Protokoll der Sitzung vom 09.07.2004

Als nächste Debattenrednerin wird Frau Röder für die FDP-Fraktion sprechen. Bitte sehr.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Solche Flachmannreden hier zu halten und sich dann darüber zu echauffieren!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den Hartz-IV-Gesetzen, insbesondere mit dem heute im Bundesrat zu beschließenden Optionsgesetz sollten in Deutschland die Weichen in Richtung einer einheitlichen Leistung und einer umfassenden Betreuung für alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen gestellt werden und es sollten auch die Weichen in Richtung einer finanziellen Entlastung der Kommunen gestellt werden. Hartz IV hat uns nun aber auch gezeigt, dass man eine an sich richtige Grundidee so schlecht umsetzen kann, dass wir das Ganze dann am Ende nur noch ablehnen können.

(Herr Bullerjahn, SPD: Mein Gott, jetzt haben Sie aber was gefunden!)

- Das ist, ganz kurz gefasst, mein Standpunkt. Jetzt lassen Sie mich die Geschichte meiner Meinungsfindung mal ganz kurz von vorn erzählen.

Vor etwa zwei Jahren, kurz nachdem Peter Hartz sein Reformkonzept für den deutschen Arbeitsmarkt vorgelegt hatte, wurde von der Bundesregierung die Kommission zur Reform der kommunalen Finanzen eingesetzt. Diese bildete zwei Arbeitsgruppen. Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit dem Thema Gewerbesteuer, die andere mit dem Thema Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Damals wurde man sich sehr schnell über die Ziele der Reform einig: Die bisher unterschiedlichen steuerfinanzierten Hilfeleistungen sollten zu einer Leistung zusammengefasst werden - zugegeben auf sehr niedrigem Niveau und zugegeben mit den Auswirkungen auf Ostdeutschland und auf Sachsen-Anhalt, die Sie hier bezeichnet haben.

Die Betroffenen sollten aus einer Hand und umfassender als zuvor betreut und die Kommunen sollten durch die Reform finanziell entlastet werden. - So viel zum ehrgeizigen Anspruch des Projekts. So weit geht auch die ausdrückliche Zustimmung der FDP-Fraktion.

Die Einigung über diese Ziele fand vor inzwischen eineinhalb Jahren statt. Schon damals waren einige Problemkreise sehr deutlich zu erkennen. So war strittig, wer für die neue Leistung zuständig sein sollte, der Bund über die Bundesanstalt für Arbeit, die Kommunen oder beide gemeinsam? Es war strittig, wer im letzten Fall die Aufsicht in welcher Weise wahrnehmen und wie genau die Aufgabenverteilung unter den Akteuren aufgeteilt werden sollte. Unklar war ebenfalls, welche Finanzströme zur Abdeckung welcher Kosten zu den Kommunen fließen sollten und welcher rechtlichen Grundlage es hierfür bedürfe. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage der Wohngeldzahlung - jetzt heißt das: Kosten der Unterkunft - kritisch diskutiert. Kommunale Vertreter bezweifelten am Ende eine kommende finanzielle Entlastung.

Vertreter der Kommunen und der Arbeitsverwaltung befürchteten schon damals, dass die Zusammenlegung zu klassischen organisatorischen Problemen führen würde, zu Problemen mit der Software, bei der Datenübernahme und mit der gesamten Verwaltung.

Meine Damen und Herren! In der Zwischenzeit ist einiges bei diesem Thema geschehen. Die Zusammenlegungspläne wurden immer konkreter, aber die Hauptstreitpunkte blieben bis kurz vor Toresschluss offen. Erst vor einer Woche wurde im Bundesrat ein Kompromiss

zum Optionsgesetz gefunden. Sachsen-Anhalt enthielt sich hierbei der Stimme.

In diesem Optionsgesetz sollte geklärt werden, wie viele Kommunen in welcher Weise die Zuständigkeit für das Arbeitslosengeld II an sich ziehen könnten, und vor allem, in welcher Weise, in welchem Umfang die Kommunen in Deutschland finanziell entlastet werden sollten.

Es ist aber nun zu befürchten, dass trotz der zugesagten Entlastung der Kommunen um 3,2 Milliarden € die Kommunen in Sachsen-Anhalt mit einer mindestens zweistelligen Millionensumme belastet werden. In anderen Bundesländern sieht das deutlich besser aus.

Es ist aus meiner Sicht auch unzureichend, dass nur vier Landkreise im Land die Option ziehen können. Meine Meinung zur Zuständigkeit kennen Sie.

Es ist unzureichend - dabei gebe ich Ihnen, Herr Gallert, in einigen Punkten wirklich Recht -, dass die Leistungen ab dem Jahr 2005 zwar auf niedrigem Niveau zusammengeführt werden, aber von einer besseren Betreuung und Vermittlung nichts zu spüren sein wird. Das ist schlicht nicht möglich.

Es ist aus meiner Sicht unzureichend, dass Vermögen in so großem Umfang angerechnet wird und die Menschen wirklich ihr gesamtes Vermögen veräußern müssen - Sie kennen die Diskussion um die Lebensversicherung; das ging in den vergangenen Wochen ausreichend durch die Presse -, dass jeder seine Lebensversicherung und unter Umständen auch tatsächlich sein Grundstück verkaufen muss, bevor er an die Leistung herankommt.

Es ist unzureichend, dass so wenig dazuverdient werden kann, dass schon geringe Zuverdienste auf die Leistung angerechnet werden und die Menschen damit keinen Anreiz haben, eine zusätzliche Arbeit aufzunehmen.

Für Sachsen-Anhalt werden die Hartz-IV-Reformen, die so beschlossen worden sind und auch sicher durch den Bundesrat kommen werden, nur Verschlechterungen nach sich ziehen. Aus diesem Grund lehnt SachsenAnhalt das Hartz-IV-Gesetz im Bundesrat ab. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke, Frau Röder. - Für die SPD-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Ute Fischer sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dem Einstieg durch die PDS-Fraktion und der Beschreibung der Situation erspare ich mir meinen Vorspann. Soviel ich weiß, haben aber bisher auch alle PDS-Minister, die mit dem Arbeitsmarkt zu tun hatten, das Problem unter den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen nicht lösen können. Alle bisherigen Arbeitsmarktreformen, ob von der CDU oder von der SPD angeschoben, haben letztlich nicht den gewünschten notwendigen Erfolg gebracht.

Angesichts der dramatischen Zahlen und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt kann sich niemand der Einsicht verschließen, dass wir dringend weitreichende Reformen brauchen, nämlich grundlegende Veränderungen

in der Arbeitsmarktpolitik. Niemand sollte sich der Verantwortung entziehen, daran mitzuwirken.

(Zustimmung bei der SPD)

Das so genannte Hartz-IV-Gesetz, um das es heute vorrangig geht, ist eigentlich längst beschlossen. Es wird auch dann umgesetzt werden, wenn unser Land, wie öffentlich angekündigt, heute im Bundesrat Nein sagt.

Seit Ende des letzten Jahres wissen wir, dass die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - das ist der Kern des Gesetzes - zum 1. Januar 2005 kommen wird. Seitdem wissen wir auch um die Auswirkungen auf die Kaufkraft in Sachsen-Anhalt und um die Belastungen, die auf die „Bedarfsgemeinschaften“ zukommen werden. Wir haben hier schon ausführlich darüber gesprochen.

Im Grundsatz halte ich es für richtig, dass die beiden steuerfinanzierten Systeme zusammengefasst werden. Nur dann ist eine einheitliche Betreuung von arbeitsfähigen Erwerbslosen und von Sozialhilfeempfängern möglich.

Wir haben immer beklagt, dass wir die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger nicht in die Dinge einbeziehen können, die das Arbeitsamt anbietet. Das Nebeneinander der beiden Systeme bedeutet letztlich die Verschwendung von Ressourcen und hat den Arbeitslosen und den Empfängerinnen und Empfängern von Sozialhilfe nicht geholfen.

Die Frage, ob die Betreuung der Arbeitslosengeld-IIEmpfänger künftig eher durch die Arbeitsgemeinschaften aus der Kommune und der Agentur für Arbeit oder vorrangig nur über die Kommune wahrgenommen wird, halte ich im Übrigen für einen Nebenkriegsschauplatz. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Bildung von Arbeitsgemeinschaften für sinnvoller halte. Ich kann mit dem jetzt gefundenen Kompromiss aber auch gut leben. Auch darüber haben wir in diesem Haus schon gesprochen.

Nach den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss und der Sicherstellung der Entlastung der Kommunen haben durch die Experimentierklausel nunmehr bundesweit 69 kommunale Träger für einen Zeitraum von sechs Jahren die Möglichkeit, von der Option Gebrauch zu machen. Hinterher werden wir gucken, wie wirksam die Eingliederung wirklich war.

Aber eines ist klar: Hier in Ostdeutschland haben wir eigentlich kein Vermittlungs- oder Eingliederungsproblem. Wir haben ein Arbeitsplatzproblem. Nicht die fehlende Flexibilität und Mobilität, nicht die Bereitschaft, für weniger Geld arbeiten zu gehen, nicht die Arbeitswilligkeit sind die Probleme. Das Problem sind die fehlenden Arbeitsplätze. Die gibt es im Moment einfach nicht in ausreichender Zahl.

Dass die versprochene bessere und schnellere Eingliederung verknüpft wird mit massiven Einschnitten in die Leistungsversorgung und mit einer Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, bereitet auch mir gewaltige Kopfschmerzen. Damit gehe ich, seitdem es Hartz IV gibt, von Tisch zu Tisch und von Versammlung zu Versammlung und beklage dies.

Die Folgen für Sachsen-Anhalt insgesamt, aber auch für jeden einzelnen Betroffenen werden gravierend sein. Das wissen wir. Zahlreiche Betroffene drohen an den

Rand der Armutsgrenze gedrückt zu werden, und das ohne notwendige Perspektive auf bezahlte ordentliche Beschäftigung. Darin gebe ich der PDS durchaus Recht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Im Anschluss, bitte. - Aber auch die SPD-Fraktion hat sich auf der Bundesebene dafür eingesetzt, dass die Zumutbarkeitsregeln verändert werden, dass es einen Kinderzuschlag gibt, dass es andere Zuschläge bei entsprechenden Belastungen für die Familien gibt. Wir müssen uns nicht vorwerfen lassen, uns nicht entsprechend auf der Bundesebene eingesetzt zu haben.

Ich sage ganz deutlich in Richtung CDU: Sie wollten die Zumutbarkeitsregeln eigentlich noch mehr verschärfen und haben es im Vermittlungsausschuss auch versucht.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich denke, auch das Fordern hat seine Grenzen, meine Damen und Herren. Wer das noch einmal nachlesen möchte, sollte in dem Artikel in der „Volksstimme“ vom 7. Juli dieses Jahres nachlesen, was dazu gesagt wurde.

(Herr Kühn, SPD: Jetzt davon stehlen!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ein wenig verwundert mich die Richtung, die die Diskussion über Hartz IV in den letzten Tagen genommen hat. Meine Damen und Herren von der Regierung, ich wäre gern bereit, Ihnen zu glauben, was Sie öffentlich und tränenreich beklagen. Sie beklagen nämlich die finanziellen Verschlechterungen für die Betroffenen.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Aber so zu tun, als habe man die sozialen Folgen für die Betroffenen nicht gekannt, und heute so zu tun, als habe man das eigentlich gar nicht gewollt, ist ein politischer Offenbarungseid.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Das lässt eigentlich nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder Sie spielen ein doppeltes Spiel oder Sie haben tatsächlich die Folgen für Sachsen-Anhalt und die hier betroffenen Menschen unterschätzt. Beides, meine Damen und Herren von der Regierung, wäre gleichermaßen beklagenswert und hat nichts mit dem zu tun, was Sie in Berlin verkünden oder fordern. Es war die CDU unter Beteiligung Sachsen-Anhalts, die noch mehr an den Stellschrauben drehen wollte.

(Zuruf von der CDU)

Es lässt sich in allen Protokollen nachlesen, wer für Verschlechterungen und weitere Verschärfungen der Zumutbarkeit war.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Unruhe bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird heute hier der Eindruck erweckt, man entscheide in der heutigen Bundesratssitzung, ob Hartz IV kommt, ob die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die damit verbundenen Einschnitte kommen. Das ist falsch. Der

Bundesrat entscheidet heute über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum kommunalen Optionsgesetz, das im Übrigen mit den Stimmen von CDU und CSU im Bundestag bestätigt worden ist. Dabei geht es um die Frage der finanziellen Entlastung der Kommunen sowie um die Trägerschaft für die zukünftigen Leistungsempfänger, wie ich anfangs schon sagte.