Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Im Hinblick auf die Hauptursachen für die Erosion der sozialen Sicherungssysteme wird es die vordringliche Aufgabe der Landesregierung sein, Fortschritte auf dem

Arbeitsmarkt zu erzielen, das heißt, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auszubauen.

Parallel dazu müssen Anstrengungen unternommen werden, der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung im Lande entgegenzuwirken. Hierzu gilt es, Impulse zu setzen, die Sachsen-Anhalt als Standort für junge Menschen, für junge Familien interessant und attraktiv machen. Wir müssen der Abwanderung gerade junger Menschen aus unserem Land entgegenwirken, indem wir ihnen hier in ihrer Heimat unter anderem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang und entsprechender Qualität anbieten.

Mir ist klar, dass dies leichter gesagt als getan ist. Gleichwohl muss es unser aller Anliegen sein, hierbei in einen Wettstreit um die besten Ideen und Konzepte einzutreten. Ein erster Schritt und erster Erfolg auf diesem Weg ist die gemeinsame Initiative „Gajl - Gegen Abwanderung junger Landeskinder“ des Landes und einiger Agenturen für Arbeit Sachsen-Anhalts für Jugendliche an der zweiten Schwelle zum Eintritt in das Berufsleben.

In diesem Gesamtzusammenhang ist auch die Debatte um das familienpolitische Konzept der Landesregierung zu sehen. Dieses gehört selbstverständlich zu einem solchen sozialpolitischen Gesamtkonzept. Selbstverständlich gehört zu dieser Diskussion um ein familienpolitisches Konzept auch die Diskussion über eine bestmögliche Kinderbetreuung im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, wie sie heute Morgen bereits in der Aktuellen Debatte geführt worden ist.

Es ist nicht meine Aufgabe, ein sozialpolitisches Gesamtkonzept der Landesregierung bzw. ein familienpolitisches Konzept der Landesregierung vorzutragen; dies ist selbstverständlich die originäre Aufgabe der Landesregierung. Ich will allerdings einige Arbeitsfelder nennen, die Inhalt eines solchen Konzepts sein sollten.

Das ist zum einen der Komplex der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Zugegebenermaßen ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Die gesetzliche Umsetzung des im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromisses steht noch aus. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass sich aus dem darin zu regelnden Optionsmodell Chancen für eine verbesserte Vermittlung von Menschen in Arbeit, insbesondere in den ersten Arbeitsmarkt, ergeben. Hierbei ist das Land gefordert, die Kommunen bei ihrer Entscheidungsfindung zu beraten und zu unterstützen.

Im Hinblick auf die demografische Entwicklung in unserem Lande müssen wir unsere Angebote zur Betreuung der älteren, pflegebedürftigen bzw. behinderten Menschen dem tatsächlichen Bedarf und - was mir besonders wichtig ist - deren persönlichen Bedürfnissen anpassen. Dass dies im Hinblick auf die finanzielle Lage des Landes nicht einfach sein wird, ist mir durchaus bewusst. Gleichwohl freue ich mich auf die Diskussion im Landtag und in den Ausschüssen darüber, wie dieses Ziel am besten erreicht werden kann. Das schließt den Antrag zur Zukunft der geriatrischen Versorgung natürlich mit ein, über den wir noch debattieren werden.

Im Bereich der Hilfen für behinderte Menschen haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung dadurch getan, dass wir die Zuständigkeit für diese Hilfen beim Land als dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe gebündelt haben. Dies wird hoffentlich zu einem nachhaltigen Ausbau ambulanter Hilfestrukturen führen. Dass wir dabei noch

nach dem geeigneten Weg suchen müssen, wie diese Aufgabe verwaltungstechnisch am besten erledigt wird, ist mir bewusst. Ich bin mir dabei aber sicher, dass wir eine Lösung finden werden, die den Interessen der betroffenen Menschen, aber auch denen der Kommunen und des Landes gerecht werden wird.

Wir brauchen bedarfsgerechte Hilfen für die Menschen in unserem Land, die unserer Hilfe bedürfen. Diese Hilfsangebote - seien sie nun ambulanter oder stationärer Art - müssen auf den individuellen Bedarf und die Lebensqualität der Betroffenen zugeschnitten sein.

Im Bereich der Gesundheit müssen wir in unserem Land ein modernes Netz an Krankenhäusern, das medizinische Leistungen auf hohem Niveau und in zumutbarer Entfernung für die Menschen sichert, aufbauen.

Hierzu gehört ferner ein verbesserter Rettungsdienst, der zu angemessenen Kosten eine bestmögliche Notfallrettung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gewährleistet.

Weiterhin brauchen wir eine aktive Familienpolitik. Es muss uns gelingen, die Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern in unserem Land nachhaltig zu verbessern. Hierzu gehört nicht nur eine adäquate Kinderbetreuung, sondern gehören auch Angebote zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Angebote, die Eltern bei der Erziehung der Kinder unterstützen.

Was aus der Sicht der CDU-Fraktion weiterhin in einem Familienkonzept zu berücksichtigen ist, darauf hat mein Kollege Herr Kurze bereits in seinem Redebeitrag zur Aktuellen Debatte hingewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nehme ich darauf Bezug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden uns sowohl der Diskussion über das sozialpolitische Gesamtkonzept der Landesregierung als auch der Debatte über ein familienpolitisches Konzept im Plenum bzw. in den Ausschüssen für Gesundheit und Soziales sowie für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport stellen. Ohne dies als Änderungsantrag einbringen zu wollen, regen wir an, im Bedarfsfall im Zuge der Ausschussberatungen noch weitere Ausschüsse hinzuzuziehen.

Wir freuen uns auf eine hoffentlich fruchtbringende Diskussion zu den Konzepten und natürlich auch zu weiteren Ideen und Vorschlägen, wie die soziale Lage in unserem Land weiter verbessert werden kann. Die CDUFraktion wird den Anträgen zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Liebrecht. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Schmidt das Wort. Bitte sehr, Frau Schmidt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sozialpolitisches Gesamtkonzept und familienpolitisches Konzept gehören für mich zusammen, obwohl sie sich in einzelnen Teilen unterscheiden. Es gibt Dinge, auf die Frau Liebrecht gerade sehr ausführlich eingegangen ist, die die Sozialpolitik allein betreffen, und es gibt Dinge, die nur die Familienpolitik betreffen. Trotzdem gehören sie unmittelbar zusammen.

Ich bedauere es sehr, dass ich heute wieder einmal gehört habe, dass es ein sozialpolitisches Gesamtkonzept erst zum Ende der Legislaturperiode geben soll.

Ich bin froh darüber, dass wenigstens am letzten Dienstag zur Kabinettssitzung - ich habe es aus der Presse erfahren - wieder einmal die Familienpolitik im Mittelpunkt stand und dass das oftmals angekündigte Leitbild dazu nun im zweiten Quartal vorgestellt werden soll. Ich will darauf etwas näher eingehen.

Sozialpolitik ist meines Erachtens ein bisschen mehr als nur darauf abzuzielen, dass wir mehr Arbeitsplätze brauchen. Die brauchen wir unbenommen und damit wäre schon vieles gelöst, aber es ist, glaube ich, noch mehr.

Es ist so, dass die Menschen, die nicht mehr im Arbeitsprozess stehen können, weil sie entweder zu alt sind oder weil sie keine Arbeit haben - darauf ist Frau Bull besonders eingegangen -, besonderer Hilfe bedürfen, weil das Armutsrisiko bei diesen Menschen besonders hoch ist. Darum halte ich es für die Sozialpolitik für ganz besonders schlimm, dass besonders viele Angebote, die die Beratung dieser Menschen betreffen, immer mehr eingeschränkt werden oder den Kommunen, die ja selber riesengroße Löcher in ihren Haushalten haben wegen der immer geringeren Zuführung an die Kommunen, allein überlassen werden.

Dazu gehört zum Beispiel auch die Förderung der Schuldnerberatung. Wir reden doch gerade wieder über eine neue Insolvenzmöglichkeit. Ich wollte es nur als ein Beispiel anbringen.

Natürlich finde ich ein modernes Rettungsdienstgesetz ganz toll. Wenn ich dabei an den ersten Referentenentwurf denke, weiß ich nur nicht, was mit verlängerten Hilfefristen und dergleichen verbessert worden ist.

Ich weiß auch nicht, was Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch bedeutet außer Kinderbetreuung und Jugendbetreuung am Nachmittag. Damit sind wir bei dem gleichen Thema und dabei kommt man natürlich automatisch zur Familie, zum Feststellenprogramm, bezüglich dessen ich eine große Gefahr für die künftigen Jahre sehe.

Ich weiß nicht, wer das Feststellenprogramm weiterhin finanzieren soll, wenn es tatsächlich auslaufen sollte; denn die Kommunen können es nicht allein übernehmen. Wenn es auslaufen sollte, geht uns sehr, sehr vieles verloren - nicht für die Hortkinder und nicht für die Kindergartenkinder, aber gerade für die Jugendlichen, die am Nachmittag in einen Klub oder eine Freizeiteinrichtung mit einer ordentlichen pädagogischen Betreuung gehen, weil die Familie eben nicht stimmt.

Es gibt Jugendliche, die sich dafür entschuldigen, dass sie bereits um 13.15 Uhr kommen, obwohl die Einrichtung erst um 14 Uhr öffnet. Ich habe es persönlich erlebt. Ich will das an dieser Stelle sagen.

Ich möchte noch einmal auf die Familienpolitik zurückkommen. Ich bin froh darüber, dass Herr Minister Kley heute darauf hingewiesen hat, dass dies ein ressortübergreifendes Thema ist. Aus meiner Sicht spielt da sehr vieles mit hinein, nicht nur die Schaffung eines baulichen Umfeldes. Ich weiß nicht, wie wir das gemeinsam hinbekommen. Ich denke, dies ist nur zu schaffen, indem wir gemeinsam versuchen, mit vielen Leuten darüber zu reden.

Ich finde es beispielsweise furchtbar, dass sich heutzutage die Leute über den Bau eines neuen Spielplatzes oder - das ist noch viel gefährlicher - eines Bolzplatzes aufregen, dass sie dagegen sind, sich sogar zusammenschließen und Unterschriften sammeln. Hingegen finden sie Hunde, die früh um 5 Uhr bellen, nicht so tragisch. Das bedeutet nicht, dass ich etwas gegen Haustiere einzuwenden habe. Ich würde mich dagegen verwahren, Haustiere aus den Wohnungen zu verbannen. Aber diese Tendenz finde ich tatsächlich äußerst bedenklich.

Ich denke, die Familienfreundlichkeit ist in Deutschland, nicht nur in Sachsen-Anhalt - ich habe aber den Eindruck, dass es hier so langsam besonders schlimm ist -, etwas, das man nicht mehr nur mit Geld bezahlen kann. Ich weiß auch nicht, wie man das deutlich machen kann. Vielleicht muss man die Medien einmal darauf hinweisen, dass Familien und vor allem die Kinder in den Familien etwas Wichtiges sind.

An dieser Stelle will ich allerdings auf die Vielfältigkeit der Familienformen nicht noch einmal eingehen. Für mich ist die Familie dort, wo Kinder sind. Dabei ist es egal, ob die Betreffenden verheiratet sind oder nicht. Aber darüber ist heute bereits mehrfach geredet worden.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich freue mich auch darüber, dass sogar die FDP diesen Punkt erkannt hat.

Einen weiteren Punkt möchte ich ebenfalls noch ansprechen, nämlich den Zusammenhang mit der Bildung. Zur Familienpolitik gehört auch die Bildungsgerechtigkeit. Ich denke nicht, dass es im Hinblick auf die Familienpolitik förderlich ist, eine frühzeitige Selektierung vorzunehmen und die Kinder, die den Anforderungen nicht so ganz gerecht werden können, von einer Förderung auszuschließen.

Nachweislich haben Kinder aus den Familien, die wirtschaftlich nicht so gut dastehen, weniger Chancen, sich sowohl im Vorfeld als auch in der Schule in gleicher Weise zu bilden, als Kinder, die aus reicheren Familien kommen. Das wissen wir. Das ist mehrfach nachgewiesen worden. Darum halte ich eine Selektierung nach der 4. Klasse, wie sie nun wieder eingeführt wird, nicht für sinnvoll.

(Beifall bei der SPD - Oh! bei der CDU)

Es ist eben nicht damit getan, dass unser Bauminister Herr Dr. Daehre am Aschermittwoch in Wolfen sagt, Tugenden wie Ordnung und Disziplin an den Schulen müssten wieder hergestellt werden. Ich habe nichts dagegen. Dort gibt es zum Teil erhebliche Mobbingprobleme.

(Beifall bei der CDU - Herr Kurze, CDU: Jawohl!)

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jedoch ist inzwischen an den Schulen tatsächlich ein gewisses Gewaltpotential vorhanden. Davor können wir nicht die Augen verschließen. Auch vor etwas anderem verschließe ich nicht die Augen, nämlich davor, dass es mit Ihrer Hilfe gelungen ist, die Beratungsmöglichkeiten, die Schulsozialarbeit abzuschaffen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zuruf von Frau Wybrands, CDU)

Ich möchte nicht noch einmal auf das Thema Familiengeld eingehen. Das hat Frau Bull bereits getan. Das Fol

gende geht auch in die Richtung der Bundesregierung. Ich bin an dieser Stelle ganz ehrlich. Es gibt viele allein erziehende Väter und Mütter. Zwar sind es mehr Mütter als Väter, aber es gibt auch allein erziehende Väter. Ich bedauere es sehr, dass durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch keine Alternative zur Abschaffung des Haushaltsfreibetrags für allein Erziehende geschaffen wurde. Das bedauere ich ausdrücklich. Ich gehe davon aus, dass es dafür einen Ausgleich geben muss. Dies kann auch eine Aufforderung an unsere eigene Landesregierung sein, an einer baldigen Lösung mitzuwirken.

Ich bin froh, dass im Parlament zumindest Einigkeit dahin gehend besteht, dass die beiden Anträge in die Ausschüsse überwiesen werden. Frau Liebrecht, ich gebe Ihnen Recht. Selbstverständlich ist es Ihnen unbenommen, den Fragekatalog im Ausschuss zu erweitern. Wegen dieser Einigkeit sollten wir eigentlich froh und dankbar sein. Allerdings ist eine Überweisung der Anträge in die Ausschüsse nicht erforderlich, weil sie so formuliert sind, dass direkt darüber abgestimmt werden kann. Ich bitte um Zustimmung für beide Anträge. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Schmidt. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Damen und Herren der Schlesiergruppe Halberstadt.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir treten in das Abstimmungsverfahren ein. Zunächst stimmen wir über den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 4/1367 ab. Dazu wurde eine Direktabstimmung beantragt. Ein Überweisungsantrag liegt nicht vor. Wir stimmen deshalb direkt darüber ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS-, der SPD-, der CDU- und der FDP-Fraktion. Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist dieser Antrag einstimmig beschlossen.

Meine Damen und Herren! Diskrepanzen gibt es hinsichtlich der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PDS in der Drs. 4/1371. Sowohl die FDP-Fraktion als auch Frau Liebrecht namens der CDU-Fraktion haben eine Überweisung in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales zur federführenden Beratung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport beantragt. Frau Schmidt hat soeben gesagt, dass über diesen Antrag direkt abgestimmt werden müsste.

Die Fraktionen der FDP und der CDU möchten sich zunächst im Ausschuss über die Inhalte einer Berichterstattung durch die Landesregierung verständigen. Deshalb stimmen wir über die Ausschussüberweisung insgesamt und, wenn Sie es gestatten, gleichzeitig über die Federführung ab. Es wurde darum gebeten, den Antrag der PDS-Fraktion in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales zur federführenden Beratung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport zu überweisen.