Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Wir sind - das müssten Sie wissen - zurzeit nur in der Lage, zwischen 43 und 45 % der Ausgaben unseres Landeshaushalts selbst zu erwirtschaften. Das ist auch im Haushalt 2004 sehr ähnlich und betrifft alle neuen Bundesländer.

Sie wissen, dass die Einnahmen, auf die wir angewiesen sind, degressiv sind - Stichworte: Solidarpaktverhandlungen, EU-Erweiterung usw. Das heißt, wir haben gar keine andere Wahl, als darauf zu achten, dass wir in den nächsten Jahren - von Jahr zu Jahr etwas mehr - auf eigenen Beinen stehen, um wenigstens durch wachsendes eigenes Steueraufkommen zu ersetzen, was von außen wegfallen wird.

Damit wird es nicht besser werden, aber wir möchten dann wenigstens das gleiche Niveau halten. Das ist die Situation, vor der alle im Land Sachsen-Anhalt stehen, die politische Verantwortung übernommen haben, unabhängig davon, auf welcher Seite des Parlaments sie auch sitzen mögen.

Wir wissen auch, dass wir von der Solidarität derjenigen leben, denen es besser geht. Auch die Bürgermeister in den westdeutschen Ländern wissen das und viele sagen nicht zu Unrecht: Wenn wir nicht so viel Geld in den Osten transferieren müssten, ginge es uns besser. Werden wir denn dafür gestraft, dass es uns besser gegangen ist, dass unsere Gewerbegebiete besser laufen usw.? - Das heißt, wir leben - jeder Bürgermeister im Land Sachsen-Anhalt - von den Solidarleistungen auch der Kommunen der alten Bundesländer.

Wenn wir jetzt wissen, dass unsere Einnahmen zurückgehen werden und dass wir von Jahr zu Jahr mehr mit unseren eigenen Problemen werden umgehen müssen, dann erlaube ich mir, darüber nachzudenken, wie wir die Solidarität unter uns besser organisieren können, wie wir also bestimmte Zuwendungen des Landes an die Kommunen nach der eigenen Steuerkraft modulieren können. Das alles gibt es schon; das ist die Grundlage des FAG. Wir reden nur darüber, ob wir die eine oder andere Leistung zukünftig dort noch mit hineinnehmen, und ich will diese Diskussion.

Wenn ich dann in der Zeitung lese - ich nenne den Namen nicht, aber Sie haben es vielleicht auch gelesen -, das sei die Quadratur des Sozialismus, dann hat derjenige, der das geschrieben hat, weder den Sozialismus verstanden noch Solidarität verstanden noch hat er etwas von den Strukturen der Haushalte in einem Bundesland verstanden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber über solche Dinge müssen wir einmal reden, wenn wir die Probleme der Zukunft mittelfristig lösen wollen. Ich will das nicht von einem Jahr auf das andere erzwingen, aber ich will die Diskussion darüber, damit wir die Probleme auch im nächsten und im übernächsten Jahr einigermaßen gemeinsam händeln können. Das

sind die Gedanken, die wir brauchen. Deswegen haben Sie Recht, wenn Sie sagen, dass ein armes Land gute Gedanken braucht.

Nun will ich gern noch etwas zu den Problemen des Vorziehens der Steuerreform sagen. Wir sitzen seit gestern Vormittag um 10 Uhr im Vermittlungsausschuss, haben spät in der Nacht aufgehört - ich habe darum gebeten, dass es heute erst um 14 Uhr weitergeht - und wir haben uns vorgenommen, spätestens in der Nacht vom Montag zum Dienstag fertig zu sein.

Was herauskommen wird, weiß ich noch nicht. Aber es könnte sein, dass der Haushalt, den Sie hoffentlich heute beschließen, spätestens dann Makulatur ist und dass wir mit 230 Millionen € weniger Einnahmen auskommen müssen. Dann haben wir ein Problem. Ich will das im Einzelnen nicht durchdiskutieren. Ich denke, diejenigen, die uns animieren, werden uns dann helfen, Vorschläge zu machen. Schauen wir mal.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber ich will wenigstens sagen - ich sage Ihnen am Ende auch noch, warum -, dass das für mich keine parteipolitische Angelegenheit ist, sondern eine Entscheidung nach sehr rationalen Gesichtspunkten.

Erstens. Wir haben die ersten Stufe der Steuerreform hinter uns. Diese hat den Kapitalgesellschaften im Bereich der Körperschaftsteuer Steuerminderausgaben von 20 Milliarden € jährlich gebracht. Darauf hat die öffentliche Hand verzichtet. Haben Sie etwas von dem Wirtschaftswachstum gemerkt? Ich nicht.

(Beifall bei der CDU, bei der PDS und bei der FDP)

Das Geld ist längst verbuttert. Aber ich weiß von den Banken, dass die Schweizer Banken und auch die in Luxemburg sich kaum noch retten können vor deutschem Geld, das jeden Tag dort angeboten wird,

(Herr Bullerjahn, SPD: Also doch links überholt!)

weil sich all die Genannten sagen: Möglichst hinaus aus diesem Land. Dort sitzen die Politiker und denken nur noch darüber nach, ob sie neue Steuern oder sonst etwas erfinden müssen. - Das ist doch die Situation, die man wenigstens auch bedenken muss.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Ich sage auch sehr kritisch: Ich bin nicht von dem überzeugt, was ich von den Wirtschaftsverbänden höre. Wenn die Wirtschaftsverbände Tarifverhandlungen durchführen, bei denen sie selber bezahlen müssen, und die Gewerkschaften sagen, dass ein bestimmter Tarifanstieg die Kaufkraft erhöhen würde und der Wirtschaft gut täte, dann erwidern die Vertreter der Betriebe unisono, das stimme nicht, das sei eine völlig falsche Vorstellung, so könne man Wirtschaft nicht gestalten.

(Zustimmung von Herrn Bullerjahn, SPD)

Jetzt geht es aber zulasten der öffentlichen Haushalte und tut der Wirtschaft nicht weh. Da versuchen sie uns alle einzureden, dass es für uns nichts Besseres gebe, als die Steuern zu senken. Da muss man doch wenigstens ein Fragezeichen machen dürfen und das erlaube ich mir.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der PDS)

Ich will noch etwas anderes sagen: Die gleiche Bundesregierung schlägt zur gleichen Zeit die Gesetzgebung Hartz III und IV mit einer Absenkung der Leistungen bei dem so genannten Arbeitslosengeld II vor. Wenn diese Regelungen so beschlossen werden würden, wie sie angedacht sind - das haben mir meine Mitarbeiter schon ausgerechnet -, bedeutete das für das Land SachsenAnhalt pro Jahr einen Kaufkraftverlust von 140 Millionen €. Kaufkraftverlust!

(Herr Dr. Püchel, SPD: Dafür soll es einen Ausgleich geben! - Zuruf von der PDS)

- Abwarten! Seit gestern haben wir ein paar neue Zahlen. Diese lasse ich erst einmal gegenrechnen. Schön abwarten!

Nun will ich einmal sagen: Das sind diejenigen unter uns, von denen ich sicher bin, dass sie in jedem Monat das Geld, das sie bekommen, ausgeben.

(Beifall bei der PDS)

Das ist so. Möglicherweise gibt es auch noch Menschen, die etwas auf die Sparkasse tragen können, auch jetzt schon.

(Herr Bullerjahn, SPD: Das müssen Sie doch nicht uns sagen, Herr Böhmer! Das müssen Sie vor allem nachher drüben sagen!)

- Ich sage das überall.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Aber ich bin schon froh darüber, dass der Saal heute so gut besetzt ist. Das ist nicht immer der Fall.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will noch eines sagen: In den letzten Jahren ist ohne eine Steuerreform die Höhe der Geldeinlagen auch bei den ostdeutschen Sparkassen von Jahr zu Jahr gestiegen. An Geld fehlt es uns in Deutschland nicht.

(Zuruf von der PDS)

Es fehlt uns vielmehr an Vertrauen in die Zukunft. Das ist das Problem.

(Unruhe)

Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern.

(Zuruf: Hört, hört! - Unruhe)

Es fehlt uns nicht an Geld.

(Unruhe - Zuruf von Frau Dirlich, PDS - Weitere Zurufe von der PDS)

- Mit fällt noch mehr dazu ein.

(Herr Gallert, PDS: Machen Sie mal! - Heiterkeit bei der PDS)

Ich will jetzt gar nicht über die Maastrichter Konvergenzkriterien reden, die überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Damit öffnen wir im Grunde genommen der inflationären Geldwertentwertung Tür und Tor und nehmen das selbst nicht mehr ernst, was wir der Welt gepredigt haben. Auch das ist ein Thema.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Ich will auch nicht auf die Diskussion zu sprechen kommen, die wir vor reichlich einem Jahr über das Flutopfersolidaritätsgesetz geführt haben. Damals war es die

CDU - ich weiß es ja -, die gesagt hat: Wir wollen die Gegenfinanzierung über eine Verzögerung der Rückzahlung in den Fonds „Deutsche Einheit“, den Altlastenfonds organisieren.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Dazu haben uns die Kameraden von der SPD gesagt: Das wäre das Allerschädlichste, was wir machen können; das wäre im Grunde genommen eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung;

(Herr Gallert, PDS: Ja!)