Protokoll der Sitzung vom 04.05.2022

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank an Sarah Buddeberg für die Fraktion DIE LINKE. Gibt es von den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Für die BÜNDNISGRÜNEN bitte noch einmal Frau Čagalj Sejdi.

Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es in den letzten Redebeiträgen ganz deutlich gehört: Die Barrierefreiheit ist ein wichtiger Baustein für die Inklusion in unserer Gesellschaft. Um die Inklusion wiederum auch wirklich gestalten zu können, brauchen wir die Barrierefreiheit. Es ist also ein Kreislauf, der sich ständig bewegt.

Sicherlich ist das Vorhaben richtig, wenn wir sagen: 2030 sind wir in Sachsen komplett barrierefrei. Aber das ist schon allein deshalb illusorisch, weil Barrieren neu entstehen, neu verhindert und neu abgeschafft werden müssen. Es ist aber trotzdem ein Ziel, das wir uns setzen sollten.

Ich möchte die letzte Runde zum Anlass nehmen, um vor allem die Punkte zu nennen, die mir persönlich sehr wichtig sind, wenn es darum geht, Barrieren abzuschaffen und Inklusion zu schaffen. Eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, ist die Inklusion im Bereich der Jugendhilfe. Wir brauchen einfach noch viel mehr Jugendklubs, viel mehr Freizeitangebote, die für alle Jugendlichen zugänglich sind. Wir brauchen bei der Schaffung von solchen Angeboten Barrierefreiheit, die von Anfang an mitgedacht wird,

einfach immer mit dabei ist und keine Besonderheit darstellt. Das Bundesgesetz gibt uns hierzu einen ganz konkreten Auftrag. Ich finde es wichtig, das an dieser Stelle noch einmal zu erwähnen, damit wir es auch immer mitdenken können.

Ein zweiter Punkt, der ebenfalls sehr wichtig und jetzt wieder sehr akut und präsent ist: Das ist die Tatsache, dass auch sehr viele geflüchtete Menschen mit Behinderungen zu uns kommen, und zwar nicht jetzt während des Krieges in der Ukraine, sondern auch bei allen anderen Krisen und Kriegen, die zu Flucht und Zuwanderung zu uns geführt haben. Es ist wichtig, auch hier Barrierefreiheit und Inklusion mitzudenken. Es ist wichtig, dass wir schon beim Ankommen der Menschen konkret aufklären können, welche Rechte und welche Möglichkeiten sie haben. Es ist wichtig, dass wir darauf achten, welche Dinge sie brauchen, um im Alltag zurechtzukommen.

Es ist auch wichtig, darauf zu achten, dass sie Zugang und Kontakt finden zu Selbstvertretungen und Gruppen, die eine gleiche Behinderung haben, die ähnlich leben oder mit denen sie sich identifizieren können, um sich auszutauschen, zu vernetzen und um in das Leben in Sachsen hineinzukommen. Es ist aber genauso wichtig, bei den schrecklichen Abschiebungen, die stattfinden, daran zu denken, dass ihnen die Dinge, die die Menschen zum Leben brauchen – ihre Medikamente, ihre Krücken, ihre Prothesen –, mitgegeben werden und nicht später ein Anwalt oder Helferinnen und Helfer darum kämpfen müssen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich erwähnen möchte und der heute auch schon ein paar Mal genannt wurde, ist die Barrierefreiheit im Internet. Man kann es nicht oft genug sagen: Da haben wir noch einiges nachzuholen. Ein gutes Beispiel – oder leider ein nicht so gutes Beispiel, deswegen nenne ich es noch einmal – ist das Portal Amt24. Hier könnte noch sehr viel mehr Barrierefreiheit stattfinden. Hier könnten wir noch sehr viel mehr darauf achten, dass alle Menschen die Informationen bekommen, die sie brauchen und dass sie die Formulare dort finden, die sie brauchen; sei es in leichter Sprache, sei es optisch oder sei es vielleicht auch in anderen Sprachen. Barrierefreiheit betrifft ja nicht nur Menschen mit Behinderungen, Barrierefreiheit betrifft auch Menschen, die vielleicht eine andere Sprache sprechen. All das sind Punkte, die sehr wichtig sind.

Ganz wichtig ist auch die Barrierefreiheit in unserem Haus. Die Tatsache, dass heute Gebärdendolmetscher da sind, ist ein guter Schritt, aber eigentlich wäre es doch wichtig, dass wir sie bei allen Debatten hier begrüßen könnten, sodass Menschen, die taub sind, jeder Debatte folgen könnten und nicht nur den Debatten, die Inklusion zum Thema haben, sondern auch den Debatten, in denen es um Wirtschaft, um Klima, um Verkehr etc. geht.

Lassen Sie mich vielleicht mit diesem Wunsch unsere Runde hier beenden: Sachsen barrierefrei geht uns alle an. Ich freue mich, dass wir das heute hören konnten, dass es uns fraktionsübergreifend ein gemeinsames Anliegen ist, und ich hoffe, dass wir so auch dafür weiterkämpfen.

Danke schön.

(Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, den LINKEN und der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Vielen Dank. – Nunmehr hat für die Staatsregierung Frau Ministerin Köpping das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wenn Sie gestatten, würde ich gern Herrn Welsch noch einmal persönlich begrüßen, der heute als Beauftragter der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen anwesend ist. Ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind, weil wir schon eine sehr gute Zusammenarbeit pflegen. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bei Ihnen und Ihrem gesamten Team bedanken.

(Beifall bei der der SPD, der CDU, den LINKEN und den BÜNDNISGRÜNEN)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, ehrlich gesagt, sehr über die Diskussion, die wir heute führen. Wir haben uns auf der einen Seite über die Programme, die die Landesregierung aufgelegt hat, die mit Ihrer Unterstützung eine Finanzierung erhalten haben, verständigt, auf der anderen Seite ist das Thema Teilhabe aber ein Menschenrecht.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir über dieses Menschenrecht, das alle Menschen gleichermaßen betrifft, immer wieder reden; denn Inklusion ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Inklusion ist kein Nischenthema. Jeden von uns, die wir hier alle sitzen, kann es morgen betreffen. Deswegen dürfen wir nicht so tun, als ob das ein Thema sei, das uns nicht betreffe.

Diese Aufgabe muss durch Wiederholung und das Handeln der Gesellschaft zu einer Selbstverständlichkeit werden. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir im Landtag dieses Thema in dieser Aktuellen Debatte besprechen.

Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass die Entwicklungen in Sachsen durchaus positiv sind. Ich durfte jüngst an der Bundestagung der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen teilnehmen. Besonders unser Aktionsplan, der von den einzelnen Rednern heute bereits genannt wurde, ist immer wieder erwähnt worden. Dort ist festgestellt worden, dass wir eines der wenigen Bundesländer sind, die einen solchen Aktionsplan haben. Deswegen dürfen wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, auch wenn ich weiß, dass mehr Tempo – es könnte schneller gehen –, unser aller Anliegen ist. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Das ist wichtig, weil Barrieren nicht nur Treppen sind, die mit Rollstühlen nicht überwunden werden können, sondern dass es auch die Barrieren im digitalen Raum, im Internet, sind.

Es sind bereits positive Beispiele genannt worden. Ich würde mich denen gern anschließen. Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass unsere beiden Gebärdendolmetscher, Herr Mischke und Frau Christoph, welche ich noch

einmal ganz herzlich begrüße und bei denen mich herzlich dafür bedanke, dass sie das heute machen und immer dabei wären; weil Menschen mit Behinderungen an allen Themen, die wir hier besprechen, ein Interesse haben und nicht nur an den Themen, die Menschen mit Behinderungen speziell betreffen.

„Sachsen barrierefrei 2030“ ist besprochen worden. 49 Maßnahmen sind in den Kommunen bereits realisiert. Es kann sein, dass 49 Maßnahmen bei 430 Kommunen wenig klingt, aber die Menschen sind auf dem Weg. Auch hier möchte ich ganz klar sagen: Die interministerielle Arbeitsgruppe, die Frau Kliese angesprochen hat, ist eine Arbeitsgruppe, in der ganz viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien arbeiten. Ich war wirklich überrascht, mit wie vielen Ideen sie kommen und dass es eben kein Thema ist, das man am Rand bespricht, sondern dass es zum Alltag gehört.

Es dürfen solche Dinge – ich muss dieses Beispiel leider nennen: den Zoo Leipzig – einfach nicht passieren, dass ein neues Gebäude errichtet wird, das von Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, nicht besucht werden kann. Deswegen bin ich ganz froh, dass wir diese Themen hier regelmäßig besprechen.

Wir haben im Jahr 2021 150 000 Euro je Landkreise und kreisfreier Stadt ausgereicht. Auch das wird immer wieder lobend erwähnt, weil wir den Kommunen an dieser Stelle viel mehr zutrauen können, als wir es vielleicht in der Vergangenheit getan haben. Sie wissen, wenn sie bestimmte Dinge im öffentlichen Raum errichten, dass Barrierefreiheit einfach dazugehört, weil Barrierefreiheit nicht für Menschen mit Behinderungen allein notwendig ist, sondern für viele Menschen – eigentlich für alle, wenn wir ganz ehrlich sind.

Zu den Barrieren im digitalen Raum, die ich vorhin schon angesprochen hatte, will ich noch einmal erwähnen, dass es schon wichtig ist, in leichter Sprache zu agieren. Damit bin ich auch wieder in meiner Funktion als Gesundheitsministerin. Mit unseren vielen Verordnungen, die wir während der Corona-Zeit auflegen mussten, mit den vielen Erlassen, die wir durchgeführt haben, war es für die Menschen nicht immer einfach, das alles nachzuvollziehen. Aber durch die einfache Sprache, in der wir unsere Verordnungen und Richtlinien veröffentlicht haben, ist es für alle Menschen möglich geworden zu verstehen, was in diesen Verordnungen steht. Neben aller Kritik, die es natürlich immer gibt, gab es dazu auch ein positives Feedback.

Das Programm „Lieblingsplätze für alle“ ist bereits erwähnt worden. Das ist wirklich eines der schönsten Programme, die in Sachsen laufen, und zwar allein schon wegen des Titels, der aussagt, dass wir damit zum Beispiel die Barrierefreiheit in Arztpraxen fördern oder – um weitere Beispiele zu nennen – so ein simples Ding wie ein WC an den Panoramainseln am Kulkwitzer See, das barrierefrei gebaut worden ist. Für denjenigen, der es wirklich braucht, ist das eine unheimlich wichtige Angelegenheit. Deswegen freue ich mich einfach darüber.

Ein weiteres Beispiel ist der Zoo Dresden; das kann man ja auch mal nennen. Dort sind alle Besucherwege rollstuhlgerecht gebaut worden, und damit ist der Zoo für alle besuchbar geworden. Ich nenne auch den barrierefreien Zugang zur Wanderhütte am Abenteuerspielplatz in Breitenbrunn.

Ich habe mit vielen Menschen, die eine Behinderung haben, Kontakt, und die erzählen mir dann immer von den Dingen, wo es noch nicht möglich ist. Wir haben es aber auch dort, wo es möglich ist. Insofern sollte man immer beides mitdenken, und ich bedanke mich beim Landtag ganz herzlich, dass die Finanzierung bisher unterstützt wurde. Frau Kliese hat auch erwähnt, dass es wichtig ist, diesen Standard beim nächsten Doppelhaushalt zu halten. Denn wir haben ein Vertrauen, welches uns diese Menschen gegeben haben, und das sollten wir nicht durch Kürzungen – die sicher an der ein oder anderen Stelle nicht zu umgehen sind – verspielen.

Vorletzter Punkt. Barrierefreiheit ab dem Jahr 2023 ist natürlich nicht nur eine Aufgabe des SMS; auch das ist heute schon einmal gesagt worden. Noch einmal: Alle Ministerien haben ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für dieses Thema brennen, in diese interministerielle Arbeitsgruppe geschickt. Das halte ich für außerordentlich wichtig, weil wir dort engagierte Menschen haben, die das dann in ihrer täglichen Arbeit umsetzen. Das ist nicht immer allein von Geld, sondern auch von der inneren Einstellung, die man zu diesem Thema hat, abhängig. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir das machen können.

Sachsen barrierefrei 2030 – klar würden wir uns alle wünschen, dass dann alles barrierefrei ist, aber ganz so optimistisch bin ich nicht. Wir werden jedoch so sehr wie möglich versuchen, das umzusetzen. Alle Ressorts werden für den neuen Doppelhaushalt ihre Bedarfe anmelden, damit wir zeigen können, dass uns das Thema Barrierefreiheit in Sachsen wirklich wichtig ist.

Letzter Punkt. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei allen Engagierten ganz herzlich bedanken. Es ist oft ein sehr mühseliger Weg, den die Menschen, die es auf der einen Seite betrifft, aber auch die Menschen, die sich dafür einsetzen, da gehen. Darüber zu reden und sich damit zu befassen, die Einsicht, dass ein Menschenrecht umzusetzen ist, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir bei diesem Thema vorankommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den BÜNDNISGRÜNEN)

Vielen Dank. Das war Frau Staatsministerin Petra Köpping. Wir sind jetzt am Ende der Aktuellen Debatte. Ich möchte ganz herzlichen Dank an Frau Mischke und Herrn Christoph sagen. Ich finde, Sie haben einen Applaus für das, was Sie hier tun, verdient.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Damit ist die erste Aktuelle Debatte abgeschlossen. Wir kommen jetzt zu

Zweite Aktuelle Debatte

Sicherheit im Wandel: Beschäftigte mit kleinen und

mittleren Einkommen schützen – den Sozialstaat stärken

Antrag der Fraktion SPD

Als Antragstellerin hat selbstverständlich die SPD-Fraktion das Wort, ansonsten in der gewohnten Reihenfolge. Herr Homann, bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Arbeit ist zentraler Bestandteil des Lebens. Arbeit ist Identität. Arbeit ist Würde. Arbeit bedeutet auch das Auskommen für das eigene Leben und die eigene Familie.

Die Sachsen arbeiten mit den Händen, mit dem Kopf und oft mit ganzem Herzen. Das macht Sachsen aus und deshalb verdient es Respekt. Wenn man – und das ist unser Anspruch – Politik für die breite Mitte der Gesellschaft macht, dann muss man mittlere und niedrigere Einkommen in den Mittelpunkt seiner Politik stellen. Das wollen wir tun. Das müssen wir tun.

Wir wissen, dass wir den Wettbewerb um die Fachkräfte der Zukunft nicht als Niedriglohnland gewinnen können.

Wir brauchen gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Unternehmen, um auch weiterhin gute Produkte herzustellen.

(Sebastian Wippel, AfD: Und um viele Steuern einzunehmen!)

Wir sehen hier, dass Respekt vor Arbeit und die Frage von wirtschaftlichem Erfolg zwei Seiten einer Medaille sind. Das ist kein Widerspruch. Hier haben wir noch etwas zu tun. Auch letzte Woche wurde uns wieder vor Augen geführt, dass die Menschen in Sachsen im Monat rund 800 Euro brutto weniger verdienen als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf des Abg. Sebastian Wippel, AfD)

In keinem anderen Teil des Landes ist der Niedriglohnsektor so groß wie bei uns. Deshalb ist es so wichtig – wenn wir darüber sprechen, was Respekt bedeutet –, dass die Bundesregierung letzte Woche im Bundestag das erste Mal

den Gesetzentwurf für einen Mindestlohn von 12 Euro eingebracht hat. Deshalb ist es so wichtig, dass es ein klares Bekenntnis dieser Koalition und auch der Regierung in Berlin zu Tariflöhnen gibt, die dafür sorgen, dass die Menschen nicht das Mindeste verdienen, sondern das Gerechte. Deshalb ist es wichtig, dass Arbeitsminister Martin Dulig das ZEFAS, das Zentrum für Fachkräftesicherung und Gute Arbeit in Sachsen, eröffnet hat.