Protokoll der Sitzung vom 13.03.2003

Nicht sinnvoll erscheint mir ein Vorschlag, ein Problem zuerst bundeseinheitlich zu regeln und danach Länderkompetenz als Modellregion zulassen zu wollen. Wenn eine zur Erprobung angebotene Möglichkeit nicht überzeugt, wird es niemand tun. Wenn sie überzeugt, werden es alle tun wollen und dann notfalls beim Verfassungsgericht einklagen.

Trotzdem haben wir uns als eine solche Region angeboten, weil wir zusätzliche Freiräume dringend brauchen. In jedem Fall käme dann auch auf den Landtag eine größere Verantwortung zu, weil ausgesetzte Bundeskompetenz dann durch den Landesgesetzgeber ausgefüllt werden müsste. Eine Föderalismuskonferenz zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung erarbeitet gegenwärtig Vorschläge dafür.

Ein wichtiges Problem wird eine Reform der Mischfinanzierungstatbestände sein, die entflochten werden sollen. In Sachsen-Anhalt werden durch diese Mischfinanzierungen ca. 42 % aller Investitionen festgelegt. Bis zum Ende dieses Jahres sollen dazu Reformvorschläge erarbeitet werden. Bei manchen Mischfinanzierungstatbeständen würde schon die kleinste Definitionsänderung größere Entscheidungsfreiheit für uns bedeuten. Mit den Finanzmitteln der Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 91a des Grundgesetzes können Wirtschaftsbetriebe und wirtschaftsnahe Strukturen gefördert werden. Die Sanierung einer Berufsschule zum Beispiel ist damit möglich, nicht aber die Reparatur in einer Sekundarschule. Ein Konsens darüber, dass diese auch zur Entwicklung eines Wirtschaftsstandortes gehört, würde uns viel Entscheidungsfreiheit bieten.

In der Diskussion ist die Länderkompetenz für die ausschließlichen Ländersteuern. Zunächst hat das dazu geführt, dass der Vorschlag leistungsfeindlicher Neidsteuern wenigstens von den Verantwortungsträgern nicht weiter verfolgt wird. Aber das würde zwangsläufig auch zu einer Reform des innerdeutschen Finanzausgleichssystems führen müssen. Eine Steuerreform ist sicherlich notwendig, aber bei den gegenwärtig großen Unterschieden der Steuerkraft einzelner Länder müssen wir vor dem Begriff eines Wettbewerbsföderalismus sehr warnen, solange nicht Chancengleichheit beim Staat organisierbar ist.

Überzeugender scheint mir ein anderer Weg. Innerhalb der Europäischen Union ist es längst üblich, für bestimmte Regionen in Abhängigkeit von der regionalen Wirtschaftskraft abweichende gesetzliche Vorschriften

zuzulassen. Auch innerhalb Deutschlands würde das nicht dem Grundgesetz widersprechen.

Wir erwarten keine gesetzlichen Sonderregelungen für die neuen Bundesländer mehr. Wir halten aber bundesweit geltende Gesetze mit Sondervorschriften für Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit oder besonders niedrigem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner für möglich.

Als ersten Versuch dieser Art wird die Sächsische Staatsregierung morgen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der eine solche Regelung enthält. In einem Entwurf für ein Arbeitsmarkthemmnisse-Abbaugesetz wird vorgeschlagen, dass eine Reihe von arbeitsrechtlichen Vorschriften in den Ländern ausgesetzt oder modifiziert werden soll, in denen die Arbeitslosigkeit an einem Stichtag um 50 % höher ist als im Bundesdurchschnitt.

Wir werden diesem Entwurf nicht beitreten, weil er auch Vorschläge enthält, denen ich mich in der vorläufigen Fassung nicht anschließen könnte. Wir sind aber sehr gespannt darauf, wie der Bundestag auf den Vorschlag der Regionalisierung von Rechtsnormen reagieren wird. Hierfür sehen wir Reformmöglichkeiten einfach durch die Übernahme europäischer Verwaltungspraktiken.

Bevor wir uns jenen Reformen zuwenden, für die wir in unserem Land zuständig und verantwortlich sind, ist es, wie ich glaube, hilfreich, noch auf notwendige Reformen innerhalb der Europäischen Union hinzuweisen. Zurzeit bereitet ein europäischer Konvent, wie Sie wissen, eine europäische Verfassung vor. Nur 74 Regionen in acht von 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben Selbstvertretungskörperschaften mit Gesetzgebungskompetenz. Deren Einordnung in die legislativen und exekutiven Hierarchien der Europäischen Union ist noch nicht ausdiskutiert. Viele Staaten bereiten Reformen vor und orientieren sich dabei an den Strukturen der Bundesrepublik.

Wir drängen unsererseits auf Reformen der Förderpolitik. Allein durch die Veränderung des 75%-Bruttoinlandsprodukt-Grenzwertes fallen künftig 18 Regionen aus den Förderregion-1-Konditionen heraus, ohne dass sich ihre Wirtschaftskraft verbessert hat. Wir suchen jetzt gemeinsam nach Reformen zur Neutralisierung des so genannten statistischen Kohäsionseffektes. Von den 21 Millionen davon betroffenen EU-Bürgern leben mehr als die Hälfte in den neuen Bundesländern Deutschlands. Für unsere weitere Entwicklung werden diese Reformen von großer Bedeutung sein.

Das ist der Hintergrund, vor dem wir die Reformen in unserem Land organisieren müssen. Das sicher geringer werdende Fördervolumen aus der Europäischen Union und der degressive Zuschuss aus dem Solidarpakt müssen durch steigende eigene Steuereinnahmen kompensiert werden, wenn wir das gegenwärtige Ausgabenvolumen wenigstens gleich hoch halten wollen. Dazu sind viele Veränderungen notwendig.

Dabei dürfen Reformen der Selbstverwaltung niemals zum Selbstzweck werden. Sie sollen helfen, unser Hauptziel zu erreichen, nämlich die Wirtschaftskraft zu verbessern und Arbeitsplätze im Bereich der Wertschöpfung zu schaffen. Deshalb gilt der Grundsatz: So viel Reform wie nötig, aber so wenig Durcheinander wie möglich!

Unser wichtigstes Reformziel in dieser Legislaturperiode muss eine Verwaltungsreform mit dem Ziel effizienter und transparenter Verwaltungsstrukturen unter Berück

sichtigung der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Regionen innerhalb unseres Landes sein. Der Landtag hat dazu in früheren Legislaturperioden schon eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Diese werden uns Orientierung sein, ohne dass wir uns daran kritiklos binden.

Im Januar des vorigen Jahres wurde ein Grundsatzbeschluss zur Kommunalisierung von Verwaltungsaufgaben gefasst. Bereits damals habe ich in der Diskussion darauf hingewiesen, dass wir nicht zuerst heroische Beschlüsse fassen sollten und erst danach ausrechnen, was es uns kostet und was effektiver sein würde. Mir ist damals entgegengehalten worden, dass Bürgernähe ein Wert an sich sei und dass das natürlich auch etwas kosten werde.

Die Finanzsituation der Kommunen und des Landes verbietet uns Reformschritte, die zu noch höheren Kosten führen würden. Wir werden deshalb erst rechnen und dann neu entscheiden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nach Meinung des Städte- und Gemeindebundes hätte jede Aufgabenverlagerung seit 1995 die kommunalen Finanzdefizite ständig weiter erhöht. Die Finanzsituation der Kommunen ist grundsätzlich reformbedürftig. Auf Bundesebene wird eine dazu eingesetzte Kommission noch in diesem Jahr Vorschläge hierfür erarbeiten.

Immer wieder wird eine Zusammenführung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe vorgeschlagen. Das mag richtig sein. Bisher wird der Vorschlag diskutiert, diese gemeinsame Leistung dann für Arbeitsfähige durch die Arbeitsverwaltung und für nicht mehr Arbeitsfähige durch die Kommunen auszahlen zu lassen. Bei der hohen Arbeitslosigkeit, den schlechten Vermittlungschancen und der Altersstruktur der Betroffenen wäre das für unsere Kommunen mit ihrem weit unterdurchschnittlichen Gewerbesteueraufkommen eine völlig inakzeptable Lösung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Hierbei müssen wir, die Vertreter der neuen Bundesländer, darauf achten, dass nicht die Proportionen der alten Bundesländer zum Entscheidungsmaßstab werden. Noch bevor die Rahmengesetze des Bundes feststehen, werden wir innerhalb des Landes unsere Beteiligungsquoten neu festlegen müssen. So weit wie möglich und an der Einwohnerzahl orientiert verteilungsgerecht sollen einzelne Fördertitel in den allgemeinen Finanzausgleich umgesetzt werden. Das wird weniger sein, als die Kommunalvertreter wünschen, aber sicher mehr als bisher.

Ich habe Verständnis für den Wunsch der kommunalen Spitzenverbände nach einer verlässlichen Verbundquote und stabilen Strukturen. Nur vor diesem Hintergrund wird es Konsens über die Kommunalisierung von Verwaltungsfunktionen geben können. Die Umsetzungsprobleme sind noch nicht alle geklärt und bleiben eine Aufgabe der Exekutive. Das wird länger dauern, als ich persönlich erhofft und vermutet hatte.

Ein noch kontrovers diskutiertes Thema sind die Probleme der Aufgabenzuordnung im Rahmen einer interkommunalen Verwaltungsreform. Die Meinungsbreite darüber ist groß. Aber auch hierbei sollten wir erst rechnen und dann entscheiden.

Für die Trägerschaft bestimmter kommunaler Aufgaben ist eine Mindesteinwohnerzahl unerlässlich. Sowohl das Verlagern von Zuständigkeiten als auch das Verändern von Strukturen muss möglich sein. Am Ende müssen

Strukturen stehen, die eine möglichst effiziente Verwaltungsorganisation auch auf kommunaler Ebene ermöglichen.

Selbst bei großem Respekt vor der gemeindlichen Selbstverwaltung wäre es wirtschaftlich nicht vertretbar, auf der kommunalen Ebene parallele Verwaltungsstrukturen vorzuhalten, die sich die zu erfüllenden Aufgaben teilen. In der Praxis hat es sich bewährt, für einige Aufgaben des eigenen Wirkungskreises eine koordinierte Aufgabenwahrnehmung aller Mitgliedsgemeinden in der Verwaltungsgemeinschaft zu organisieren.

Vertreter aller kommunalen Spitzenverbände erwarten von uns solche Reformen. Für die notwendige Ordnung dieser Probleme wird die Landesregierung in systematischer Reihenfolge dem Gesetzgeber Entwürfe zur Entscheidung vorlegen.

Immer wieder neu werden wir mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Verwaltungsreform müsste schon allein wegen der unterschiedlichen Einwohnerzahl mit einer gleichzeitigen kommunalen Gebietsreform einhergehen. Wir halten dies im gegenwärtigen Stadium für falsch. Noch nie hat ein Bundesland zwei so einschneidende Reformen gleichzeitig durchgeführt. Unsere wichtigste Aufgabe ist die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes und nicht die Umorganisation der Selbstverwaltung.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Dies gilt natürlich für alle Verwaltungsebenen. Nur zur Einordnung dieses Problems will ich Ihnen einige Vergleichszahlen aus anderen Bereichen nennen:

Nach der EU-Erweiterung wird der größte Staat innerhalb der Union ca. 205-mal größer sein als der kleinste. Alle Probleme werden durch Instrumente einer Funktional- und Verwaltungsreform gelöst und niemand wird Gebietsreformen vorschlagen. Innerhalb der Bundesrepublik hat das größte Land fast 30-mal mehr Einwohner als das kleinste. Bisher konnten alle Probleme durch Funktional- und Verwaltungsreformen gelöst werden. Seit 50 Jahren werden immer wieder Gebietsreformen vorgeschlagen, für die es bisher aber keine Mehrheit gab. Unsere gegenwärtigen Probleme würden wir dadurch sicher nicht lösen können.

Innerhalb Sachsen-Anhalts hat der größte Kreis etwa zweimal mehr Einwohner als der kleinste. In anderen Ländern ist diese Spreizung noch viel größer, ohne dass diese darin ein Problem sehen. Unsere gegenwärtigen Defizite würden wir durch gesetzlich erzwungene Gebietsreformen nicht lösen, wohl aber vorübergehend erschweren.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Deshalb werden wir zunächst schrittweise und mit zielstrebiger Konsequenz die Verwaltungsreform durchführen und danach über die nächsten Notwendigkeiten sprechen.

Ich habe in meiner Regierungserklärung bereits darauf hingewiesen, dass die Durchführung der Verwaltungsreform Auswirkungen auf die gegenwärtigen kommunalen Gebietsstrukturen haben wird. Für die Entwicklung unseres Landes sind aber gegenwärtig andere Reformen wichtiger.

Wir haben mit einer Bildungsreform begonnen, die weit mehr als nur ein Abitur nach zwölf Jahren bedeutet. In

zwischen ist überall deutlich, dass eine Reform der Inhalte und der Strukturen des gesamten Bildungswesens notwendig ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir werden mit einer Reform der Strukturen im Hochschulwesen beginnen. Die Universität Mannheim in Baden-Württemberg ist kürzlich vom Zentrum für Hochschulentwicklung ausgezeichnet worden, weil sie zugunsten eines eigenen schärferen Profils zur Schließung einzelner Fächer bereit war, um freie Ressourcen für die strategische Entwicklung zu gewinnen. Das brauchen auch unsere Hochschulen. Wir möchten, dass sie durch innere Profilierung und abgestimmte Spezialisierung wettbewerbsfähige und damit zukunftsfähige Strukturen finden, die auch langfristig finanzierbar bleiben.

Wir prüfen die Übernahme eines Vorschlages aus Nordrhein-Westfalen, in einem Wissenschaftszentrum des Landes alle Servicefunktionen für die Universitäten und Hochschulen zu bündeln. Das würde die einzelnen Einrichtungen entlasten und das Land müsste diese Aufgabenerledigung nur einmal bezahlen.

Mit einer Reform der Polizeistrukturen wurde bereits begonnen. Wir denken zurzeit über eine Reformierung unserer Sparkassen nach, die wir als wettbewerbsfähige Finanzdienstleister für die Entwicklung unserer mittelständischen Wirtschaftsstrukturen dringend benötigen.

Nicht nur bei uns, aber eben auch bei uns wird eine Reihe von Strukturreformen zur Anpassung an die demografische Entwicklung notwendig sein. Sinkende Schülerzahlen werden, von der Grundschule bis zum Gymnasium durchlaufend, eine geringere Anzahl von Lehrern und Schulen notwendig machen. Die Schwierigkeiten konkreter Anpassungsentscheidungen sind Ihnen bekannt.

Ein absolut und relativ höherer Anteil älterer Mitbürger verlangt nicht nur Reformen der Altersvorsorge, sondern auch Strukturentscheidungen für die ambulante und stationäre Betreuung. Der bisherige Bevölkerungsrückgang hat zum Beispiel dazu geführt, dass etwa die Hälfte der Kreise jetzt schon weniger Einwohner hat, als in unserem Leitbild aus der ersten Legislaturperiode vorgesehen ist. Die Statistiker rechnen uns vor, wie diese Entwicklung weitergehen könnte und aus demografischen Gründen auch weitergehen wird.

Die Wanderungsbilanz von und nach Sachsen-Anhalt ist immer noch negativ. Die Bevölkerungszahl des Landes sinkt jährlich um ca. 0,9 %. Diese Entwicklung kann kurzfristig nicht aufgehalten werden. Nur durch eine systematische Verbesserung der Lebenschancen im Land können wir gegensteuern.

Wenn wir jetzt die Neuformierung von Verwaltungsgemeinschaften über bisherige Kreisgrenzen hinweg bewusst zulassen,

(Zustimmung von Herrn Dr. Püchel, SPD)

kommt eine Entwicklung in Gang, deren Eigendynamik vorhersehbar ist. Wir werden sie nicht bremsen, aber steuern.

Manches hat sich völlig freiwillig und unbemerkt vom Rest der Welt entwickelt. Von der Kleinstadt Jessen zum Beispiel wurden in den letzten zehn Jahren 14 Kleinstgemeinden eingemeindet, sodass Jessen jetzt die flächenmäßig größte Stadt Sachsen-Anhalts ist. Das ist für

mich ein Beispiel weitsichtiger Kommunalpolitik unter Respektierung subsidiärer Entscheidungskompetenz.

Inwieweit andere diskutierte Gebietsänderungen vom Gesetzgeber Entscheidungen verlangen werden, bleibt abzuwarten. Dass eine Verringerung der Anzahl von Verwaltungseinheiten wenigstens mittelfristig zu Personaleinsparungen führt, ist unstrittig. Ich halte es sogar für wahrscheinlich, dass zu gegebener Zeit auch eine solche Reform notwendig werden könnte. Aber, meine Damen und Herren, die modernen intranet- und internetbasierten Kommunikationstechnologien lassen manche dieser Diskussionen jetzt schon als antiquiert erscheinen.