Protokoll der Sitzung vom 21.09.2023

Drucksache 7/13852, Antrag der Fraktion DIE LINKE,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge: DIE LINKE, CDU, AfD, BÜNDNISGRÜNE, SPD, Fraktionslose, wenn gewünscht. Wir beginnen mit der einbringenden Fraktion. Das Wort erteile ich jetzt Herrn Böhme. Bitte, Sie haben das Wort, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluss des Tages möchten wir das Thema Deutschland-Ticket ansprechen. Vielleicht wundern Sie sich, dass mein Schwerpunkt in dieser Rede nicht bei dem ganz aktuellen Thema, nämlich der Problematik der Weiterfinanzierung dieses Tickets, liegt; denn dass diese nicht klar ist, ist ein Skandal an sich und wäre eine eigene Debatte wert.

Selbst unser Ministerpräsident hat erkannt, dass hier gehandelt werden muss, und wird jetzt auch mit dem Bundesfinanzminister sprechen. Es wäre in der Tat fatal, wenn es

dieses Erfolgsmodell, dieses bundeseinheitliche ÖPNV-Ticket, in den nächsten Jahren so nicht mehr gäbe, weil die Finanzierung von Bundesebene nicht mehr gegeben ist.

Aber ich möchte heute nicht nur über dieses Thema, also über die Rettung des Deutschland-Tickets an sich, sprechen, sondern vor allem über dessen Weiterentwicklung; das liegt mir am Herzen. Wir als Linksfraktion möchten vor allem, dass dieses Ticketangebot auch sozial gerecht ausgestaltet wird. Das ist der erste Punkt. Es braucht natürlich überhaupt erst einmal flächendeckende ÖPNV-Angebote. Das heißt, wir brauchen Kapazitäten in den Großstädten, wir brauchen vor allem aber auch ein Angebot in den ländlichen Regionen, damit Menschen überhaupt Alternativen haben, das Auto stehen zu lassen und stattdessen Bus und Bahn zu fahren.

Ich sagte bereits: Die Finanzierung muss langfristig gesichert sein, und das muss auch von der Bundesebene kommen.

(Beifall bei den LINKEN)

Alle drei Punkte finden Sie in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt. Ich möchte darauf noch einmal näher eingehen. Zunächst möchte ich Ihnen eine kleine rhetorische Frage stellen: Wussten Sie, dass Sie das Deutschland-Ticket theoretisch auch als Jobticket kaufen können?

(Zuruf von der CDU: Ja, aber nicht in allen Zweckverbänden!)

Natürlich geht das nur, wenn Ihr Arbeitgeber das überhaupt anbietet. Aber nicht jeder Arbeitgeber bietet das an. Das Deutschland-Ticket gibt seit dem 1. Mai dieses Jahres. Eine große Firma, die das mit 150 000 Beschäftigten in ganz Deutschland von Anfang an als Jobticket hinbekommen und angeboten hat, war der Supermarktkonzern REWE. Dort können alle Beschäftigten seit Mai dieses Jahres für etwa 30 Euro das Deutschland-Ticket erwerben.

Aber wer hat es nicht hinbekommen, das Jobticket als Deutschland-Ticket zu verkaufen? Der Freistaat Sachsen mit seinen Zehntausenden Beschäftigten. Es war geplant, dass es im August kommen sollte. Dann haben wir von September gehört. Vorgestern habe ich erfahren, dass es wohl erst Anfang November wird, dass die Bediensteten – es sind mehrere Zehntausend – das Deutschland-Ticket als Jobticket angeboten bekommen. Wir begrüßen, dass es irgendwann einmal so umgesetzt wird und diese Menschen günstiger mit dem Jobticket durch Deutschland fahren können.

Aber ich frage Sie: Wie können Sie eigentlich einer alleinerziehenden Mutter, einer Rentnerin oder einem Bürgergeldempfänger erklären, dass die Menschen, die relativ gut verdienen – das sind in der Regel auch Landesbedienstete –, noch einmal eine extra Ermäßigung als Jobticket bekommen, aber die Menschen, die gar kein Geld oder wenig Geld haben und zum Beispiel auch krasse Belastungen als alleinerziehende Personen haben, die brauchen vielleicht noch einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen, weiterhin für das Deutschland-Ticket den normalen Preis von fast 50 Euro bezahlen müssen? Das ist sozial ungerecht, meine Damen und Herren, das darf nicht so bleiben. Deswegen fordern wir auch ein Sozialticket im Deutschland-Ticket, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den LINKEN)

Es braucht also ein Sozialticket für genau diese Gruppen von Menschen. Das ist längst überfällig. Wir schlagen hierfür den Preis von 25 Euro vor. Das ist genau die Hälfte des jetzigen Deutschland-Ticket-Preises. Wir nehmen uns dabei ein Beispiel an dem Bundesland Bremen, das das schon umgesetzt hat. Ich meine, das können wir uns in Sachsen auch leisten.

Außerdem wollen wir das ewige Hickhack bei den Azubis beenden, die im Grunde jetzt gar keine große Verbesserung hatten. Sie hatten das 48-Euro-Azubi-Ticket und können

jetzt für 49 Euro ein Deutschland-Ticket kaufen. Das ist natürlich besser von der Reichweite her. Aber das ganze Projekt Azubi-Ticket ist damit ad absurdum geführt und wird damit abgeschafft.

Auch die Studierenden haben bis heute eigentlich keine krasse Verbesserung erlebt, weil sie vorher schon relativ günstig fahren konnten. Jetzt kommt das Deutschland-Ticket, das alle haben können. Sie wurden bisher vergessen, auch wenn sich der Freistaat dazu im Bund engagiert. Auch die Freiwilligendienstleistenden sind heute in Sachsen nicht bessergestellt, so wie es in anderen Bundesländern ist, wo es extra Angebote für diese gibt. Auch die soziale Ungerechtigkeit für diese Personengruppen wollen wir beenden und sie mit in das künftige Sozialticket hineinnehmen – also ihnen das anbieten –, weil diese Leute eben nicht viel Geld haben.

Wer auch nicht viel oder meistens gar kein Geld hat, das sind in der Regel Kinder und Jugendliche. Hier haben wir das Problem, dass sie auch gar kein Auto fahren dürfen, was eine Alternative zum ÖPNV wäre. Sie sind also auf den ÖPNV angewiesen, wenn sie längere Strecken mobil sein wollen. Deswegen, finden wir, muss die Mobilität für diese Menschen kostenfrei sein. Das können wir unseren Kindern und Jugendlichen gut anbieten, und das wäre auch eine sozial gerechte Maßnahme; denn wer kurze Beine hat, der soll nicht noch viel Geld dafür bezahlen müssen, um mobil zu bleiben.

(Beifall bei den LINKEN)

Damit dies nicht zu kurz kommt, noch zu einem Punkt aus dem Antrag: Es geht auch darum, dass wir den ÖPNV überhaupt ausbauen müssen. Denn was nützt ein DeutschlandTicket oder Sozialticket oder sogar ein kostenfreies Ticket für Kinder und Jugendliche, wenn überhaupt kein Bus fährt? Es kann nicht sein, dass wir in Sachsen immer noch knapp 50 % Flächen haben, auf denen kein Bus und keine Bahn regelmäßig fährt, wo nur einmal am Tag, wenn es hoch kommt, ein Schulbus fährt. Das ist doch kein Angebot, von dem Menschen profitieren können; dort können die Menschen das Auto nicht stehen lassen. Deswegen sagen wir, es braucht hier einen Mindestbedienstandard. Sie kennen das Wort schon aus unserem ÖPNV-Gesetz. Wir fordern also Standards ähnlich wie in der Schweiz, wo auf jeden Berg, auf jedes Dorf im Halbstunden- oder Stundentakt ein Bus oder sogar ein Zug fährt. Das wollen wir auch in Sachsen gesetzlich regeln. Wir wollen auch einen Landesverkehrsverband, der das umsetzt, nicht diese Königreiche, wie wir sie immer noch in Sachsen haben. Es muss hier wirklich viel passieren, wir wollen Mindestbedienstandards, die gesetzlich vorgeschrieben sind, dass ab einer bestimmten Einwohnerzahl mindestens ein SPNV- oder ÖPNV-Angebot vorliegt.

(Beifall bei den LINKEN)

Der Verband der Deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) gibt uns recht und sagt ganz deutlich – ich zitiere –: „Wir brauchen neben dem Deutschland-Ticket nun auch endlich ein Deutschlandangebot.“ Damit hat der recht. Es muss

wirklich eine Angebotsverbesserung kommen, damit wir auch die Klimaziele erreichen. Da ist, das hat der VDV auch festgestellt – Zitat –, „der Verkehr der einzige Sektor, der gleichzeitig beim Emissionsreduktionsziel seine Ziele verfehlt und sogar noch einen Anstieg zu verzeichnen hat, und das trotz 9-Euro-Ticket und relativ hoher Spritpreise im letzten Jahr.“

Wir sehen also: Der Preis ist nicht alles; es braucht auch das Angebot. Deswegen fordern wir nicht nur ein Sozialticket für die betreffenden Gruppen, sondern auch eine Angebotserweiterung, wie es auch andere Länder in Deutschland – Mecklenburg-Vorpommern und Bremen hatte ich genannt – vorhaben. Auch Bayern überlegt sich, Sozialtickets einzuführen. Ich finde, das sollten wir in Sachsen auch tun, damit die Menschen mobil sind, das heißt, damit sie es sich nicht nur finanziell leisten können, sondern damit sie auch wirklich fahren können. Aufbau und vergünstigte Tickets – dafür ist es jetzt wirklich an der Zeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den LINKEN)

Als nächsten Redner hören wir für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Nowak.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Antrag hatte ich gehofft, dass einmal etwas Neues kommt. Aber leider holen Sie von den Linken gleich wieder die alte Schallplatte aus dem Keller: „Der Freistaat muss, der Freistaat soll, der Freistaat kann …“ Dabei ignorieren Sie vollständig die finanziellen Rahmenbedingungen des DeutschlandTickets, und Sie ignorieren auch vollständig die finanziellen Möglichkeiten des Freistaates Sachsen. Wir sind eben nicht Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder NRW, wo die Staatskassen ganz anders gefüllt sind.

Auch Ihr Beispiel Bremen geht ein bisschen an der Wirklichkeit vorbei; denn dort muss der Verkehr nur innerhalb einer Stadt finanziert werden, nicht in einem Flächenland. Insofern sind die 25 Euro völlig unvergleichlich.

Ich hatte darauf gehofft, dass Sie die Mehrausgaben wenigstens einmal beziffern; denn wenn es eine dermaßen ausgeweitete Ticketpreisreduzierung geben soll, dann muss das ja auch irgendjemand bezahlen. Sie schreiben in dem Antrag pauschal, dass die Mehrausgaben vom Freistaat Sachsen zu tragen sind, beziffern diese Mehrausgaben aber überhaupt nicht, weder im Antrag noch in der Rede gerade eben. Wir sollen also etwas beschließen, von dem niemand hier im Hohen Haus weiß, was das überhaupt kosten würde.

(Antje Feiks, DIE LINKE: Oh Gott!)

Das ist keine seriöse Politik.

Als schlechten Witz muss man darüber hinaus das Startdatum werten. Spätestens am 1. Oktober 2023 soll es losgehen. Das ist in zehn Tagen.

(Antje Feiks, DIE LINKE: Ja!)

Selbst wenn man das Datum der Einreichung des Antrags nimmt, wären dafür nur knapp drei Monate Zeit gewesen. Ich muss mich wirklich fragen, ob bei Ihnen in der vierten Etage auch nur ansatzweise ein Abgeordneter oder ein Mitarbeiter zu finden ist, der Ahnung vom sächsischen Haushaltsrecht hat; denn wenn das so wäre, dann hätten Sie das hier so nie aufschreiben können. Vielleicht fragen Sie einmal bei der Landeszentrale für politische Bildung nach, ob Ihnen jemand dabei hilft, wie das mit den Abläufen so ist.

(Marco Böhme, DIE LINKE: Ei, ei, ei!)

Es ist eben ein typischer Oppositionsantrag:

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Wir schreiben mal etwas auf, und da wir es weder umsetzen noch bezahlen müssen, können wir den größten Unfug hineinschreiben – Hauptsache, die Welle ist groß genug.

Dabei ist das, was Sie da fordern, nicht nur aus haushaltsrechtlicher Sicht überhaupt nicht umsetzbar; es geht auch völlig an der Realität vor. Zur Erinnerung: Das Deutschland-Ticket ist bereits ein stark vergünstigtes Angebot. Es wird von den Ländern und vom Bund gemeinsam bezahlt und es kostet die Steuerzahler jedes Jahr 3 Milliarden Euro.

Die bisherige Bilanz fällt übrigens eher bescheiden aus. Jeder der 70 Verkehrsverbünde macht mehr oder weniger seine eigene Variante in Deutschland. Wirklich einheitlich gilt das derzeit nur in einem Fall: Der Inhaber des Tickets will mit sich selbst fahren. Sobald Kinder, Fahrräder, der Hund, der Ehepartner, die Oma oder wer auch immer mitgenommen werden sollen, gibt es den schon bisher bekannten Flickenteppich. Im Freistaat Sachsen hat es – das muss man auch sagen – die für die Tarife zuständige kommunale Ebene an der Stelle übrigens auch verpennt, mal eine einheitliche Regelung in allen fünf Zweckverbänden für das Ticket zu schaffen.

Das gilt auch für die Jobtickets, diese wurden bereits erwähnt. In einem Zweckverband gibt es gar keine. Übrigens auch nicht für die Mitarbeiter des Freistaates Sachsen, wenn es denn dann einmal welche gäbe.

Vom Deutschland-Ticket profitieren vor allem die Nutzer in den Ballungsräumen und auf den Strecken zwischen den großen Städten. Unterhalten Sie sich einmal mit dem Fahrpersonal im RE 50, dem RE 3 oder dem RE 6, um nur einmal die Züge zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz zu nennen. Sie sind streckenweise am Verzweifeln –das waren sie übrigens auch schon beim 9-Euro-Ticket, genau wie die Berufspendler, die zum Teil sogar auf das Auto umgestiegen sind, weil sie im Zug nicht mehr arbeiten, essen oder schlafen konnten.

Die Bilanz der Neukunden ist ebenfalls mager. Nach vier Monaten steht fest, dass nur wenige Menschen neu im ÖPNV sind. 10 Millionen Deutschland-Tickets wurden verkauft; nicht einmal eine Million Fahrgäste sind neu in Bus und Bahn. Die anderen hatten vorher Einzeltickets oder teure Abos gekauft. Nur jede zwanzigste Tour mit dem Deutschland-Ticket ersetzt tatsächlich eine Autofahrt. Es ist also nicht das Allheilmittel.

Eine weitere Ausdehnung des Angebots ginge nicht nur zulasten der Bestandskunden, des Personals und der Fahrzeuge – es wäre auch schlicht nicht bezahlbar. Bislang ist noch nicht einmal geklärt, wie es ab dem Jahr 2025 mit der Finanzierung weitergeht. Fragen Sie einmal die Verkehrsunternehmen! Die sind jetzt schon nicht begeistert – weil sie den Preis übrigens für zu niedrig erachten –; denn neue Investitionen in Fahrzeuge, Infrastruktur und Personal sind damit nicht zu machen. Diese wären aber dringend nötig, bevor man solche Tarifausweitungen durchführt.

Wie man es richtig macht, zeigt sich übrigens in Wien. Dort wurde vor der Einführung des 365-Euro-Tickets erst massiv in Fahrzeuge und Angebot investiert und dann das Ticket eingeführt. Das kostet bei einem Monats-Abo übrigens auch nicht mehr 365 Euro, sondern fast 400. Dennoch muss das Bundesland Wien das Ticket mit jährlich einer Milliarde Euro subventionieren; und Wien ist auch nur ein Stadtstaat.

Doch zurück zu uns nach Deutschland: Neben der ungeklärten Finanzierung ab 2025 stehen die Verkehrsverbünde vor ganz anderen Herausforderungen. Aktuell wird wieder über Abbestellungen geredet; denn es ist alles teurer geworden, es fehlen Fahrzeuge und es fehlt vor allem Personal.

Nicht unerwähnt bleiben kann an der Stelle übrigens auch das Streben mancher Städte nach mehr oder weniger flächendeckendem Tempo 30, auch auf Haupt- und Durchgangsstraßen. Das benachteiligt nicht nur das Auto und den Wirtschaftsverkehr, sondern es verschlechtert auch den ÖPNV; denn Busse und Bahnen dürften dann ebenfalls nur 30 km/h fahren. Um nur den Bestandstakt zu halten, sind mehr Fahrzeuge und Fahrer nötig, und von Taktverdichtungen reden wir dabei noch gar nicht.

Außerdem brauchen die Menschen für die Wege mehr Zeit. Damit bin ich beim zweiten Teil Ihres Antrages: beim Bedienstandard. Natürlich könnten wir eine Taktung nach Südtiroler und Schweizer Modell machen, aber dann müssen Sie den Menschen auch erklären, woher das Geld dafür kommen soll, woher Sie die Fahrzeuge und das Personal nehmen wollen.

(Marco Böhme, DIE LINKE: Ich erkläre es Ihnen gleich!)