Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie Sie bei diesen Besuchen auf die Frage antworten, welche Voraussetzungen man eigentlich braucht, um diesen Bildungsplan umzusetzen. Betreuungsrelationen von 1 : 13 an den Kitas und 1 : 6 an den Krippen – in der Praxis sind es meist 1 : 18 oder 1 : 9 – sind nicht ausreichend.
Es ist der Liga der freien Wohlfahrtsverbände zu danken, die mit diversen Aktionen und der Einladung von Mitgliedern des Sächsischen Landtages in die Einrichtungen immer wieder auf das Dilemma aufmerksam machen. Ob es darum ging, dass Kinder Zeit brauchen, ob es um den Betreuungsschlüssel ging oder um die Aktion „In der Kita brennt noch Licht!“ – es bleibt notwendig, die Realitäten zu beschreiben und unseren Politikern nahezubringen.
Dr. Ursula Carle hat Handlungsempfehlungen geliefert, deren Umsetzung wir nicht zum ersten Mal hier im Plenum einfordern. Nicht nur steter Tropfen höhlt den
Stein und es ist nicht nur die Aufgabe der Opposition, sondern aller Abgeordneten, für noch mehr Qualität in unseren Kitas zu sorgen. Politik muss immer Prioritäten setzen – das wissen wir – und das Geld ist endlich. Aber wir entscheiden, wofür wir das Geld ausgeben.
Vor geraumer Zeit war ich vom Kreisvorstand des Sächsischen Städte- und Gemeindetages meiner Region eingeladen. Die anwesenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister berichteten von ihrer Sorge um die finanzielle Absicherung der Kinderbetreuung. Ich konnte zwar daran erinnern, dass unter Regierungsbeteiligung der SPD im Jahr 2005 die Kita-Pauschale von damals 1 664 Euro auf 1 800 Euro angehoben wurde, dass es auch im Doppelhaushalt 2007/2008 erstmals Geld für die Vor- und Nachbereitung für Erziehungskräfte gab und dass wir dies im Jahr 2009 in die Pauschale eingerechnet haben. Fakt ist aber, dass seither die Kita-Pauschale nicht mehr angehoben wurde – trotz höherer Ausgaben für Personal- und Betriebskosten, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ein weiteres wichtiges Thema war damals bei der Erarbeitung des Bildungsplanes auch die Kooperation zwischen Kindertagesstätten und der Schule. Das war ein sehr wichtiger Punkt für den späteren Bildungserfolg, der erreicht werden sollte durch eine Analyse des Standes jedes einzelnen Kindes und daraus abgeleitet durch die Förderpläne individuell für jedes Kind.
Leider habe ich jetzt erfahren müssen, dass die Grundschullehrerinnen im Landkreis Görlitz zwar entsprechende Analysen erstellen dürfen, aber die Umsetzung der Förderpläne nicht mehr durch die Grundschullehrerinnen in der Kita erfolgen kann. Das soll angeblich aus versicherungstechnischen Gründen nicht mehr möglich sein. Was heißt das? Das, was bisher Aufgabenstellung und Arbeit der Grundschullehrerinnen gewesen ist, wird jetzt den Erzieherinnen überantwortet, und das, obwohl wir heute schon wissen, dass der Personalschlüssel nicht auskömmlich ist.
Ich erinnere daran, dass das vor acht Jahren mit Sicherheit nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen ist. Hier besteht aus meiner Sicht dringender Handlungsbedarf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben im Zeitalter der Wissensgesellschaft. Die Anforderungen an Bildung werden immer höher. Aber Leistungsdruck sollten wir unseren Kindern nach Möglichkeit ersparen. Kinder sind eben Kinder und lernen im wahrsten Sinne des Wortes spielend. Wehren wir uns gegen eine fortwährende Ökonomisierung und Optimierung ganzer Lebensbereiche. Machen wir die Wissensgesellschaft auch zur Gewissensgesellschaft.
Übrigens, der Onkel von Charlotte und seine Freundin freuen sich gerade auch auf ihr erstes Kind. Das Leben, es entwickelt sich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich war sehr gespannt auf die Abschiedsrede des Kollegen Jurk, die er heute zu diesem Thema halten wollte. Vielen Dank dafür. Ich denke auch, sie war sehr persönlich und sehr eindrucksvoll.
Lassen Sie mich zu Beginn sagen: Wenn man sich den Antrag der SPD-Fraktion anschaut und liest „Qualitätsoffensive in Sachsens Kindertagesstätten“, dann ist es ein bunter Strauß, der – so würde ich behaupten – fast alles in sich trägt, was in irgendeiner Art und Weise beim Thema Kita auf der Tagesordnung steht. Deswegen könnte man geneigt sein zu sagen: Fast alles, was in diesem Antrag steht, könnte man unterschreiben.
Aber eine Frage habe ich trotzdem. Herr Jurk, Sie haben eben gesagt, dass Sie als Minister fünf Jahre am Kabinettstisch gesessen haben. Frau Dr. Stange, die heute nicht anwesend ist, hat als Ministerin für Wissenschaft, Hochschule und Kultur ebenfalls am Kabinettstisch gesessen. Sie haben zusammen mit dem Regierungskoalitionspartner CDU – ich weiß es nicht genau, ob es zwei oder drei waren –, mindestens aber zweieinhalb Doppelhaushalte verabschiedet. Wir können uns sicherlich noch alle daran erinnern, dass die Debatte über den Betreuungsschlüssel in diesem Haus – vielleicht zur damaligen Zeit nicht hier im Plenum, sondern hinter verschlossenen Koalitionstüren – sehr intensiv geführt worden ist. Das Resultat war, dass man sich – das sage ich gleich einschränkend, auch auf Druck der kommunalen Spitzenverbände – damals gegen den Vorschlag der CDU-Fraktion, nämlich den Betreuungsschlüssel abzusenken, zugunsten des elternbeitragsfreien Vorschuljahres geeinigt hat.
Nun kann man sich ausrechnen, was den Freistaat Sachsen damals günstiger kam, wo man nicht so viel Geld investieren musste bzw. was pädagogisch vielleicht mehr Sinn gemacht hat. Ich denke, pädagogisch mehr Sinn hätte definitiv die Absenkung des Betreuungsschlüssels gemacht. Sie haben – auch aufgrund des Drucks der kommunalen Spitzenverbände – als SPD damals die Position des elternbeitragsfreien Vorschuljahres vertreten. Das ist Fakt, und das gilt es hier auch festzuhalten.
Die zweite Frage, die ich mir stelle, wenn ich mir diesen Antrag durchlese, ist: Sie haben – ich muss überlegen, war es im Juni oder im Juli –, als wir das Neuverschuldungsverbot in die Verfassung aufgenommen haben, bis auf Frau Dr. Stange als Person, als komplette Fraktion
diesem Neuverschuldungsverbot zugestimmt. Gut, der Antrag ist vom 9. September. Eine Entschuldigung wäre gewesen, wenn Sie ihn irgendwann im April eingereicht hätten. Wenn ich mir jetzt die Forderungen in Ihrem Antrag anschaue, dann weiß ich ungefähr, welche Kosten dafür entstehen würden, wohl wissend, dass fachpolitisch fast alles zu unterschreiben ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich das einmal ausgerechnet haben, Herr Jurk. Bis zum Jahr 2017 hat Ihr Antrag, der heute hier auf dem Tisch liegt, ein finanzielles Volumen von 690 Millionen Euro! Das ist mehr als eine halbe Milliarde Euro.
Mehr als eine halbe Milliarde Euro, Herr Homann. Sie haben für Milliarden kein Verständnis, das weiß ich schon.
Deswegen frage ich mich: Mit welcher Intention liegt dieser Antrag hier im September eines Jahres vor, in dem wir über keinen Haushalt diskutieren? Den diskutieren wir oder wer auch immer im nächsten Jahr nach der Landtagswahl.
Ja, natürlich ist das ein wichtiges Thema! Aber, Entschuldigung, es ist ein Schaufensterantrag. Es wurde einfach mal wieder alles genommen und in den Antrag gepackt, um gutmenschlich zu sagen: All das ist notwendig im Kita-Bereich!
Natürlich ist das alles notwendig. Aber Sie wissen sehr genau, dass all das, so wie Sie es heute in den Antrag geschrieben haben, in dem Maße überhaupt nicht umsetzbar ist. Das wissen Sie sehr genau, und deswegen – das tut mir herzlich leid – kann ich diesen Antrag auch nur als Schaufensterantrag abtun. Es ist ein Schaufensterantrag, um eine Koalition vorzuführen. Es ist ein Schaufensterantrag, um darüber hinwegzutäuschen, was Sie und die CDU fünf Jahre selbst nicht zustande gebracht haben.
Ich möchte Ihnen diese 690 Millionen Euro gern noch untersetzen. Die Absenkung des Betreuungsschlüssels bis zum Jahr 2017, wie Sie es hier beschrieben haben, kostet allein schon 350 Millionen Euro. Die Vor- und Nachbereitungszeiten würden, wenn man im Jahr 2014 damit beginnen würde, jährlich 45 Millionen Euro kosten. Den Landeszuschuss auf die von Ihnen vorgeschlagenen 2 050 Euro anzuheben – ich bin jetzt vom Jahr 2014 ausgegangen –, wohl wissend, dass das alles nur über Gesetze zu machen ist, würde 40 Millionen Euro jährlich kosten.
Dazu frage ich Sie ganz ehrlich: In welcher Situation sind wir momentan? – Wir sind momentan in der Situation, dass wir seit dem 01.08. einen Betreuungsanspruch für unter Dreijährige haben. Es gibt, glaube ich, in Sachsen und in der gesamten Bundesrepublik nur wenige große Städte, die es tatsächlich geschafft haben, für jedes unter
Sie wissen auch sehr genau, was der Bund und was der Freistaat finanziell dafür aufwenden müssen, damit für jedes Kind und für jedes Elternpaar, das es will, ein Betreuungsplatz vorgehalten werden kann. Sie wissen sehr genau, was das kostet.
Wie man den Zeitungsmeldungen und den Statistiken aus dem Bundesfamilienministerium entnehmen konnte, ist auch das U3, also die Inanspruchnahme eines Kindertagesstättenplatzes von unter Dreijährigen, bundesweit auf 40,3 % und in Sachsen auf 47,4 % angestiegen.
Ich prophezeie Ihnen: Das wird mehr werden. Wir werden für noch mehr Kinder, auch unter drei Jahren, Betreuungsplätze vorhalten müssen, und, um das zu schaffen, bedarf es vielerlei Komponenten – eben nicht nur des Betreuungsschlüssels und der Vor- und Nachbereitungszeiten für das Personal, sondern vor allen Dingen investiver Mittel. Das sind nicht die Mittel, die über die KitaPauschale an die Kommunen ausgereicht werden wie bei den Dingen, die wir in den letzten Jahren geschaffen haben. Das wissen Sie ganz genau. Am Finanzausgleich sehe ich, welche Mittel für Investitionen im Kita-Bereich an die Kommunen gegangen sind.
Sie haben die Evaluation von Frau Prof. Dr. Carle angesprochen. Ja, das ist richtig. Ich habe sie mir heute noch einmal durchgelesen.
Dort steht sehr, sehr viel Wahres drin. Wir alle sind in den letzten Monaten und Jahren mehrmals in Kitas gewesen. Ich habe dort folgende Erfahrung gemacht: Die Interessenslage im Bereich der Kindertagesstätten ist völlig unterschiedlich und konträr. Das wissen Sie auch.
Sprechen Sie mit einer Kita-Leiterin, dann stört sie am meisten die neun Stunden Betreuungszeit. Sie hätte gern acht Stunden Betreuungszeit. Das fehlt übrigens in Ihrem Antrag, dann wäre es vielleicht komplett gewesen. Sprechen Sie mit den Erzieherinnen und Erziehern, dann wollen diese gern Vor- und Nachbereitungszeiten und – wenn es irgendwie geht – ein paar weniger Kinder in der Gruppe.
Sprechen Sie mit den Eltern, dann wollen sie alles. Dann erklären Sie den Eltern, welche Konsequenzen das eigentlich hat. Aber auch das tun Sie in der Debatte nicht. Die Kita-Finanzierung ist eine Drittelfinanzierung. Sie wissen ganz genau, dass Elternbeiträge erhoben werden und dass die Elternbeiträge maximal 30 % der Betriebskosten betragen dürfen. Welche Konsequenz hat das? Dass von all diesem Geld, was es mehr kostet, die Eltern entsprechend höhere Elternbeiträge bezahlen.
Wenn man das den Eltern erklärt, gerade in bestimmten Regionen einer Stadt – wohlwissend, dass es genügend Eltern gibt, die die Gebühren vollständig ersetzt bekommen, weil sie zu wenig verdienen –, dann hört man sehr
oft den Satz: Nun ja, wenn das alles so viel teurer wird für mich, dann sollten wir es vielleicht doch erst einmal so lassen, wie es ist. So schlecht ist es auch nicht.
Es gibt also unheimlich viele Interessenslagen, und wir müssen miteinander abwägen, welche Interessenslage zuerst bedient werden muss. Wir alle hier wissen, dass all das, was in Ihrem Antrag so schön geschrieben ist, definitiv nicht auf einmal umsetzbar ist. Sie wissen auch – und das weiß auch Frau Dr. Stange –, dass wir in den Haushaltsverhandlungen auch für den Kita-Bereich gekämpft haben, dass es unterschiedliche Auffassungen zwischen CDU und FDP gab und dass wir uns dann auf einen Kompromiss geeinigt haben. Am Ende haben die Haushälter gesessen und es kam noch etwas ganz anderes heraus. Das alles wissen Sie.
Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, mit welcher Intention wir im halbjährlichen Rhythmus dieses Thema immer und immer wieder aufrufen und immer wieder zur Schau tragen. Es sind heute keine Haushaltsverhandlungen. Sie können davon ausgehen, dass auch diejenigen, die den Haushalt beschließen, dieses Thema nach wie vor im Kopf haben.
An meine eigene Koalition gerichtet, möchte ich nur eines sagen: Das Thema Kita ist aus meiner Sicht neben dem Thema Schule – auch wenn es dann wieder heißt, ja, das sind die Bildungspolitiker – eines der wichtigsten Themen in unserer Gesellschaft.