Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

Meine Damen und Herren! Gerade in dieser Situation beginnen einige Mitgliedsstaaten diesen Grundkonsens aufzukündigen. Es geht nicht nur um die Aufnahme von Migranten. Die Grundprinzipien der Demokratie, die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Presse- und Meinungsfreiheit, all das soll schon in unserer nächsten Umgebung nicht mehr gelten. Auch Grundrechte, Freiheitsrechte, Grundprinzipien der Demokratie lassen sich streng rational begründen. Es muss Interessenausgleich und öffentliche Kontrolle, Wahlen und Minderheitenschutz geben, wenn man mit allen Menschen, die in einem Gemeinwesen leben, ohne Kämpfe auskommen will. Die demokratische Auseinandersetzung, der verbale Diskurs ist das Mittel, um die immer entstehenden Konflikte auszutragen und zu befrieden. Leider passt das nicht in das Weltbild rechtspopulistischer Parteien, die in einigen Nachbarländern Wahlen gewonnen haben.

Meine Damen und Herren! Heute ist die EU und ihre Rechtsordnung stärker bedroht denn je. Ich will die Debatte zum Brexit, die wir in diesem Hause bereits geführt haben, nicht wiederholen. Wiederholt sei nur eine Schlussfolgerung. Wenn die Briten beim Vertrag über den Brexit so stehen, wie sie auch ohne Brexit stünden, dabei aber die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit nicht beachten müssen, dann wird es nachfolgende Exits anderer Mitgliedsstaaten geben.

Wenn in Polen die Unabhängigkeit der Justiz infrage steht und die Pressefreiheit beschränkt wird, ist das mit der Grundrechte-Charta, die Polen unterzeichnet hat, nicht vereinbar. Wenn Polen, Ungarn und die Slowakei sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, steht dies im Widerspruch zu Artikel 18 der Charta und im Widerspruch zu ihren eigenen Verfassungen. Ich meine, dass man solche Missachtungen des Rechts auf die Dauer nicht hinnehmen kann. Europa braucht Lösungen und an denen müssen auch diejenigen mitwirken, die sich durch den Beitritt nur Fördermittel versprochen haben mögen.

Meine Damen und Herren! Europa ist bedroht durch eine soziale Schieflage, die aus einer mangelnden oder ungleichen Wirtschaftsleistung der Mitgliedsstaaten resultiert. Es entsteht Arbeitslosigkeit, besonders Jugendarbeitslosigkeit, sozialer Abstieg und fehlendes Vertrauen in die Zukunft bzw. in die eigene Leistung. Das ist für die betroffenen Staaten verheerend und bereitet Rechtspopulisten das Feld. Das globale Umfeld Europas verlangt eigentlich – –

Die Redezeit, Herr Kollege, ist zu Ende.

Wie man das gestalten könnte, würde ich gern in der zweiten Runde vortragen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Staatsministers Martin Dulig)

Das war Herr BaumannHasske für die SPD-Fraktion. Wir kommen jetzt zur Fraktion DIE LINKE. Das Wort hat Herr Kollege Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schiemann, Sie sind immer für eine Überraschung gut.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Echt?)

Ja. Ich bin überrascht, weil Sie sich selbst als Visionär hier vorn darstellen. Das war mir bisher weder aus der gemeinsamen Arbeit im Europaausschuss noch im Plenum noch woanders so bewusst. Vielen Dank für die morgendliche Erkenntnis. Nun zurück zur Realität, meine Damen und Herren. Es ist schon interessant, dass die Koalition im Ablauf von zwei Monaten – – Es kommt offenbar immer darauf an, wen Sie gerade treffen, jetzt war es der Meister Oettinger, mal sehen, wer da noch kommt, da haben wir die nächste Aktuelle Debatte zu Europa. Es bleibt spannend. Ich finde, wenn wir über Europa ernsthaft miteinander reden wollen, dann ist das Instrument der Aktuellen Debatte, lieber Kollege Schiemann, mit so viel Pathos vorgetragen, sicher nicht das geeignetste. Dann sollte man in die Substanz gehen und weniger am Schaufenster vorbei defilieren. Deshalb bin ich schon etwas enttäuscht darüber, was Sie in Fortsetzung aus dem März vorgetragen haben.

Zu Ihren Ausführungen über die Werte Europas. Kollege Schiemann, wir als LINKE bekennen uns zu Europa, zur EU, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg das wichtigste europäische Friedensprojekt war und ist, zumindest nach innen, also zwischen den Mitgliedsstaaten untereinander. Wenn wir zur Solidarität kommen, Kollege Schiemann, dann wird es ziemlich differenziert, denn Solidarität – Kollege Baumann-Hasske, vielen Dank für Ihre sehr sachlichen Ausführungen, die noch einmal die Problemlagen vor Augen geführt haben, die zu einem Auseinanderdriften in der EU führen – ist eben keine Einbahnstraße. Man kann nicht von Südeuropa Solidarität bei der Verteilung im Relocation-Programm in Asylfragen erwarten, wenn man abseits von Knebelungen und Vorgaben nicht solidarisch mit Südeuropa ist, um ihnen nach einer schweren Krise zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

(Beifall bei den LINKEN)

Das ist ein Solidaritätsungleichgewicht, wobei Südeuropa ziemlich die kalte Schulter zeigt, wenn es um andere Fragen in der EU geht, verständlicherweise, denn wer Solidarität erwartet, muss sie auch tatsächlich geben. Das ist ein Grundsatz. Da bin ich Ihrer Meinung, Kollege Schiemann. Sie haben einige Themen angesprochen, wenn es um Grundwerte geht. Wir haben gestern eine Aktuelle Debatte zu Luther und christlichen Werten gehabt. Man kann im Grunde den Faden bis heute weiterspinnen. Solidarität ist im Grunde die Mitmenschlichkeit

der Mitgliedsstaaten untereinander, wenn wir es mal so übersetzen wollen. Aber Solidarität oder Mitmenschlichkeit hat auch andere Facetten.

Ich darf einmal zitieren: „Es ist eine offene Frage“ – hier geht es um Asyl und Ähnliches –, „wie lange die EU diese Politik durchhalten kann. Wenn sich der Eindruck verfestigt, dass sie mit ihren militärischen und finanziellen Maßnahmen nicht die Flüchtlinge vor dem Schlepperwesen, sondern in erster Linie sich selbst vor einem wachsenden Zustrom von Asylsuchenden und Flüchtlingen schützen will. Wenn die viel beschworenen Werte Europas an den Grenzzäunen in Ceuta und Melilla zerschellen, vor den Küsten Libyens und Ägyptens ertrinken, in Griechenland abgeschoben und an der türkisch-syrischen Grenze erschossen werden, wird sich der Eindruck bestätigen, dass die EU mit dem Festungsbau rund um das Mittelmeer ihre eigenen Ideale verrät. Welche Auswirkungen dieser weitere Legitimationsverlust der EU hätte, ist kaum zu prognostizieren.“

Kollege Schiemann, das sind brennende Fragen unserer Zeit, die wir zu beantworten haben. Da wäre es wichtig, nicht diese Schaufensterrede zu halten, sondern Butter bei die Fische zu geben und zu sagen, wie Sie Ihre Vision von Europa ausgestalten wollen. Dazu habe ich bisher noch nichts gehört. Es wäre sehr hilfreich, –

Ihre Redezeit ist zu Ende.

– wenn Sie uns in der zweiten, dritten, vierten, fünften Runde weiterhelfen könnten.

Herzlichen Dank zunächst.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Kollege Stange, Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht Herr Kollege Barth für die AfD.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Denkt der sächsische Steuerzahler an Europa in der Nacht, so ist er um den Schlaf gebracht.

(Oh-Rufe von den LINKEN – Heiterkeit und Beifall bei der AfD)

Sie, Herr Schiemann, beweihräuchern heute hier die sächsische „gute Europapolitik“, und niemand weiß bis jetzt, wofür Sie eigentlich stehen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das kann man Herrn Schiemann nicht vorwerfen! – Unruhe)

Ich werde Ihnen das jetzt beweisen. Herr Schiemann, Schwerpunkte der sächsischen Europapolitik sind nämlich fünf Punkte: erstens Forschung, Entwicklung und Innovation, zweitens Ausbau der digitalen Infrastruktur und des digitalen Marktes, drittens EU-Förderung nach 2020, viertens EU-Migrationspolitik und Sicherung des Fach

kräftebedarfs sowie zum Schluss – fünftens – Energie, Umwelt und Verkehr. Darüber habe ich hier noch von keinem Redner ein einziges Wort gehört.

EU-Migration und Sicherung des Fachkräftebedarfs: Dieser Titel ist ein Witz, meine Damen und Herren. Solange in Griechenland, Spanien und Italien die Jugendarbeitslosigkeit bei über 30 % liegt, ist der Fachkräftebedarf, den wir womöglich haben, durch Südeuropäer, also innerhalb unserer Gemeinschaft, zu decken. Zuwanderung braucht es hierfür eben gerade nicht.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von den LINKEN)

Der Brexit und das seit zehn Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum in Sachsen haben dazu geführt, dass die sächsische Region nach 2020 voraussichtlich nicht mehr als strukturschwache Region angesehen und womöglich weniger EU-Fördermittel erhalten wird. Weil dieses EUFördergeld für den Ausbau unserer zukunftsfähigen sächsischen Infrastruktur aber weiterhin wichtig ist, müssen wir aufwachen und handeln. Die prognostizierten sächsischen Steuereinnahmen nach 2020 werden jeweils nicht ausreichen, um diesen Ausbau hinreichend sicherstellen zu können.

Hierbei stellt sich aber eine grundsätzliche Frage: Würde der Freistaat Sachsen überhaupt EU-Fördergelder brauchen, wenn wir in Deutschland unser eingezahltes Geld behalten würden?

(Zurufe von der AfD: Nein!)

Muss sich Deutschland als größter Nettozahler der EU gefallen lassen, für geringfügige Formfehler bei der Beantragung von EU-Fördergeldern mit hohen Strafzahlungsforderungen belangt zu werden?

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Sie fragen sich, was ich meine. Nun, im Jahr 2011 sollte in einer sächsischen Bäckerei ein Imbiss mit EUFördergeldern gefördert werden. Bedauerlicherweise wurde ein Pastakocher, dessen Kosten 3 700 Euro betrugen, zu früh bestellt.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Zentrale Herausforderungen an die Zukunft!)

Die an sich korrekte Beantragung der Förderung führte aufgrund eines Formfehlers zu einer Strafzahlung des Freistaates an die EU in Höhe von 860 000 Euro.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Unser Freistaat ist daher zu einem Bittsteller an die überbordende Bürokratie in Brüssel geworden.

(Lachen bei den LINKEN)

Unsere Volkssouveränität bleibt hierbei auf der Strecke. Hier stimmt etwas im System nicht.

Jetzt werde ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren, worum sich die Staatsregierung aus Sicht meiner Fraktion in ihrer sächsischen Europapolitik unter anderem auch im Bundesrat kümmern müsste.

Erstens: Geben Sie keine weiteren Kompetenzen an das Bürokratiemonster in Brüssel ab. Dem neuen französischen Präsidenten Macron ist Einhalt zu gebieten

(Vereinzelt Lachen bei den LINKEN und der SPD)

bei seinem Wunsch nach einem gemeinsamen EUHaushalt, einem gemeinsamen EU-Finanzminister oder gemeinsamen Eurobonds.

(Unruhe)

Dem ehemaligen Buchhändler und bestbezahlten Präsidenten des EU-Parlaments, jener Präsident, der kleine Probleme mit Reisekostenabrechnungen seiner Mitarbeiter hat, ist bei seinem Wunsch nach einem Eurohaushalt entschieden zu widersprechen.

(Zuruf von der AfD: Wie heißt der denn? – Zuruf von der SPD)

Alle Bemühungen – –

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege Barth.