Protokoll der Sitzung vom 14.03.2019

Mit der Einführung des § 153 a hat der Gesetzgeber eine verfahrensrechtliche Regelung gefunden, und zwar bewusst überlegt, was die neue Form der Sanktionierung außerhalb des bestehenden Katalogs des Strafgesetzbuches ermöglichen soll. Das ist richtig, Herr Staatsminister: Man will damit Kapazitäten für die zügige Erledigung größerer Straftaten schaffen. Das war auch der Wille des Gesetzgebers, aber das muss er auch bleiben.

Wenn sich gestandene Vertreter der Straf- und Kriminalwissenschaften in der Praxis eine „Birne“ machen, wie man mit Kleinstkriminalität noch effizienter und zugleich erzieherisch wirksamer umgehen und dabei Lösungsvorschläge unterbreiten kann, bei bagatelldelinquentem Verhalten aus dem Strafrecht auszugliedern, etwa ins Zivil- oder Ordnungswidrigkeitenrecht zu verlagern, andere über die Einführung einer neuen Deliktskategorie „Verfehlungen“ nachdenken, wie es zum Beispiel die DDR hatte, dann drehen Sie im Rahmen der Nulltoleranzkonzeption das große Schwungrad und wollen für Bagatelltäter, für Bagatelldelikte das ganze Kompendium, den ganzen Instrumentenkasten des Strafrechts. Das ist für die Belastung wirklich schwierig.

Herr Staatsminister, Sie gehen von 8 000 bis 10 000 Strafverfahren im Jahr mehr aus und nehmen dann aus der Verfügungsreserve 30 Stellen, davon neun für Staatsanwälte, fünf für Richter, das Recht für Beteiligte an der Tätigkeit der Gerichte. Ob diese in allen Konsequenzen ausreichen werden, die an einzelnen Verfahren hängen, wenn in Zukunft – ich habe es bereits gestern gesagt – der Amts- und Jugendrichter gnadenlos zugedeckt wird? Sie werden gnadenlos auch mit Bagatellkriminalität befasst werden. Aufgrund der drastischen Verschärfung von Strafmaßanträgen wird es gravierende Auswirkungen auf die Dauer des Verfahrens geben. Die Verteidiger werden in Serie Beweisanträge stellen. Es wird kaum ein Verfahren ohne Rechtsmittel beendet werden. Wir gehen in Größenordnungen in die Rechtsmittel.

Wenn beispielsweise der Generalstaatsanwalt in der Rundverfügung etwas über die massenhafte Anwendung des Fahrverbots bzw. den Entzug des Führerscheins bei Straftaten der allgemeinen Kriminalität, nicht nur bei Verkehrsdelikten, vorgibt, dann ist es doch logisch, dass in aller Regel das Verfahren schon deshalb keine übereinstimmende Erledigung findet mit dem Verzicht auf Rechtsmittel, sondern dass man schon aufgrund des Verlustes der Fahrerlaubnis – die für jeden, der auf dem Land wohnt, bei allem Drum und Dran, ganz anders ist als in der Stadt, wo es öffentliche Verkehrsmittel gibt, gravierende Bedeutung für die Berufsausübung und Ähnliches mehr hat – immer ins Rechtsmittel gehen wird. Sie werden in Größenordnungen in der zweiten Instanz Belastungen bekommen.

Das Fahrverbotsproblem des § 44 StGB war von vornherein umstritten. Es ist seit 2017 Bundesrecht. Das ist einzusehen. Wenn man aber die Maßnahme als Kult betreibt und planmäßig vorgibt, dass es massenhaft angewendet wird, dann geht das ins Auge. Das ist unsere feste Überzeugung.

In jedem Fall haben Sie, sehr geehrter Herr Staatsminister, bei allem Respekt, mit der Art und Weise, wie Sie die Rundverfügung Ihres Generalstaatsanwaltes als Moderator gegenüber den Medien verkaufen und in das Rechtsleben eingeführt haben, nach unserer Auffassung nicht sonderlich glücklich agiert. Die Staatsanwaltschaft ist – und es bleibt dabei, das habe ich gestern bereits gesagt –, sobald sie im konkreten Verfahren handelt, nach aller Rechtslehre, nach aller Auslegung des Verfassungsgesetzes nicht mehr Bestandteil der Exekutive, sondern Bestandteil der Rechtspflege, das heißt, sie ist die Dritte Gewalt. Dann muss ich in der Art und Weise, wenn ich ihr gegenüber Botschaften verbreite und Orientierung gebe, genau diese Stellung im Auge haben und genau mit der Stellung entsprechend behutsam und ohne Missverständnisse überzeugend umgehen.

Noch einen Satz: Wir haben – wenn ich noch einmal zum Opferschutz kommen darf – probate Mittel, dem Opfer Genugtuung zu verschaffen, zum Beispiel, indem wir den Täter-Opfer-Ausgleich voranbringen und das personell stärken, der Staatsanwaltschaft schon die Luft lassen, die

das personell delegieren muss. Zudem müssen wir in Zukunft Adhäsionsverfahren, all die Verfahren, bei denen man zivilrechtliche Ansprüche, Schadenersatzansprüche, Schmerzensgeld, parallel zum Strafverfahren erledigt, voranbringen. Dafür müssen auch Richterinnen und Richter zur Verfügung stehen, die Zeit haben. Das passiert jetzt nicht. Das Adhäsionsverfahren führt ein kümmerliches Dasein – was weiß ich, 1,2 % oder maximal 2 % –, weil die Richterinnen und Richter keine Zeit haben, das im Prozess mit zu erledigen. Dann erklären sie das Adhäsionsverfahren für nicht geeignet und machen es nicht. Dort müssen doch der Fokus und die Personalstärke hin und nicht in die Bekämpfung von 5-Euro-oder-10-Euro Kriminalität.

(Beifall bei den LINKEN)

Hätten Sie uns gesagt, dass die als Anlage der Presseerklärung der Rundverfügung beinhaltete implizite Kritik an der bisherigen Arbeit der Staatsanwaltschaft so nicht gemeint ist, wie Sie es heute gesagt haben, wären wir anders damit umgegangen. Dort haben aber die Richterinnen und Richter – der Neue Richterverein hat es erklärt – das Gefühl gehabt, dass sie inzident, implizit einer Generalkritik unterzogen werden, was sie bisher gemacht haben; das haben Sie heute richtiggestellt.

Der Eindruck, der bei den Richterinnen und Richtern blieb: Ich möchte es mit einem kurzen Zitat abschließend aus der Presse… der Neuen Richtervereinigung vom 15. Februar 2019 nennen: „Die gestern in der Presse wirksam in Szene gesetzte wirksame Weisung, künftige Opfer der Steuer zu bestrafen, bedient ausschließlich populistische Forderung. Sie fördert sie auf diese Weise. Die kriminologisch fundierte Expertise lässt sich für die angeführten Gründe nicht erkennen. Indem sie der bisherigen Arbeit der Strafverfolgungsbehörden ein schlechtes Zeugnis ausstellen, bestätigen – Justizminister und Generalstaatsanwalt – gängige Vorurteile.“ Das wussten Sie – –

Die Redezeit ist zu Ende.

Das verstehe ich, Herr Präsident. – Ich bedanke mich zum Schluss noch bei Herrn Staatsminister, dass er uns gestern in den Abendstunden die Rede noch gegeben hat. Das war eine faire Umgangsweise. Insofern finden wir gemeinsam wieder einen Konsens, wie wir für die Strafverfolgung eintreten.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Herr Kollege Bartl. Jetzt spricht Herr Kollege Modschiedler; er vertritt die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen für den starken Rechtsstaat.

(Beifall bei der CDU)

Der demokratische Rechtsstaat stiftet einerseits allgemein verbindliches Recht und bindet andererseits die Organe zur Ausübung der staatlichen Gewalt an das Recht. Wir sollten uns – dafür ist heute die Gelegenheit – bewusst machen, dass Rechtsstaatlichkeit keine Selbstverständlichkeit ist. Dazu genügt ein Blick in unsere eigene wechselvolle Geschichte.

Von links wird man jetzt wieder lächerlich gemacht und von rechts wird man wieder infrage gestellt. Wir als CDU-Fraktion – das kann ich erklären – stehen fest zu dem Rechtsstaat und tun alles dafür, ihn weiter zu sichern.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt möchte ich gern zur Sache kommen. Es gibt eine Regierungserklärung, die abgegeben wurde. Wir führen keine Aktuelle Debatte mehr, wie wir sie gestern hatten – leider wieder Gehabe im Gange. Wir wollen es nicht und gehen auf die Regierungserklärung ein.

(Zurufe von der AfD)

Ich habe eine wesentliche Säule des Rechtsstaates gesehen, fas ist die konsequente Strafverfolgung. Das bedeutet für uns konkret – es wird angegriffen, ich halte es für völlig richtig – null Toleranz gegenüber Tätern und ein guter Opferschutz.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Zum Thema Strafverfolgung. Die Strafverfolgungsbehörden, die Staatsanwaltschaft sowie die Gerichte sind in Sachsen sehr gut aufgestellt. Der Minister hat dazu ausgeführt: Die Gerichte und Staatsanwaltschaften wurden seit dem Jahr 2014 kontinuierlich gestärkt. Insgesamt wurden im Zeitraum von 2016 bis 2020, also in unserem jetzigen Haushalt, etwa 100 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwälte und 300 neue Anwärter- und Referendarstellen geschaffen. Damit stehen im Freistaat Sachsen im Jahr 2020 über 1 100 Richterinnen und Richter und mehr als 380 Staatsanwälte zur Verfügung.

Aber – der Minister hat es bereits gesagt – Personal ist das eine. Um die Strafverfolgung konsequenter und schneller zu gestalten, sind die schon angesprochenen Grundverfügungen erlassen worden. Wir begrüßen und unterstützen sie ausdrücklich. Das bedeutet aber nicht – Herr Bartl hat es leider kritisiert –, dass der Rechtsstaat bisher nicht funktioniert hätte – im Gegenteil: Hier wird Gutes noch besser gemacht.

Am 1. März 2019 ist die Rundverfügung in Kraft getreten. Es ist nach wie vor möglich, bei Vorliegen der Voraussetzung ein Ermittlungsverfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Das ist der § 153 a, den Herr Bartl in seiner Rede immer wieder erwähnt. Er ist aber bei deutlich niedrigerer Schadenshöhe einzustellen als bisher. Was heißt das also konkret? Bei Angriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte sollen praktisch keine Verfahren mehr vonseiten der Staatsanwaltschaft eingestellt werden dürfen. Gleiches gilt für die reichsbürgerspezifischen Straftaten. Hier sollen häufiger die soge

nannten beschleunigten Verfahren zum Einsatz kommen. Wir haben etwas dazu gehört.

Künftig sollen also nahezu alle Strafverfahren im Bereich der Kleinkriminalität vor Gericht gebracht werden und nicht – das hatten wir gestern in der Aktuellen Debatte – leider vorher immer wieder durch die Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Strafzumessungsvorgaben im Bereich der Betäubungsmitteldelikte werden verschärft. Das ist ein ganz wichtiger Schritt zur Prävention und zum Schutz vor allem von Jugendlichen. Das sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt.

Auch der Sächsische Richterverein unterstützt die Ziele dieser Rundverfügung.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Aber nicht der Neue Richterverein!)

Nicht der Neue Richterverein, der Richterverein. Das finde ich völlig okay.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Der Vorsitzende!)

Der Richterverein unterstützt es. Ruben Franzen ist der Vorsitzende der Neuen Richtervereinigung. Der erklärt immer alles andersherum. –

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Noch eine Bemerkung in Richtung der Linkspartei, wenn wir gerade dabei sind: Es gab bisher Regelungen bzw. Richtlinien, wann Verfahren eingestellt werden und wann nicht. Hier geht es um eine Verschärfung, und die begrüßen wir. Die Unabhängigkeit der Gerichte bleibt davon – das ist durch den Minister in seiner Regierungserklärung heute noch einmal klargestellt worden – unbenommen, gestern in der Aktuellen Debatte und heute.

(Beifall bei der CDU)

Zum Thema null Toleranz gegenüber Tätern: Uns ist es wichtig, dass gegenüber den Tätern null Toleranz geübt wird. Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt und nicht beim ersten Mal frei. Beleidigungen sind keine freien Meinungsäußerungen, und Angriffe auf die Rettungskräfte sind keine Bagatellen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Durch diese klaren Regelungen der Rundverfügung kann auch beim Drogenhandel und beim Schwarzfahren härter durchgegriffen werden. Täter, egal, wo sie herkommen, müssen und werden lernen, dass sich Sachsens Justiz nicht auf der Nase herumtanzen lässt.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Schnellere Verfahren – das haben wir gemerkt – schrecken nachweislich ab. Schnelles und konsequentes Handeln bei der Strafverfolgung hilft zum einen den Opfern, es dient aber auch dem sozialen Frieden im Freistaat. Unsere Bürger erwarten einen starken Staat, der ihre Rechte verteidigt und der Kleinkriminelle nicht einfach laufen lässt, wie es immer wieder den Anschein hat.

Zudem wird durch ein schnelles und konsequentes Handeln eine kriminelle Karriere frühzeitig beendet.

Damit soll auch eines klarwerden: Die großen Straftaten wie beispielsweise die Gewalttäter, die Mörder, Vergewaltiger, Betrüger, Steuerstraftäter etc. werden weiter konsequent verfolgt. Hierauf liegt unser Augenmerk. Ob klein oder groß, jede Straftat wird verfolgt, und niemand wird laufen gelassen, wie es immer landläufig behauptet wird. Die strengere Strafverfolgung verhindert oder verzögert in keinem Fall die Strafverfolgung der größeren Straftaten –

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ach so!)

ganz im Gegenteil, Herr Lippmann. Wenn auch Kleinkriminelle erst gar keine Großkriminellen werden, verringert das die Anzahl von schweren Straftaten. Die Herkunft spielt dabei keine Rolle, wie es immer wieder gesagt wird. Vor dem Gesetz sind Inländer und Ausländer gleich.

Wir verstärken auch die Strafverfolgung im Bereich der Intensivtäter. Der Minister hat dazu ausgeführt. Die Ermittlungen werden durch die Strafverfolgung und die Strafverfolgungsbehörden gebündelt. Dies hat den Vorteil, dass der zuständige Strafverfolger einen Überblick über alle Straftaten eines Intensivtäters erhält. Ende 2014 wurde die täterorientierte Bearbeitung von mehrfach- und intensivtatverdächtigen Zuwanderern, den sogenannten MITA, für die Staatsanwaltschaften und die Polizei in Sachsen eingeführt. – Eine gute Sache.

Bei den beschleunigten Verfahren sind schon die ersten Erfolge zu verzeichnen. Die Anzahl ist, seitdem wir es aufgerufen haben, in Sachsen gestiegen. Das beschleunigte Verfahren zur Strafverfolgung in Sachsen kommt also immer häufiger zum Einsatz. Seit Anfang September 2018 wurden 150 Personen auf diesem Wege verurteilt. Dabei handelt es sich um Fälle wie Diebstähle mit und ohne Waffen, Wohnungseinbrüche, Leistungserschleichung,

aber auch gefährliche Körperverletzung, Angriffe auf Beamte oder das Zeigen des Hitlergrußes. Die Strafen folgten sofort auf dem Fuße – das ist wichtig –, am Folgetag und in der Folgewoche. Das schreckt ab.

Speziell zum Thema Crystal: Wenn hier – das hatten wir gestern in der Aktuellen Debatte – von Bagatellen gesprochen wird, ist das ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)