Protokoll der Sitzung vom 12.11.2004

Auf unsere Ankündigung im Landtag, einen Antrag zur Erarbeitung eines Leitbildes für die Wirtschaftsförderung zu stellen, haben die Wirtschaftssprecher der beiden Koalitionsfraktionen in Pressemitteilungen ablehnend reagiert. Dabei sind Sie, Herr Gürth und Herr Schrader, gar nicht auf unsere Forderungen eingegangen, sondern haben zum wiederholten Male die SPD-Konzeption, die vorliegt, diffamiert, und zwar auf eine unsachliche Art und Weise.

(Herr Tullner, CDU: Das machen wir nie!)

Dabei entlarven Sie sich allerdings nur selbst. Sie verwenden nicht einmal die richtigen Begriffe.

Immerhin haben Sie aber gewagt - das finde ich gut -, eine Positivliste mit Branchen oder Clustern zu nennen; denn bisher haben Sie immer nur gesagt, dass Sie nicht wollen. - Sie, Herr Gürth, reden davon, dass Sie gezielt Wachstumskerne und -branchen landesweit fördern wollen. Ich möchte nicht kleinlich mit Begriffen wie „Clustern“ oder „Branchen“ umgehen, dass das etwas Unterschiedliches ist. Sie nennen aber Wachstumskerne. Dann sagen Sie uns doch, welche Wachstumskerne es sind. Dies ist nichts anderes als eine regionale Konzentration.

(Zustimmung bei der SPD)

Außerdem wollen Sie „Branchen landesweit gezielt fördern“. Das habe ich aus Ihrer Pressemitteilung zitiert. Das ist sektorale Konzentration.

An dieser Stelle, meine Damen und Herren, möchte ich dann auch mit einer weit verbreiteten Falschaussage

Ihrerseits aufräumen. Wir grenzen in unserer Konzeption eben keine Regionen aus. Die SPD setzt in ihrem Vorschlag für eine neue Wirtschaftspolitik auf zwei parallele Fördermöglichkeiten, erstens auf die regionale Konzentration und zweitens - gleichberechtigt - auf die Unterstützung der Entwicklung von Wirtschafts-Clustern, zu denen nach unserer Vorstellung aber neben den von Ihnen genannten unter anderem auch die Lebensmittelindustrie und das Thema „Energie und Umwelt“ einschließlich der Themen „nachwachsende Rohstoffe“ und „regenerative Energien“ gehören.

Dieser richtige Ansatz sollte durch eine in allen Regionen mögliche Grundförderung ergänzt werden. Es gibt keinen Ausschluss von Regionen. Vielmehr soll die Höchstförderung an bestimmte Kriterien gebunden werden. Das, meine Damen und Herren, sollte im Interesse einer sachlichen und fairen Diskussion jedenfalls gesagt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, meine Damen und Herren, es ist illusorisch zu glauben, dass sich aus den mittelständischen Strukturen, die heute den Großteil unserer sachsen-anhaltinischen Wirtschaftsstruktur prägen, solche industriellen Kerne entwickeln, wie wir sie aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert kannten. Diese Art von Industriezeitalter wird es nicht wieder geben. Trotzdem brauchen wir industrielle Strukturen, industrielle Kerne. Wir haben sie im Ansatz ja auch, zum Beispiel in der chemischen Industrie ergänzt durch das Chemieparkkonzept oder das Automotive-Cluster im Bereich der Zulieferindustrie in der Automobilindustrie.

(Herr Tullner, CDU: Dank Helmut Kohl!)

Die neuen Chancen liegen darin, aus unseren mittelständischen Strukturen moderne Industriestandorte zu entwickeln. Nur dort, wo Industrie, wo Produktion ist, werden sich auch Dienstleistungen etablieren. Wer die Produktion aufgibt, der wird auch die Entwicklung verlieren. Deshalb brauchen wir eine Entwicklung unserer mittelständischen Strukturen hin zu vernetzten Strukturen, deren Stärke es ist, dass sie nach innen flexibler sind, sich aber nach außen mit größeren Strukturen in der Auftragsakquise oder bei der Markterschließung messen können, und die fähig sind, kontinuierlich Forschung und Entwicklung zu betreiben.

Meine Damen und Herren! Für unser Konzept gibt es eine wissenschaftliche Unterstützung, die auf einer empirischen Untersuchung basiert. Das IWH hat am 2. November 2004 auf einer Pressekonferenz seine Ergebnisse und Empfehlungen zu der Studie „Innovative Kompetenzfelder, Produktionsnetzwerke und Branchenschwerpunkte der ostdeutschen Wirtschaft“ vorgelegt.

Zum einen hat das IWH einen neuen Begriff geprägt. Damit kommen wir vielleicht aus dieser ewigen Diskussion über die Wachstumskerne und Cluster heraus. Es hat nichts mit Öchsle und auch nichts mit Trinken zu tun. Das ist nichts anderes als ein ökonomischer Entwicklungskern.

Für Sachsen-Anhalt wurden auf der Grundlage von empirischen Untersuchungen drei solcher Entwicklungskerne ermittelt: die Medizintechnologie in Magdeburg, die Chemiewirtschaft in Halle-Merseburg und die Medizintechnik Biomedizin in Halle/Leipzig.

Eine Konzentration von mehreren, nämlich gleich drei Ansätzen für ökonomische Entwicklungskerne findet sich

im Harz. Dazu zählen die Ernährungswirtschaft, Automotive und die Fahrzeugtechnik.

Es sind drei Regionen, in denen sich ökonomische Entwicklungskerne befinden: die Region Magdeburg, die Region Halle-Merseburg und der Harz - genau jene drei Regionen, die als Wachstumsregionen im Konzept der SPD aufgeführt worden sind.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Die wachsen doch nicht, weil Sie ein Konzept aufge- schrieben haben!)

- Wir können das ja so unqualifiziert weiterführen, Herr Gürth. Das zeigt mir nur, dass Sie nicht in der Lage und auch nicht willens sind, sich inhaltlich damit auseinander zu setzen.

(Zustimmung bei der SPD)

In den Schlussfolgerungen für eine neue Regionalpolitik zur weiteren wirtschaftlichen Stärkung der ostdeutschen Regionen schlägt das IWH vor: mehr räumliche Differenzierung von regionalpolitischen Maßnahmen, keine reine sektorale Förderung und - so heißt es wörtlich -:

„Eine allgemeine Politik zugunsten einzelner Branchen kann demgegenüber nicht empfohlen werden.

Eine bevorzugte Förderung einzelner Branchen ohne Rücksicht auf die jeweiligen regionalen Wertschöpfungs- und Netzwerkanbindungen ist keine Politik mit Aussicht auf dauerhafte Erfolge. Dies gilt noch verstärkt, wenn sich die sektorale Strukturpolitik flächendeckend auf die Unterstützung von Modebranchen wie der Biotechnologie konzentriert.“

Interessant ist auch, was das IWH noch empfiehlt: Es solle vor allem zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen eine allgemeine Investitionsförderung erfolgen, und zwar grundsätzlich ohne Differenzierung zwischen einzelnen Branchen. Es erscheint auch nicht angebracht, Unternehmen außerhalb der ökonomischen und der potenziellen ökonomischen Entwicklungskerne jegliche einzelbetriebliche finanzielle Unterstützung zu verweigern. - Dies genau entspricht dem Gedanken der flächenbezogenen Grundförderung in unseren Diskussionsvorschlägen.

Des Weiteren wird empfohlen, in Ergänzung zu den im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe bereits gültigen Fördervoraussetzungen auch die Einbindung bzw. die mögliche Einpassung eines Unternehmens in regionale Netzwerke oder in Wertschöpfungsketten sowie die räumliche Nähe zu möglichen Transaktionspartnern als Anforderungen an die Investitionsförderung explizit zu berücksichtigen. - Auch dies haben wir vorgeschlagen.

Soweit die Anträge auf Fördermittel die zur Verfügung stehenden Mittel übersteigen, sollten zunächst jene Anträge bewilligt werden, die den beiden genannten Anforderungen entsprechen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Richtig!)

Das IWH sagt, die Kriterien sollten aber lediglich den Charakter von Handlungsempfehlungen für die zuständigen mittelvergebenden Stellen haben. Bei ihrer Entscheidung sollte zunächst die Förderung von Unternehmen in ökonomischen Entwicklungskernen oder in Bereichen mit potenziellen ökonomischen Entwicklungs

kernen im Auge behalten werden, womit wir wieder bei der regionalen Schwerpunktsetzung sind. Auch dies ist bei uns verankert.

Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir uns gut überlegen, ob wir uns die Möglichkeit nehmen, diesen Teil der Zukunftsdiskussion intensiv im Parlament und im Ausschuss zu führen. Bisher mangelt es an dieser Diskussion.

Auch die Antworten in den Ausschüssen sind eher spärlich. Konzeptionelle, transparente Politik wird in dieser Weise abgelehnt. Stattdessen wird - dies wird auch zitierfähig in den Ausschüssen gesagt - auf die Weisheit von Minister Rehberger und Staatssekretär Bohn gesetzt. Ich meine, dies ist entschieden zu wenig.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU - La- chen bei der CDU und bei der FDP)

In den Fraktionen des Landtages haben sich unterschiedliche Menschen mehr oder weniger intensiv mit dem Thema Zukunftsdebatte und finanzielle, demografische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen auseinander gesetzt. Es beginnt mit dem Strategiepapier meines Fraktionskollegen Jens Bullerjahn. Die FDP hat ihren Schwerpunkt mit einem Thesenpapier von Frau Hüskens auch auf die Betrachtung von Rahmenbedingungen gelegt. PDS und FDP haben wirtschaftspolitische Papiere vorgelegt.

(Herr Rothe, SPD: Und die CDU?)

Ich glaube, Sie, Herr Scharf und Herr Gürth, waren arg in Zugzwang.

(Unruhe)

Ich würde es allerdings so einschätzen, dass Sie sich mit dem Schnellschuss Ihrer Broschüre mit dem Titel „Sachsen-Anhalt kommt voran“ keinen Gefallen getan haben. Ich würde sagen, das Beste daran ist der Umschlag. Wenn ich mir nämlich einmal anschaue, was darin als Erfolge genannt wird, dann stelle ich fest: Sie verweisen zum Beispiel auf das Zweite Investitionserleichterungsgesetz. Ich glaube, da gibt es inzwischen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der das nicht verfassungskonform ist.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von der CDU: Das erste! - Herr Gürth, CDU: Ach!)

- Sie haben Recht, es ist das erste. Es ist aber trotzdem Ihres. - Sie verweisen auf ein Drittes Investitionserleichterungsgesetz. Das macht der Bauminister, nicht mehr der Wirtschaftsminister.

(Zuruf von der CDU)

Sie nehmen das Beispiel der Modellregion für den Bürokratieabbau. Das ist gescheitert. Offensichtlich war es nicht gut genug.

(Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

Sie nennen den Wirtschaftsbeirat beim Ministerpräsidenten, eine sicherlich sehr gute Einrichtung. Aber Ergebnisse daraus kennen wir nicht und wurden auch nicht kommuniziert.

(Herr Gürth, CDU: Kann man im ganzen Land beobachten!)

Sie nennen die „Initiative Mitteldeutschland“ - diese ist nun wirklich in der Form, wie Sie sie ursprünglich ma

chen wollten, als wirtschaftspolitische Strategie auch in der Öffentlichkeit gescheitert -,

(Beifall bei der SPD)

die Existenzgründungsoffensive „Ego“, die sich inzwischen auf irgendwelche Jubelprämien für Regionen reduziert und zudem im Jahr 2005 in der Höhe halbiert werden wird,

(Zuruf von der CDU: Ist auch gut so!)