutes, insbesondere für das Zusammenwirken von Landesplanung, Raumordnung, Fachplanung und Fachpolitik im Sinne eines ganzheitlichen strategischen Politikansatzes, erwarten. Die genannten Nichtantworten stehen leider auch in einer gewissen Kontinuität zum Landesentwicklungsbericht, der neben Allgemeinplätzen zur Entwicklung der vergangenen Jahre und vagen Absichtserklärungen nur wenig Greifbares und Verwertbares in der Analyse beinhaltet. Deshalb kam von uns auch die Große Anfrage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir uns schlaglichthaft einigen Erkenntnissen aus der Großen Anfrage nähern, sollte darüber eine Grundüberlegung stehen, wozu denn diese Übung der Großen Anfrage noch dienen sollte, wozu wir Landesplanung, Raumordnung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit betreiben.
Es sollte in diesem Hohen Hause Konsens sein, dass im Vordergrund unserer Arbeit sowie der politischen Fachansätze stehen muss, dass es um die Menschen in unserem Land, um die Menschen in den Nachbarländern und speziell mit Blick auf diesen Tagesordnungspunkt um die Menschen in den Regionen beiderseits der staatlichen und Ländergrenzen, um ihre Annäherung zueinander, um ihr Leben miteinander gehen muss.
Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, hat es einmal so ausgedrückt: „Die Grenzregionen sind die Nahtstellen Europas, und jeder weiß, dass ein Gesamtwerk nur so stark ist wie seine Nahtstellen. Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung ist meine tiefe Überzeugung entstanden, dass Grenzregionen als Labor und Motor für die kontinentale Entwicklung Europas eine ganz entscheidende Rolle spielen. Uns geht es darum, Europa stark zu machen, indem wir die Menschen miteinander in Kontakt bringen. Die Kenntnis über- und voneinander ist leider noch zu gering.“
Dazu ein kleines Erlebnis aus einem Dresdner Kindergarten, das einen Bekannten kürzlich tief nachdenklich gemacht hat. In jenem Kindergarten, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollte die Betreuerin anlässlich eines internationalen Tages mit den Kindern ein Spiel machen, bei dem sie sich vorstellen sollten, eine Weltreise zu machen. Begonnen wurde bei unseren Nachbarn. Die Reise der Kindergärtnerin begann in Frankreich, ging in die Schweiz und nach Belgien, Polen und Tschechien kamen darin nicht vor.
Das lässt tief blicken, wie viel wir als Nachbarn übereinander wissen oder, besser gesagt, dass wir gar nicht im Bewusstsein haben, dass wir Nachbarn sind. Leider!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Pressespiegel vom 18. April wird aus der „Morgenpost“ getitelt: „Sachsens Polizeihunde lernen auf Tschechisch schnüffeln“. Ich will damit klarmachen, wie weit wir eigentlich im menschli
chen Miteinander voneinander entfernt sind, nicht beieinander sind. Das ist eine noch zu lösende Aufgabe.
Auch im Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Auswirkungen der Grenzöffnung auf Städte und Gemeinden der Euroregion Elbe-Labe“ der Technischen Universität Dresden und der Universität Ústi vom August 2010 wird festgestellt, dass der überwiegende Bevölkerungsanteil beiderseits der Grenzen bislang keinerlei persönliche Kontakte, weder privat noch beruflich, zueinander hatte. Diese aber werden das zentrale Erfordernis sein, wenn es um die tatsächliche Entwicklung von überschreitenden Grenzregionen geht. Erinnern Sie sich an das Zitat von vorhin, an die Grenzregionen als Labor und Motor für die kontinentale Entwicklung Europas! Wer sich nicht kennt und nicht in Austausch steht, der kann weder Labor noch Motor erwarten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl aus den Antworten der Großen Anfrage als auch aus allen einschlägigen Planwerken der Landesplanung bzw. -entwürfen ergibt sich zur Realität ein erheblicher Widerspruch. Im Leitbild zum Landesentwicklungsplanentwurf 2011 heißt es – ich zitiere –: „In der Mitte Europas nutzt der Freistaat seine Chancen insbesondere mit seinen Oberzentren als wichtigen Standorten von Wirtschaft und Wissenschaft und wird seine Brückenfunktion nach Osteuropa durch gute Nachbarschaft, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen weiter stärken.“
Genau diese Brücken- und Drehscheibenfunktion und die darauf aufsetzende Landesplanung und Raumordnung müssen dann fehlgehen, wenn sie in Polen und Tschechien ebenso nicht wahrgenommen werden und zum Beispiel die dort vorgenommenen Planungen für schnelle Bahnverbindungen an Sachsen nach Norden und Süden vorbeiführen, statt es zu durchqueren oder gar zum Ziel zu haben. Diese Differenz in der gegenseitigen Wahrnehmung ist dringend zu bewerten, weil genau sie Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen zu verhindern hilft.
Gerade die Bahnanbindung von Dresden nach Breslau/Wrocław spricht doch Bände. Nur drei Zugverbindungen pro Tag erreichen die schlesische Metropole in einer vielleicht noch einigermaßen annehmbaren Zeit von 3 Stunden und 30 Minuten. Mit dem Auto erledigen Sie das in 2 Stunden und 30 Minuten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da gibt es in gewisser Weise ein Dilemma. Einerseits wird in Beantwortung auf Frage 4 im Teil 2 der Großen Anfrage eine enge Zusammenarbeit in der Raumordnung mit Bayern und Brandenburg aufgeführt. Zur Vernetzung von Mobilitätskonzeptionen mit Bayern wird darauf verwiesen, dass derzeit unter Mitfinanzierung der Planungsregion Chemnitz eine Untersuchung zum Schienenverkehrskonzept für den Verflechtungsraum der Metropolregionen Mitteldeutschland und Nürnberg beauftragt ist. Das war im November
letzten Jahres. Ich gehe davon aus, dass sie mittlerweile beauftragt ist und durchgeführt wird. Andererseits hat das SMWA, also die Fachpolitik, gemeinsam mit der Deutschen Bahn eine Festlegung auf eine Vorzugsvariante für einen Schienenfernverkehrsausbau von Leipzig nach Chemnitz getroffen, die Fakten schafft, bevor die Konzeption der Raumordnung steht. Diese Fachplanung endet dann auch unsinnigerweise in Chemnitz.
Da wird eine Diskrepanz sichtbar, durch die die sogenannte Königsdisziplin der Raumordnung regelrecht zum Hobby für Schreibtischtäter disqualifiziert wird. Dies zu verhindern wäre Aufgabe abgestimmter Landesplanung und Raumordnung sowie abgestimmter grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
So, wie sie jetzt beschaffen ist, ist die Raumordnung, gemessen an ihrem Anspruch, leider oftmals nicht ernst zu nehmen. Oder aber sie stellt sich durch schwach formulierte Ziele und Grundsätze selbst die Beine.
Wir wissen mittlerweile nicht mehr so genau, wie unsere Metropolregion Mitteldeutschland aussieht und welche Städte künftig überhaupt noch dabei sein werden. Die Konstruktion der Metropolregion Mitteldeutschland muss nach unserer Auffassung dringend auf den Prüfstand. Nach der Evaluation muss eine durch das Land mit höherer Qualität unterstützte Konzeption für diese Metropolregion erstellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich der Zusammenarbeit in der Raumordnung und Landesplanung gibt es in der Sächsischen Staatsregierung offenbar eine gewisse Abneigung oder aber ein ungenügendes Problembewusstsein. Gestern ließ Minister Kupfer hinsichtlich der Verockerung der Spree vernehmen, dass keine Notwendigkeit für einen Staatsvertrag mit Brandenburg bestünde. Wir sind der Überzeugung, dass es dieses Staatsvertrages tatsächlich bedarf. Übergreifende Raumordnung endet eben nicht an den Grenzen des sächsischen Globus.
Schauen Sie einmal auf die Festlegungskarte 1, Raumstruktur zum Entwurf des LEP 2012, zum Beispiel im Anhang dieser Großen Anfrage. Da gibt es keine Entwicklungsachsen hin zu anderen Ober- oder Mittelzentren außerhalb Sachsens. Diese sachsenzentrierte Sicht kann nicht wirklich Ihr Ernst sein, Herr Staatsminister.
Die Verflechtungen mit Regionen Brandenburgs und Bayerns sind dann doch viel intensiver, als es die Karte vermuten lässt. Allein durch die gemeinsame Problemstellung in der Lausitz, auch aus der sächsischen Verfassungsordnung heraus, in der es in Bezug auf die Sorben und ihr Siedlungsgebiet eine Staatszielformulierung gibt, muss sich dies auch in der Raumordnung grenzüberschreitend darstellen und sinnvollerweise in einem Staatsvertrag niederschlagen. Übrigens sind genau die Gebiete der Spreeverockerung zugleich auch sorbisches Siedlungsgebiet.
Wir brauchen also einen bilateralen Staatsvertrag mit Brandenburg. Es sollte auch geprüft werden, ob ein Staatsvertrag mit Bayern sinnvoll wäre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden als Fraktion DIE LINKE an diesem Thema dranbleiben. Mit dem noch einzubringenden Entschließungsantrag wollen wir Sie einladen, die Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Raumordnung und Landesplanung weiter gemeinsam zu vertiefen und der Staatsregierung dazu auch den Willen des Landtages aufzutragen.
Herr Stange. – Nun spricht für die CDU-Fraktion der Abg. Fritzsche. Sie haben das Wort, Herr Fritzsche.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte drei Vorbemerkungen machen, bevor ich in meinen Redebeitrag einsteige.
Ich habe vor langen Jahren Geografie studiert und danach in Weimar Städtebau und Raumplanung. Ich hatte mich heute ein bisschen auf eine Raumordnungsdebatte gefreut. Die Eröffnung dazu haben wir hier nicht erlebt. Es wurden vielmehr Sottisen aus dem Bereich der Landeskunde, der Erdkunde, was weiß ich, woher noch, zum Besten gegeben. Das ist Punkt 1.
Punkt 2 betrifft den Landesentwicklungsbericht. Wenn ich unsere Anhörung zum Landesentwicklungsplan noch richtig im Kopf habe, dann wurde dort ausdrücklich auch die Qualität des Landesentwicklungsberichtes gerade in seiner Analysefunktion für den Landesentwicklungsplan gelobt. Dass man das hier so beiseiteschiebt und jetzt irgendetwas anderes erzählt, finde ich, gelinde gesagt, ein bisschen merkwürdig.
Punkt 3 bezieht sich auf die Würdigung der Leistungen des sächsischen Innenministeriums bei der Beantwortung dieser Anfrage. Dem Dank an das Ministerium möchte ich mich gern anschließen. Ich möchte aber auch sagen, dass natürlich die Antworten, die Herr Stange gerügt hat – ich glaube, es waren die zu den Fragen 7 und 8 –, meiner Meinung nach natürlich nur konsequent sind, denn ein Großteil der Fragen, die Sie hier zum Thema Raumordnung aufwerfen, kann man mit wenigen Klicks im Internet bei eigener Recherche beantworten. Wir haben den Entwurf zum Landesentwicklungsplan vorliegen. Dort gibt es umfangreiche und auch weiterführende Hinweise. Wir haben im Internet viele Berichte aus den Euroregionen. Es gibt sogar Berichte zur Metropolregion. Viele dieser Dinge hätte man dort schon zusammentragen können. Das wurde nun vom Ministerium geleistet. Dafür ist ihm zu danken.
Nun möchte ich allerdings in meinen Redebeitrag einsteigen und als Erstes meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, denn wir haben uns ja am 21. März 2013 in der Sitzung des Innenausschusses auf eine öffentliche Anhö
Ich könnte nun die Frage formulieren, ob sich mit dieser Befassung der Großen Anfrage im Landtag die Expertenanhörung zu diesem Thema erledigt hat und ob wir dadurch einen freien Anhörungstermin für die im Innenausschuss noch zahlreich zu behandelnden Gesetzesvorlagen gewonnen haben.
Denn – da möchte ich offen sein – die Hinzuziehung externer Sachverständiger, deren Fachexpertise wir wünschen, die uns beraten sollen, nach einer Debatte im Plenum erscheint mir merkwürdig, geradezu befremdlich. Ich glaube, der Eindruck bei den Sachverständigen wird ein ähnlicher sein. Fraglich bleibt für mich außerdem, was der Hintergrund dieser Großen Anfrage war.
Man könnte natürlich vermuten, dass DIE LINKE Argumente sucht, ihr besonders eiliges Verfahren, den Antrag zur Überprüfung der Metropolregion Mitteldeutschland, Drucksachennummer 5/11488, mit auf die Anhörung am 7. Oktober zu setzen, zu untermauern. In diesem Antrag wird in der Begründung auf eine vermeintlich stärkere Orientierung des Freistaates Sachsen auf die Euroregion Elbe/Labe verwiesen und darauf, dass sich die bisherige kommunale Struktur der Metropolregion Mitteldeutschland nicht bewährt habe. Hierbei ist zu vermuten, dass Sie mittels der Großen Anfrage versuchen, eine inhaltlichsachliche Unterfütterung für Ihren eigenen Antrag zur Metropolregion Mitteldeutschland zu generieren.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch einmal kurz festhalten: Auf der Grundlage der Antworten und aufgrund dessen, was man von den Kollegen, die in den Grenzregionen sowie auch länderübergreifend zu Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern unterwegs sind und die dort ihre Wahlkreise haben, hört, gibt es vielfältige, ich möchte sogar sagen: vielfältigste Aktivitäten der bundes- und länderübergreifenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumordnung.
Man kann sagen, dies betrifft sowohl die Zusammenarbeit des Freistaates Sachsen mit Tschechien und Polen als auch die Kooperation mit den angrenzenden Bundesländern.
Ich möchte ebenfalls erwähnen: Grenzübergreifende Zusammenarbeit mit den Nachbarländern basiert häufig nicht auf der Grundlage rechtlicher Regelungen. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Abstimmungen. Allerdings muss man sehen, dass Anhörungs- und Abstimmungsrechte keine Durchgriffsrechte sind und wir relativ wenige Möglichkeiten beim Thema „Verhinderungsrecht“, gerade in Bezug auf unsere benachbarten Länder, haben. Ich möchte nur einige der Themen ansprechen, die im Raum standen, zum Beispiel das Thema Staustufen.
Wir haben es vorhin in der Debatte gehört: Es wurde auf Windkraftanlagen auf tschechischer Seite hingewiesen. Es ist zweifellos ein raumordnungspolitisches Thema, aber wir dürfen auch keinen Popanz an die Wand malen und
sagen: Ja, wenn ihr euch da ein bissel mehr …, und findet euch mal zusammen! Aber ohne Durchgriffsrechte ist das alles relativ schwierig.