Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, dieser Antrag stammt nicht von mir. Ich möchte diese Diskussion aber und ich stelle mich ihr. Ich halte sie aus und ich hoffe, Sie halten sie auch aus,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

auch wenn sie auf dem Niveau geführt wird, das wir eben vorgeführt bekommen haben.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich hoffe, Sie beteiligen sich auch außerhalb dieses Hauses an dieser Diskussion; denn wir haben sie unter uns nötig.

(Frau Tiedge, PDS: Eben!)

Dass uns die Betreuung von Kindern wichtig ist, verehrte Frau von Angern - Sie können das ja vielleicht nicht wissen -, haben wir schon zum Ausdruck gebracht, als wir als erstes Land in Deutschland überhaupt einen Rechtsanspruch im Gesetz fixiert haben.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie das nicht wissen; denn Sie waren damals etwa 14 oder 15 Jahre alt. Wir haben es aber schon getan und sind lange Zeit das einzige Land geblieben.

Dass wir heute einiges korrigieren müssen, hängt mit der Zukunftsfähigkeit auch für unsere Kinder zusammen. Ich möchte versuchen, Ihnen das klar zu machen.

Wenn Sie sich ansehen - wir legen diese Zahlen ja immer wieder vor -, was wir in Sachsen-Anhalt für diesen Bereich an Geld ausgeben, dann stellen Sie fest, wir können uns im Ländervergleich sehen lassen. Es gibt nur ganz wenige Länder, die pro Kind oder pro Einwohner - das ist die redlichste Bezugszahl - für diesen Bereich mehr Geld ausgeben - zumeist sind es nur etwa 1 oder 2 € mehr - als wir in Sachsen-Anhalt. Wir geben mehr Geld aus als die Länder, von deren Steuergeldern wir letztlich im innerdeutschen Finanzausgleich noch leben. - Das muss man einfach sagen dürfen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich habe den Eindruck, dass selbst unsere Medien diese Zahlen kaum noch hören wollen und sich wenig damit beschäftigen. Ich werde versuchen, sie zukünftig auch mehr bei den überregionalen Medien anzubieten, weil sich deutschlandweit schon ein Interesse daran entwickelt hat, einmal zu fragen, was wir in den neuen Bundesländern mit dem Geld aus den Bundesergänzungszuweisungen, aus dem innerdeutschen Finanzausgleich usw. machen. Da leisten wir uns sehr viel für die Unterstützung der Jugend in unserem Land sowohl im Bereich der Kinderbetreuung als auch im Bildungsbereich.

Ich könnte Ihnen jetzt Zahlen nennen, aus denen hervorgeht, was wir umgerechnet auf Einwohner, Studenten oder andere ausgeben, oder Verhältniszahlen aufzeigen, die deutlich machen, was wir in Sachsen-Anhalt für den Bildungs- oder den Hochschulbereich ausgeben. Das kann sich im internationalen Vergleich, aber auch im nationalen Vergleich sehen lassen. Da müssen wir uns nicht verstecken.

Ich bin fest entschlossen, dies immer wieder zu sagen, damit wir uns über die Dimensionen klar werden, von denen wir hier reden. Ich sage aber auch: Wir müssen den Rahmen beachten, in dem wir diese Politik machen. Dazu gehört auch, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse - das heißt, die Steuereinnahmen - zurzeit außerordentlich mager sind.

Das vergangene Jahr war seit über zehn Jahren zum ersten Mal wieder ein Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsentwicklung, mit einem so genannten Wirtschaftswachstum von bundesweit minus 0,1 %. Die Regionalisierungszahlen haben wir noch nicht. Die werden

wir wahrscheinlich erst Mitte Februar erhalten. Nach allen bisherigen Vermutungen werden sie für SachsenAnhalt bei minus 0,2 % liegen. Das bedeutet auch rückläufige Steuereinnahmen, und man kann nur das Geld ausgeben, das wir zur Verfügung haben.

Ich sage es sehr bewusst: Ich bin jedem von Ihnen - aus welcher Fraktion auch immer - dankbar, der sich mit der Finanzsituation des Landes und deren prognostischer Entwicklung befasst und der in der Lage ist, weiter als über den Vierjahreszeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinauszudenken. Mit diesen Problemen werden wir uns - vermutlich auch in diesem Haus - beschäftigen müssen, wenn wir ernsthaft Politik machen wollen, mit der auch die nächste und die übernächste Generation noch leben können.

Ich habe nur beispielhaft einmal ausrechnen lassen, was denn notwendig wäre, wenn wir die Verschuldungssituation in Sachsen-Anhalt auf das Niveau der westlichen Bundesländer zurückführen wollten. Das ist nicht uninteressant.

Denn wenn wir die Nettokreditaufnahme auf Dauer auf null setzen wollten, um uns nicht weiter zu verschulden, dann bräuchten wir ein Wirtschaftswachstum von 3,5 % pro Jahr, das wir nicht haben und das im Moment auch nicht erkennbar ist, und bräuchten dann etwa 20 Jahre, um den gegenwärtigen Schuldenstand pro Einwohner so weit zu reduzieren, dass er dem gegenwärtigen Schuldenstand in den westlichen Flächenländern entspricht. Etwa 20 Jahre.

Das heißt, das, was wir jetzt entscheiden und machen, werden diejenigen ausbaden müssen, die jetzt geboren werden. So bitte ich einfach diese Probleme einzuordnen und zu denken. Das ist verantwortungsbewusste Politik für die junge Generation in unserem Land.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Deswegen sage ich Ihnen immer wieder: Nur wer in solchen langfristigen Konzeptionen denkt, macht verantwortungsbewusste Politik, und dann können wir es uns nicht leisten, unsere Wünsche heute einfach zulasten einer weiteren Verschuldung zu erfüllen und zu sagen, die nächste oder übernächste Generation soll es ausbaden. Das ist eine Politik, die ich nicht bereit wäre mitzumachen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Nun habe ich mir die fast süffisante Logik in der Begründung durchgelesen: Wir wären durchaus in der Lage, 50 Millionen € Mindereinnahmen einfach wegzustecken. Deswegen - -

(Herr Gallert, PDS: Ja, das sind doch Ihre Aus- sagen! - Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

- Ich bin doch noch nicht fertig, Herr Gallerjahn.

(Heiterkeit)

Entschuldigung. Lassen Sie mich doch wenigstens mal zu Ende reden; wir sind doch hier nicht in einer Talkshow.

Weil wir - ich auch - einer Reform zugestimmt haben, die für Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 50 Millionen € Mindereinnahmen bringt, wird jetzt gesagt, es wäre doch im Grunde genommen eine Infamie, nicht in der Lage zu

sein, die 43 Millionen € Mehrausgaben für die Kinderbetreuung irgendwie zu erwirtschaften. Nur damit wir wissen, wovon wir reden: Die 43 Millionen € sind reine Landesmittel; denn wir können in diesem Bereich weder mit GA- noch mit EFRE-Mitteln noch mit sonstigen Drittmitteln etwas finanzieren. Und wenn wir diese Mittel dann nicht mehr einsetzen, um andere Mittel kozufinanzieren, ist das Haushaltsloch noch wesentlich größer. Deswegen müssen wir diese Prioritäten setzen.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Zu den 50 Millionen € will ich Ihnen das auch noch sagen: Die bisherigen Regionalisierungsberechnungen haben ergeben - ich hoffe, dass sie nicht so falsch sind wie andere Berechnungen, die ich vom Bundesfinanzministerium schon bekommen habe -, dass wir etwa 50 Millionen € im Landeshaushalt an Mindereinnahmen haben werden und dass die Kommunen des Landes etwa 40 Millionen € Mehreinnahmen haben werden, sodass wir für das Land Sachsen-Anhalt insgesamt eine Mindereinnahme - alle Ebenen zusammengenommen - von etwa 10 Millionen € haben werden.

Nun frage ich Sie - vor allen Dingen auch die Kollegen aus der Fraktion, die mir empfohlen haben, einer Lösung zuzustimmen, die 230 Millionen € Mindereinnahmen bedeutet hätte -, ob man wegen dieses Betrages ein wesentlich wichtigeres Reformpaket hätte scheitern lassen dürfen. Ich bin der Meinung, das wäre falsch gewesen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Deswegen interessiert mich schon, wie mit solchen nahezu demagogischen Sätzen auch bei der Abstimmung in diesem Hause umgegangen wird. Das ist für mich das eigentlich Spannende dabei.

Wir haben diese Volksinitiative laufen lassen, obwohl wir gute Gründe gehabt hätten - ich habe das mehrfach gesagt: weil es haushaltswirksame Probleme sind -, sie nicht zuzulassen, weil ich der Meinung bin, dann hätten wir uns ewig vor den Verfassungsgerichten gestritten und es hätte - -

(Herr Bullerjahn, SPD: Das haben wir auch schon durch, Herr Professor Böhmer!)

- Das weiß ich doch. Dann hätte das zu dem Verdacht geführt, dass wir Angst vor einer Auseinandersetzung gehabt hätten. Genau das hielt ich und halte ich auch heute noch für falsch. Wir müssen diese Auseinandersetzung bei uns in Sachsen-Anhalt führen. Wir müssen eine breite Meinungsbildung darüber organisieren, was für die Entwicklung des Landes wichtig ist und was wir uns gegenwärtig nicht leisten können, um Wichtigeres nicht zu verspielen, nämlich die Chancen für die weitere Entwicklung des Landes.

Diese Diskussion will ich und deswegen kommt mir ein solcher Antrag richtig zu Recht. Ich hoffe nur, dass er dazu führt, dass wir in der Lage bleiben, uns sachlich mit der Situation, in der wir Politik machen müssen, auseinander zu setzen und dann gemeinsam mit Mehrheiten die notwendigen Sachentscheidungen treffen.

Wir müssen nicht darüber belehrt werden, dass Investitionen in die Entwicklung unserer Kinder, Investitionen in Bildung und Hochschulpolitik Zukunftsinvestitionen sind. Aber wir wissen, dass dies ein Bereich ist, der von den Steuerngeldern aus der Wirtschaft lebt und dass wir zeitgleich dazu die Wirtschaft unseres Landes entwickeln

müssen, mit dem nicht aus dem Auge zu verlierenden Ziel, die eigenen Steuereinnahmen wenigstens in dem Maße zu erhöhen, in dem die Hilfen von außen weniger werden. Wir wissen, dass sie weniger werden. Die Solidarpaktverhältnisse sind bis zum Jahr 2019 konstruiert. Ich bin dankbar, wenn sich jemand darüber Gedanken macht, wie die Finanzsituation des Landes dann aussehen wird: 2010, 2015, 2020.

Das sind die Parameter, von denen aus solche Probleme entschieden werden müssen. Ich sage in aller Offenheit: Wer versucht, die Probleme mit demagogischen Phrasen zu kaschieren, und die Wahrheit nicht zur Kenntnis nimmt, schadet unserem Land mehr, als er nützt.

Wir wollen eine realistische Politik machen, eine Politik auf solidem Fundament. Dazu gehört auch eine solide Verteilung der Finanzmassen, die wir zur Verfügung haben, und eine Zurkenntnisnahme der Möglichkeiten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Ministerpräsident. Würden Sie noch eine Nachfrage von Herrn Bischoff beantworten? - Herr Bischoff, bitte sehr.

Herr Ministerpräsident, Sie haben es sehr sachlich gemacht. Deswegen will ich auch nicht sagen, was es zu unserer Zeit ausgemacht hat, als das Volksbegehren damals lief.

Ich habe einfach die Frage: Wie stehen Sie dazu, dass der Sozialminister in dieser sachlichen Debatte angibt: Ihr habt 10 Millionen €. Wo nehmen Sie das her? Oder wenn Herr Scharf - er ist gleich dran - sagt, wir überlegen die Zahlung eines Landeserziehungsgeldes. Wenn man nachrechnet, könnte es noch einmal die Größenordnung von 15 Millionen € haben. Ist das tatsächlich sachlich? Weil es so klingt wie die Aufforderung: Wünsch dir was!

Wie soll denn eine Opposition darauf reagieren? Dann ist ja alles freigegeben. Wir können ständig fordern und sagen: Wenn das schon die Regierungsfraktionen machen, dann frei heraus, fordert doch, was ihr wollt. Dazu hätte ich gern eine Antwort von Ihnen.

Verehrter Herr Bischoff, ich bin jedem dankbar, der sich Gedanken darüber macht, wie es in Sachsen-Anhalt weitergeht. Aber ich wäre noch mehr dankbar, wenn jemand, der Geld ausgeben will, sich erst erkundigt, ob er es zur Verfügung hat. Das ist so.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank - Herr Bullerjahn, SPD: Das ist bei jedem so!)