Protokoll der Sitzung vom 31.01.2024

Einen kleinen Moment. – Es ist die Verantwortung der Staatsregierung, diese Schritte ernsthaft mit vorzubereiten. Anderenfalls muss sie erklären, warum die Demokratie ausgerechnet in diesem schwerwiegenden Fall nicht wehrhaft sein darf, warum „Nie wieder!“ nicht mehr gelten und das Lernen aus der Geschichte umsonst gewesen sein sollen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung)

Wünscht die CDU-Fraktion noch einmal das Wort? – Herr Abg. Schiemann, bitte.

(Die Präsidentin wendet sich flüsternd dem Abg. Marko Schiemann, CDU, zu.)

Bitte an die Zeit halten, Herr Kollege! Bitte an die Zeit halten!

(Heiterkeit im Saal – Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Wir haben es alle gehört!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte daran erinnern, dass Frau Charlotte Knobloch in ihrer Gedenkrede im Deutschen Bundestag sehr eindringlich davon gesprochen hatte, dass sie sich als deutsche Patriotin in den Bundestag begeben und als deutsche Patriotin ihre Rede gehalten hat. Sie sagte, dass es unvereinbar ist, wenn man als deutscher Patriot nach der erlebten Geschichte der Meinung ist, Hass, Gewalt in Worten und später in Taten auf den Straßen oder in geschlossenen Räumen auf den Weg zu bringen.

(Beifall der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Das ist kein deutscher Patriot, der diese Gewalt in das Volk bringt. Das hat sie deutlich gemacht.

Sie hat auch mit aller Deutlichkeit gesagt, warum sie der Meinung ist, dass ein deutscher Patriot die Geschichte bewerten und sehen muss, welche Schande über Deutschland gebracht worden ist – in einer sehr kurzen Zeit, mit über 50 Millionen Toten, aus deutschen Mündern zuallererst hervorgegangen. Ein deutscher Patriot ist derjenige, der Recht und Recht für andere gewährleistet, Respekt vor anderen Menschen aufbringt und sich nach dem Motto „Gut und Böse“ für den Weg entscheidet, der das Gute im Blick hat. Charlotte Knobloch – die Mahnerin, die nicht immer von allen gemocht wird, aber klar in ihrer Sprache ist – sagte: Man hat die Möglichkeit zu entscheiden zwischen Gut und Böse, und der gute Weg ist der patriotische Weg für Deutschland.

Im Jahr 2006 war eine Delegation des Sächsischen Landtags mit dem Landtagspräsidenten Erich Iltgen in Oświęcim/Auschwitz. Ich erinnere mich daran, dass wir an der Gedenkstädte kurz innegehalten haben, dass wir an die Toten erinnert haben, aber auch daran, dass wir der Überlebenden gedacht haben. Es war bitter, die Baracken zu erleben, und ein Bild geht mir nicht aus dem Sinn: Wenn Sie in Auschwitz waren, dann werden Sie sich jetzt daran erinnern. Es gibt eine sehr große Vitrine mit Zehntausenden von Kinderschuhen, von ganz kleinen Füßen. Es sind Zehntausende Brillen. Es sind Hunderte von Koffern. Es sind Zehntausende von Schuhen. Menschenhaare, in einer riesengroße Masse, sind zu sehen. Ich werde das Bild nicht vergessen, dass Deutsche es geschafft haben, diesen Menschen das Leben zu nehmen.

Behalten Sie dieses Bild der kleinen Kinderschuhe in sich! Behalten Sie es, damit wir uns innerlich wehren können gegen Menschen, die der Meinung sind, dass das alles nichts gilt und dass sie Patrioten sind. Nein, Patrioten sind jene, die diese Bilder in sich tragen, die mit sich nehmen, dass es nicht der richtige Weg ist, Menschen auszugrenzen, Menschen zu töten, und dass es nicht der richtige Weg ist, dem Volk zu sagen, dass es nur einfache Lösungen im politischen Geschäft gibt.

Der Besuch der Landtagsdelegation in Auschwitz sollte sich wiederholen. Es wäre richtig, dass auch junge Menschen dieses Bild erleben, damit sie wissen: Das ist kein Weg, den Deutschland jemals gehen darf. Es darf sich niemals wiederholen, dass andere Menschen für deutsche Interessen sterben müssen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD und der Staatsregierung)

Kollege

Schiemann sprach in der zweiten Rederunde für die CDUFraktion. Gibt es in dieser zweiten Rederunde noch Redebedarf seitens der anderen Fraktionen? Ich schaue zur AfD. – Nein. Ich schaue zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Auch nicht. – SPD? – Auch nicht. Somit frage ich: Gibt es Redebedarf für eine dritte Rederunde? – Kollege Gebhardt, Fraktion DIE LINKE, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es jetzt nach den eindringlichen Worten von Herrn Schiemann schwer ist, will ich trotzdem noch ein paar Bemerkungen machen, und das hat vor allem mit den Ausführungen von Herrn Kühne zu tun.

„Aus der Geschichte lernen“ heißt es im Titel, wenn Sie genau gelesen haben. Ja, der Holocaust ist singulär und das Töten in den KZs macht fassungslos.

Warum konnte es so weit kommen? Warum passierte das? Dieses singuläre Ereignis ist nicht vom Himmel gefallen. Deshalb ist es das Erinnern und Mahnen, vor allem das Verstehen, um die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Akzeptanz der Massendeportationen von Jüdinnen und Juden, die Akzeptanz, dass Nachbarn in den Gaskammern endeten, hatten etwas mit dem akzeptieren Antisemitismus in Deutschland zu tun.

Deshalb gilt es, jede Form von Antisemitismus zu bekämpfen und laut dagegen zu protestieren, weil der 7. Oktober 2023 in Israel gezeigt hat: Es ist nicht vorbei.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung)

Und deshalb, Herr Kühne, kann man das, was Sie am Ende Ihrer ersten Rede gesagt haben, in keinen kausalen Zusammenhang bringen; denn Sie haben alles das diskreditiert, was Sie am Anfang respektvoll gesagt hatten.

Deshalb sind die Enthüllungen der vergangenen Woche über die kriminellen Machenschaften der AfD und ihre Kumpanei wichtig und haben ein Gutes, da die Zivilgesellschaft, die lange davor gescheut hat, endlich aufgewacht ist und auf die Straße geht. In den Städten in ganz Deutschland und auch in vielen Orten in Sachsen waren es mehr als eine Million Menschen, die auf die Straße gegangen sind. Diese Kundgebungen haben die AfD so sehr in Angst versetzt, dass sie die Menschen auf der Straße verunglimpfen musste.

Und doch lassen diese sich nicht einschüchtern. Sie zeigen weiterhin ihre Solidarität mit allen Menschen, die durch die Pläne der AfD bedroht werden, mit den Geflüchteten, die in Deutschland ein neues Zuhause gefunden haben, mit den Deutschen, die aus Zuwandererfamilien gekommen sind, und auch mit den Menschen, die von der AfD verfolgt werden, weil sie aktiv gegen rechts kämpfen.

Vor allem ist gut, dass es ein Bündnis ist, das groß ist. Zu ihnen gehören demokratische Parteien, die Gewerkschaften, die Sozialverbände, die Kirchen und viele weitere zivilgesellschaftliche Gruppen, die übrigens wiederum von Ihren Leuten – selbst von einigen, die hier bei der AfD sitzen – dafür kritisiert werden. Ich als Linker muss aber auch kritisch anmerken: Wenn die regierenden Parteien sich jetzt an den Protesten gegen die AfD beteiligen, aber gleichzeitig Forderungen der AfD in praktische Politik umsetzen, dann ist das zum Teil unehrlich.

(Sebastian Wippel, AfD: Das wäre doch kriminell!)

Die Politik der Regierungen in Berlin und in Dresden ist mitverantwortlich für die Erfolge der AfD. Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Regierung die arbeitenden und benachteiligten Menschen in Deutschland immer weiter belastet und auf ihre Kosten kürzt. Die Vermögenden und Konzerne haben einen direkten Draht ins Kanzleramt, aber die Interessen der Beschäftigten, der Familien mit geringem Einkommen, der Rentnerinnen und der Rentner, die am Rande der Armut leben, werden oft ignoriert und hintenangestellt, wie aktuell beim Kindergeld – oder dem geplanten Kigru-Geld.

(Albrecht Pallas, SPD: Das Gegenteil ist der Fall! Was soll denn das? – Lachen bei der AfD – Zu- und Gegenrufe der Abg. Marco Böhme, DIE LINKE, und Albrecht Pallas, SPD)

Nur eine Politik, die die wachsende Ungleichheit in Deutschland reduziert und die Zukunftsängste damit beseitigt, kann die Demokratie auf Dauer vor ihren rechten Feinden schützen. Die Gesellschaft muss gerechter werden und die Menschen brauchen mehr soziale Sicherheit, damit sie nicht durch Angst und Frust für rechte Propaganda anfällig werden.

Um die Demokratie zu bewahren, reicht es nicht, sich ständig zu beschweren. Wir müssen sie verändern, wir müssen sie verbessern. Nie wieder ist jetzt!

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Kollege Gebhardt sprach für die Fraktion DIE LINKE. Gibt es weiteren Redebedarf zum derzeitigen Zeitpunkt seitens der Fraktionen? – Das sehe ich nicht. Jetzt frage ich die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Klepsch spricht für die Staatsregierung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „5 000 Namen, Namen auf einer Liste, die wir uns ansehen und uns fragen, ob denn alle darauf stehen. Namen, die eine Geschichte erzählen und die Frage aufkommen lassen: Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie nicht hätten sterben müssen? Wir wissen es nicht. Es ist vergangen. Doch wir sollten nicht aufhören zu fragen, an die Ermordeten zu erinnern und ihre Geschichten zu erzählen; denn auch heute werden viele Menschen systematisch diskriminiert. Wir sollten dafür kämpfen, dass so etwas nicht noch einmal geschehen muss. Es liegt in unserer Hand.“

Diese Zeilen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat eine Besucherin in der Gedenkstätte Großschweidnitz hinterlassen, wo an 5 500 Menschen erinnert wird – 5 500 Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde geworden sind. Die Zahl der Opfer kennen wir, doch die Opfer selbst, ihre Lebensgeschichten, Hoffnungen und Träume kennen wir häufig nicht.

Wie an anderen Gedenkorten geht es mir, wenn ich in Großschweidnitz bin: Es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Orte, an denen Menschen an ihren Mitmenschen solch fürchterliche Gräueltaten begangen haben – dort wird die Bedeutung der Worte „Nie wieder ist jetzt!“ ganz besonders bewusst. Wir wissen, echtes Gedenken ist erst möglich, wenn wir uns diesen schmerzhaften Erinnerungen stellen. Und wir wissen, dass Gedenken kein Selbstzweck ist. Wir gedenken der Toten zu Ehren, aber auch mit Blick auf Gegenwart und Zukunft. Mahnen, Erinnern und Lehren aus der Geschichte zu ziehen ist eine Daueraufgabe für uns alle.

Als Vorsitzende des Stiftungsrates der Sächsischen Gedenkstätten bin ich dankbar und ich sehe das große Engagement und die tägliche Arbeit unserer Gedenkstätten und Gedenkorte – ob in Zeithain, ob in Bautzen, ob hier in Dresden am Münchner Platz oder am Leipziger Bahnhof. Im vergangenen Jahr konnten wir die Gedenkstätte Großschweidnitz der Öffentlichkeit übergeben und im Sommer dieses Jahres werden wir am Erinnerungsort Torgau die neue Dauerausstellung eröffnen. Das sind wichtige Signale, die wir brauchen, und ich bin dankbar, dass der Stiftungsrat die Bereitschaft erklärt hat, die Gedenkstätte KZ Sachsenburg in die Trägerschaft zu übernehmen.

Eine der größten Herausforderungen der Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur wird es sein, dass es weniger Zeitzeugen gibt und damit weniger Möglichkeiten, persönliche, authentische Eindrücke zu erhalten. Auch das ist die Arbeit der Gedenkstätten: die Erinnerungen, die Lebenszeugnisse, die Gespräche zu dokumentieren, sie zu erhalten. Es wird zu einem mehr und mehr bedeutenden Schatz, wenn es darum geht, Berichte von Verfolgung, von Gewalt, von Tod fassbar zu machen.

Seit einigen Jahren berichten die Mitarbeiter in den Gedenkstätten – ähnlich, wie es Hanka Kliese in ihren Worten formuliert hat –, dass das Besucherverhalten sich verändert hat und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr und

mehr der Herausforderung gegenüberstehen, dass unbedachte, unsensible bis hin zu klar extremistischen Äußerungen getätigt werden – von Schulklassen, aber auch von Erwachsenengruppen. Uns ist bewusst, dass Pädagogen und Gruppenbetreuer sicher riesige emotionale Herausforderungen haben, genau in diesen Momenten die richtigen Worte zu finden, deutlich zu widersprechen, einzuordnen und richtigzustellen.

Es ist unvorstellbar und es macht betroffen, solche Vorfälle wieder im Alltag vorzufinden, dass sie sich so eingeschlichen haben und wir damit wieder konfrontiert sind. Wenn Jüdinnen und Juden uns wieder von Anfeindungen auf offener Straße erzählen, wenn sie berichten, dass sie auf dem Weg zum Supermarkt wieder die Sorge haben, ihnen könnte etwas passieren, dann macht uns das zutiefst betroffen und große, große Sorgen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir klare Haltung und klare Solidarität zeigen. Wir möchten mit einem kleinen Baustein dazu beitragen: Ich möchte daran erinnern, dass wir 2026 das Jahr der jüdischen Kultur vor uns haben. Wir bereiten dieses vor und wollen dort das Bewusstsein schärfen und den Dialog zwischen den Menschen wieder ein Stück weiter fördern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte meine Worte gern mit eindrucksvollen Zeilen von zwei Besucherinnen aus Großschweidnitz abschließen. Es sind Worte, die besonders die Bedeutung der Gedenkstättenarbeit für die Angehörigen hervorheben: „Danke, dass Sie den Entwürdigten und Ermordeten ihre Namen und die Möglichkeit, ihrer zu gedenken, einen Ort geben. Eure Mühe und euer Einsatz haben unserer Oma eine würdevolle Bleibe gegeben.“

Die Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen, müssen unser Handeln hier und heute bestimmen. Gerade jetzt müssen wir Augen und Ohren offenhalten, damit niemand hinterher sagen kann: Das habe ich nicht gewusst.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN, der SPD und vereinzelt Beifall bei der AfD – Beifall bei der Staatsregierung)

Staatsministerin Klepsch sprach für die Staatsregierung. Die AfD-Fraktion hat angezeigt, dass Sie noch einmal Redebedarf hat. Somit würde ich – wenn andere Fraktionen nicht vorher an der Reihe sind, sofern diese noch Redebedarf haben – Kollegen Zwerg ans Rednerpult bitten; bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen Abgeordnete! Ich muss mich für meine Fraktion noch einmal zu Wort melden; denn wir können nicht stehen lassen,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aha!)

was Sie hier von sich gegeben haben. Wir hatten eigentlich die Hoffnung, dass das Gedenken an die Millionen Opfer des verbrecherischen Regimes der Nationalsozialisten in diesem Hohen Hause nicht

(Zuruf der Staatsministerin Barbara Klepsch)

missbraucht wird, um die AfD zu delegitimieren