Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

In der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP vom Mai letzten Jahres ist zu lesen, die Konstruktion einer eigenständigen Fachhochschule habe sich in der Praxis nicht bewährt und daher werde die Koalition das Gesetz über die Fachhochschule mit dem Ziel ändern, diese wieder zu einer internen Hochschule zu machen. Künftig wäre in allen Tätigkeitsbereichen der Fachhochschule nicht nur eine Rechtsaufsicht, sondern eine Fachaufsicht des Innenministeriums gegeben.

Ich glaube nicht, dass sich das Ministerium in den vergangenen Monaten für eine solche Rolle qualifiziert hat.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich denke, wir haben allen Anlass, den Hochschulstatus der Polizeiausbildung uneingeschränkt beizubehalten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Ein anderer neuralgischer Punkt ist die Altersteilzeit. Herr Minister Becker hat vor

der Wahl, damals noch als innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, vor einer „Opa-Polizei“ gewarnt. Mit dieser Begründung für einen größeren Einstellungskorridor zu werben, wie Herr Becker das getan hat, mag ja noch angehen, aber als Einstieg in den Abschied von lebensälteren Beamten entfaltet die Warnung vor der „OpaPolizei“ eine ungute Wirkung.

Mit dem so genannten Haushaltssanierungsgesetz haben die Fraktionen von CDU und FDP ein erweitertes Altersteilzeitmodell für die Beamtinnen und Beamten beschlossen, die 50 Jahre alt sind oder es bis 2010 werden. Denen bieten Sie an, dass sie bis zum Eintritt in den Ruhestand nur noch 25 % ihrer Dienstzeit arbeiten, dafür aber 83 % der bisherigen Besoldung behalten.

Ich selbst falle unter Ihre Regelung, weil ich bis 2010 das 50. Lebensjahr vollende. Wenn ich dann 25 % der 15 Jahre arbeite, die auf meinen 50. Geburtstag bis zur Pensionierung folgen, sind das 3 ¾ Jahre aktive Zeit. Die Freistellungsphase würde 11 ¼ Jahre dauern. In der Arbeitsphase beziehe ich als Oberregierungsrat grob veranschlagt 160 000 €, in der Freistellungsphase 440 000 €. Dann folgt die Pension unter Anrechnung der Freistellungsphase auf das Versorgungsdienstalter.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Opulent!)

Wenn der Dienstherr mir sagt, dass 17 % weniger Bezüge bei 75 % weniger Arbeitsleistung meinerseits eine Entlastung bedeuten, dann fasse ich das so auf, dass auf meine weitere Mitarbeit kein Wert gelegt wird, meine Damen und Herren.

Deshalb wundert es auch nicht, dass Hunderte von Beamten - dem Vernehmen nach 400; ich weiß nicht, ob das die aktuelle Gesamtzahl ist, Herr Minister - bereits ihren Abschied beantragt haben, und zwar gerade solche, die als Leistungsträger im mittleren Management der Polizei gebraucht werden, die sich zutrauen, auch anderswo ihre Kraft sinnvoll einzusetzen.

Der Trend in den anderen Bundesländern ist ein völlig entgegengesetzter. Die baden-württembergische Landesregierung erwägt, Polizisten erst mit 62 Jahren in Pension gehen zu lassen. In Rheinland-Pfalz soll die Altersgrenze von derzeit 60 Jahren auf bis zu 65 Jahre steigen. - Ich halte das nicht für richtig, aber in einem Vorziehen der Altersgrenze sehe ich ebenfalls keinen Sinn.

All diese Beamten gehen zu lassen, können wir uns weder fachlich noch finanziell leisten. Die Opposition hat es vor der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes an Warnungen auch nicht fehlen lassen. Nun habe ich den Verdacht, dass Ihnen das Problem der Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht ganz gelegen kommt, um aus Ihrer unsinnigen Altersteilzeitregelung auszusteigen bzw. aussteigen zu können. Sie sollen ja nicht ausscheiden, sondern hier Ihre Verantwortung wahrnehmen, meine Herren Minister. Aber den psychologischen Schaden, den Sie im Personalkörper der Polizei angerichtet haben, heilen Sie so nicht mehr.

Meine Damen und Herren! Wenn Einsparungen erforderlich sind, sagen wir das öffentlich, auch als Opposition. Ich selbst habe neulich den Abbau von 600 Stellen in der Polizeiverwaltung als nötig und maßvoll bezeichnet. Von der CDU waren zu Oppositionszeiten keine Kürzungsvorschläge zu hören. In dem Thesenpapier „Zeit für mehr Sicherheit“ vom 27. November 2001 heißt es, die CDU werde bei Übernahme der Regierungsverantwortung die sächliche und personelle Ausstattung

der Sicherheitsbehörden wieder den Erfordernissen anpassen.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Das hätte nur ein Zyniker als Ankündigung dessen deuten können, was Sie sich jetzt zu tun anschicken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Natürlich muss gespart werden, aber das mit Augenmaß. Heute ist eine gute Gelegenheit, die Widersprüche zwischen Innenressort und Staatskanzlei aufzuklären, die in den Pfingstausgaben der Zeitungen offenbar geworden sind. Was haben wir tatsächlich zu erwarten? Bis wann und in welchen Jahresscheiben sollen die 2 257 Stellen in Vollzug und Verwaltung abgebaut werden, von denen in der Presse die Rede ist?

Dazu erwarten die Betroffenen klare Aussagen. Ich frage Sie, Herr Innenminister: Ist es nicht so, dass Sie im Kabinett der Streichung einer solch großen Zahl von Stellen zugestimmt haben? Letzten Samstag bei der Zeitungslektüre hätte man auch einen anderen Eindruck gewinnen können.

Wenn ich lese, dass Sie im Bereich der Polizeidirektion Halberstadt 256 Stellen, im Bereich der Polizeidirektion Merseburg 264 Stellen und in dem der Polizeidirektion Stendal 289 Stellen abbauen wollen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie das ohne tiefe Einschnitte bei der Flächenpräsenz schaffen. Was wird aus Ihrem Versprechen, die Flächenpräsenz aufrechtzuerhalten?

Ich erinnere, Herr Minister, an Ihre Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Kühn in der Drs. 4/364 vom 20. November 2002, in der Sie zu der in den Landkreisen durchgeführten Organisationsreform ausgeführt haben:

„Dabei wird das bisher in den Landkreisen eingesetzte Personal grundsätzlich auch künftig dort verbleiben und lediglich effizienter eingesetzt werden.“

Weiter heißt es:

„Daraus ergibt sich, dass sich für den Bereich des Burgenlandkreises die Anzahl des bisher eingesetzten Vollzugspersonals voraussichtlich nicht verändern wird.“

Auch in der Presse - ich erwähne die „MZ“ vom 12. Dezember 2002 - haben Sie gesagt, infolge der Neuorganisation werde es keine Abstriche an der Zahl der Vollzugsbeamten geben. In diesem Zusammenhang ging es auch um die Zahl der Beamten in den Landkreisen. Der Herr Minister sagte wörtlich:

„Wir werden weiterhin rund 4 030 Polizisten im Einsatz haben.“

(Zuruf: Lüge!)

Herr Minister, ich fordere Sie auf, streiten Sie dafür, dass die Personalpolitik im Polizeibereich von der Maßlosigkeit zum rechten Maß zurückfindet.

(Zustimmung bei der SPD)

Am Ende werden Sie nicht mit dem Finger auf die Staatskanzlei und das Finanzministerium zeigen können; vielmehr tragen Sie selbst die Verantwortung für die innere Sicherheit in diesem Lande.

Der notwendige Personalabbau muss berechenbar nach einem Konzept erfolgen. Wir brauchen ein neues, mit den Polizeigewerkschaften abgestimmtes Konzept der Landesregierung, wenn Sie das sehr gute, von Herrn Dr. Püchel hinterlassene Konzept preisgeben wollen. Das vorhandene Konzept „KOPPS 2010“ gibt für den Polizeivollzugsdienst die Zielzahl 1 : 340 vor, die angepasst an die nach unten weisende demografische Kurve schon eine erhebliche Reduzierung der Zahl der Polizeivollzugsbeamten bedeutet.

Ich bin der Meinung, dass bei der Polizeidichte derzeit nicht der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer zugrunde gelegt werden sollte. Wir haben in allen ostdeutschen Ländern eine Kriminalitäts- und Verkehrsunfallbelastung, die noch über den dortigen Zahlen liegt. Während man im Westen noch immer von der saturierten Wohlstandsgesellschaft sprechen kann, ist die Lage bei uns von einer anhaltenden Massenarbeitslosigkeit und den gesellschaftlichen Auswirkungen des Umbruchs von 1989 gekennzeichnet.

In dem Maße, wie sich die statistischen Werte weiter dem westdeutschen Niveau nähern, kann die Polizeidichte heruntergefahren werden. Wir brauchen eine Personalentwicklung, die an die polizeiliche Lage und nicht bloß an die Kassenlage angepasst ist, meine Damen und Herren.

Das Konzept „KOPPS 2010“ beschreibt ein ganzes Bündel von Personalentwicklungsmaßnahmen im Verhältnis von Polizeivollzug und Verwaltung, mittlerem und gehobenem Dienst. Es ist für uns weiterhin gültig.

Von Ihnen, Herr Minister Jeziorsky, ist bislang nichts weiter bekannt geworden als Ihre neue Zielzahl 1 : 365. Wenn Sie sich an das Konzept „KOPPS 2010“ nicht weiter halten wollen, dann müssen Sie ein neues Konzept auf den Tisch legen. Ich begrüße es, dass die Koalitionsfraktionen diese Forderung aufgreifen. Wenn gespart werden muss - diese Notwendigkeit bejahen wir -, dann kommt es in gesteigertem Maße darauf an, den Betroffenen die politischen Ziele zu vermitteln. Die nötigen Veränderungen können nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie gelingen.

Herr Innenminister, Sie kommen aus der kommunalen Familie. Sie sind selbstverständlich Kommunalminister. Sie sollten auch der Minister für die Polizei sein und dort nicht den Eindruck von Distanziertheit erwecken. Setzen Sie bitte im Terminkalender und im Kopf die richtigen Prioritäten.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Zu- ruf von der SPD: Genau!)

Meine Damen und Herren! Auf einen gesonderten Debattenbeitrag zu den anderen Anträgen möchte ich am heutigen Tage verzichten. Lassen Sie mich daher Folgendes zu diesen sagen: Der Antrag der PDS-Fraktion findet unsere Zustimmung. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dem Antrag der SPD-Fraktion enthält nur zum Teil die in unserem Antrag aufgeworfenen Fragen, dafür aber eine zumindest voreilige, wenn nicht unzutreffende Bewertung in Bezug auf die Umstrukturierungen auf Kreisebene.

Wir bleiben bei unserem Antrag, werden uns aber gegebenenfalls bei der Endabstimmung über den Antrag von CDU und FDP der Stimme enthalten, weil er ein wesentliches Zugeständnis enthält, nämlich die Übernahme der Aufforderung an die Landesregierung, dem Innenausschuss ein langfristiges Personalkonzept zur Gewähr

leistung der inneren Sicherheit bis zum Jahr 2010 vorzulegen.

Da durch den Kollegen Gärtner eine Überweisung beantragt worden ist, möchte ich ankündigen, dass auch wir einer Überweisung der drei Anträge in den Innenausschuss unsere Zustimmung erteilen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Rothe, für die Einbringung des zweiten Antrages. - Es ist vereinbart worden, zu den Anträgen eine verbundene Debatte zu führen. Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion.

Als erster Debattenredner hat Innenminister Herr Jeziorsky um das Wort gebeten. Doch zuvor habe ich die Freude, Schülerinnen und Schüler des Hegel-Gymnasiums Magdeburg bei uns zu begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage es gleich zu Beginn: Ich bin gern bereit, im Innenausschuss ausführlich und detailliert über die Personalentwicklung in der Landespolizei und darüber, wie wir mit weniger Personal die Flächenpräsenz im Lande sichern können, zu berichten.

Wir haben in den Einbringungsreden, insbesondere von Herrn Rothe, aber auch heute Morgen in Bezug auf die Situation, die wir in Sachsen-Anhalt insgesamt haben, gehört: Diese hat etwas mit Finanzen zu tun. Unstrittig ist - das wird sicherlich auch von der Opposition nicht bestritten -, dass die Kosten für die Beschäftigten des Landes Sachsen-Anhalt gesenkt werden müssen. So schmerzlich es auch für den Innenbereich ist, die Polizei kann von einer solchen grundsätzlichen Tendenz nicht ausgenommen werden.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Es gibt aber andere Aus- sagen von Ihnen!)

Herr Gärtner, die Zahl 1 : 365 ist nicht irgendwie entstanden oder gewählt worden. Diese geht auf einen Vergleich mit der Durchschnittszahl der deutschen Flächenländer in Bezug auf die Polizeidichte zurück. Da es eine Durchschnittszahl ist, bedeutet das, dass es auch Länder gibt, die eine noch geringere Polizeidichte als 1 : 365 haben. Wir haben zurzeit eine deutlich höhere Polizeidichte.