Protokoll der Sitzung vom 07.02.2003

Die Gestaltungsmöglichkeiten auf Landesebene sind jedoch beschränkt, da die maßgeblichen Deregulierungsansätze auf bundesrechtlicher Ebene zu suchen sind - im Steuerrecht, im Umweltrecht, im Bauplanungsrecht und insbesondere im Arbeitsrecht. Die Aktivitäten des Bundes beschränkten sich bislang auf einige Bürokratieerleichterungen in Randbereichen und auf Ankündigungen. Wirklich kraftvolle Deregulierungen auf Kernfeldern wurden bislang nicht angefasst.

Der Bundeswirtschaftsminister macht zugegebenermaßen inzwischen gute und akzeptable Vorschläge, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts. Die Umsetzung

scheint jedoch fraglich oder zumindest sehr langwierig zu sein. Hier setzt der gemeinsame Antrag der Regierungsfraktionen an. Sachsen-Anhalt soll sich als Modellregion für Bürokratieabbau und Deregulierung empfehlen.

Das Thema Sonderregionen ist so neu nicht, aber dieses Modell, das hier vorgeschlagen wird, beinhaltet die Idee, in Deutschland zwei Modellregionen auszuweisen, eine im Westen und eine im Osten, in denen die Landesregierungen - das ist das Entscheidende - in Eigenverantwortung bundesrechtliche Gesetze und Regelungen öffnen, flexibler gestalten und abschaffen können. Natürlich müssen hierzu sicherlich vorher Bundestag und Bundesrat zustimmen, möglicherweise ist auch eine Grundgesetzänderung notwendig. Also, ein breiter Parteienkonsens ist gefragt.

Mit diesen Deregulierungsmodellregionen könnten aber auch schnell wichtige und überzeugende Ergebnisse für gesamtdeutsche Deregulierungen erzielt werden. Sachsen-Anhalt - jetzt sind wir beim Thema - bietet sich als eine solche Modellregion regelrecht an. Seine strategische Lage, seine Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturtradition, die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung für Innovationen und insbesondere die schwierige wirtschaftliche und finanzpolitische Situation könnten beispielhaft Erfolge durch Deregulierung beweisen.

Mit unserem Antrag bitten wir die Landesregierung, unter Federführung des Wirtschaftsministeriums ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten, um ein umfassendes Deregulierungspaket zu schnüren. Denn nur mit einem guten Konzept, mit konkreten Vorschlägen hat man auch Chancen, solche Vorhaben zu realisieren.

Die Themen und Einzelmaßnahmen für dieses Paket, die zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Investitionen führen, werden der Politik vonseiten der Wirtschaft und der Wissenschaft schon seit langem ins Stammbuch geschrieben. Uns ist natürlich klar - insbesondere uns als FDP -, dass diese Einzelmaßnahmen zu intensiven Diskussionen führen werden. Das ist aber ganz normal, denn hierbei müssen auch heilige Kühe geschlachtet werden. Wir müssen den Mut haben, das Thema anzugehen und umzusetzen. Es bleibt - auch für Deutschland insgesamt - keine andere Wahl.

Jetzt komme ich zu den interessanten Dingen, zu konkreten Einzelvorschlägen. Das sind Vorschläge der FDP, wie man sich die Realisierung vorstellen könnte.

Beispiel eins: Besteuerung. Es geht darum, die Erhöhung der Grenze für die Ist- statt der Sollbesteuerung im Umsatzsteuerverfahren vorzunehmen. Bislang dürfen Unternehmen nur bis zu einem Jahresumsatz von 125 000 € die Umsatzsteuer im Istverfahren abführen, also erst, wenn das Geld auch eingeht. Alle, die ein Umsatzvolumen darüber hinaus haben - das sind die typischen kleinen und mittelständischen Unternehmen -, müssen die Umsatzsteuer im Sollverfahren begleichen, also mit Rechnungslegung, egal ob das Geld kommt oder nicht. Die Grenze für die Istbesteuerung soll auf 2,5 Millionen € Jahresumsatz erhöht werden. Das ist unser Vorschlag. Hierzu hat der Landtag auch bereits einen Beschluss gefasst.

Zweites Beispiel: Öffnung des Kündigungsschutzes - nicht Aufhebung, sage ich ausdrücklich. Bislang greift der Kündigungsschutz ab fünf Mitarbeitern. Die FDP schlägt eine Erhöhung des Schwellenwertes vor. Ich kenne nicht wenige Handwerksmeister, die sich nach

ihren Erfahrungen mit dem Arbeitsgericht hüten, mehr als fünf Mitarbeiter zu beschäftigen, auch wenn sie es aufgrund guter Auftragslage eigentlich könnten und müssten.

Ein anderer Vorschlag ist, den Geltungsbereich des Kündigungsschutzes nicht an die Anzahl der Arbeitskräfte, sondern an die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu koppeln, zum Beispiel zwei Jahre.

(Frau Dr. Weiher, PDS: Sehr clever!)

Wichtig: Flexibilisierung und Öffnung des Kündigungsschutzes - nicht Abschaffung - wird zu mehr Arbeitsplätzen führen.

Drittes Beispiel: Flexibilisierung des Tarifrechts. Hierbei geht es um das Prinzip „Weg von flächenübergreifenden, starren Verträgen hin zu flexiblen Lösungen vor Ort“, das in einigen Großkonzernen durchaus auch schon praktiziert worden ist, und zwar erfolgreich. Ich denke an VW.

Betriebsvereinbarungen müssen Vorrang vor Tarifverträgen haben. Es geht hierbei insbesondere um die Aufhebung der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes, welcher aussagt, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingen nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, falls das durch Tarifvertrag geregelt ist. Das muss aufgebrochen werden.

Der Vorschlag der FDP lautet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vereinbarungen abweichend vom Flächentarifvertrag abschließen können, wenn 75 % der Arbeitnehmer dem Vorschlag in geheimer Abstimmung zustimmen. Das wird die Unternehmen in die Lage versetzen, auf konjunkturelle Schwankungen besser zu reagieren. Das erhält und schafft Arbeitsplätze.

Viertes Beispiel: Aufweitung befristeter Arbeitsverhältnisse. § 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes regelt, dass befristete Arbeitsverhältnisse nur mit sachlichem Grund und nur bis zu maximal zwei Jahren abgeschlossen werden können. Wir schlagen vor, befristete Arbeitsverhältnisse über zwei Jahre hinaus ohne sachlichen Grund abschließen zu können. Das schafft neue Jobs.

Fünftes Beispiel: Aussetzen von Verbandsklagerechten - es gibt auch noch etwas anderes als Arbeitsrecht - gegen Planfeststellungsbeschlüsse bei wichtigen Verkehrsprojekten. Das Verbandsklagerecht räumt die Möglichkeit ein, gegen planfestgestellte Projekte zu klagen. Die Realisierung wird damit meist verzögert oder auch verhindert. Wir schlagen vor, das Klagerecht gegen wichtige planfestgestellte Verkehrsprojekte des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, das heißt bei Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen, auszusetzen.

Nächstes Beispiel: Änderungen im Baurecht. Hierbei geht es insbesondere um die Verkürzung der in der Bauleitplanung festgelegten Fristen, um Investitionen schneller und zügiger in Gang zu bringen.

Ein letztes Beispiel: die 1:1-Umsetzung von EU-Normen in deutsches Recht. In einigen Bereichen - ich nehme beispielsweise das Gentechnikrecht oder bestimmte Vorschriften im landwirtschaftlichen Bereich - hat Deutschland, haben speziell einige grüne Bundesministerien die unendliche Gabe, EU-Normen nicht 1 : 1, sondern in verschärfter Form umzusetzen. Das benachteiligt unsere Unternehmen gegenüber europäischen Mitbewerbern.

Wie gesagt, wir sind uns dessen bewusst, dass es hierzu - quer durch alle Parteien - intensiver Diskussionen bedarf. Aber wir müssen das Thema anfassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns das Land Sachsen-Anhalt mit einem schlüssigen Konzept zu einem Standort für Deregulierung und Entbürokratisierung profilieren! Lassen Sie uns in die Offensive gehen! Das ist eine große Chance.

Wir freuen uns, dass SPD und PDS mit ihren Änderungsanträgen die Thematik durchaus positiv aufgegriffen haben. Der PDS-Antrag konzentriert sich jedoch nur auf Verwaltungs- und Entbürokratisierungsmaßnahmen, die Deregulierung fehlt vollkommen. Das heißt, der Antrag geht uns nicht weit genug.

Der SPD-Antrag geht weiter und übernimmt direkt zwei wichtige Abschnitte. Dass in den Ausschüssen, federführend im Wirtschaftsausschuss, berichtet werden soll, das greifen wir gern auf. Es versteht sich auch von selbst. Ich gehe auch davon aus, dass sich das Parlament mit diesem Thema beschäftigen wird. Der 30. April ist jedoch als Termin für das Konzept nicht machbar. In Punkt 2 konzentriert sich der Antrag nur auf Bürokratieabbau, nicht auf Deregulierung. Er geht uns also auch nicht weit genug.

Deshalb möchten wir bei unserem Antrag bleiben, für den ich - insbesondere auch bei den Oppositionsparteien - werben möchte. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Dr. Schrader, für die Einbringung. Es gibt noch eine Frage von Herrn Dr. Köck. Würden Sie die beantworten? - Bitte.

Herr Schrader, bei vielen Vorhaben ist gerade das Privateigentum an Grund und Boden das größte Hemmnis. Beabsichtigen Sie, auch dort etwas zu unternehmen?

(Herr Gürth, CDU: Wo haben Sie das gelesen? - Herr Schomburg, CDU: Was war das?)

Bei Genehmigungsverfahren, zum Beispiel bei den Altstandorten rechts und links neben der Bahnstrecke, ist vor allem das Privateigentum an Grund und Boden das Haupthemmnis, um dort eine Entwicklung einzuleiten. Haben Sie dafür auch ein Mittel?

Das kann ich Ihnen im Moment konkret nicht sagen. Aber darum können wir uns gern kümmern. Ich danke Ihnen für den Hinweis.

(Herr Dr. Köck, PDS: Dazu kann ich Ihnen viele Beispiele sagen!)

Wir hoffen auf eine gute, konstruktive Zusammenarbeit; wir können einen guten Katalog aufstellen.

(Unruhe bei der SPD - Herr Dr. Polte, SPD: Bis heute sind die Flächen verbaut! Dafür wurde der wertvolle Bördeboden verbaut!)

Danke für die Beantwortung der Frage, Herr Dr. Schrader. - Bevor wir in die Debatte der Fraktionen eintreten,

hat der Minister für Wirtschaft und Arbeit um das Wort gebeten. Herr Dr. Rehberger, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte namens der Landesregierung zum Ausdruck bringen, dass wir die Initiative der beiden Koalitionsfraktionen nachdrücklich begrüßen.

Meine Damen und Herren! Dieser Antrag zielt ausdrücklich auf Bundesrecht ab. Das muss man klarstellen, weil in den Änderungsanträgen bundes- und landesrechtliche Dinge in einer Weise vermixt werden, die ich nicht für sehr glücklich halte.

Natürlich müssen wir auch - das ist völlig unstrittig - im Bereich des Landesrechts alles tun, um zu deregulieren und zu entbürokratisieren. Das ist genau der Grund, weswegen wir ein erstes Investitionserleichterungsgesetz verabschiedet haben, weswegen wir im Moment ein zweites vorbereiten, weswegen wir zum Beispiel auch im Bereich der Organisation der Landesverwaltung die Errichtung des Landesverwaltungsamtes mit großem Tempo realisieren wollen, um damit aus drei Regierungspräsidien und einer ganzen Reihe von Sonderbehörden eben eine Bündelungsbehörde machen. Und vieles andere mehr gehört in diesen Bereich des Landesrechts.

Aber hier steht die Frage zur Debatte, wie wir uns gegenüber dem Bundesrecht verhalten. Herr Dr. Schrader hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Fülle von Normen, die inzwischen gilt, unüberschaubar ist. Lassen Sie mich das einfach so sagen: Wenn all das, was heute als Bundesrecht gilt, in den 50er- und 60er-Jahren gegolten hätte, dann hätte es das Wirtschaftswunder nie gegeben.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der SPD)

Insofern ist ohne jeden Zweifel ein großer Handlungsbedarf vorhanden.

Allerdings, meine Damen und Herren, auch das ist klar: So sehr alle dafür sind, dass wir deregulieren und entbürokratisieren - wenn es um konkrete Maßnahmen geht, dann geht auch der Streit los. Das haben wir beim ersten Investitionserleichterungsgesetz gesehen, das werden wir beim zweiten Investitionserleichterungsgesetz und bei allen anderen Maßnahmen auch wieder erleben.

Das gilt natürlich in hohem Maße auch im Hinblick auf das Bundesrecht. Nehmen Sie das Planungs- und Baurecht. Wer schneller planen und bauen will, der muss nach meinem Dafürhalten die Möglichkeiten, Rechtsmittel einzulegen, weiter beschneiden. Es ist eine Güterabwägung, inwieweit man an dieser Stelle öffentliche und private Interessen anders austariert.

Oder denken Sie an das Umweltrecht. Wer die Dinge beschleunigen will, der kann zum Beispiel den Standpunkt vertreten, die Verbandsklage sei hinderlich für rasche Investitionen. Sie ist es möglicherweise in dem einen oder anderen Fall. Aber natürlich müssen auch in diesem Bereich die Dinge austariert werden. Es sind insofern auch in diesem Bereich erhebliche Auseinandersetzungen zu erwarten.

Oder nehmen Sie das Arbeitsrecht. Es gibt viele, insbesondere ausländische Investoren, die bei Ansiedlungs

gesprächen darauf verweisen, dass sie das deutsche Arbeitsrecht mit all seinen Detailregelungen und mit all seinen Bindungen als äußerst problematisch ansehen. Und so mancher kommt nicht nach Deutschland, sondern geht in andere Länder, weil er sich sagt, dass er sich das nicht antun möchte, was wir in Deutschland im Arbeitsrecht inzwischen alles an Regelungen haben.

Man sieht es am Beispiel des Bundeswirtschaftsministers. Es war durchaus erlaubt, dass er das Thema Kündigungsschutz im Sinne einer Auflockerung angesprochen hat. Aber selbst in der eigenen Partei gibt es diesbezüglich ganz gewaltige Gegensätze. Die SPD hat dazu zwei Meinungen, wie andere Parteien übrigens auch. Das ist kein Phänomen einer einzelnen Partei, sondern das finden wir auch in anderen Parteien. Es ist auch statthaft, im Einzelnen zu belegen, was angemessen ist und was nicht.

Die Bundesregierung, zumindest das Bundeswirtschaftsministerium, und maßgebliche Repräsentanten der SPDBundestagsfraktion haben deswegen erwogen - sie prüfen dieses nach wie vor ernsthaft und sind dabei, es voranzutreiben -, nicht bundesweit alle diese strittigen Normen abzuschaffen, weil das ein politischer Kraftakt wäre, der wahrscheinlich so leicht nicht zu bewerkstelligen wäre. Man hat vielmehr die Idee, dass man zwei Regionen, zwei Bundesländer, eines in Westdeutschland, das andere in Ostdeutschland, in die Lage versetzt, möglicherweise aufgrund einer Verfassungsänderung, für ihren überschaubaren Bereich für einige Jahre das Bundesrecht in bestimmten Bereichen außer Kraft zu setzen, zu verändern.

Diese Idee ist ernst zu nehmen. Sie ist jedenfalls realistischer als der Glaube, man könne im Bundestag und im Bundesrat für all die Dinge, die ich angesprochen habe, kurzfristig Mehrheiten finden. Deswegen sollte man diese Idee gerade auch aus unserer Sicht, als Bundesland Sachsen-Anhalt, konstruktiv aufgreifen.