Dabei sollten wir vor uns selbst nicht verschweigen, dass die Haushaltssituation in den neuen Bundesländern durchaus sehr unterschiedlich ist. Aufgrund konsequenter eigener Politik steht Sachsen wesentlich besser da als Sachsen-Anhalt. Es überzeugt nicht, die Gründe dafür nur bei anderen zu suchen. Wer sie wissen will, muss sich nur einmal die Protokolle über die parlamentarischen Haushaltsberatungen der letzten Jahre durchlesen. Das löst zwar unsere eigenen Probleme nicht, sollte aber wenigstens vor der Wiederholung einmal gemachter Fehler und politischer Konstellationen in diesem Lande bewahren.
Eines ist sicher: Wir werden unsere selbst gemachten Schulden nicht bei anderen abladen können. Für unsere Position in der Föderalismusdebatte bedeutet dies, dass
ein reiner Wettbewerbsföderalismus bei den derzeit ungleichen Ausgangspositionen für Sachsen-Anhalt völlig inakzeptabel sein muss.
Aus der Interessenlage unseres Landes heraus werden wir einen kooperativen Gestaltungsföderalismus anstreben, der den Wettbewerb in jenen Bereichen zulässt, in denen zwischen den Ländern Chancengleichheit besteht, und der solidarische Strukturen zwischen den Ländern festschreibt, um die Chancengleichheit zu erhalten und in den Bereichen zu schaffen, in denen sie noch nicht besteht.
Diese Position wird von einer Mehrheit der Länder geteilt. Sie auszufüllen bedarf noch vieler Vereinbarungen und Absprachen. Unstrittig sind inzwischen die zu einem nationalen Stabilitätspakt gefundenen Regelungen mit einer Neuformulierung des Artikels 109 GG und zur EUHaftung, die in Artikel 104 GG neu geregelt werden soll. Damit binden sich die Länder in die gesamtstaatliche Verantwortung ein.
Konkret bedeutet das, dass niemand in einem Land Ausgabeversprechungen machen kann, die er nicht mit eigenen Einnahmen finanzieren kann - wenigstens nicht, solange es dafür keinen gesamtstaatlichen Konsens gibt. Die übermäßige Verschuldung eines Landes belastet nämlich auch die anderen mit. Eine ausschließliche Haftung nach dem Verursacherprinzip, wie sie von einigen Ländern gewünscht wurde, würde aber den unterschiedlichen Ausgangssituationen ebenfalls nicht gerecht werden. Für Sachsen-Anhalt habe ich der jetzt gefundenen Kompromisslinie zugestimmt; durchaus in der Hoffnung, dass sie niemals aufgrund unseres Verschuldens greifen muss.
Bundesgesetze, die die Länder finanziell verpflichten, werden immer Zustimmungsgesetze bleiben. In einigen Bereichen waren die Länder bereit, auf Zustimmungsrechte im Bundesrat zu verzichten, wenn in anderen Bereichen originäre Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder übertragen werden. Nicht allein die Mitwirkung an der Rechtsetzung des Bundes entspricht dem Staatscharakter der Länder, sondern vor allem die Gesetzgebung aus eigenem Recht.
Das bedeutet, dass eine klare Abschichtung der Kompetenzen von Bund und Ländern nach dem Prinzip der Subsidiarität zu erfolgen hat. Der Staat muss von den Bürgern her gedacht werden, er muss von unten nach oben organisiert werden. Nur das, was die Kommunen nicht leisten können, gehört auf die Zuständigkeitsebene der Länder. Nur das, was die Länder nicht leisten können - auch nicht durch Koordination untereinander -, gehört in die Zuständigkeit des Bundes.
Wenn Chancengleichheit besteht, ermöglicht ein solcher Gestaltungsföderalismus einen gesunden Wettbewerb um die besten Lösungen. Dabei geht es nicht um eine ungesunde Konkurrenz, sondern um ein lernendes System, das neuen politischen Ideen und Lösungsvorschlägen eine Chance gibt. Auch eine innerstaatliche Ordnung muss innovationsoffen sein. Das geht am besten, wenn unterschiedliche Konzepte regional erprobt werden können.
Nach dem Vollzug der Kreisgebietsneugliederung werden wir hier in Sachsen-Anhalt in einer zweiten Stufe der Verwaltungsreform nach den gleichen Prinzipien darüber entscheiden, was Gemeinden und Kreise selbst regeln
können und was auf der Landesebene verbleiben muss. Aber die Erfahrungen aus der Finanzsituation zum Beispiel mancher Abwasserzweckverbände lehren, die Dinge so zu gestalten, dass das Land nicht erst zur Behebung von auf kommunaler Ebene selbst verschuldeten Notlagen in die Pflicht genommen wird. Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern soll das gleiche Problem mit einem nationalen Stabilitätspakt eingefangen werden.
Unter diesen prinzipiellen Gesichtspunkten soll der Bund künftig auf Regelungen der Behördenorganisation ganz verzichten und die Regelung des Verwaltungsverfahrens den Ländern überlassen. Das gilt prinzipiell für alle nach der Grundgesetzänderung vom Bundestag verabschiedeten und nicht im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze. Offen und bis heute noch etwas umstritten ist die Frage der Anwendung auf die bereits bestehenden Gesetze. Darüber wird zurzeit noch auf Arbeitsebene diskutiert. Dafür wird gegenwärtig noch eine Übergangsregelung gesucht.
Da die Länder keine eigene Steuergesetzgebungskompetenz haben, wäre es naheliegend, die Steuerverwaltung ausschließlich dem Bund zu überlassen. Das allerdings haben die meisten Länder abgelehnt. Solange das bisherige Verteilungssystem besteht, soll die Steuerverwaltung von Bund und Ländern gemeinsam verantwortet werden. Andererseits soll die Übertragung von haushaltsrelevanten Aufgaben durch den Bund an die Kommunen zukünftig grundsätzlich unterbleiben. Das Projekt der optierenden Kreise in der Arbeitsverwaltung als Bundesaufgabe war insofern die letzte Ausnahme.
Ganz offensichtlich scheint sich dieses Modell aber zu bewähren. In den nächsten Jahren wird deshalb dieses Modell sicherlich noch zu erheblichen Grundsatzdiskussionen Anlass geben. Aber solange noch erhebliche Unterschiede in der Steuerkraft und in der Arbeitslosenquote unter den Ländern bestehen, sind wir an einer Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung ohne Neuverteilung des Steueraufkommens nicht interessiert.
Mit Ausnahme von Sachsen waren die neuen Bundesländer bisher nicht aktiv an der Übernahme der vollen Arbeitgeberkompetenz für die eigenen Beamten interessiert. Rechtssystematisch ist das zwar logisch und insofern ist diese Forderung der Länder begründet, andererseits waren es aber die Länder selbst, die in den frühen 70er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts die Tariffindung dem Bund übertragen haben.
Aus meiner Sicht wird die jetzt mehrheitlich gewollte Lösung nicht am Votum Sachsen-Anhalts scheitern. Wir werden aber unsererseits darauf achten, dass die Tarifgemeinschaft deutscher Länder eine Koordinierungsfunktion für die Länder untereinander übernimmt. Die Verhandlungsführung durch die Länder hat sich in diesem Bereich ohnehin bewährt.
Für den Bund bedeuteten Tariferhöhungen regelmäßig mehr Steuereinnahmen, als die Erhöhung der eigenen Personalausgaben ausgemacht hatte. Das ist bei den Ländern umgekehrt, weshalb sie zukünftig für sich selbst verhandeln wollen. Der Bund hat eine Personalkostenquote von unter 20 %, die Länder haben Personalkostenquoten von bis zu 50 %. Besonders die südwestlichen Länder fordern deshalb im Sinne der Eigenständigkeit die Organisations- und Personalhoheit für die eigenen Bediensteten zurück. Ich bin bereit, dies mitzutragen, weil wir die Solidarität dieser Länder in anderen, für uns existenziellen Fragen brauchen.
Für viele Länder war und ist eine umfassende eigene Bildungskompetenz wichtig. Bundesweit vergleichbare Standards, insbesondere bei der Zulassung und bei den Abschlüssen, können die Länder untereinander selbst koordinieren. Gemeinsame Standards in der Qualitätssicherung bedürfen nicht der Einflussnahme des Bundes und dürfen einen notwendigen Qualitätswettbewerb untereinander nicht konterkarieren.
Die in Vergleichsstudien festgestellten unterschiedlichen Ergebnisse der Länder können zu einer Ergebnisverbesserung in allen Ländern führen. Eine zentralistische Bundeseinheitlichkeit führte dagegen eher zu einer Erstarrung des Systems und nicht zu einem sich selbst beflügelnden Wettbewerb um die besseren Lösungen.
Die ungehinderte Mobilität der Menschen in Deutschland muss nicht leiden, wenn die Koordinierung über die Kultusministerkonferenz funktioniert.
Der Wegfall der Mischfinanzierung Hochschulbau ist für die neuen Länder akzeptabel. Mit Artikel 143 neu des Grundgesetzes ist eine Übergangsregelung bis zum Auslaufen des Solidarpaktes vorgesehen, nach der zunächst bis Ende des Jahres 2013 die durchschnittlichen Finanzierungsanteile des Bundes aus dem Referenzzeitraum von 2000 bis 2008 weitergezahlt werden. Das schafft mehr Planungssicherheit, als wir sie vorher hatten. Es wird dann von uns selbst abhängen, wie wir in einem solchen Wettbewerb abschneiden.
Wenn wir in jeder Legislaturperiode aus ideologischen Gründen grundsätzliche Bildungsstrukturen immer wieder ändern, werden wir verlieren und den Kindern im eigenen Land schaden.
Auch das beste System braucht Zeit, um sich bewähren zu können. Nach den letzten Reformen sind wir jetzt gut aufgestellt und brauchen den Wettbewerb mit anderen nicht mehr zu fürchten.
Auch für die Hochschulen haben wir bereits mit einer kooperativen Strukturreform und einem gemeinsamen Wissenschaftszentrum die Voraussetzungen für einen Wettbewerb mit anderen geschaffen. Für die Teilnahme an Exzellenzprogrammen brauchen wir noch innovative Formen der Zusammenarbeit, über die gegenwärtig diskutiert wird. Über ein Wissenschaftszentrum des Landes werden sie organisierbar, wenn die einzelnen Einrichtungen ihrerseits zu einer intensiveren Zusammenarbeit bereit sein werden. Die strukturellen Voraussetzungen dazu sind zumindest geschaffen worden.
Wir sind auch im Bereich der alternativen Energieerzeugung, sowohl der Fotovoltaik als auch der nachwachsenden Rohstoffe, gut aufgestellt. Für die Entwicklung des Wissenschaftsstandortes wäre es sinnvoll, unsere wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Potenziale auf die Effizienzverbesserung und Kostensenkung im Bereich der alternativen Energieerzeugung zu konzentrieren. Das sind absolute Zukunftstechnologien.
Das Land, das in diesem Bereich als erstes marktführende Produzenten hat, kann für sich daraus einen erheblichen Standortvorteil machen.
Wir sind ebenfalls gut aufgestellt im Bereich der Landwirtschaft und der Ernährungsgüterindustrie. Durch die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, durch marktgesteuerte Kundenorientierung und durch zunehmende Bioenergiegewinnung sind wir in diesem Bereich auf die Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes gut vorbereitet.
Die Produktivität pro Arbeitsplatz ist in dieser Branche im bundesweiten Vergleich am höchsten. Es verwundert deshalb nicht, dass unsere Landwirte im letzten Jahr bundesweit die höchsten Einkommen je Betrieb hatten.
Das trifft mit geringen Einschränkungen auch auf die chemische Industrie zu. Besonders in diesem Bereich ist die Produktivität pro Arbeitsplatz in Sachsen-Anhalt höher als im Bundesdurchschnitt. Wir haben hochmoderne Arbeitsplätze, aber leider noch zu wenig davon.
Während man vor zehn bis zwölf Jahren in der chemischen Industrie noch mit einer Kapitalinvestition von ca. 1 Million DM pro neuen Arbeitsplatz rechnen musste, sind es gegenwärtig mehr als 1 Million €. Im Vergleich zu den großen internationalen Konzernen sind unsere Standorte einfach noch zu klein. Durch Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen versuchen wir ihnen zu helfen, selbst zu wachsen.
In einem von uns mit initiierten Verband der Chemieregionen der EU hat das Land Sachsen-Anhalt gegenwärtig den Vorsitz. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die so genannten Reach-Vorschriften ist es gelungen, den eigenen Chemiestandort vor einer Überregulierung zu bewahren.
In den anderen Wirtschaftszweigen haben wir in den letzten Jahren durchaus aufgeholt, sind aber im Länderranking noch nicht über die Mittelfeldposition hinausgekommen. Nur wer weiß, wo wir vor vier Jahren standen, weiß auch, dass wir uns trotzdem deutlich verbessern konnten.
Die Auswirkungen unserer Arbeit auf den Arbeitsmarkt beginnen auch dort erkennbar zu werden. SachsenAnhalt - das hat sich offensichtlich bis zu den letzten Kritikern langsam herumgesprochen - ist nicht mehr das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit und es hat auch alle Chancen, es nicht mehr zu werden.
Trotzdem sind wir mit dem Ergebnis noch lange nicht zufrieden. In den letzten Monaten haben wir mit innovativen Arbeitsmarktprojekten auf der Grundlage der gegenwärtigen Gesetzgebung bundesweit Aufmerksamkeit gefunden. Ich beobachte mit Interesse, wie immer mehr Länder das mit geringen Variationen nachmachen und dann als bundesweite Neuerung anbieten. Dadurch ist eine bundesweite, zum Teil sehr grundsätzliche Diskussion über Reformen in der Arbeitsmarktpolitik in Gang gekommen, an der wir uns mit eigenen Erfahrungen beteiligen.
Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass es zwischen dem geschützten, mit Sozialtransfers finanzierten, nicht nachfrageregulierten Arbeitsmarkt einerseits und dem freien tariffinanzierten, wettbewerbs- und nach
frageorientierten Arbeitsmarkt andererseits einen Zwischenbereich geben muss. Das wäre dann ein teiltarif- und teiltransferfinanzierter, gestützter, gemeinwohlorientierter und dadurch wirtschaftsferner Arbeitsmarktbereich.
Mehrere Länder suchen gegenwärtig dafür nach Umsetzungsmodellen. Zwangsläufig muss dabei die Frage entschieden werden, welchen Mindesttarif der Arbeitgeber als Träger solcher Maßnahmen als Eigenanteil gewährleisten muss und ab welcher Einnahmenhöhe die Stützung durch Sozialtransfers aufhören muss. In diese grundsätzliche Diskussion können alle neuen Bundesländer eigene Erfahrungen einbringen - auch wir und wir tun dies.
In die Infrastrukturentwicklung des Wirtschafts- und des Wissenschaftsstandortes, in die Bildungs- und die Arbeitsmarktpolitik haben wir in den letzten Jahren viel Geld investiert. Inzwischen sind wir aber auch das Flächenland mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben im Haushalt und mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Dieses statistische Ergebnis ist nur zum geringsten Teil durch die abnehmende Einwohnerzahl bedingt. Ich bin mir sicher, dass bei zukünftigen Haushaltsberatungen Benchmarking-Vergleiche zwischen den Ländern wichtiger sein werden als noch so eloquent vorgetragene Ressortforderungen.
So hat zum Beispiel das Saarland beim Bundesverfassungsgericht geklagt, um die Fortsetzung von Bundessonderergänzungszuweisungen zu erzwingen. Die Stellungnahme der anderen Landesregierungen dazu sollte wenigstens zur Pflichtlektüre für diejenigen werden, die sich mit Haushaltsfragen beschäftigen müssen. Die bevorstehenden Föderalismusgespräche zur innerdeutschen Finanzstruktur werden sich nämlich bis in jedes Parlament hinein auswirken.
Wenn in einem anderen Land gleiche oder sogar bessere Ergebnisse mit geringerem Finanzierungsaufwand erzielt werden, dann ist das eben kein Finanzproblem mehr, sondern ein Struktur- oder ein Organisationsproblem. Wer daraus die richtigen Konsequenzen gezogen hat, der wird sich innerhalb des föderalistischen Aufbaus der Bundesrepublik einen Vorteil verschaffen können. Damit erweist sich dieses System als ein lernendes und sich selbst optimierendes System, das einem zentralistischen Staatsaufbau überlegen ist.
Wir müssen noch lernen - das sage ich auch deutlich -, daraus die Chancen für uns zu ergreifen und die Chancen zu nutzen, die in einem solchen System liegen.
Unsere eigenen Probleme wollen und werden wir auch zukünftig auf unsere eigene Weise lösen. Das Land Sachsen-Anhalt hat als erstes Land mit den zuständigen Gewerkschaften zum solidarischen Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündungen eine eigene Vereinbarung getroffen, zu der wir vollinhaltlich stehen und bei der wir keine Uminterpretation zulassen werden.