- Nebenbei bemerkt, freue ich mich als Liberaler über die absolute Freiheit an der Universität, die nur durch Selbstdisziplin beschränkt ist. Allerdings gibt es auch eine gewisse Fürsorgepflicht. Wenn man die Juristenausbildung so lässt, wie sie ist, und den Studenten nicht dazu anhält, sich selbst den Spiegel vorzuhalten und zu prüfen, ob der Studiengang für ihn geeignet ist, dann endet er mit der Berufsbezeichnung „Abiturient mit Führerschein“ und ist 30 Jahre alt. Das ist nicht das, was wir uns vorstellen.
Die Definition der Prüfungsgegenstände der ersten und zweiten juristischen Prüfung ist zu hinterfragen. Wenn zum Beispiel auf interdisziplinäre Bezüge abgestellt wird, kann ich das aufgrund meiner praktischen Erfahrungen immer begrüßen.
- Ein ganz einfaches Beispiel, Herr Dr. Püchel: Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben einen Unterhaltsprozess bezüglich Kindesunterhalt und Sie sind Selbständiger. Sie haben einen jungen Richter, der kommt von der Universität und hat noch nie etwas vom Steuerrecht gehört, soweit er nicht in Bayern studiert hat. In Bayern ist das Steuerrecht Prüfungsgegenstand. Der liest zum ersten Mal eine betriebswirtschaftliche Auswertung und soll anhand derer feststellen, inwieweit der Vater leistungsfähig ist.
Mir wäre es recht, wenn dieser Richter das vorher schon irgendwo einmal gelernt hätte und es ihm nicht dort vom Anwalt beigebracht werden müsste. - Das ist ein klassisches Beispiel.
Was ich nicht so besonders gut finde, ist, dass man die Fremdsprachenkenntnisse in das Gesetz hineinpackt; in die Verordnung können sie meinetwegen hineingenommen werden. Aber stellen Sie sich Folgendes vor: Bei der Betriebswirtschaftlehre ist das einfach. Alle Zusammenhänge in der Betriebswirtschaftslehre sind international fast ähnlich. Sie können mit einem guten Wirtschaftsenglisch in China dieselben Zusammenhänge erklären wie in den USA oder in Deutschland. Versuchen Sie aber einmal, mit Englisch ohne Kenntnis des anglikanischen Rechtssystems in Amerika einen Fuß auf die Erde zu bringen. Sie sind chancenlos.
- Nein, in Bayern nicht. Aber ich habe ein bisschen in Namibia herumstudiert und dort ein wenig anglikanisches Recht gelernt.
Wenn Sie das nicht mitgestalten und nicht mit unterrichten, können Sie das nicht zum Prüfungsgegenstand machen. Anglikanisches Recht sollte an deutschen Universitäten nur im speziellen Fall geprüft werden.
Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht. Deshalb fasse ich mich insoweit kurz. Ich bitte Sie, dem Antrag auf Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung zuzustimmen. - Danke schön.
Danke, Herr Abgeordneter Wolpert. - Die Fraktion der PDS hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Darum erhält der Abgeordnete Herr Stahlknecht für die CDU-Fraktion nunmehr das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei einem so rein fachspezifischen Thema ist es immer schwierig, wenn man als Letzter spricht, weil das, was wesentlich ist, schon gesagt worden ist. Daher werde ich nur drei Punkte kurz erwähnen, die auch mir am Herzen liegen und die ich entscheidend finde.
Ich finde die Einführung der Zwischenprüfung gut; denn bislang war es so, dass sich im schlimmsten Fall nach acht oder neun Semestern, nämlich in der ersten Staats
prüfung, die Frage über Sein oder Nichtsein stellte. Wenn man bei dieser Prüfung durchfiel, war man, wie der Kollege Wolpert gesagt hat, in der Situation, Abiturient mit Führerschein zu sein. Insofern ist es als eine Fürsorgepflicht, auch als ein Hinführen zur Disziplin zu sehen, den Studierenden während des Studiums in ein Zeitkorsett zu zwingen und ihm klar zu machen, ob er für das von ihm gewählte Studium geeignet ist oder nicht.
Ein Punkt, der bislang noch nicht angesprochen worden ist, den ich aber für wichtig halte, ist: Hatte man bislang das erste Staatsexamen bestanden, konnte man sagen, man sei Jurist. Aber letztlich war dies kein Hochschulgrad. Das wird jetzt eingeführt. Es wird in das Ermessen der Martin-Luther-Universität gestellt, dies per Verordnung zu regeln. Als Benennung wäre „Diplomjurist“ denkbar. Dies bedeutet auch ein Gleichziehen im Wettbewerb mit den Fachhochschulen, die nämlich am Ende der Fachhochschulabschlussprüfung den Absolventen den Grad „Wirtschaftsjurist FH“ verleihen.
Als letzter Punkt bleibt zu erwähnen: Es war in sich nur logisch stringent, das einzuführen, was wir in diesem Hohen Hause beschlossen haben, nämlich die Umwandlung von einem Beamtenverhältnis in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis.
Abschließend möchte ich eines erwähnen; das sei mir erlaubt. Letztlich geht der Gesetzentwurf auf ein Bundesgesetz zurück, das jedoch erst zum 3. Juli dieses Jahres in Kraft tritt. Die Landesregierung ist vorzeitig fertig geworden. Ich darf auch einmal positiv erwähnen, dass dies, so denke ich, ein fachlich guter und schneller Ritt gewesen ist. Ansonsten schließe ich mich dem Antrag auf Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung an und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Abgeordneter Stahlknecht. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/664 ein. Dem Anliegen einer Ausschussüberweisung wurde nicht widersprochen. Es wurde eine Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung beantragt. Gibt es den Wunsch, den Gesetzentwurf in weitere Ausschüsse zu überweisen? - Das ist nicht der Fall. Dann erübrigt es sich, über die Federführung abzustimmen.
Wer damit einverstanden ist, die Drs. 4/664 in den Ausschuss für Recht und Verfassung zu überweisen, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Auch keine Enthaltung. Damit ist der Überweisung einstimmig zugestimmt worden. Tagesordnungspunkt 7 kann somit verlassen werden.
Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland sind reformbedürftig. Das große Dilemma ist: Sie sind an Erwerbsarbeit gekoppelt und diese Erwerbsarbeit geht in der Bundesrepublik Deutschland seit 20 Jahren immer weiter zurück, ist nicht mehr im Angebot.
Dies hat zwei Folgen. Zum einen hat es Folgen für die sozialen Sicherungssysteme selbst, denen damit die finanzielle Basis schwindet. Auf der anderen Seite ist es ein Problem, dass die Betroffenen damit in Bezug auf die Versicherungsleistungen sehr unsicheren Perspektiven entgegengehen; denn immer weniger Frauen und Männer arbeiten sozialversicherungspflichtig. Auch das so genannte Normalarbeitsverhältnis geht seinem Ende entgegen, wird eher zur Ausnahme als zur Regel.
So wie die Sicherungssysteme im Moment gestrickt sind, haben erstens immer weniger Leute in Bezug auf Leistungen und Ansprüche etwas davon und werden zweitens die Versicherungen immer mehr unterfinanziert. Sie haben, prozentual gesehen, zu wenig Geld, sprich schwindende Beiträge zu verkraften.
Es gibt wohl niemanden in diesem Raum und auch sonst wo, der bestreitet, dass sowohl die Arbeitslosenversicherung als auch die Rentenversicherung oder die gesetzliche Krankenversicherung jeweils auch in sich reformbedürftig sind. Aber das Kernproblem ist der Schwund an Beiträgen. Es gibt also weit eher ein Einnahmeproblem als ein Ausgabeproblem.
Die Antwort der Bundesregierung darauf ist: Mut zu Reformen. Die größte Portion Mut bringt die Bundesregierung auf, wenn es gegen die Einkommensschwächsten in diesem Lande geht.
Meine Damen und Herren! Anstatt systemische Schwächen anzugehen, wird das Defizit der Sicherungssysteme zulasten der unteren Einkommensgruppen finanziert und - dies ist besonders ärgerlich - vor allem zulasten der Einkommensschwächsten, sprich der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger und der Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger. Das, meine Damen und Herren, hat mit Mut so viel zu tun wie der Fisch mit dem Fahrrad.
Bleiben wir gleich bei den Letzteren, den Arbeitslosenhilfeempfängern. Die Arbeitslosenversicherung ist mit derzeit 4,3 Millionen Arbeitslosen völlig überfordert. Ergo: Arbeitslosigkeit soll billiger werden. Derzeit erhalten die Langzeitarbeitslosen Einkommensersatz aus zwei verschiedenen Sicherungssystemen, auf der einen Seite die Arbeitslosenhilfe oder - wenn es finanziell ganz eng wird - die ergänzende Sozialhilfe. Beides ist steuerfinanziert. Es besteht also tatsächlich ein systemischer Doppelaufwand. Demnach ist es unsinnig und demnach gibt es Reformbedarf auf der einen Seite im Sinne der Betroffenen und auf der anderen Seite auch im Sinne der Kommunen.
Die erwerbsfähigen Transferleistungsempfänger gehören in ein einheitliches System. Sie eint zum einen die Suche nach Arbeit oder die Fähigkeit, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, und sie eint zum anderen die - vor allen Dingen in den neuen Bundesländern - fehlende Möglichkeit, dies zu tun.
Das, was jetzt gewollt und geplant ist, erinnert geradezu lehrbuchreif an eine gängige Machtstrategie, die heißt:
Teile und herrsche. Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger werden in die Regelungen des Arbeitsamts integriert, sie bekommen nicht mehr Geld, dürfen aber an Maßnahmen teilnehmen, was, nebenbei gesagt, angesichts der Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit wahrscheinlich eher unter der Kategorie „Illusion“ zu verbuchen ist. Die sind also mit im Boot.
Obendrein wird damit aller Wahrscheinlichkeit nach den Kommunen ein Teil ihrer Sozialhilfeausgaben erspart. Also auch die sind mit im Boot.
Die, die draußen sitzen bleiben, sind in Sachsen-Anhalt fast 150 000 Arbeitslosenhilfeempfänger. Für ca. 11 000 von ihnen wird sich nichts weiter ändern; sie erhalten bereits jetzt ergänzende Sozialhilfe. In Sachsen-Anhalt werden es dann ca. 135 000 Frauen und Männer sein, deren Einkommen auf Sozialhilfeniveau gekürzt wird, und das vor dem Hintergrund, dass es nun wahrlich nicht so ist, meine Damen und Herren, dass man sich hierzulande nur auf die Suche machen müsste, um im Niedriglohnbereich oder sonst wo eine einigermaßen existenzsichernde Beschäftigung zu finden. Das bedeutet im Einzelfall eine Kürzung von bis zu 400 € monatlich.
Darüber, was das an Verminderung der Lebensqualität für die Betroffenen bedeutet, ließen sich viele Überlegungen anstellen. Ich will nur eine herausgreifen. Der sozioökonomische Status der Eltern ist einer der entscheidendsten Einflussfaktoren für die Bildungschancen von Kindern. Mit der Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau, mit dem Einfrieren des Eckregelsatzes und dessen Abkoppelung vom Rentenniveau, mit der Abschaffung der Kostenfreiheit für Lernmittel bei Sozialhilfeempfängerinnen hierzulande wird genau dieser sozioökonomische Status beschnitten, eingeschränkt und werden die Bildungschancen von Kindern in Sachsen-Anhalt zumindest im Bereich der unteren Einkommensgruppen massiv beschnitten.
Machen wir es doch einmal konkret, meine Damen und Herren. Gefühle kann man sich nicht so ohne weiteres ausleihen; denn Betroffenheit kommt von Betroffenheit. Stellen Sie sich vor, Sie würden monatlich anstatt Ihrer 3 900 € Diäten in einer dreiköpfigen Familie künftig mit nur noch 750 € bis 800 € plus Miete auskommen müssen und Ihre Tochter oder Ihr Sohn hat den dringenden Wunsch, in der Musikschule ein Instrument zu erlernen. Sie müssen Unterrichtsgebühren, Leihgebühren und die Noten bezahlen.
Oder stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen, wenn die Lehrerin Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter in der Schule den Vorschlag macht, für ca. 190 € an einer Klassenfahrt teilzunehmen, und in den Raum fragt, wer damit wohl Probleme hätte. Jeder möge für sich prüfen, ob es ihm recht wäre, wenn sich seine Kinder melden müssten. Dies ist mitten aus dem Leben gegriffen.
Meine Damen und Herren! Überlegen Sie sich Ihre Entscheidungen sehr gut; denn Ihre Arbeitslosenhilfe wird in Kürze auf Sozialhilfeniveau gestutzt, der Eckregelsatz wird von der Rentenentwicklung abgekoppelt und Sie müssen künftig sehr wahrscheinlich für die Schulbücher in Sachsen-Anhalt bezahlen. Das beträfe in SachsenAnhalt ca. 15 000 Mädchen und Jungen.
Ich will an der Stelle einfügen: Selbst das finanzkrisengeschüttelte Berlin nimmt von seiner Schulbuchregelung Sozialhilfeempfänger aus.
Ebenso wahrscheinlich ist, dass der Bundesfinanzminister Ihnen künftig auch noch die Rentenbeiträge gänzlich verweigert. Altkanzler Kohl hätte man dafür von der Kanzel geholt.
Stattdessen probt jetzt Rot-Grün - das sage ich auch so zugespitzt - den sozialen Kahlschlag. Zur Illustration aus einem Interview, das der Bundeskanzler vor der Wahl dem ZDF gegeben hat - ich zitiere, Frau Präsidentin -:
„Das vom Parteivorstand am Dienstagabend einstimmig verabschiedete Wahlprogramm zielt nach Schröders Worten vor allem auf die gesellschaftliche Mitte. Die SPD macht darin deutlich, dass sie weiter an der Erneuerung und Modernisierung arbeiten wolle, ohne die soziale Gerechtigkeit aufzugeben. Als Beispiel stellte Schröder unter anderem die geplante ‚Verzahnung’ der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe heraus. Dabei soll es keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf das Sozialhilfeniveau geben.“