Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Kommunalneugliederungsgesetz ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, die Kreissitze
neu zu bestimmen. Daran, wie schwierig dies ist, dürften sich insbesondere die Kollegen und Kolleginnen, die in der ersten Wahlperiode Verantwortung hatten, erinnern. Damals ging es um das Gesetz zur Kreisgebietsreform. In manchen Regionen sind die Narben, die damals geschlagen worden sind, bis heute nicht verheilt.
Auch mit den vorliegenden Gesetzentwürfen zu den Kreissitzen wird man nicht alle glücklich machen; so mancher wird seinem Unmut in den nächsten Wochen noch Luft machen. Davon künden bereits die vielen Änderungsanträge aus Ihren Reihen.
Die Anforderungen, die die Gerichte an die Auswahl der Kreissitze stellen, haben seither weiter zugenommen. Der Umstand, dass die Regierung neun Einzelgesetze vorgelegt hat, zeigt, dass sich die Landesregierung des Risikos dabei bewusst ist.
Den von der Landesregierung zur Anhörung freigegebenen Gesetzsetzentwürfen ist die Hast anzumerken, mit denen sie erarbeitet wurden. Das kam in der Stellungnahme des Landkreistages deutlich zum Ausdruck. Daraufhin hat die Landesregierung die Entwürfe zwar überarbeitet und die Gesamtkonzeption der Auswahl der Kreisstädte wesentlich besser erläutert, aber im Prinzip ist nichts geändert worden. Die Frage, ob sie bestandssicher sind, bleibt damit offen.
Die Landesregierung hat sich für ein K.-o.-System mit einer sehr begrenzten Zahl von Kriterien entschieden. Wer als bisherige Kreisstadt eine gemeinsame Gemarkungsgrenze mit einer kreisfreien Stadt hat, ist k. o. Wer als schlichtes Mittelzentrum ein Mittelzentrum zum Konkurrenten hat, das Teilfunktionen eines Oberzentrums besitzt, ist k. o. Wer unter gleichrangigen Mittelzentren die geringere Einwohnerzahl hat, ist k. o. Ich füge hinzu: Wer mit einem solchen K.-o.-System vor dem Landesverfassungsgericht landet, riskiert ebenfalls den K. o.
Das Abwägungsgebot sollte nach unserem Dafürhalten mit anderen Kriterien auch bei der Auswahl zwischen mehreren in Betracht kommenden Kreisstädten zur Anwendung kommen. Ich unterstelle all denen, die bisher Anträge gestellt haben, dass das genau ihre Motivation ist.
Man kann die zentralörtliche Bedeutung und die Einwohnerzahl unterschiedlich gewichten, aber man kann nicht ein Kriterium zum alleinigen Ausschlusskriterium machen, sodass bei einer größeren Zentralität die Einwohnerzahl und andere Kriterien, zum Beispiel die Wirtschaftskraft, gar nicht mehr in eine einzelfallbezogene Abwägung eingestellt werden können.
Aus der Sicht der SPD-Fraktion ist besonders kritikwürdig, dass ein solches Auswahlverfahren, wie es die Landesregierung gewählt hat, in sich zwar schlüssig, aber nicht für abweichende Entscheidungen im begründeten Einzelfall offen ist.
Ein Entscheidungsverfahren, das eine Abwägung und die unterschiedliche Gewichtung verschiedener Kriterien zulässt, würde uns Landtagsabgeordneten einen echten Gestaltungsspielraum lassen. Aber mir scheint, das ist eigentlich gar nicht gewollt. Sie wollen möglichst schnell Ruhe bei diesem Thema haben.
Die Gesetze zur Bestimmung der Kreissitze stehen dabei natürlich ursächlich - darüber ist vorhin schon gesprochen worden - im Zusammenhang mit dem Kommunalneugliederungsgesetz und manifestieren demgemäß die Defizite des Kommunalneugliederungsgesetzes.
Von der angestrebten Funktionalreform, aus der sich die eigentliche Größe der Verwaltungseinheit und deren Struktur und die dafür erforderliche Verwaltungskraft ergibt, vor deren Hintergrund auch die Kreissitzfrage zu entscheiden ist, ist nach wie vor so gut wie nichts zu hören.
In der Koalitionsvereinbarung der CDU und der FDP aus dem Jahr 2002 heißt es: Die kommunale Leistungskraft muss so entwickelt werden, dass die Gebietskörperschaften staatliche Aufgaben übernehmen können. - Ja, wir wissen bis heute nicht, welche staatlichen Aufgaben eigentlich übernommen werden sollen. Das ist nach wie vor eine offene Frage.
Sie wollten es damals packen, aber ich habe den Eindruck, dass Sie es offensichtlich zur Seite gepackt haben. Umso mehr bedauere ich nach wie vor - ich kann es nur immer wiederholen -, dass Sie die Chance, eine solche grundlegende Verwaltungsreform auf eine breite parlamentarische Basis zu stellen, nicht genutzt haben.
Teilweise unpopuläre Bestimmungen, wie es die Festlegung einer Kreisstadt ist, sind für die unterlegenen Städte gewiss bitter. Als Koalition müssen Sie dafür aber weitgehend allein die Verantwortung tragen.
Ich möchte immer wieder sagen: Dabei haben Sie sich die Bestimmung der Kreissitze unnötig schwer gemacht. Wenn es im Grundsatz eine Verständigung darauf gegeben hätte, den regionalen Planungsgemeinschaften eine politische Struktur zu geben, hätte sich die Kreisstadtfrage auf einen einzigen Fall reduziert.
Dann wären uns außerdem, meine Damen und Herren, die von Ihnen präferierten ineffizienten Stadt-UmlandZweckverbände erspart geblieben.
Sie werden gewiss ihre Aufgabe der Überwindung der Disproportion zwischen der Entwicklung von Ober- und Mittelzentren und dem Umland nicht erfüllen. Es ist interessant, wer schon im Jahr 1993 - in Vorbereitung auf meinen heutigen Beitrag habe ich nämlich die Protokolle
aus diesem Jahr gelesen - eine Weitsicht hatte und diese meine Aussage unterstrich: zum Beispiel der Kollege Becker, zum Beispiel der Kollege Kley.
So der heutige Minister. - Es ging also auch um Planungsverbände mit dem Umland. Heute geht es noch um viel mehr, nicht nur um Planungsfragen, sondern es soll eigentlich alles geregelt werden, was man sich denken kann. Dazu sage ich: ein tot geborenes Kind.
Nach der Blockade des Verwaltungsreformprozesses durch die Regierungskoalition äußerte ich damals einem Minister der Landesregierung gegenüber: „Man stoppt nicht einen Tanker, bevor ein neuer Kurs bestimmt ist.“ - Die Antwort des Ministers seinerzeit lautete: „Na, irgendetwas wird uns schon einfallen.“
Genau so sieht es aus. Jedem bei Ihnen ist etwas eingefallen: dem Herrn Innenminister mit seinen Ministerialbeamten. Das andere ist dem Herrn Bauminister eingefallen. Er sollte damit dem Herrn Innenminister auf die Sprünge helfen. Der FDP-Fraktion ist dazu etwas eingefallen, um Eigenständigkeit zu demonstrieren.
Der CDU-Fraktion mit ihrer ausgeprägten Neigung, die partikularen, lokalen Interessen vor das Gesamtinteresse zu stellen, ist etwas eingefallen.
Und auch dem Herrn Ministerpräsidenten ist etwas eingefallen, aber nach Meinung der Koalition nicht immer das Richtige.
Wer bei Ihnen hat eigentlich den Ehrgeiz, meine Damen und Herren auf der von mir aus rechten Seite, der Hauptzielrichtung einer Verwaltungsreform Genüge zu tun, dass am Ende der Verwaltungsreform die Kosten niedriger sind als vorher? Spielt das in dieser Diskussion noch irgendwann irgendwo eine Rolle?
Wer von Ihnen ist ernsthaft davon überzeugt, dass Sie diesem Ziel mit diesen Reformschritten wirklich näher gekommen sind?
Für uns ist in der Kreisfrage das entscheidende Auswahlkriterium: Wird die Entscheidung, wenn sie im Einzelfall notwendig ist, langfristig leistungsstarke Regionalkreise befördern und nicht erschweren?