Protokoll der Sitzung vom 10.10.2002

an die vom Hochwasser betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte. Zwei Tage später traf sich Gerhard Schröder mit seinen Amtskollegen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei sowie mit dem EU-Kommissionspräsidenten Prodi zu einem internationalen Hochwassergipfel.

Am 19. August 2002 beschloss die Bundesregierung zur Finanzierung der Beseitigung der Flutschäden die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform sowie die Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen.

Schon am 22. September 2002 führte die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder eine Einigung über die Grundzüge des Flutopfersolidaritätsgesetzes und des gemeinsamen Fonds „Aufbauhilfe“ herbei. Im Ergebnis stehen nach der letzten Lesung des Flutopfersolidaritätsgesetzes im Bundestag am 12. September 2002 und der Zustimmung durch den Bundesrat als Gesamthilfe für die Beseitigung der Hochwasserfolgen nunmehr rund 9,8 Milliarden € bereit.

Meine Damen und Herren! Selten wurde im vom Reformstau geplagten Deutschland so viel so schnell erreicht. Hiervon profitieren nicht zuletzt auch die betroffenen Menschen in unserem Lande.

(Beifall bei der SPD)

Ich erspare es mir an dieser Stelle, auf das Verhalten der Union im Bund und ihres ehemaligen Kanzlerkandidaten einzugehen. Das Wahlergebnis am 22. September 2002 hat auch gezeigt, wie die Wählerinnen und Wähler dies beurteilt haben.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zurufe von der CDU)

Insbesondere der christdemokratische Flutgipfel in Leipzig stellt kein Ruhmesblatt der Union dar.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Das passt eigentlich auch nicht zu Ihnen, Herr Professor Böhmer.

(Zurufe von der CDU)

Es gibt nun einmal kein CDU-Hochwasser und kein SPD-Hochwasser.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Landtagsfraktion wird darauf achten, dass die zusätzlichen Einnahmen des Landes entsprechend ihrer Bestimmung zur Beseitigung der Folgen der Flutschäden verwandt werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden den Haushaltsplanentwurf, der hoffentlich bald vorliegt, daraufhin überprüfen, ob die Mittel, die dem Land zur Bewältigung der Hochwasserfolgen zusätzlich zufließen, entsprechend verwendet werden.

Einige Eckdaten des Haushaltsplanentwurfs sind bereits bekannt. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie eine Absenkung der Investitionsquote mit den notwenigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Infrastruktur im Land in Einklang zu bringen ist. Aber, wie gesagt, wir warten mit unserer endgültigen Bewertung, bis der Entwurf vorliegt.

Aus der Regierungserklärung geht auch nicht hervor, in welchem Umfang bisher Landesmittel zur Beseitigung der Hochwasserfolgen eingesetzt worden sind.

Meine Damen und Herren! Was sind nun nach der Hochwasserkatastrophe die Herausforderungen für die Zukunft? - Neben der Wiederherstellung von Wohnraum hat die Behebung der ökonomischen Schäden Priorität. An erster Stelle steht die Rettung gefährdeter Unternehmen und gefährdeter Arbeitsplätze. Die Sofortmaßnahmen des Bundes greifen hier bereits. Die direkten finanziellen Bundeshilfen umfassten vom 16. August bis 16. September 2002 zum Beispiel einen Betrag in Höhe von gut 425 Millionen €. Diese Gelder müssen aber weiterhin fließen.

Wichtig ist, dass die solidarische Stimmung weiter anhält. Es darf nicht geschehen, dass die Betroffenen nach einem halben Jahr plötzlich vergessen sind und allein dastehen.

Schließlich müssen, so schlimm die Flut auch war, positive Effekte aus den getätigten Investitionen für die betroffenen Gebiete realisiert werden. Wir müssen beispielsweise den Deichbau als Gelegenheit zur Schaffung von Arbeitsplätzen nutzen. Die Überwindung der Flutkatastrophe führt zumindest zu einer Verschnaufpause im Strukturwandel in der Bauwirtschaft.

Meine Damen und Herren! Weiterhin gilt es, für den Katastrophenschutz die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das Innenministerium hat hiermit bereits begonnen. Am 16. September 2002 konnte man das erste Resümee zur Hochwassergefahrenabwehr in SachsenAnhalt lesen. Wer die Presseverlautbarung des Innenministeriums und die mediale Begleitmusik hierzu vernommen hat, kann sich allerdings des Eindruckes nicht erwehren, dass es das Innenministerium nicht vermocht hat, den Aufgaben während der Flut gänzlich gerecht zu werden.

Natürlich ist es richtig, darauf hinzuweisen, dass das Innenministerium die oberste Fachaufsicht im Katastrophenschutz hat und dass die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz vorrangig bei den Landkreisen und den kreisfreien Städten als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises angesiedelt ist.

Aber einer Jahrhundertflut wie der vom August wird man mit Betrachtungen über Zuständigkeitsregelungen nicht gerecht. Sie erfordert eine zentrale Koordinierung. Die wäre vom Innenministerium möglich gewesen. Das Gefahrenabwehrrecht gibt es her, Aufgaben nach oben zu ziehen. Gerade im Innenministerium weiß man um das Selbsteintrittsrecht der Fachaufsichtsbehörden.

Im Falle der Entlastung der Goitzsche durch Ableitung des Wassers in den Tagebau Rösa hätte ich mir eine Abstimmung auf Regierungsebene zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt gewünscht. Stattdessen wurde der Landkreis mit seinem noch jungen Landrat allein gelassen, der tagelang mit seinem Kollegen aus Delitzsch verhandeln musste.

Es ist schon bedauerlich, dass eine zentrale Koordinierung der Hilfsmaßnahmen fehlte. Es wird auch darüber nachzudenken sein, ob die Befugnisse des Bundes beim Katastrophenschutz in Fällen nationaler Betroffenheit zu stärken sind. Darüber kann im zeitweiligen Ausschuss diskutiert werden.

Jeder, der vor Ort war, kennt Beispiele für die schlechte Koordinierung von Maßnahmen. Es begann mit der Beschaffung von Sandsäcken. So haben verschiedene Kommunen erst einmal selbst versucht, Sandsäcke zu besorgen, weil es keine zentrale Beschaffung gab. Des

sau zum Beispiel hat von der Partnerstadt Ludwigshafen welche erhalten.

Jeder weiß um die Probleme, die es bei der Zusammenarbeit über Landkreis- bzw. RP-Grenzen gab. Für Aken im Landkreis Köthen wurde zum Beispiel akute Hochwassergefahr festgestellt. Entsprechend wurde hier auch gehandelt. Für Breitenhagen im Landkreis Schönebeck gab es seitens des Landkreises eine völlig andere Einschätzung. Für nicht ganz so Kundige: Aken und Breitenhagen liegen direkt nebeneinander.

Auch der unerquickliche Streit zwischen Regierungspräsidien und Landkreisen bei der Frage der Sprengung von Deichen bedarf einer Aufarbeitung.

Es gab eine Vielzahl von Kommunikationsschwierigkeiten. Hierzu zählt auch die überraschende Anordnung der Evakuierung Bitterfelds durch den Innenminister, von der die Verantwortlichen vor Ort überhaupt nichts wussten, was auch ein Verkehrschaos zur Folge hatte.

Meine Damen und Herren! Ein Ziel der Arbeit im zeitweiligen Ausschuss muss es sein, die richtigen Lehren aus dem Jahrhunderthochwasser zu ziehen und diese für nachfolgende Gefährdungssituationen nutzbar zu machen. Von Kommunalpolitikern aus den betroffenen Gebieten habe ich den Satz gehört, dass die Landesregierung den Eindruck einer organisierten Unzuständigkeit erweckte und während der Flutkatastrophe nicht stattfand. - Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von Kommunalpolitikern vor Ort.

(Herr Scharf, CDU: Wie ist Ihre Wertung?)

- Ich habe eine ähnliche Wertung nach dem, was ich da gehört habe, auch treffen müssen.

Der Ministerpräsident musste sogar im Beisein von Journalisten den Innenstaatssekretär, den Regierungspräsidenten und den Landrat kurzfristig an den Deich zitieren, um aufgebrachte Bürger zu beruhigen. In der Tat scheint es so, dass die Landesregierung erst endgültig aufwachte, als in der Zeitung kommentiert wurde, Sachsen-Anhalt habe - ich zitiere - „keinen Deichgrafen“. Denn einen Tag später sah man plötzlich in zahlreichen Zeitungen schöne bunte Bilder mit Aktivitäten von Mitgliedern der Landesregierung.

(Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

- Das ist kein Quatsch; ich kann Ihnen die Bilder sogar zeigen. Ich will jetzt nicht weiter darauf eingehen.

(Herr Gürth, CDU: Es geht nicht um die besten Schauspieler, sondern darum, dass man han- delt!)

In diesem Sinne hoffe ich für die Zukunft, dass die richtigen Lehren daraus gezogen werden und schnell gehandelt wird, dass Gelder an die Betroffenen fließen, wie vom Ministerpräsidenten bereits angekündigt, und dass solche Pannen nicht mehr passieren.

Herr Professor Böhmer, Sie haben den Satz des Bundeskanzlers - ich habe auch die Resonanz auf der rechten Seite gehört -, dass niemand nach der Flut materiell schlechter gestellt werden soll, als mutig bezeichnet. - Dem stimme ich zu. Diese Aussage war mutig, aber sie war und ist richtig. An diesem Ziel müssen alle mitwirken, Bund, Länder, Kommunen, Banken und Versicherungen.

(Lachen bei und Zurufe von der CDU)

- Natürlich, jeder hat seinen Anteil zu leisten,

(Beifall bei der SPD)

die Kommunen zum Beispiel bei der Genehmigung von Bauten.

(Zurufe von der CDU)

- Ich weiß, dass Sie mit dem Satz Probleme haben.

(Herr Stahlknecht, CDU: Ja, weil er nicht der Wahrheit entspricht!)

Für Streit- und Härtefälle steht das Fluthilfekuratorium in einer besonderen Verantwortung. In diesem Zusammenhang war ich im Übrigen auch froh, als ich heute Morgen in der Zeitung lesen konnte, dass eine Lösung für die Grundwasserschäden gefunden werden konnte. Professor Böhmer hat bereits darauf hingewiesen. Wir sind also schon auf dem richtigen Wege. - Ihnen hat der Satz nicht gepasst, und das ärgert Sie heute noch. Das ist alles.

(Oh! bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich halte es auch mit dem Bundeskanzler, wenn er sagt: Ebenso wichtig wie die Fürsorge für die Opfer des Hochwassers ist uns die Vorsorge vor künftigen Hochwassern. Die Gefahrenvorsorge darf sich allerdings nicht - so wichtig die Deichsanierung in Sachsen-Anhalt natürlich ist - auf die Erhaltung und den Ausbau von Deichen und Dämmen beschränken;

(Herr Stahlknecht, CDU: Was habt ihr denn acht Jahre daran gemacht? - Weitere Zurufe von der CDU)

denn mit diesen Maßnahmen doktern wir nur an den Symptomen der Umweltprobleme herum. - Wenn Sie jetzt fragen, was wir in den letzten acht Jahren gemacht haben, sage ich Ihnen: Fragen Sie bitte mal den Staatssekretär im Finanzministerium, der war früher zuständig für solche Fragen und hat hier nicht das Beste geleistet.