Ich habe der Dame aus Bielefeld gesagt: Ich bin in der DDR geboren. Antwort: Das habe ich auf meinem Zettel nicht. Das war dort nicht.
Ich habe das der Dame nicht übel genommen; der Professor aus Bielefeld wird ihr den Zettel wahrscheinlich geschrieben haben. Ich habe gesagt: Das Gespräch ist beendet. Wenn Sie an diejenigen denken, die auf den Falklandinseln geboren sind und eine Antwort geben sollen, aber nicht an diejenigen, die in der DDR geboren sind, dann kommen Sie möglicherweise zu völlig falschen Ergebnissen.
Ich glaube, das ist es: Das Demütigende im kulturellen Umgang – von den sozioökonomischen Daten verstehe ich nicht so viel, wie Sie vielleicht, Herr Gebhardt –, das ist es; was übrigens Herr Dirk Oschmann in seinem bisher, wie ich glaube, mit 60 000 Exemplaren verkauftem Buch zum Ausdruck bringt. Herr Voigt, da machen Sie es sich etwas einfach. Wenn sich ein Buch diesbezüglich verkauft, muss man Dirk Oschmann, mit dem ich persönlich gesprochen habe, nicht recht geben,
aber es besteht irgendein Problem. Und ich denke, das sollten Sie ernster nehmen, als in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen ist.
Ich habe in meinem geisteswissenschaftlichen Studium gelernt: Bevor du die Welt retten kannst – was wir hier alle versuchen –,
wirst du versuchen, Begriffe zu retten. Begriffe müssen präzise formuliert sein, damit sie für die Debatte taugen. Ich darf zwei Begriffe – die Debatte ermöglicht es – aufs Korn nehmen: die undifferenzierte Verwendung des Begriffes „Unrechtsstaat“. Ich halte die Verwendung dieses Begriffes, über den man diskutieren kann, meist nur geeignet für die politische Debatte als politischen Schlagbegriff. Nicht nur, weil ich letzte Woche das letzte Dokument der DDR, welches mir staatlicherweise ausgestellt worden ist – ich kann und darf es leider nicht hochhalten –, nämlich meine Fahrerlaubnis mit dem Stempel der DDR, abgeholt
habe, habe ich wieder einmal festgestellt, dass die DDR durchaus einige Dokumente ausgestellt hat – mein Abiturzeugnis, mein theologisches Abschlusszeugnis –, die geeignet waren, rechtsstaatlich verwendet zu werden.
Wenn die DDR von uns als „Unrechtsstaat“ bezeichnet wird, dann dürfen wir hinzufügen, dass es in der DDR auch sehr viel Recht gab. Und wenn die Bundesrepublik von uns als „Rechtsstaat“ bezeichnet wird – da bin ich sofort dabei –, dann dürfen wir hinzufügen, dass es auch in dieser Bundesrepublik viel Ungerechtigkeit gibt. Geht es auch ein bisschen differenzierter, meine Damen und Herren?
Das Zweite ist der Begriff der „Wiedervereinigung“, dieser ist tauglich für die Sonntagsreden. Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes ist das, was die DDR getan hat. Vielleicht hätten Sie besser über die DDR sprechen können und über die Bedeutung.
Ich bin, wenn Sie so wollen, kein Ossi; mit dem Begriff „Ostdeutscher“ habe ich mich niemals identifiziert. Ich bezeichne mich gern als „Bundesbürger mit Migrationshintergrund“.
Zwar ist das Land, in dem ich damals lebte, immer noch dasselbe – meine Heimat –, doch dieses Land ist heute eine andere Gesellschaft
migriert. Insofern habe ich Erfahrung mit Migrationshintergrund und ich bin stolz darauf. Ich habe zu dieser Akzeptanz des Grundgesetzes vielleicht mehr persönlich beigetragen, gerade durch den Beschluss der Volkskammer – –
und ich glaube, wir können viel mehr daraus machen, auch im Sinne derjenigen, die sich für dieses Land im Osten einsetzen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gleich zu Anfang, Herr Voigt, möchte ich sagen: Ich habe bei Ihrem Redebeitrag den Eindruck, dass Sie in einem völlig anderen Sachsen leben als ich.
vielleicht ist das ein Hauch zu lang. Wir haben mit unseren Vorgängerparteien Erfahrung mit so etwas, das muss man sagen, das ist nur ein Tipp.
Ja, wir haben den Osten zur Aktuellen Debatte gemacht; ja, ich weiß, dass das Leute nervt; und ja, auch ich bin genervt, aber vor allem von der Art und Weise, wie diese Debatten geführt werden. Nämlich davon, dass Akteure wie der Springerkonzern so eine große Macht haben
und seit Jahrzehnten dazu beitragen, die Stimmung zu vergiften. Davon, dass genau diese Döpfners über Jahre hinweg eine Ossi-Feindlichkeit propagieren, die ihresgleichen sucht. Davon, dass derartige Äußerungen in meiner Welt normalerweise eigentlich gar kein Niveau sind, was einer Debatte wert wäre, und es dennoch einen riesigen Aufschrei darüber gab. Damit komme ich zu dem Schluss, dass die Debatte nicht zeitgemäß, aber eben doch nötig zu sein scheint.
All das ist zutiefst frustrierend und ich merke, wie widersprüchlich auch ich reagiere. Mal fühle ich mich in eine Position gedrängt, die entweder aus Verteidigung oder Kritik besteht. Mein Blick – und ich bin mir sehr sicher, dass es einigen oder sogar vielen Ostdeutschen genauso geht –, ist ein einziger Widerspruch und ich denke, das ist in Ordnung. Das gehört zu meiner und zu einer ostdeutschen Biografie. Und zu einer ostdeutschen Biografie – auch meiner
Generation –, gehört auch das Leben in der DDR. Eine Erzählung, die heute geprägt ist von Begriffen wie – es ist alles zu kurz gesprungen, was ich jetzt sage, aber es ist eine Aktuelle Debatte –: Stasi, Honecker, Schießbefehl, Bananen – ganz lächerlich –, Sächsisch, Trabi und die Gegenerzählung,
„Ostalgie“ genannt, ausschließlich positive Erinnerungen an die Zeit der Sorglosigkeit und sozialen Sicherheit, ein Ausdruck der Definition von Glück. Die Welt ist eben nicht schwarz oder weiß, und das war sie auch vor über 30 Jahren nicht. Widersprüche wie Verzweiflung und Hoffnung gehen dort Hand in Hand.
Wir brauchen über die Zukunft nicht reden, wenn wir die Geschichte nicht verstanden haben. Es gehört zur Wahrheit der verpassten Chancen dazu, dass sich zwei Staaten nicht auf Augenhöhe vereinigt haben. Es gehört auch dazu, dass im Westen nach dem Krieg die Demokratisierung mit Wohlstand einherging – im Osten war sie nach 1989 mit häufigem Verlust von Status und Wohlstand verbunden – und eine echte Transformation in ein geeintes Europa bis heute leider für viele immer noch ein Elitenprojekt geblieben ist.
An dieser Stelle geht es um das Über-sich-selbst-Nachdenken, auch hier im Hohen Hause; das würde einigen gut zu Gesicht stehen, Herr Voigt. Was war das, diese DDR? Was war das in den letzten 30 Jahren nach der Wiedervereinigung? Was sagt das alles über unsere Demokratie heute aus? Und dann Döpfners Zuschreibung: Die kriegen das im Osten nicht hin, die sind zu blöde zu allem. Wer urteilt hier eigentlich über wen? Ich darf sagen: Ja, wir haben im Osten ein Demokratieproblem.