Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Das geht weniger weit als der so genannte Pro-AktivAnsatz nach dem österreichischen Recht. Dort werden die Daten - allerdings ohne entsprechende Willensbekundung der gefährdeten Person - durch die Polizei an eine Interventionsstelle übermittelt, die dann dieser Person Beratung und andere Hilfe gewährt. Das dürfte nach unserer Ansicht zu weit gehen.

Wir haben den Gesetzentwurf eingebracht, um diesen Schutz zu gewähren, aber auch, um den Schutz der Grundrechte sowohl des Opfers als auch des Täters zu gewährleisten. Das ist nur ein Punkt, in dem sich unser Gesetzentwurf von dem der CDU-Fraktion vom Mai 2001 unterscheidet.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Lassen Sie mich weitere Punkte ansprechen. In dem CDU-Entwurf war für die Wegweisung eine Dauer von sieben Tagen vorgesehen.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Nachdem dieser Zeitraum in der Anhörung als zu kurz bezeichnet worden war, hat Herr Becker eine Verdopplung auf 14 Tage vorgeschlagen. Wir wollen das gleiche Zeitmaß wählen, wie es in Nordrhein-Westfalen bestimmt wurde: in der Regel zehn Tage, bei Bevorstehen einer gerichtlichen Entscheidung maximal 20 Tage.

(Herr Gürth, CDU: Das hätten Sie im letzten Jahr schon beschließen können, wenn Sie unser Ge- setz nicht gleich abgelehnt, sondern geändert hätten! Das ist nicht sehr glaubhaft! - Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Die Polizei darf der gewalttätigen Person alle Wohnungsschlüssel abnehmen.

Zum Grundrechtsschutz der gewalttätigen Person. Im Interesse eines wirkungsvollen Schutzes muss der räumliche Bereich der Wegweisung genau bezeichnet werden. In Einzelfällen kann sich dies auf die Wohnung und auf Nebengelasse beschränken, zum Beispiel bei Berufsausübung in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung.

Zum Schutz der gefährdeten Person und zur Durchsetzung der Wegweisungsmaßnahme hat die Polizei mindestens einmal im Zeitraum der Wegweisung die Maßnahme zu überprüfen.

Der Gesetzentwurf garantiert auch die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz; denn das Gericht hat der Polizei die Beantragung des zivilrechtlichen Schutzes und den Tag der gerichtlichen Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf folgt dem Grundsatz: Wer schlägt, fliegt aus der Wohnung. Das Gesetz wird aber weder die Frauenhäuser noch Frauenschutzwohnungen überflüssig machen, noch wird es das Gewaltphänomen beseitigen. Es ist vielmehr eine gesetzliche Grundlage dafür, für das Opfer etwas zu tun und den gewaltbereiten Familienmitgliedern zu zeigen, dass sie eine Straftat begehen und die

se von uns nicht hingenommen wird. Des Weiteren wird die Öffentlichkeit stärker sensibilisiert.

Der Gesetzentwurf beinhaltet auch Erkenntnisse aus der Anhörung im Innenausschuss vom 19. Dezember 2001. Im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Halle ist die Polizei im Jahr 2001 ca. 500-mal wegen häuslicher Gewalt zum Einsatz gerufen worden.

Und etwas ganz Wichtiges: Wir brauchen die Interventionsstellen zur Beratung und Bewusstseinsstärkung der Opfer.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Ohne ausreichende Zeit für die Beratung und die Zusammenarbeit des Opfers mit Polizei und Justiz wird der notwendige Lückenschluss zwischen dem Eintreffen der Polizei und einer gerichtlichen Entscheidung nicht gelingen. Aber diese Zeit wird benötigt. In dieser Zeit muss die gefährdete Person in ihrer Entscheidungsfreiheit vor dem Täter geschützt werden.

Darum bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Gesetzentwurf zur weiteren parlamentarischen Beratung federführend an den Ausschuss für Inneres und mitberatend an die Ausschüsse für Recht und Verfassung sowie für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport zu überweisen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS - Frau Liebrecht, CDU: Das hätten wir alles schon haben können!)

Frau Abgeordnete Schmidt, ich danke Ihnen für die Einbringung. - Wir kommen jetzt zur Debatte. Die Landesregierung verzichtet auf einen Debattenbeitrag. Die Debatte der Fraktionen erfolgt in der Reihenfolge CDU, PDS, FDP, SPD. Im Ältestenrat ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Für die CDU-Fraktion spricht zu Beginn der Abgeordnete Herr Madl.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schmidt, ich glaube, Sie haben, als Sie die ersten Sätze Ihrer Einbringungsrede gesprochen haben, selbst gemerkt, dass die Argumentation, Sie machten jetzt die Arbeit für die Landesregierung, nicht so gut angekommen ist.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Doch, doch, es kam gut an! - Zuruf von Frau Bull, PDS)

- Bei Ihnen vielleicht, Dr. Püchel, aber bei uns ist das nicht so gut angekommen.

(Frau Budde, SPD, und Frau Bull, PDS: Das ist Ihr Problem!)

Ich denke, das ist auch nicht die erste Beratung, die wir heute hier machen, sondern es ist die dritte Beratung.

(Frau Bull, PDS: Nein!)

Die hätten wir uns im Prinzip sparen können, wenn Sie am 22. Februar 2002 der Intention der CDU-Fraktion gefolgt wären und im Großen und Ganzen unserem Gesetzentwurf zugestimmt hätten.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Schmidt, SPD)

Das Thema „Schutz vor häuslicher Gewalt“ ist nun fast ein Jahr alt und hat seinen Ursprung in dem Entwurf eines Gewaltschutzgesetzes im häuslichen Nahbereich der CDU-Fraktion vom Mai des vorigen Jahres.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Als ich Ihren Gesetzentwurf und die Begründung dazu gelesen habe, mir auch die Protokolle über die Anhörung durchgelesen habe, musste ich an Heinz Rühmann denken. Das wird den einen oder anderen vielleicht verwundern. Sie kennen Heinz Rühmann. Er war nicht nur ein hervorragender Schauspieler, er war auch ein Lebenskünstler. Und er war ein Spaßvogel. Nun will ich nicht sagen, dass Sie Spaßvögel sind.

(Heiterkeit bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Das ist ein Kompliment!)

Ich will vielmehr darauf hinaus, dass er immer einen guten Spruch draufhatte. Er verwendete oft den Satz: Das ist ja doll.

Genau das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, fiel mir bei Ihrem Gesetzentwurf auf; der ist auch doll. Wissen Sie, was das Dollste an dem Gesetzentwurf ist? - Acht Monate nach der Einbringung des CDU-Gesetzentwurfs beerdigen Sie diesen am 22. Februar 2002 und - dieser Entwurf ist noch nicht einmal kalt - gebären einen neuen Gesetzentwurf, der genau die gleiche Intention hat wie der, den Sie erst vor knapp vier Monaten zu Grabe getragen haben.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Das ist putzig, ja!)

Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Vielleicht ist es eine neue Form der fraktionellen Reinkarnation, die Wiedergeburt in einem anderen Fraktionskörper. Über Reinkarnation habe ich schon eine ganze Menge gehört und gelesen, aber ich dachte nicht, dass das so schnell geht.

Aber Scherz beiseite. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor häuslicher Gewalt greifen Sie die Intention unseres Antrages vom Mai 2001 auf. Wir begrüßen das ausdrücklich. Wir wissen nur noch nicht, weshalb Sie den Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen so unwesentlich abgeändert haben; denn Sie, Frau Schmidt, haben gesagt, dass dieser im Vergleich zu unserem Antrag wesentlich größere Vorteile beinhalte.

Ihr Entwurf unterscheidet sich vom NRW-Gesetz nur in folgenden Punkten:

erstens in § 36 a Abs. 1 Satz 1 durch das Anfügen des Buchstaben „r“ an das Wort „unmittelbare“, das heißt, aus dem Wort „unmittelbare“ wird „unmittelbarer“;

zweitens in § 36 a Abs. 2 durch das Anfügen des folgenden Satzes 2:

„Die Polizei kann der gewalttätigen Person alle in ihrem Besitz befindlichen Wohnungsschlüssel abnehmen“;

- sie kann es aber auch sein lassen -

(Frau Liebrecht, CDU, lacht)

drittens in Absatz 2, in Absatz 3 Satz 1 sowie in Absatz 6 Satz 2 durch das Einfügen des Wortes „gewalttätige“ vor dem Wort „Person“;

viertens dadurch, dass in § 37 eine Nr. 4 eingefügt wird.

Die Erklärung dafür, was an diesem Entwurf gegenüber unserem Entwurf vom Mai 2001 wirklich neu ist, sind Sie, denke ich, in Ihrer Einbringung schuldig geblieben. Aber darüber, denke ich, können wir dann in den Beratungen im Innenausschuss ausgiebig diskutieren.

Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt auf die Einbringung eines eigenen Gesetzentwurfs bzw. eines Änderungsantrages verzichtet, weil wir erstens nicht denselben Weg wie Sie beschreiten wollten, und zwar Ihren Antrag zu beerdigen und dann vielleicht mit einem dritten neu ins Rennen zu gehen, und weil Ihnen zweitens bekannt sein müsste, zumindest nach den Beratungen und Anhörungen der letzten fast zwölf, 13 Monate, wo unsere Schwerpunkte liegen und wo unsererseits Änderungsbedarf besteht.

Ich fasse zusammen: Erstens. Für uns als CDU-Fraktion kommt es nicht darauf an, die Frage zu klären, wer das Urheberrecht an dieser Gesetzesänderung hat. Uns geht es - und das übrigens seit Mai 2001 - darum, den Betroffenen zu helfen.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Es geht uns darum, die übliche Praxis umzukehren, und zwar so, dass nicht die Opfer vor dem Täter durch Ortsänderung mit zusätzlichen erheblichen Belastungen in Sicherheit zu bringen sind, sondern dass die Opfer vor dem Täter durch Verweisung und Rückkehrverbot des Täters zu schützen sind.

Drittens. Es geht uns darum zu klären, ob ausschließlich die Polizei die Ermächtigung erhalten soll, die Gewalttäter wegzuweisen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Frage bezüglich der Verwaltungsbehörden.