Protokoll der Sitzung vom 14.03.2019

Lassen Sie mich anfangen mit dem, was wir als Sozialdemokraten in diesem Hause genauso sehen wie der Staatsminister in seiner Regierungserklärung, und das ist eine ganze Menge.

Wir meinen, dass der Rechtsstaat es verlangt, dass Straftaten konsequent verfolgt werden. Das Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt, wenn das nicht geschieht. Generalpräventiv und spezialpräventiv, also bezogen auf den einzelnen Straftäter, meinen wir, dass in allen geeigneten Fällen das Strafverfahren der Straftat möglichst auf dem Fuße folgen sollte. Der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang ist erforderlich, wenn das Verfahren die präventive Wirkung, die wir ihm zuerkennen, entfalten soll. Das Verfahren selbst wirkt schon präventiv. Es hat keinen Sinn, Akten jahrelang liegen zu lassen, den Eindruck zu vermitteln, es passiere gar nichts, und am Ende möglicherweise wegen Arbeitsüberlastung solche Verfahren auch noch einzustellen. Weisungen des Generalstaatsanwaltes, die dem entgegenwirken, haben unsere volle Unterstützung.

Es ist beeindruckend, dass es seit dem vergangenen Herbst bereits 200 Verfahren gegeben hat – Herr Gemkow, ich glaube, das war die Zahl, die Sie vorhin nannten –, in denen kurzfristig Anklage und Urteil realisiert werden konnten. Wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft auch in Zukunft über das erforderliche Personal verfügen wird.

Wir sind – wie gestern bereits ausgeführt – natürlich nicht der Auffassung, dass eine Rundverfügung des Generalstaatsanwaltes einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz darstellt.

Wir haben aber auch Einwände in Bezug auf die Regierungserklärung.

Keine Toleranz, Herr Gemkow, würde doch bedeuten, dass unsere Justiz bisher gegenüber Kriminellen zu tolerant gewesen wäre, oder es würde bedeuten, dass jemand hier verlangt, dass wir gegenüber Kriminellen toleranter sein sollen. Das eine wie das andere vermag ich nicht zu erkennen.

Sollte es zu einer übergroßen Anzahl ungerechtfertigter Einstellungen gekommen sein, dann doch weniger wegen zu großer Toleranz, sondern wohl eher wegen zu hoher Belastungen und zu wenig Personal in der Vergangenheit. Das gilt auf jeden Fall für die Einstellungen nach § 153 und § 153 a StPO.

Für Einstellungen gemäß § 154 StPO gilt etwas anderes. Da wird eingestellt, weil die Straftat im Verhältnis zu anderen, die gleichzeitig ermittelt und angeklagt werden, wenig ins Gewicht fällt. In diesem Zusammenhang Einschränkungen vornehmen zu wollen halte ich für schwierig.

Ich würde weniger an den Voraussetzungen für die Anwendung arbeiten als vielmehr daran, den Opfern besser

zu kommunizieren, warum dieser Weg beschritten wird. Das Problem scheint mir gerade im Sinne des Opferschutzes dabei zu sein, dass eine sinnvolle Verfügung der Justiz nicht verständlich ist, nicht nachvollzogen werden kann. In diesem Fall müssen wir dafür sorgen, dass die Opfer das verstehen.

Ansonsten ist das Verfahren, zugunsten schwerer Straftaten leichte Straftaten einzustellen, sinnvoll. Sie haben gesagt, dass das im Einzelfall mehr geprüft werden soll. Das halte ich für richtig. Aber wir sollten nicht sagen, dass die Problematik im Verfahren liegt. Die Problematik liegt gerade in diesen Fällen in der Kommunikation gegenüber dem Opfer.

Meine Damen und Herren! Weiterhin müssen wir darüber diskutieren, ob alles, was heute strafbar ist, Straftat bleiben muss oder ob es nicht auch Dinge gibt, die besser als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden könnten. Ein Delikt wie Schwarzfahren, also das Erschleichen von Leistungen, ist im Strafrecht mit einem Unrechtswert belegt, der der Lebensrealität und dem Unrechtsempfinden der Menschen nicht entspricht. Niemand versteht, warum jemand, der mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt rast, nur eine Ordnungswidrigkeit begeht, aber der Schwarzfahrer eine Straftat. Durch einen Schwarzfahrer fühlt sich niemand bedroht, durch einen Raser schon.

Ich gebe zu, dass dieser Zusammenhang weder Gegenstand der Regierungserklärung ist noch in die Kompetenz des Landtags fällt. Aber wenn wir Straftaten konsequent verfolgen wollen, dann müssen wir von Zeit zu Zeit auch darüber nachdenken, was wir eigentlich unter Strafe gestellt haben. Wenn sich in der Bevölkerung niemand von einem bestimmten abweichenden Verhalten bedroht fühlt und die Strafverfolger selbst den Unrechtsgehalt der Taten nicht besonders hoch einschätzen, dann sollte man erwägen, im Bund initiativ zu werden und solches Verhalten eher als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Wenn wir die Strafbarkeit so sortieren, dann ist es umso sinnvoller, auf der konsequenten Strafverfolgung zu bestehen, wie wir es tun.

Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht in den Irrtum verfallen, dass wir mit Slogans wie „Keine Toleranz“ objektiv mehr Sicherheit erzeugen. Wir sprechen damit das Empfinden der Bürgerinnen und Bürger an und bestätigen sie darin, in Unsicherheit zu leben. Sie leben nicht unsicher. Es ist nicht so. Sachsen war noch nie so sicher wie heute.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Es ist einer der Erfolge der Staatsregierung, dass dem so ist.

Unsere kriminalpräventiven Maßnahmen sind erfolgreich. Die Rückfallquoten, soweit sie erreichbar sind, sind

tendenziell, von Ausnahmen abgesehen, sinkend. Wir haben ein gutes Strafvollzugsgesetz und sind dabei, den Vollzug personell so auszustatten, dass er den im Gesetz formulierten Ansprüchen gerecht wird. Damit können wir mittel- und langfristig die Kriminalität weiter senken. Einen wichtigen Beitrag leistet präventiv die Sozialarbeit überall dort, wo Verhältnisse bestehen, die das Entstehen von Kriminalität begünstigen.

Das alles muss ich gar nicht erklären. Darüber sind wir uns einig. Umso mehr irritieren mich Aussagen wie „Keine Toleranz“.

Meine Damen und Herren! Ausdrücklich begrüßen möchte ich unter vielen anderen richtigen Punkten dieser Regierungserklärung noch einmal die Ausführungen zum Opferschutz. Seit langer Zeit und besonders im vergangenen Jahr haben wir den Opferschutz in den Vordergrund gestellt. Im vergangenen Jahr haben wir hier im Hause einen Antrag – wie ich glaube – einstimmig verabschiedet, in dem wir den Opferschutz ausdrücklich befördern. Ich finde es gut, dass die Staatsregierung in diesem Bereich inzwischen sehr viel auf den Weg gebracht hat. Ich glaube, das ist ein guter Ansatzpunkt, der zur Akzeptanz des Rechtsstaates in der Bevölkerung entscheidend beitragen wird.

Opferschutz muss den hohen Stellenwert, den wir ihm beimessen, erhalten. Das müssen wir unbedingt deutlich machen. Herr Staatsminister, meine Damen und Herren, in dieser Differenzierung unterstützen wir Ihre Regierungsarbeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Auf Herrn Kollegen Baumann-Hasske, er sprach für die SPD-Fraktion, folgt nun Herr Kollege Wendt für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist aus der Sicht der AfD richtig und wichtig, den Fokus auf eine verstärkte Kriminalitätsbekämpfung und einen besseren Opferschutz zu lenken. Aber wir fragen uns auch: Warum erst jetzt? und: Werden auch die Ursachen oder wieder nur die Folgen einer hausgemachten Entwicklung bekämpft?

Sehr geehrter Herr Justizminister, wir nehmen Ihr Bestreben zur Kenntnis, Recht und Gesetz wieder verstärkt zum Durchbruch zu verhelfen und verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Aber bei allem Respekt, Herr Staatsminister: Für uns ist das bloßes Wahlkampfgetöse, ein Verteilen von Beruhigungspillen für das Wahlvolk, wohl wissend, dass es für Ihre Partei in diesem Jahr ziemlich knapp werden könnte.

(Frank Kupfer, CDU: Hä? – Carsten Hütter, AfD: Das heißt „Wie bitte?“!)

Wir haben so unsere Zweifel hinsichtlich der nachhaltigen Umsetzung. Wir hoffen, dass insbesondere die Staatsanwaltschaften ab Herbst nicht wieder in den alten Modus

zurückfallen, weil ihnen die Luft ausgeht. Sie betonten, dass beispielsweise bis 2018 jährlich ganze 15 bis 20 beschleunigte Verfahren durchgeführt wurden, aber seit September 2018, seit dem Inkrafttreten der entsprechenden Rundverfügung des Generalstaatsanwalts, auf einmal 200 Verurteilungen auf diesem Wege erfolgten. Schön und gut, nur existiert die prozessuale Möglichkeit der beschleunigten Verfahren bereits seit 1994. Warum also wurde erst jetzt zu dieser Maßnahme gegriffen?

Sie haben weiterhin angekündigt, dass sogenannte Bagatelldelikte ab dem 1. März 2019 verstärkt verfolgt werden sollen. Auch hier wäre bereits seit Jahren eine Nulltoleranzpolitik geboten gewesen. Zwischenzeitlich sahen viele Straftäter den laschen Umgang der Strafverfolgungsbehörden offenbar als Freibrief an.

Weiter wurde durch eine Pressemitteilung in Aussicht gestellt, dass vermehrt die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe auch in Nicht-Verkehrsdelikten beantragt werden soll. Die entsprechende Möglichkeit besteht aber bereits seit 2017. Warum soll erst jetzt, 2019, verstärkt davon Gebrauch gemacht werden? Sehr geehrter Herr Justizminister, Sie sind Getriebener einer Entwicklung, die Ihre Parteifreunde in Berlin maßgeblich mitverschuldet haben.

(Beifall bei der AfD)

Nach einer repräsentativen Umfrage, die FOCUS Online Ende 2018 in Auftrag gegeben hatte,

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das schließt sich schon aus, diese Kombination!)

haben nur noch 41 % aller Bundesbürger großes oder sehr großes Vertrauen in die Justiz. Dem gegenüber stehen 45 %, deren Vertrauen in die Justiz gering oder sehr gering ist; in den neuen Bundesländern sind es sogar 52 %. Noch 2013 hatten bei einer Umfrage 77 % der befragten Deutschen erklärt, dass sie dem Gerichtswesen vertrauen. Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein, doch die Zusammenhänge liegen auf der Hand, seien es nun wiederholte Versäumnisse, wie nicht vollstreckte Haftbefehle, lascher Umgang mit sogenannten Bagatelldelikten, eklatante Schwächen des Ausländerrechts, wie beispielsweise nicht vollzogene Abschiebungen, oder auch solche vermeintlichen Trivialitäten, wenn einerseits massenweises freitägliches Schulschwänzen zur sogenannten Klimarettung sanktionslos bleibt,

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Aha! – Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

andererseits, wie in Schleswig-Holstein geschehen, die Eltern eines Schülers für das Fernbleiben bei einem Moscheebesuch mit einem Bußgeld überzogen werden.

(André Barth, AfD: Da kann man sich nur wundern!)

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes und Autor des Buches „Das Ende der Gerechtigkeit“, Jens Gnisa, hat Ende 2017 in einem Interview mit dem „Münchner

Merkur“ eine „zunehmende Verdrängung des Rechts durch Moralisieren“ beklagt. Jens Gnisa führte zum Thema Abschiebungen aus: „Da wird das Recht oft nicht vollzogen, weil es als unmenschlich angesehen wird, wenn Menschen gehen müssen, die nach unseren Gesetzen nicht hier sein dürfen.“

Offene Grenzen und lasche Umsetzung von Abschiebungen sind schlichtweg Einladungen, auch für maghrebinische Drogenhändler, georgische Diebesbanden, Vergewaltiger, Messerstecher und sonstige Kriminelle aus aller Herren Länder.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ja, ja!)

Natürlich haben wir auch deutsche Straftäter, aber die unverantwortliche Zuwanderungspolitik hat zu einer unnötigen Verschärfung geführt.

(Sebastian Fischer, CDU: Belege! Belege!)

In Sachsen stieg laut Bericht des Statistischen Landesamtes die Zahl der verurteilten Ausländer im Jahr 2017 gegenüber 2016 um über 10 %.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Deren Anteil an den Verurteilten betrug 2017 fast 21 % mit Spitzenwerten von circa 38 % bei Mord und Totschlag sowie schwerem Diebstahl und 36 % bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Laut „Freie Presse“, die sich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik 2017 bezieht, waren knapp 2 000 libysche Staatsbürger in Sachsen gemeldet, und sage und schreibe 1 100 Libyer werden als Tatverdächtige geführt. Unfassbar! Und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein.

Die Forderung der AfD, regelmäßig eine Dunkelfeldstudie zur Kriminalitätsbelastung in Sachsen durchzuführen, wurde von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, auf breiter Front abgelehnt. Haben Sie Angst vor realen Zahlen, die belegen könnten, dass das gesunkene Sicherheitsgefühl der Bürger mit den tatsächlichen Gegebenheiten korrespondiert? Was auf die Justiz zukommt, wenn sich auch in Sachsen zunehmend kriminelle Clans etablieren, die Ausländerkriminalität weiter ansteigt und weiterhin Gefährder, Dschihadisten und möglicherweise auch Kriegsverbrecher aus dem Orient – egal, ob mit oder ohne Doppelpass – nach Sachsen einreisen, mag man sich gar nicht ausmalen.

All diese Verfahren werden – neben den Verfahren gegen einheimische Straftäter – die Kanäle unserer Justiz verstopfen. Da können sich Richter und Staatsanwälte noch so sehr nach der Decke strecken, da können weitere Mittel für die Einstellung von Personal lockergemacht oder es kann gleich noch Teil 2 des Paktes für den Rechtsstaat nachgeschoben werden – helfen wird es nicht.