Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Vielen Dank, Herr Rothe, dass Sie meine Frage doch noch zulassen. Ich bin noch nicht sehr lange Parlamentarierin. Aber ich verstehe mein Amt eigentlich so, dass wir als Vertreter für die Bürger im Landtag sitzen. Ich denke schon, dass ich unseren Minister Herrn Daehre unterstützen möchte, wenn es dazu kommt, dass wirklich eine Vielzahl von Menschen sagt: Wir möchten das aber so. Dann sind wir als Parlamentarier gezwungen zu sagen, wir müssen das überdenken und müssen es vielleicht noch einmal verändern. So verstehe ich das.

Wie würden Sie denn darauf reagieren, wenn Bürger kommen und sagen würden: Sie haben ein Gesetz festgemacht. Wird das Gesetz für immer und ewig bleiben oder würden Sie es ändern, wenn der Unmut kommt?

Das Gesetz muss für den Zeitraum, für den es gemacht ist, ernst gemeint sein.

(Herr Kosmehl, FDP: Ist es so?)

Wenn es sich jetzt als Konsens herausbildet, dass man der Altmark nicht verbieten darf, einen solchen Diskussionsprozess zu entwickeln, dann lassen Sie uns den Gesetzentwurf doch noch einmal in den Ausschuss überweisen. Dann haben wir ihn im nächsten Monat in der dritten Lesung wieder hier.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Ich möchte mich jetzt an mein Manuskript halten und bitte, mir die Zeit nicht abzuziehen.

Laut Geschäftsordnung wird Ihnen die Zeit auch nicht abgezogen.

Danke schön. - Ich wollte als ein Beispiel dafür, dass es sich bei den Regionalkreisen nicht um ein rot-rotes Projekt handelt, Herrn Dr. Dregger zitieren. Der hat nämlich im Wiesbadener Landtag im Jahr 1965 einen Antrag zur Verwaltungsreform eingebracht, der zum Ziel hatte, die Zahl der Verwaltungsebenen unter der Ebene der Landesregierung - also Gemeinden, Landkreise und Regierungsbezirke - auf zwei zu verringern. Die CDU-Fraktion in Hessen wollte die vorhandenen Landkreise und Regierungsbezirke durch Großkreise ersetzten, die sie Regionen nannte. Die Zahl der Regionen sollte größer sein als die der Regierungsbezirke. Sie sollte wesentlich kleiner sein als die der Landkreise.

In der Landtagsdebatte am 1. Juni 1965 führte Dregger aus, man habe den Begriff Region gewählt, um deutlich zu machen, dass sie sich von den bisherigen Landkreisen nicht nur durch ihre Größe unterscheiden sollen, sondern auch dadurch, dass sie die Aufgaben der Regionalplanung erfüllen, und sie seien daher nach natur

räumlichen und wirtschaftsgeografischen Tatbeständen abzugrenzen.

Meine Damen und Herren! Regionalkreise sind eine Idee, deren Zeit jetzt gekommen ist.

(Zustimmung bei der SPD)

In Mecklenburg-Vorpommern wird das Kabinett im Mai den Regierungsentwurf zur Einführung von Großkreisen beschließen und ihn am 8. Juni in den Landtag einbringen.

Wir Sozialdemokraten halten auch für Sachsen-Anhalt - so hat es der SPD-Landesvorstand am 13. Dezember 2004 beschlossen - eine künftige Struktur mit fünf großen Kreisen für die am besten geeignetete. Wir sind bereit, an einem Kompromiss mitzuwirken, der die Herausbildung von fünf großen Kreisen befördert und nicht behindert. Im Zuge der Aufgabenübertragung auf größere Landkreise ist das Landesverwaltungsamt zu verkleinern und schließlich als Behörde der Mittelinstanz aufzulösen.

Mit einer konsequenten Kreisgebietsreform verfolgen wir das Ziel, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Sie unterliegt heute Beschränkungen, die es zu überwinden gilt.

Am erschreckendsten, meine Damen und Herren, ist die Entwicklung der Haushaltslage. Konnten im vorletzten Jahr noch 19 der 21 Landkreise ihren Haushalt ausgleichen und zwei ihn nicht ausgleichen, verhielt es sich im vergangenen Jahr umgekehrt. In diesem Jahr wird wohl kein Landkreis seinen Haushalt ausgleichen können. Herr Dr. Daehre, da macht Kommunalpolitik dann keinen Spaß mehr.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Bei der Klausur des Innenausschusses, die in Naumburg stattgefunden hat - Herr Minister Jeziorsky war dabei -, ist uns von Landkreisen berichtet worden, die sich Ausgaben von 5 000 € im Einzelfall vom Landesverwaltungsamt genehmigen lassen müssen. Wir wollen, dass die Landkreise und dass die Landräte von dieser Bevormundung frei werden und dass sie ihre Angelegenheiten wieder selbst regeln und entscheiden können.

(Zustimmung bei der SPD)

Keine einzige Selbstverwaltungsaufgabe geht dem Landkreis dadurch verloren, dass staatliche Aufgaben hinzukommen. Der Regionalkreis wird sowohl kommunale Selbstverwaltungskörperschaft als auch untere staatliche Behörde sein. An der Spitze beider wird weiterhin ein kommunaler Wahlbeamter stehen.

Wer in der Kommune gewählt werden will, wird die Selbstverwaltungsangelegenheiten nicht vernachlässigen. Im Regionalkreis wird es möglich sein, staatliche und kommunale Aufgaben in einer der Selbstverwaltung förderlichen Weise zu bündeln.

Ich unterstütze die Forderung des Landkreistages in seiner Stellungnahme vom 2. März 2005, staatliche Sonderbehörden, beispielsweise die Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung, in die Landratsämter einzugliedern. Es wäre interessant, Frau Ministerin Wernicke, von der Landesregierung zu erfahren, welche Aufgaben sie bei elf Landkreisen für übertragbar hält. Ich vermute, die Ausreichung der EU-Fördermittel für Landwirte und die Flurneuordnung gehören nicht dazu.

(Ministerin Frau Wernicke: Nein!)

- Sie sagen nein und bestätigen meine Vermutung. Dann werden Sie den Landkreistag aber herb enttäuschen; denn das war genau der Punkt, auf den er abgestellt hat. Diese Ämter will er haben.

(Zuruf von Ministerin Frau Wernicke)

In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird zwar bekundet, dass die Gebietsreform mit Blick auf künftige weitere Aufgabenübertragungen erfolgt; dazu wäre es jedoch zweckmäßig, zunächst die Aufgabenbereiche zu definieren, die übertragen werden sollen. Das hat die CDU in der Vergangenheit zu Recht gefordert.

Der Landtag hat dann im Januar 2002 mehrheitlich ein umfangreiches Papier beschlossen, in dem sich die Beratungen des zeitweiligen Ausschusses niedergeschlagen haben. Von Ihnen in der Koalition gibt es dazu bis heute kein Konzept oder Leitbild. Mit dem ersten Funktionalreformgesetz wurde allenfalls ein erster Schritt getan.

Hätten Sie ein Konzept zur Funktionalreform, dann würden Sie vermutlich selbst erkennen, dass es nicht richtig sein kann, wenn die Mindesteinwohnerzahl von 150 000 schon nach wenigen Jahren bei der Hälfte der Kreise unterschritten wird. Das Aufweichen der Zielgröße war schon bei der Kreisgebietsreform von 1994 ein Hauptfehler und darf sich nicht wiederholen.

(Beifall bei der SPD)

Damit bin ich bei dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Wir beantragen, Abweichungen von der Mindesteinwohnerzahl von 150 000 im Jahre 2015 nur zuzulassen, wenn die Bevölkerungsdichte 50 Einwohner pro Quadratkilometer unterschreitet. Der Grenzwert bei der Bevölkerungsdichte ist von den Koalitionsvertretern in den Ausschussberatungen von 50 auf 70 angehoben worden. Wir wollen also in diesem Punkt den Regierungsentwurf wiederherstellen.

Abweichend vom Regierungsentwurf beantragen wir den Ausnahmetatbestand aufzuheben, wonach in begründeten Fällen die Mindesteinwohnerzahl von 150 000 um 5 % unterschritten werden darf. Als Begründung ist in den Ausschussberatungen angegeben worden, dass es bei den Prognosezahlen für das Jahr 2015 eine statistische Unsicherheit gibt, der man Rechnung tragen will. Damit ist die Ausnahme eine allgemeine. Die neue Grenze von 142 500 ist nach unten sogar offen, da es sich bei dieser 5%-Abweichung um eine Sollvorschrift handelt, anders als bei der Obergrenze hinsichtlich der Fläche.

Ich erinnere daran, dass der Herr Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vom 1. April 2004 gesagt hat, er wolle unter Zugrundelegung der Prognosewerte für 2015 Abweichungen von der Mindesteinwohnerzahl 150 000 nur zulassen, wenn die Bevölkerungsdichte 50 Einwohner pro Quadratkilometer unterschreitet. Diese eine Ausnahme wollen wir auch.

Schließlich enthält unserer Änderungsantrag die Aufhebung der Obergrenzen. Dazu ist alles gesagt worden.

Meine Damen und Herren! Was in dem Grundsätzegesetz sinnvoll geregelt ist, stand auch schon in unserem Zweiten Vorschaltgesetz vom 15. Mai 2001, beispielsweise dass wir grundsätzlich die Vollfusion von Landkreisen anstreben. Dieses Vorschaltgesetz, das Sie aufgehoben haben, legte auch das Ziel fest, neben den kreisfreien Städten je Planungsregion zwei Landkrei

se zu bilden. Der Vorschlag des Ministerpräsidenten für die Region Anhalt, für einen Landkreis Anhalt setzt diese Vorgabe des Zweiten Vorschaltgesetzes exakt um. Ich selbst habe in der Landtagsdebatte am 7. Oktober 1999 einen ähnlichen Vorschlag gemacht, nämlich aus Anhalt-Zerbst, Dessau, Köthen und Bernburg einen Landkreis zu bilden.

Entscheidend war und ist aus meiner Sicht, ob eine Kreiskarte die Entwicklung hin zu Regionalkreisen offen lässt. Ich räume ein, dass eine Verwaltungsregion nicht unbedingt nach dem Vorbild einer Planungsregion gestaltet werden muss. Aber wer Kreisgebilde vorschlägt, die die Grenzen der vorhandenen Planungsregionen unberücksichtigt lassen, der muss die Frage beantworten, in welchem Regionalkreis ein solcher Kreis im übernächsten Schritt aufgehen kann.

Was wir jetzt als Kompromiss auf der Kreisebene anstreben, muss auch als Zwischenschritt auf dem Weg zu Regionalkreisen Sinn machen. Sie werden die Nachfolge der Planungsregionen als Körperschaften des öffentlichen Rechts antreten. Auf dem Weg dorthin können die Planungsregionen zu Mehrzweckverbänden entwickelt werden. Ihnen können zusätzliche Aufgaben übertragen werden, beispielsweise das Betreiben der Rettungsleitstellen.

Da sie für Raumordnungsfragen schon zuständig sind, sind die Planungsregionen prädestiniert, Aufgaben im Rahmen der vorbereitenden Bauleitplanung zu übernehmen und damit zur Entspannung des Stadt-UmlandVerhältnisses beizutragen. Zusätzliche pflichtige Zweckverbände um Halle und Magdeburg, wie sie das Grundsätzegesetz einführt, sind demgegenüber kein taugliches Mittel.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ist bei der Kreisgebietsreform weiterhin kompromissbereit. Ich will aber nicht verhehlen, dass es für mich eine große Enttäuschung war, als regierungsseitig die Zusage zurückgenommen worden ist, vor der Veröffentlichung des Regierungsentwurfs einer Landkreiskarte mit uns über eine Kompromisskarte zu reden. Auf die Gespräche, die in den letzten Monaten insbesondere Herr Dr. Daehre und Herr Bullerjahn geführt haben, nehme ich Bezug. Übrigens habe ich Ihnen, Herr Dr. Daehre, über Herrn Dr. Eichler Kartenmaterial frühzeitig zukommen lassen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Was?)

Heute haben Sie Gelegenheit, die Chancen für einen Kompromiss zu erhöhen, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen. Die vorgeschlagene Änderung der Untergrenzen bei der Gebietsreform hätte zur Folge, dass drei der Landkreise, die in dem zur Anhörung freigegebenen Gesetzentwurf vorgesehen sind, nicht leitbildgerecht sind, nämlich der Kreis Jerichower Land, der Zusammenschluss von Bitterfeld und Köthen und der Zusammenschluss von Sangerhausen und Mansfelder Land.

Der Landtag hat das Grundsätzegesetz zügig beraten. Wir sind nicht in der Pflicht, unsere Grundsätze einer bereits veröffentlichten Regierungskarte anzupassen. Diese Freiheit nimmt sich ja auch der Ministerpräsident. Folgen wir seinem Beispiel! - Ich bitte um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Rothe. - Für die FDP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Wolpert. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gleich zu Beginn meiner Rede darf ich mich bei dem federführenden Ausschuss für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr und bei dem mitberatenden Ausschuss für Inneres für die zügige und konstruktive Beratung herzlich bedanken. Insbesondere den beiden Ausschussvorsitzenden Frau Frauke Weiß und Herrn Dr. Willhelm Polte möchte ich noch einmal ausdrücklich dafür danken, dass die Anhörung im Plenarsaal, die sehr umfangreich war, so reibungslos verlaufen ist. Nicht zuletzt möchte ich dem Stenografischen Dienst danken, der durch seine fleißige Arbeit dazu beigetragen hat, dass wir das Gesetz sehr schnell beraten konnten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung bei der SPD)

Lieber Kollege Rothe, das war sehr tapfer.

(Heiterkeit bei der FDP und bei der CDU)

Sie haben die fünf Kreise verteidigt und gesagt, die Zeit der Regionalkreise sei gekommen. Warum, weiß kein Mensch. Das haben Sie leider nicht gesagt. Sie behaupten einfach, dass wir auf dem Weg zu den Regionalkreisen seien und deshalb unsere Kreisgebietsvorschläge danach auszurichten hätten. Warum sind wir auf dem Weg zu Regionalkreisen? Sie vielleicht, wir nicht!

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der SPD)