Protokoll der Sitzung vom 01.06.2023

Deshalb rufen wir dazu auf, übermorgen nach AnnabergBuchholz zu fahren. Dort findet am 03.06. der sogenannte Schweigemarsch statt. Ich will noch einmal sagen, dass es den Fundamentalist(inn)en nicht, wie sie vorgeben, um Lebensschutz und christliche Werte geht, sondern um Kontrolle von Sexualität, Familienplanung und Beziehungsformen. Wir sagen dagegen: Pro Choice für die freie Wahl und unterstützen deshalb auch die Gegendemo Pro Choice in Annaberg-Buchholz und den Aufruf unter dem Titel „Leben schützen, Abtreibung legalisieren“.

Werte Kolleg(inn)en! Vorgestern ist die Empfehlung zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention an die deutsche Regierung vom UN-Frauenrechtsausschuss CEDAW veröffentlicht worden. Sie zeigt, dass sich in den letzten Jahren an der Versorgungslage kaum etwas geändert hat. Die deutsche Regierung wird aufgerufen, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren und Zugänge sicherzustellen.

Das ist genau das, was wir mit unserem Gesetzentwurf wollen. Das scheint zumindest auch ein Anliegen des Sozialministeriums zu sein; denn in der Presse war zu lesen, dass das Sozialministerium die Gesetzgebungsinitiativen der Bundesregierung im Sinne der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen und einer guten medizinischen Versorgung prüfen und begleiten will.

Ich frage Sie, Frau Köpping: Warum sollen wir nicht gleich in Sachsen damit anfangen? Dazu legen wir diesen Gesetzentwurf vor und freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss.

Ich bitte um Überweisung.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Einreicherin, die Fraktion DIE LINKE, hat Frau Kollegin Buddeberg gesprochen.

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Schwangeren im Freistaat Sachsen an den Ausschuss für Soziales und Gesellschaftlichen Zusam

menhalt – federführend – und an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer dem Vorschlag der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 8

Inklusion von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt

Drucksache 7/10373, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE,

und die Antwort der Staatsregierung

Bei diesem Thema unterstützt uns ein Gebärdendolmetscher, den ich sehr herzlich begrüße.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN und der Abg. Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE)

Als Einreicherin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE. Es folgen CDU, AfD, BÜNDNISGRÜNE, SPD, Fraktionslose und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Jetzt muss Frau Kollegin Buddeberg wiederum nach von schreiten und das Wort ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleg(inn)en! Arbeit ist das Salz des Lebens – so sagt es ein Sprichwort, das eigentlich ganz gut beschreibt, welchen Stellenwert Arbeit in unserer Gesellschaft hat. Wenn wir über Arbeit sprechen, dann meinen wir Erwerbsarbeit. Es geht also darum, Geld zu verdienen.

Menschen, die arbeiten und Geld verdienen – wenn die Arbeit denn gut bezahlt ist –, sind vor Armut geschützt. Sie können am sozialen Leben teilhaben und für sich und ihre Familie sorgen. Arbeit ist aber auch identitätsstiftend, zumal wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Das kritisieren wir als LINKE. Ich finde es jedoch bemerkenswert: Gemessen an der Rolle, die Arbeit in unserer Gesellschaft spielt, spielt sie doch eine bedeutend geringere Rolle in der Inklusionspolitik. Dabei ist es offensichtlich, dass es für Menschen mit Behinderung keine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt gibt. Aber auch sie wollen ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten einbringen. Auch sie wollen gebraucht werden.

Sie haben auch ein Recht darauf. Das ist in der UN-Behindertenrechtskonvention festschrieben, nachzulesen im Artikel 27. Deshalb war es uns als Fraktion DIE LINKE wichtig, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Wir haben eine Große Anfrage unter dem Titel „Inklusion von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt“ an die Staatsregierung gestellt. Diese sehr umfangreiche Anfrage haben wir ausgewertet und Schlussfolgerungen daraus gezogen. Wir haben das nicht allein gemacht, weil das Motto der inklusiven Selbstvertretung „Nichts über uns ohne uns“ lautet, und ich mahne immer an, das ernst zu nehmen. Ich

will mich auch daran messen lassen und deshalb haben wir im Frühjahr zwei Fachgespräche durchgeführt.

Es gab eine sehr große Resonanz und eine breite Beteiligung, unter anderem durch die LAG der Werkstätten für behinderte Menschen, den Sprecher(innen)rat der Werkstätten, die Werkstattträger, die LAG der Inklusionsfirmen, die LAG Selbsthilfe, die Bundesagentur für Arbeit, den KSV, das Integrationsamt, das Soziale Förderwerk und SFZ CoWerk Chemnitz sowie weiteren Einzelpersonen und Selbstvertretungen.

Das hat uns gezeigt, dass ein großer Gesprächsbedarf besteht, weil viel im Argen liegt. Wir haben deshalb zwei Fachgespräche geführt, weil wir uns zum einen auf die Werkstätten konzentriert haben – dazu will ich in meinem zweiten Redebeitrag ausführen –, und im anderen Gespräch auf die Frage: Wie kann und muss sich der allgemeine Arbeitsmarkt verändern?

Die Ergebnisse kann man in dem Entschließungsantrag, den wir heute vorgelegt haben, nachlesen. Die Große Anfrage zeigt zusammenfassend: Es bleibt viel zu tun.

Ich will einige aussagekräftige Zahlen nennen: Nur die Hälfte der Menschen mit Behinderungen ist erwerbstätig. Nur ein Drittel kann allein vom Einkommen leben. Fast ein Viertel ist armutsgefährdet. Menschen mit Behinderungen kommen, wenn sie arbeitslos werden, aus der Arbeitslosigkeit viel schwerer wieder heraus.

Natürlich gibt es in Sachsen bereits Maßnahmen; auch danach haben wir gefragt. Es gibt zum Beispiel das Persönliche Budget, das Budget für Arbeit und das Landesprogramm „Spurwechsel“. Die Zahlen zeigen aber, dass diese Maßnahmen nicht gut funktionieren. Ich möchte es einmal an dem Beispiel Budget für Arbeit deutlich machen: Es ist vor fünf Jahren eingeführt worden und seitdem sind in Sachsen nur 17 Fälle bewilligt worden. 17 Fälle sind viel zu wenig.

Wenn wir über den Arbeitsmarkt und den Zugang zu diesen reden, dann ist man sehr schnell beim Thema Bildung. Wir haben immer wieder für schulische Inklusion geworben, aber ich möchte allen sagen, die hier das Hohelied auf die

Förderschule singen: Das Problem ist, dass häufig kein Schulabschluss erworben wird. Im Jahr 2021 haben 84 % die Förderschule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Damit hatten sie keine geeignete Qualifikation für den Arbeitsmarkt. Damit war der Weg in die Werkstatt vorzeichnet und damit gehen Bildungssonderwelten in Arbeitssonderwelten über. Das heißt, inklusiver Arbeitsmarkt beginnt mit inklusiver Bildungspolitik.

Zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Wir wissen, es gibt Vorgaben, wie viele Menschen mit Behinderungen in Unternehmen beschäftigt werden müssen. Es ist an sich eine sehr gute Idee, Verpflichtungen festzulegen; denn theoretisch führt das zu mehr inklusiven Arbeitsplätzen und macht den Arbeitsmarkt insgesamt inklusiver. Praktisch könnte man meinen, dass ein großes Desinteresse daran besteht oder eine Schwierigkeit, es umzusetzen; denn gerade einmal 20 % der Arbeitgeber(innen) erfüllen diese Pflicht und ungefähr ein Viertel beschäftigt überhaupt keine Menschen mit Behinderungen. Bei privaten Unternehmen stagniert die Zahl in Sachsen bei mageren 3,5 %.

Das heißt, dass sich der Arbeitsmarkt verändern muss, und zwar nicht nur, weil wir einen Arbeitskräftemangel haben, sondern vor allem, weil wir aufhören müssen, Menschen mit Behinderungen auszugrenzen und auszuschließen. Wir müssen mehr inklusive Begegnungsräume schaffen, wenn sich die Gesellschaft verändern soll. Es ist besser, wenn man das nicht durch künstliche, neu gebildete Orte macht, sondern genau an den Orten, an denen Menschen sowieso schon sind, zum Beispiel in der Schule und in der Arbeitswelt. Wir müssen Inklusion endlich leben.

Dazu ist es wichtig zu sagen, dass Arbeitgeber(innen) oft Interesse haben – das ergab sich auch in den Fachgesprächen –, aber gar nicht richtig wissen, wie sie den Kontakt zu Menschen mit Behinderungen herstellen sollen. An dieser Stelle muss vielmehr Vermittlungsarbeit geleistet werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir Menschen mit Behinderungen empowern müssen; denn sie trauen sich selbst zu wenig zu, weil ihnen permanent wenig zugetraut wird. Auch das war eine Aussage aus den Fachgesprächen. Menschen mit Behinderungen haben häufig Diskriminierung erfahren. Sie wissen oft nicht, welche Möglichkeiten sie haben. Hier müssen wir ansetzen.

Um Menschen mit Behinderungen den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ist es wichtig, dass Arbeitsorte, an denen Inklusion bereits gelebt wird, gefördert werden, zum Beispiel Inklusionsfirmen, engagierte Arbeitgeber(innen), aber auch Außenarbeitsplätze von Werkstätten.

Hier wird gezeigt, wie es geht. Wir brauchen mehr davon; denn ein veränderter Arbeitsmarkt kommt allen zugute. Hoher Leistungsdruck, hohe Anforderungen und Angst vor Armut schaden allen, nicht nur Menschen mit Behinderungen.

Nebenbei bemerkt: Gelungene Inklusion zahlt sich aus. Eine Studie zur Inklusionsförderung hat ergeben, dass für

jeden finanzierten Euro inklusive Personalförderung 1,86 Euro zurückfließen, weil den Sozialversicherungen und Finanzämtern durch reguläre Beschäftigung Geld wieder zufließt.

Arbeiten zu können und eigenes Geld zu verdienen, ist nicht nur wichtig für die soziale Teilhabe und Unabhängigkeit, sondern Menschen mit Behinderungen haben deutlich höhere Kosten. Das haben wir zuletzt im Haushalt diskutiert, als es um das Blindengeld bzw. die Nachteilsausgleiche ging. Wir halten an dieser Forderung fest. Wir machen heute noch zehn Vorschläge für einen inklusiveren Arbeitsmarkt, die ich mit dem Entschließungsantrag vortragen werde.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Auf Kollegin Buddeberg folgt jetzt Kollege Hösl für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich mich dem Dank des Landtagspräsidenten anschließen, dass dieser Tagesordnungspunkt mit Gebärdendolmetschen untersetzt wird. Ich möchte auch den Hinweis geben, dass unser Livestream mit Untertiteln untersetzt ist. Das finde ich sehr gut. Vielen Dank an den Landtag an dieser Stelle, dass die Möglichkeit gegeben ist.

(Beifall bei der CDU, den BÜNDNISGRÜNEN und der Staatsregierung)

Inklusion ist und bleibt permanente Aufgabe von Bund, Land, Kommunen und jedem Einzelnen. In den vergangenen Jahren konnten wir im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einiges voranbringen. Barrierefreie Zugänge im alltäglichen wie auch im digitalen Bereich sind Bereicherungen für alle Menschen. Das Bewusstsein dafür konnte geschärft werden; doch die Möglichkeit, alle gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Bereiche barrierefrei zu nutzen, ist noch nicht gegeben. Hier besteht ein klarer Nachbesserungsbedarf. Das betrifft auch, und darum geht es hier, den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen.

Herr Präsident, ich zitiere. Der ehemalige CDU-Politiker Norbert Blüm sagte einmal: „Nichts ist wichtiger für die Behinderten, als durch ihrer Hände Arbeit zum eigenen Lebensunterhalt beizutragen.“ Die deutsche und damit auch sächsische Teilhabepolitik sind darauf ausgerichtet, Menschen mit Behinderungen möglichst in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, sie dort zu beschäftigen und zu halten. Das ist insofern von besonderer Bedeutung, als dass die Zahl der schwerbehinderten Menschen in Sachsen vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2021 auf knapp 433 000 gestiegen ist. Dass damit auch ein Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderungen einhergeht, zeigt, dass Inklusion nicht nur eine Worthülse ist.

Gleichsam müssen wir auch ihre Zahl im Bereich der Erwerbslosigkeit im Blick behalten. Generell sehen wir jedoch eine Dynamik, in die auch Menschen mit Behinderungen eingebunden sind. Zahlreiche Unternehmen setzten sich bereits seit Jahren gezielt für Inklusion ein und beschäftigen Menschen mit Behinderungen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag für umfassende und gesellschaftliche Teilhabe. Völlig zu Recht erhalten sie dafür finanzielle Unterstützung durch das sächsische Arbeitsmarktprogramm. Das Wissen um die Unterstützung ist jedoch noch nicht flächendeckend in den Unternehmen angekommen. Dieses Wissen zu vermitteln, bleibt auch in Zukunft eine Aufgabe für uns.

Im 7. Bericht zur Lage der Menschen mit Behinderung im Freistaat Sachsen können Sie von den Herausforderungen der Teilhabe lesen. Neben dem eingangs erwähnten Thema der Barrierefreiheit kommen in Bezug auf den Arbeitsmarkt die Werkstätten für behinderte Menschen zur Sprache. Sie werden teils als geschlossenes System empfunden, aus dem es schwierig ist, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Wenn wir den prozentualen Anteil der Menschen, die aus den Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt übergehen, der seit einigen Jahren nicht über 1 % steigt, als Maßstab für eine scheiternde Inklusion betrachten, verlieren wir vielleicht wichtige Punkte aus den Augen.

Es gibt nicht „die“ Behinderung. Vielmehr sind die Ursachen für Behinderungen vielfältig. Genetisch bedingte, durch Krankheit, Unfälle oder Traumata erfahrene oder aufgrund altersbedingter Erscheinungen erworbene Behinderungen lassen sich nicht pauschalisieren. Damit lässt sich auch der Umgang mit Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt nicht pauschalisieren; denn ebenso vielfältig sind die individuellen Einschränkungen, Fähigkeiten oder Ressourcen, die jeder Mensch aufweist.

Wenn demnach unser Ziel ist, jeden Menschen mit Behinderung, unabhängig von dessen individuellen Einschränkungen und Fähigkeiten, Interessen, Stärken und Grenzen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, haben wir Inklusion falsch verstanden. Vielmehr muss es darum gehen, Möglichkeiten zu schaffen und zu erlauben, sich entsprechend der individuellen Umstände einzubringen und zu entfalten. Vor diesem Hintergrund sollten wir verschiedene Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit als Chancen wahrnehmen, dass Menschen mit Behinderungen einen passenden Platz finden, sei es am ersten Arbeitsmarkt, in Werkstätten für behinderte Menschen oder in Unternehmungen.

Es gibt eine solche Unternehmung in meinem Wahlkreis. In einem Café im Stadtzentrum von Rodewisch sind neben zwei Personen in der Leitung ausschließlich junge Menschen mit Handicap beschäftigt. Staatsministerin Köpping hat dieses Unternehmen besucht. Dort wird tolle Arbeit geleistet. Derlei Entwicklungen machen Mut und zeugen von unternehmerischer Kreativität. Doch – und damit schließe ich den Kreis zum Anfang meiner Rede – seien wir ehrlich mit uns selbst, Inklusion und Teilhabe von Menschen mit

Behinderungen am Arbeitsmarkt ist und bleibt weiterhin eine herausfordernde Aufgabe.

Vielen Dank.