Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Noch eine Frage? - Sie haben Gelegenheit, noch einmal zu fragen, Herr Dr. Eckert, aber bitte eine kurze Frage.

Ja, eine ganz kurze Frage.

Können Sie mir darin zustimmen, dass das Werk tatsächlich mit dem jetzigen Personalabbau in eine sehr kritische Situation kommt, was die Möglichkeit betrifft, eigenständig am Markt zu agieren?

(Herr Dr. Daehre, CDU: Macht das doch alles im Ausschuss und nicht hier, wie bei anderen The- men auch!)

Herr Eckert, jedes Werk kommt in kritische Situationen, wenn der Personalabbau die Kernkompetenz des Werkes infrage stellt. Das ist völlig richtig. Darüber ist immer schon gesprochen worden.

Wenn ich von einem 80-Millionen-DM-Produktionsvolumen ausgehe, kommt dort automatisch eine bestimmte Personenzahl auf die Tagesordnung, über die man sprechen muss. Automatisch wird man dann darüber diskutieren, welcher Personalumfang für den Erhalt des Kernwerks erforderlich ist.

Das ist ein ganz normaler Prozess. Dem haben wir uns in allen Gesprächen gestellt und werden dies jetzt im Ausschuss vertiefen.

(Zustimmung von Herrn Felke, SPD, und von Herrn Oleikiewitz, SPD)

Danke. - Für die DVU-FL-Fraktion ist ein Redebeitrag nicht angemeldet worden. - Es bleibt dabei. Dann spricht jetzt für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Frau Weiß. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Halberstädter Abgeordnete verfolge ich seit langem mit wachsender Besorgnis die Entwicklung im Fahrzeugbau Halberstadt. Erst letzte Woche nahm ich gemeinsam mit Vertretern der Deutschen Bahn AG und des Verkehrsministeriums an einem Gespräch mit der Betriebsführung teil. Ich würde jetzt am liebsten einen eindringlichen Appell an Sie richten und Sie bitten, sich für diesen immerhin größten Arbeitgeber in Halberstadt einzusetzen.

Auch viele derjenigen, die die Region nicht so gut kennen, werden sich aus vorausgegangenen Landtagsdebatten, einer Anhörung im Ausschuss oder ganz einfach aus Presseberichten ein Bild von der Situation gemacht haben.

Arbeitsplatzbedrohung ist leider für viele Menschen in Sachsen-Anhalt zu einem vertrauten Begriff geworden. Insofern trifft es die Betriebsangehörigen der Spezialwerke in Halberstadt nicht allein. Leider bietet die Heimatregion rund um Halberstadt keine vergleichbaren Arbeitsplätze. Wer in Halberstadt seinen Arbeitsplatz verliert, muss oft weite Wege zurücklegen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Nicht zuletzt aufgrund der steuerbedingten Benzinpreiserhöhungen lohnt sich das immer weniger für die Menschen in Sachsen-Anhalt.

Ich möchte jetzt nicht näher auf die Verhältnisse vor Ort eingehen. Ich appelliere vielmehr an die Verantwortlichen im Unternehmen Deutsche Bahn AG sowie an die Landesregierung, alles für den Erhalt der Arbeitsplätze in diesem Betrieb zu unternehmen. Es sollte nunmehr versucht werden, diesen Betrieb aus den Schlagzeilen der Zeitungen herauszuhalten,

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Sachse, SPD)

damit die Menschen vor Ort eine faire Chance erhalten, auf den Erhalt ihres Betriebes hinzuarbeiten.

Im Ausschuss sollten wir uns bitte darüber unterhalten. Deswegen sind wir auch für eine Ausschussüberweisung; denn viele Dinge, die Sie, Herr Dr. Eckert, hier vorgetragen haben, sind mir nicht so vorgetragen worden. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Für die PDS-Fraktion könnte Herr Dr. Eckert noch einmal das Wort nehmen. - Er ver- zichtet. Danke schön.

Dann ist die Debatte abgeschlossen und wir kommen zur Abstimmung. Beantragt war die Überweisung in die Ausschüsse für Wirtschaft sowie für Wohnungswesen und Verkehr. Es ist nicht vorgeschlagen worden, wer die Federführung übernehmen soll. Gibt es dazu einen Vorschlag?

(Zurufe: Ausschuss für Verkehr!)

- Dann wird der Verkehrsausschuss für die Federführung vorgesehen.

Wer dieser Überweisung mit der vorgeschlagenen Federführung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist dies einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren! Bevor ich diesen Tagesordnungspunkt abschließe, möchte ich Sie gern noch mit Respekt und Hochachtung über einen Umstand informieren. Weil Herr Dr. Eckert diesen Antrag eingebracht und gesprochen hat, passt es hier hin. Ich möchte Sie darüber informieren, dass Herr Dr. Eckert an den Paralympics, den Olympischen Spielen für Behinderte, in den Disziplinen Kugelstoßen und Hochsprung teilnehmen wird, und zwar zwischen dem 18. und 29. Oktober in Sydney.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Dr. Eckert hat alle notwendigen Qualifizierungswettkämpfe dazu gewonnen. Dazu gratulieren wir ihm. Für seine Teilnahme - es ist die dritte Teilnahme an diesen Olympischen Spielen - wünschen wir ihm auch im Namen des Hohen Hauses viel Erfolg.

(Beifall im ganzen Hause - Herr Dr. Eckert, PDS: Danke schön!)

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Zukunft der Waggonbau AG Halle-Ammendorf

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/3589

Dieser Antrag wird eingebracht vom Abgeordneten Herrn Felke. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident!! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass die aktuelle Situation eine besondere ist, die es durchaus rechtfertigt, ja erforderlich macht, dass sich der Landtag mit der Thematik Waggonbau Ammendorf beschäftigt. Ich bin überzeugt davon, dass das Problem, wenn wir es nicht aufgegriffen hätten, von einer anderen Fraktion thematisiert worden wäre.

Mit dem zur Bombardier-Gruppe gehörenden Waggonbau Ammendorf besitzt Sachsen-Anhalt einen leistungsfähigen und innovativen Schienenfahrzeughersteller mit Tradition. Seit Jahrzehnten haben sich die Ammendorfer mit Qualitätsprodukten einen Namen gemacht.

Gab es zu DDR-Zeiten mit der Waggonproduktion für die UdSSR die Situation „ein Produkt für einen Kunden“, hat sich dies nach der Wende grundsätzlich gewandelt. Waggons für die Berliner S-Bahn, Elektrotriebfahrzeuge, Metrowagen, Wagen für IC-Neigetechnikzüge oder Wagen für den ICE 2 und 3 werden bzw. wurden produziert.

Die Übernahme in den Bombardier-Konzern hat dieses breitere Profil zweifellos positiv beeinflusst und wurde von allen Seiten begrüßt. Erhebliche Investitionen wurden getätigt, komplette Anlagen modernisiert, Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt, die Kosten wur- den gesenkt. Derzeit arbeiten rund 930 Arbeitnehmer, darunter etwa 50 Auszubildende, in Halle-Ammendorf. Über 2000 Arbeitsplätze in der Region hängen als

Zulieferer von dem Werk ab. Das Werk Ammendorf ist damit der größte Industriebetrieb in Halle und einer der bedeutendsten industriellen Kerne unseres Landes.

Meine Damen und Herren! Die Schienenfahrzeugindustrie ist aber auch von erheblichen Überkapazitäten gekennzeichnet. Die Branche selbst spricht von 15 bis 20 % allein in Deutschland.

Diese Situation birgt zwangsläufig Befürchtungen und Risiken in sich. Auf diese haben auch rund 200 Hallenser Waggonbauer am Rande der Schienenfahrzeugmesse Innotrans zusammen mit Kollegen aus anderen Werken aufmerksam gemacht.

Im August wurde bekannt, dass der Daimler-ChryslerKonzern seine Tochter Adtranz an Bombardier verkaufen will. Angesichts der Lage der Branche ist dies ein nachvollziehbarer Schritt. Seit mehreren Jahren sind erhebliche Konzentrationsprozesse zu beobachten. Alle größeren Unternehmen entwickeln Zukunftskonzepte, die die Optimierung und Flexibilisierung aller Fertigungsabläufe vorsehen.

Der Markt wird weitgehend unter den Globalplayern der Schienenfahrzeugindustrie aufgeteilt. Es ist kaum zu erwarten, dass die Wettbewerbshüter sich dieser Entwicklung entgegenstellen werden. Für Ammendorf würde das bedeuten, spätestens ab dem nächsten Jahr zu dem mit Abstand größten Bahntechnikkonzern der Welt zu gehören.

Es ist unbestritten, dass dies Chancen in sich birgt, die in erster Linie von der Auftragssteuerung innerhalb der Bombardier-Gruppe abhängig sind, die aber auch eine andere Bearbeitung des Marktes und andere Angebote erwarten lassen.

Uns müssen jedoch auch die Risiken und mögliche negative Auswirkungen beschäftigen. Umstrukturierungsprogramme innerhalb des Konzerns sind zu erwarten. Ein erheblicher Abbau der Zahl der Beschäftigten bis hin zur Schließung einzelner Werke ist nicht auszuschließen.

Meine Damen und Herren! Die Beschäftigten in Ammendorf erwarten ein klares Bekenntnis des Landtages und der Landesregierung zum Standort Ammendorf. Ich denke, wir sollten dies mit einer breiten Unterstützung dieses Antrages deutlich machen. Zugleich müssen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Er- halt des Standortes und zur Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze genutzt werden.

Dabei sollten auch die Unterstützung der Entwicklung neuer Produkte und die Einbeziehung des Werkes bei der Vergabe von Aufträgen zur Verbesserung des ÖPNV im Bahn- und Straßenbahnbereich, zum Beispiel bei der Bietergemeinschaft für die S-Bahn Halle - Leipzig, berücksichtigt werden. Gegebenenfalls könnte dies mit einem Produkttausch mit anderen Standorten, wie bereits an einzelnen Beispielen vorgeführt, verbunden werden.

Die Deutsche Bahn AG spielt als Besteller natürlich eine entscheidende Rolle. Es ist klar, dass die DB AG als privatisiertes Unternehmen nach wirtschaftlichen Kriterien, auch im Bereich der Aufträge für neue Schienenfahrzeuge, arbeitet. Aufträge werden europaweit ausgeschrieben.

Die Entwicklung einer neuen Generation von Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen soll in Zusammenarbeit mit anderen Nationalbahnen erfolgen. Hierbei bestehen

natürlich Chancen für Konzerne wie Bombardier, die in der Lage sind, zu auf dem Weltmarkt wettbewerbs- fähigen Preisen zu liefern.

Die Aussage der DB AG, auch in Zukunft die Investitionen in Fahrzeuge auf hohem Niveau zu erhalten, steht. Bei Verhandlungen mit der DB AG muss aber immer wieder auf die schwierige Situation der Schienenfahrzeugindustrie in Deutschland insgesamt eingegangen werden. Aufgabe der Bundesregierung als dem 100prozentigen Eigentümer muss es hierbei sein, eine kontinuierliche Auftragsvergabe zu erreichen. Auch gemeinsame Entwicklungen unter direkter Einbeziehung der DB AG, wie jüngst beim Lirex erfolgreich bewiesen, sollten verstärkt berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren! Es geht uns nicht darum, ein Horrorszenario zu entwerfen, sondern vielmehr um ein deutliches Signal für den Standort Ammendorf. Wir haben keinen Zweifel daran, dass die Landesregierung sich hierbei mit vollem Engagement einbringen wird. Allerdings sind wir auch der Meinung, dass ein gemeinsames Vorgehen von Landtag und Landesregierung für einen unserer bedeutendsten Industriestandorte im Land angemessen ist. Dies sollte nicht in einem parteipolitischen Hickhack zerredet werden, zumal sich auch Vertreter anderer Fraktionen über die aktuelle Situation vor Ort kundig gemacht haben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Felke. - Vor der vereinbarten Fünfminutendebatte hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Heyer um das Wort gebeten. Bitte.