Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Drittens. Ein klar definiertes Zukunftsprogramm hat Ihre Rede nicht enthalten.

(Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der CDU)

Sie haben sich allzu häufig ins Ungefähre geflüchtet. Ich weiß nach Ihrer Rede zum Beispiel nicht, welche Branchen zu welchen Bedingungen in welchen Landesteilen noch Wirtschaftsförderung erhalten sollen. Sie haben auch keine Zielzahl für das Landespersonal genannt. Wenn Sie von der Zukunft sprechen, müssen Sie auch etwas über diesen größten Ausgabenblock des Landes sagen.

Viertens. In der Familienpolitik verlieren Sie sich in Symbolpolitik,

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

wie Sie es bei den so genannten Investitionserleichterungsgesetzen auch schon getan haben.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre interessant zu wissen, wie hoch das Familiengeld, das Sie vorhaben, sein soll.

(Zurufe von der CDU)

Fünftens. Bei der Kreisgebietsreform sind Sie im letzten Augenblick auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Aber wann die Reform umgesetzt werden soll, haben Sie heute nicht gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Sechstens. Sie beschreiben den enormen Finanzdruck richtig, aber Sie verschweigen, wann die Verschuldung bei null ankommen soll und in welchen Schritten sie bis dahin reduziert werden soll.

Was mir an Ihrer Rede ebenso gefehlt hat, war eine ehrliche Bilanz der letzten zwei Jahre. Diese hatten eigentlich alle von Ihnen erwartet; denn Ihre Regierungserklärung war als Halbzeitbilanz angekündigt worden. Auch der MDR hatte heute Morgen noch gemeldet: Ministerpräsident Böhmer zieht eine Bilanz zweijähriger Regierungszeit.

Ich gebe zu: Die letzten zwei Jahre waren zweifellos zwei schwierige Jahre, für Deutschland insgesamt und auch für Sachsen-Anhalt. Wir hatten kein bzw. kaum ein wirtschaftliches Wachstum. Die Steuerrückgänge waren dementsprechend groß. Aber dennoch steht eines ganz klar fest: Sachsen-Anhalt könnte heute weiter sein, Sachsen-Anhalt könnte besser dastehen, wenn die Lan

desregierung und die sie tragenden Parteien eine bessere Politik gemacht hätten.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Es waren zwei Jahre, in denen das Land im Ergebnis nicht vorangekommen ist, zwei Jahre, in denen Sie sich viel vorgenommen hatten, aber wenig erreicht wurde, zwei Jahre, in denen sich CDU und FDP gründlich entzaubert haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man CDU und FDP an ihren Wahlversprechen misst, erleben wir die Fortsetzung der Regierungserklärung vom letzten Jahr unter dem Motto „Sorry, es dauert etwas länger, wir haben uns geirrt.“ Eigentlich konnten Sie sich gar nicht geirrt haben, Herr Ministerpräsident. Sie wussten genau, wie es in diesem Land aussieht. Ihre Reden und Ihr Handeln in den vergangenen zwei Jahren haben eines gezeigt: Sie haben weniger ein Erkenntnisproblem denn ein Umsetzungsproblem. Die Menschen im Lande spüren doch längst, dass eine Regierung am Werk ist, die heute hü und morgen hott sagt,

(Beifall bei der SPD)

wo der Sozialminister 10 Millionen € für ein kostenloses letztes Jahr im Kindergarten verspricht und von der eigenen Partei gesagt bekommt, dass dies ein Luftschloss sei, wo der Innenminister wegen seiner Freude am Kragenkreis vom Ministerpräsidenten öffentlich bloßgestellt wird,

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Aber zu Recht!)

wo Beraterverträge abgeschlossen werden, ohne das Parlament ordnungsgemäß zu informieren,

(Zustimmung bei der SPD)

wo der Justizminister sein Amt nutzt, um einem Parteikollegen zu helfen,

(Herr Schröder, CDU: Widerlegt! - Weitere Zurufe von der CDU)

und dann nicht zurücktritt und plötzlich die Opposition schuld ist, weil sie im Ausschuss nicht die richtigen Fragen gestellt hat,

(Zustimmung bei der SPD)

wo der Wirtschaftsminister ohne Unterrichtung des Finanzministers zusätzliche Fördermittel ausreicht und dieser plötzlich am Jahresende ein zusätzliches Defizit von ca. 500 Millionen feststellt, ohne es vorher bemerkt zu haben.

(Zuruf von der CDU)

- Im Finanzausschuss waren Sie auch dabei!

Wir erleben eine Landesregierung, wo der Finanzminister eine De-facto-Haushaltssperre verhängt, zwei Tage, nachdem der Haushalt in Kraft getreten ist, wo dieser Minister auch noch wild entschlossen ist, einen Doppelhaushalt zu verabschieden, obwohl er den letzten Haushalt nicht im Griff hat und nicht weiß, wie sich die Einnahmen entwickeln werden.

(Beifall bei der SPD)

Der Finanzminister benimmt sich wie ein Hochspringer, der die Latte bei 1 m reißt, sie jedoch bei 2 m auflegt, um darunter durchlaufen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir haben eine Landesregierung, wo dieser Tage nach dem Prinzip minus mal minus ergibt plus gehandelt wird, Staatssekretäre ausgetauscht werden, um die Schwächen der jeweiligen Minister zu überdecken bzw. sie aus dem Schussfeld zu nehmen.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Wir haben es mit einer Landesregierung mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze zu tun, der in der Tat mit einer gewissen autokratischen Dickfelligkeit regiert.

Meine Damen und Herren! Dieses Land hat - damit komme ich zum Thema Zukunft - eine Menge Chancen. Da ist die hervorragende geografische Lage mitten in Deutschland mit einer schon heute zum Teil hochmodernen Infrastruktur zu nennen. Wir haben sich positiv entwickelnde Wirtschaftszweige, leistungsfähige Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wir haben eine im Bundesvergleich immer noch sehr gute Kinderbetreuung und wir haben ein reiches kulturelles und historisches Erbe.

Leider aber herrscht in diesem Lande nicht die versprochene Aufbruchstimmung. Die jüngsten Umfragen, vor allem der Sozialreport des sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin/Brandenburg, müssen uns Sorgen bereiten, meine Damen und Herren. Danach gibt es kaum Optimismus im Osten. 68 % der Befragten gehen von weiteren Verschlechterungen auf dem Arbeitsmarkt aus. Von den Erwerbstätigen fürchten 55 % um ihren Arbeitsplatz.

(Unruhe bei der CDU)

Dass die Furcht der Menschen nicht unbegründet ist, zeigt die Statistik für Sachsen-Anhalt. Danach ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Jahr 2003 um knapp 20 000 zurückgegangen und liegt nur noch knapp über der Millionengrenze.

Natürlich sind auch weitere Rahmendaten auf den ersten Blick wenig geeignet, für Aufbruchstimmung und Optimismus zu sorgen. Die auch von Ihnen, Herr Ministerpräsident Böhmer, zitierte leichte Verbesserung im Regionalmonitor für das Jahr 2002 ist zwar positiv, reicht aber noch lange nicht aus, die Stimmung im Jahr 2004 zu verbessern. Im Übrigen sind die Verbesserungen im Regionalmonitor Auswirkungen der Regierungspolitik bis 2002 der damaligen Landesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Problematisch ist jedoch, dass wir in der Sozial- und Einkommensstruktur immer noch an letzter Stelle stehen; denn darin liegt ein Hauptgrund für den enormen Bevölkerungsrückgang und die anhaltende Abwanderung junger Menschen in den Westen.

(Zustimmung bei der SPD)

Vor allem sind es junge Frauen, die insbesondere aufgrund besserer Möglichkeiten, auch Verdienstmöglichkeiten, unser Land verlassen.

Für völlig abwegig halte ich in diesem Zusammenhang Ihren Vorstoß zur Absenkung der Ausbildungsplatzvergütung. Das schafft keinen neuen Ausbildungsplatz, sondern treibt noch mehr junge Menschen aus dem Land,

nämlich dorthin, wo bessere Vergütungen gezahlt werden.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Politik, die Abwanderung nicht verhindert, sondern Abwanderung sogar noch fördert.