Sie hörten gerade Herrn Kollegen Hösl für die CDU-Fraktion. Als Nächstes hören wir für die AfD-Fraktion Frau Petzold. Bitte.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Werte Abgeordnete! Auch von mir bitte einen Dank an den Gebärdendolmetscher. – Erwerbstätigkeit ist für erwachsene Menschen ein wesentlicher Aspekt, um sich einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Gerade für Menschen mit Behinderungen hat die Teilhabe am Arbeitsleben eine große Bedeutung. So bedeutet Erwerbstätigkeit – erstens –wirtschaftliche Unabhängigkeit. Durch Teilhabe am Arbeitsleben können Menschen mit Behinderungen ihr eigenes Einkommen erzielen und müssen nicht auf staatliche Unterstützungen, Leistungen oder Unterstützung anderer angewiesen sein.
Zweitens bedeutet Erwerbstätigkeit die Stärkung des Selbstwertgefühls. Menschen mit Behinderungen können ihre Fähigkeiten und Talente entfalten, ihre Leistung anerkennen lassen und somit aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Drittens bietet die Teilhabe am Arbeitsleben des Weiteren die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung und Weiterentwicklung von Fähigkeiten. Durch Arbeit können neue Kompetenzen erworben und die vorhandenen Fertigkeiten verbessert werden.
Werte Abgeordnete, Menschen mit Behinderung sind ein wichtiger Teil des Wirtschafts- und Arbeitslebens. In Zeiten des Fachkräftemangels sind Fachkräfte begehrt und gesucht. Das Erwerbspotenzial gut ausgebildeter Fachkräfte ist unter den arbeitslosen Schwerbehinderten sehr hoch, da viele gut qualifiziert sind. 54 % der arbeitslosen Schwerbehinderten haben eine Berufsausbildung; bei nicht schwerbehinderten Arbeitslosen sind es nur 43 %. Der Arbeitsmarkt kann es sich nicht leisten, auf diese gut ausgebildeten, oftmals hoch qualifizierten Menschen zu verzichten.
Trotzdem haben es Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt schwerer als Menschen ohne Behinderung. Das ist ein Missstand, der uns zum Handeln auffordert. So wurden zum Beispiel zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben auf Bundesebene kürzlich zwar Änderungen beschlossen; doch leider wurde die Chance vertan, im Zuge einer Reformierung neue Mechanismen einzuführen, mit denen die Einbindung der Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt forciert werden könnte.
Schauen wir uns einmal die Arbeitsmarktrealität an: Seit vielen Jahren steigt die Zahl der Arbeitgeber stetig an, die trotz Beschäftigungspflicht, trotz Ausgleichsabgabe und Bußgeldzahlung keinen einzigen behinderten Menschen
beschäftigen. Mittlerweile entziehen sich 45 000 Arbeitgeber, also ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, insgesamt vollumfänglich ihrer gesetzlichen Pflicht. Daran können wir erkennen, dass der Ansatz, dass Arbeitgeber bei Nichteinstellung von Menschen mit Behinderung bestraft werden, nicht oder allenfalls nur eingeschränkt funktioniert.
Wir als AfD halten es für zielführender, wenn die Einbindung von Menschen mit Behinderung in den Betrieben nicht nur über Sanktionen erfolgt. Wir sind der Ansicht, dass die Arbeitgeber Anreize zur vermehrten Einstellung von Menschen mit Behinderung benötigen. Das hätte gleichzeitig den Aspekt, dass die Beschäftigung dieser Bürger positiv besetzt wird. Deshalb haben wir uns auf Bundesebene für eine neue Konzeption der Ausgleichsabgabe in Form eines Bonus-Malus-Systems starkgemacht.
Das heißt, jeder Arbeitgeber, der seiner gesetzlichen Beschäftigungspflicht vollumfänglich nachkommt, sollte einen jährlichen Bonusbeitrag erhalten, finanziert aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe, geteilt durch die Anzahl versicherungspflichtig beschäftigter Menschen mit Behinderung. Der Vorteil eines solchen Systems liegt auf der Hand: Durch die Bonuszahlung wird der Arbeitgeber stärker dazu animiert, Menschen mit Behinderung einzustellen, und das Freikaufen wird endlich unrentabel.
Werte Abgeordnete! Lassen Sie mich noch einige Worte über die Bedeutung der Werkstätten für Behinderte verlieren. Mir ist das wichtig, weil die Diskussionen in den letzten Jahren immer in die Richtung gegangen sind, wir müssten die Menschen aus den Werkstätten herausholen und in den ersten Arbeitsmarkt eingliedern. Selbstverständlich muss ein Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sein, wenn es vom Werkstattbeschäftigten gewünscht wird und er die individuellen Fähigkeiten dazu mitbringt. Aber dafür braucht es mehr als das Bereitstellen von Fördergeldern; denn wir müssen immer berücksichtigen, dass es für den größten Teil der in den Werkstätten Beschäftigten nicht möglich ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit seinen harten Anforderungen zu bestehen.
Die Werkstätten bieten dagegen die Möglichkeit, in einem geschützten Arbeitsumfeld zu arbeiten. In diesen Werkstätten erhalten die Beschäftigten individuelle Förderung und Unterstützung ihrer Fähigkeiten mit dem Ziel, diese weiterzuentwickeln. Es werden Schulungen und Weiterbildungen angeboten, um ihre beruflichen Kompetenzen zu erweitern. Die Selbstständigkeit wird gefördert und nicht zuletzt bietet die Arbeit in der Werkstatt die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen und in einer Gemeinschaft aktiv zu sein.
Wir müssen erkennen, dass eine berufliche Teilhabe für viele Menschen mit Behinderung ohne Werkstätten nicht möglich ist. Deshalb sollten wir unser Augenmerk zukünftig vermehrt darauf richten, die Strukturen der Werkstätten zu stärken. Wir brauchen in erster Linie eine angemessene Finanzierung, damit die Infrastruktur und die Dienstleistungen der Werkstätten aufrechterhalten und weiterentwickelt werden können.
Das war Frau Kollegin Petzold für die AfD-Fraktion. Jetzt ergreifen die BÜNDNISGRÜNEN das Wort, und ich darf Frau Kollegin Čagalj Sejdi nach vorn rufen.
Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE: Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ergebnisse der Großen Anfrage der Linksfraktion zur Inklusion von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zeigen ähnlich wie der 7. Bericht zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention in Sachsen deutlich: Wir haben in den vergangenen Jahren in Sachsen zwar einige Fortschritte gemacht; aber wir hängen, gerade was den Arbeitsmarkt und die Inklusion in den Arbeitsmarkt betrifft, noch sehr weit hinterher und liegen weit hinter dem, was heute notwendig wäre.
Die Zahlen zeigen ganz deutlich, dass die Beschäftigungsquote auf dem ersten Arbeitsmarkt viel zu niedrig ist, dass der Übergang von Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt schlecht funktioniert und dass wir noch sehr weit hinten anstehen. Schauen wir uns einmal ältere Zahlen an, die aber das deutlich machen, was wir heute noch erleben: Im Jahr 2017 zum Beispiel hatten wir unter den Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren 48 % Menschen, die gearbeitet haben. Im Vergleich dazu: Bei den Menschen ohne Behinderung waren es 83 %. Allein das macht es schon sehr deutlich.
Schauen wir einmal auf die Betriebe in Sachsen: Im Jahr 2020 hatten wir 8 740 Betriebe, die eine Pflicht zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung gehabt hätten. Dieser Pflicht kamen aber nur 21 % der Betriebe nach. Wenn man einmal schaut, was das für Betriebe waren, also kommunal und privat, dann schneiden die kommunalen Betriebe nicht sehr viel besser ab. Es waren 43 %, die dieser Pflicht nachgekommen sind, unter den Privaten 19 %. Sie sehen, wir haben hier einen enormen Nachholbedarf.
Wir haben es heute schon gehört: Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet uns dazu, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Sachsen umzusetzen, und zu dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gehört das Recht auf Teilhabe am Arbeitsmarkt, auf das Arbeiten in den Bereichen, in denen man arbeiten möchte, auf das Arbeiten, wie man es möchte, und auf eine faire Entlohnung.
Doch was braucht es, damit wir die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt hier in Sachsen vorantreiben können? Lassen Sie mich dazu einige Bereiche aufzählen: Einer der ersten und wichtigsten Punkte sind faire Bedingungen und Entlohnungen für alle. Dazu will ich auf eine Sache eingehen. Wir haben das Beispiel Werkstätten gehört, und wir bekommen es alle immer wieder mit: Die Entlohnung in den Werkstätten ist so niedrig, dass sie nicht einmal erwähnenswert wäre. Dafür ist hier aber die Altersversorgung gesichert.
Wer es vielleicht aus der Werkstatt heraus in den ersten Arbeitsmarkt schafft, landet in der Regel im Niedriglohnsektor und kann auf eine sehr niedrige Rente hoffen und in Altersarmut fallen. Dort fällt der Rentenbonus, den man in der Werkstatt gehabt hätte, weg, sodass die Menschen vor der Entscheidung stehen: Pest oder Cholera; Altersversorgung oder Entlohnung. Das darf es eigentlich nicht sein. Hier müssen wir darauf hinwirken, dass auf Bundesebene ein Ausgleich geschaffen wird.
Es braucht aber noch sehr viele andere Dinge. Ich gehe einmal einen Schritt zurück. Das haben wir auch in der Beantwortung gesehen. Wenn wir nach Sachsen schauen, fehlen uns vor allem belastbare Daten und Zahlen. Uns fehlt der genaue Überblick, wie viele Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten, wie viele Menschen einen Minijob haben, wie viele Menschen weniger als den Mindestlohn verdienen, wie viele es aus den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt schaffen. Wer schafft es nicht? Woran liegt das? Was sind die Hindernisse? Hier müssen wir genauer hinschauen. Das müssen wir genauer sehen und analysieren können.
Um den schon oft angesprochenen Übergang in die Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt hinzubekommen, brauchen wir Sensibilisierungskampagnen. Wir müssen an die potenziellen Arbeitgeber, an die Gesellschaft herantreten. Wir müssen Vorurteile abbauen und Ableismus bekämpfen, damit es gang und gäbe wird, damit es zur alltäglichen Normalität gehört, alle Menschen einzustellen, die man einstellen möchte und kann.
Ein zweiter Bereich, den ich ansprechen möchte, ist der Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt. Auch dazu haben wir heute schon einiges gehört. Schule und Arbeitsmarkt sind zwei verschiedene Felder, und gerade für Kinder und Jugendliche, die vielleicht in der Förderschule waren, ist dieser Übergang um einiges schwieriger.
Er ist auch für Arbeitgeber, die darin neu sind oder unerfahren, schwierig. Das heißt, wir brauchen Unterstützungsangebote, zum einen für die Jugendlichen, die nach der Betreuung in der Schule auch weiter betreut und begleitet werden müssen, zum anderen natürlich auch für die Arbeitgeber, die lernen müssen: Wie sieht ein barrierefreier Arbeitsplatz aus? Wie sieht barrierefreie Architektur in meinem Unternehmen aus? Wie ist der spezifische Umgang mit den spezifischen Bedürfnissen der Menschen? Was brauche ich? Was muss ich leisten können? Hier müssen wir entgegenkommen; hier müssen wir unterstützend helfen.
Wir müssen natürlich auch einen sehr viel stärkeren Fokus auf die inklusive Beschulung legen; denn wo, wenn nicht in der Schule, in der alle zusammenkommen, schaffen wir Vorurteile ab? Wo schaffen wir ein Kennenlernen? Wo schaffen wir auch für Menschen mit Behinderungen, dass sie schon einmal die Situation kennenlernen, wie sie auch in einem Unternehmen bestehen kann, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen? Wo schaffen wir für
Menschen ohne Behinderungen, für Kinder ohne Behinderungen diese Situation und das Kennenlernen? Hier ist eigentlich der Anfangspunkt. Hier müssen wir zusammenkommen, um Weiteres zu schaffen, um weitere Wege aufzubauen.
Ebenso braucht es eine bessere Unterstützung in der zeitigen Beratung und Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, wenn es darum geht, was sie denn später einmal arbeiten möchten, damit wir rechtzeitig erkennen können: Wo braucht die Schülerin mehr Unterstützung, wo kann man ihr zureden, wo kann man ihr auf einem entsprechenden Weg helfen? Auch da müssen wir näher ran.
Kommen wir zum Thema Werkstätten. Auch das haben wir heute schon gehört; auch das ist uns bekannt. Werkstätten sind sicherlich in der heutigen Zeit ein Thema, das unterschiedlich diskutiert wird, aber es ist uns allen klar: Hier muss einiges geändert werden, egal auf welche Art und Weise. Es ist auch klar, dass diese Änderungen nicht ad hoc passieren können, nicht von heute auf morgen, dass sie stufenweise und gut überlegt sein müssen. Aber sie müssen stattfinden.
Was wir hier schon leisten können, ist zum Beispiel ein größerer Anteil an Außenarbeitsplätzen. Wir können schauen, ob wir auch von Landes- und von Kommunalseite her mehr Außenarbeitsplätze und mehr Möglichkeiten schaffen, vom Außenarbeitsplatz in das direkte Beschäftigungsverhältnis zu wechseln. Ebenso könnten wir über den Aufbau von Kooperationen nachdenken, Kooperationen und Partnerschaften zwischen Werkstätten und öffentlichen Einrichtungen – Krankenhäuser, Gärtnereien, Behörden –, dort, wo Bedarf ist, da, wo man Menschen einsetzen kann.
Der vierte Punkt, den ich hier ansprechen möchte, sind die Inklusionsbetriebe. Darauf sollten wir das Hauptaugenmerk legen; denn hier haben wir den Schritt zwischen Werkstatt und erstem Arbeitsmarkt. Hier müssen wir schauen, dass zum Beispiel Inklusionsbetriebe im Vergabeverfahren noch stärker bevorzugt werden, dass im öffentlichen Dienst die Vergabekriterien so weit geändert werden, dass Inklusionsbetriebe bei der Auftragsvergabe bevorzugt werden.
Wir müssen darauf achten, dass die Qualität in den Inklusionsbetrieben bestehen bleibt. Und mit Qualität meine ich vor allem die Qualität für die dort Arbeitenden. Der Schutz, die Betreuung, die soziale und pädagogische Unterstützung müssen vorhanden sein, damit es dort gut funktioniert. Es muss natürlich auch ausreichend Anreize für Betriebe geben, zu Inklusionsbetrieben zu werden.
Ich habe Ihnen jetzt in der Kürze und Schnelligkeit eine ganze Anzahl an Punkten aufgezählt, an denen wir Stellschrauben hätten, um etwas zu verbessern. Es gibt noch unzählige mehr. Das war jetzt erst mal von meiner Seite nur eine Auswahl. Ich denke aber, worauf wir ganz besonders den Blick legen sollten – das zeigen uns die Beantwortung und der Bericht –: Wir müssen im Themenbereich nicht nur bei der Arbeit, sondern allgemein im Themenbereich In
klusion viele und große Schritte vorankommen. Wir müssen Maßnahmen und Möglichkeiten zur Teilhabe neu denken und wir müssen, das denke ich ganz sicher, vor allem unser Inklusionsgesetz novellieren.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich sehr gern dem Dank an die Gebärdensprachdolmetscherin und den Gebärdensprachdolmetscher anschließen für ihre Tätigkeit und natürlich auch dem Präsidenten, dass er das ermöglicht. Ich möchte an dieser Stelle aber auch, weil dieser Dank in Regelmäßigkeit hier kommt, darauf aufmerksam machen, dass es jedem Vertreter, jeder Vertreterin in unserem schönen Präsidium möglich ist, Dolmetscherinnen und Dolmetscher in jeder Präsidiumssitzung zu beantragen. Es ist uns als Haushaltsgesetzgeber(innen) auch möglich, in unserem Haushalt die Gelder dafür zu verankern, dass das hier regelmäßig stattfindet. Da helfen uns dann keine warmen Worte hier vorne, sondern Initiativen in den entsprechenden dafür vorgesehenen Gremien.
Dann möchte ich mich noch ganz herzlich bedanken bei all denjenigen, die die Fragen ausgearbeitet und beantwortet haben. Große Anfragen bedeuten immer große Arbeit für die, die sie erstellen, und für die, die sie beantworten. Es ist tatsächlich so, dass die Antworten selten vollumfänglich zufriedenstellend sein können, und in diesem Fall ist es auch wirklich ein bisschen schmerzhaft, dass an der einen oder anderen Stelle einfach die Datenbasis fehlt; mir fehlt sie zumindest für die Analyse. Aber das ist nicht immer unbedingt die Schuld derer, die die Antworten schreiben müssen. Insofern noch mal herzlichen Dank an die Ministerien, die daran mitgetan haben.
Warum ist das Thema, wie Sarah Buddeberg am Anfang einführte, ein weniger erfolgreiches im Zuge der Geschichte der Inklusion? Warum ist es eins, dem man sich so schwer nähern kann? Auch ich tue mich damit schwer. Ich bin sehr stolz auf vieles, was wir für Inklusion in den letzten Jahren hier erreicht haben. Das Thema Inklusion am Arbeitsmarkt gehört nicht dazu. Es ist auch nicht so, dass ich mich dafür schäme, aber es ist nicht genug passiert. Das liegt an vielen Dingen, vor allem liegt es daran, dass es eben sehr viele Akteurinnen und Akteure gibt, die bei diesem Thema mitziehen müssen. Es ist eine große Menge an Menschen, die mitmachen müssen, damit Inklusion am Arbeitsmarkt funktioniert. Es ist ein wahnsinnig komplexes Thema. Auch das Thema Werkstätten ist ausgesprochen komplex, aber damit warte ich auf die zweite Runde, was dazu noch zu hören ist. Wir können uns von ganz vielen
Ich nenne für die heutige Debatte drei Themen, um es nicht überzustrapazieren. Wir können uns – was mir sehr gefällt – philosophisch dem Thema nähern: Was bedeutet eigentlich Arbeit? Was ist der Wert von Arbeit in unserer Gesellschaft? Momentan leben wir in einem kapitalistischen System, das den Wert von Arbeit so bemisst, dass es am Ende einen Umsatz geben muss – wir hatten gestern schon das Thema Gewinn und Umsatz – und dann einen Gewinn. Genau das macht das Problem der Werkstätten aus. Ich sehe jede Kritik an Werkstätten als eine reine Kapitalismuskritik an und nicht als eine Kritik an den Menschen, die dort arbeiten und auch nicht eine Kritik am Freistaat, der die Werkstätten so schlecht ausstattet. Das ist nämlich nicht der Fall. Es geht einfach darum: Was ist uns Arbeit in dem Land, in dem wir leben, wert, und was definieren wir als Arbeit? Wenn wir das neu definieren wollen, können wir das machen. Das werden wir aber wahrscheinlich nicht in dieser Debatte schaffen können. Aber darüber können wir uns sehr gern mal austauschen.
Der zweite Punkt ist die Bildungspolitik; das wurde auch schon angesprochen. Die Bildungspolitik ist eine sehr wichtige Komponente. Momentan haben wir im Freistaat Sachsen die Situation, dass Kinder, wenn sie acht, neun oder zehn Jahre alt sind und in ihrer Schulklasse aus irgendwelchen Gründen verhaltensauffällig werden, bereits aufgrund von Überlastung von Lehrpersonal etc. pp. an Förderschulen abgeschoben werden. Ich möchte darüber nicht richten. Ich verstehe jede Lehrerin, die das macht, weil sie auch mit ihren anderen Schülerinnen und Schülern arbeiten muss. Ich stelle an der Stelle nur fest, dass das in Sachsen gerade stattfindet.
Der Weg aus der Förderschule zurück auf eine Regelschule findet so herum sehr selten statt. Was häufiger stattfindet, ist der Weg von einer Förderschule direkt in eine Hartz-IVLeistungsberechtigung oder in eine Werkstatt, und das ist ein Problem. Wir produzieren momentan – das wurde auch schon angesprochen – an Grundschulen Kinder, die dann später Erwachsene werden, mit solchen Biografien. Das hat sehr viel damit zu tun, dass unser Schulsystem momentan so ist, wie es ist. Aber, wie gesagt: Ich möchte da weder die Förderschulen kritisieren in dem Sinne – die tun ihr Bestes – und auch nicht die Lehrer(innen), die irgendwann entscheiden müssen: Wir schaffen den Unterricht so nicht mehr, wir müssen uns etwas anderes für die Kinder einfallen lassen. Das zeigt nur die ganze Komplexität des Themas, über das wir sprechen.
Der dritte Punkt, den ich hier wählen möchte, ist der Zugang – das kam nämlich noch gar nicht –: Was haben wir denn wenigstens schon geschafft? Dabei würde ich gern zwei positive Beispiele nennen. Das eine sind die Praxisbausteine. Praxisbausteine sind eine sehr schöne Erfindung für Werkstätten von Menschen mit Behinderungen, mit der Menschen mit Behinderungen lernen können – dafür bekommen sie am Ende auch ein Zertifikat –, sich in kleinen Schritten auf den ersten Arbeitsmarkt zuzubewegen. Das
heißt, es gibt 79 Praxisbausteine aus elf Berufsfeldern im Freistaat Sachsen in anerkannten Ausbildungsberufen. Das wird dann direkt von der Kammer zertifiziert. Man kann inzwischen in 33 von den 60 Behindertenwerkstätten solche Praxisbausteine erwerben, und mit diesen Zertifikaten soll der Übergang zum ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden.