Der Minister ist inzwischen eingetroffen. Wir haben natürlich volles Verständnis. Das Ganze hat sich derart rasant nach vorn verlagert. Aber ich habe bisher nur das skizziert, was es im Sommerloch an Verlautbarungen des Ministers gegeben hat.
Die Biotechnologie - das war der letzte Punkt in der Reihe im Sommerloch - wird nur noch gefördert, wenn es
um besondere und erfolgsträchtige Projekte geht. - So weit die Botschaft von Wirtschaftsminister Haseloff aus dem Sommerloch.
Es ist, meine Damen und Herren, eine merkwürdige Botschaft für ein Land wie Sachsen-Anhalt, in dem sich bisher eigentlich alle Wirtschaftspolitiker darin einig waren, dass die Zukunft in forschungsintensiven und modernen Branchen der Hochtechnologie liegt. Dazu zählt nun einmal völlig unstrittig die Biotechnologie. Dies gilt gerade in unserem Land, das auf eine stolze Tradition im Bereich der Pflanzenzucht, der Chemie, der Pharmazie und der Ernährungs- und Landwirtschaft blicken kann. Gerade da knüpft die moderne Biotechnologie an.
Die Botschaft von Minister Haseloff ist auch deshalb merkwürdig, weil sie wichtige Tatsachen außer Acht lässt, die für die Beurteilung der bisherigen Entwicklung der Biotechnologie von größter Bedeutung sind. In der roten und der grünen Biotechnologie, also der medizinischen und der Nahrungsmittelbiotechnologie, arbeiten heute immerhin fast 2 500 Menschen im Land, rund 400 mehr als noch im Jahr 2003, als die Offensive begann.
Dass es nicht noch mehr sind, liegt an dem typischen Innovationszyklus in der Branche. Ein marktfähiges Produkt zu entwickeln, genehmigen zu lassen und dann zu produzieren - bitte bedenken Sie, dass Genehmigungsverfahren in Deutschland außerordentlich kompliziert sind -, dauert gut acht bis zehn Jahre. In diesem Zeitraum ist praktisch gar kein Verkauf möglich. Deswegen haftet dieser Branche so ein großes Risiko an, sodass Kapital im Grunde genommen nur auf dem VentureKapital-Markt bzw. durch öffentliche Förderung in die Branche zu lenken ist. Das heißt, die Unternehmen finanzieren sich während dieser kritischen Phase durch Risikokapital und Fördergelder.
Demzufolge war auch realistischerweise nie zu erwarten, dass - sagen wir einmal ganz grob - vor dem Jahr 2010 oder 2011 eine massive Beschäftigungswelle von den neu gegründeten Biotech-Firmen ausgehen könnte. Erst danach geht es bei den meisten der knapp 90 Unternehmen im Land an die Herstellung markfähiger Produkte. Und erst dann ist im Erfolgsfall mit deutlichen Beschäftigungszuwächsen zu rechnen, wobei man bedenken muss, dass dann noch einmal ein standortpolitisches Problem kommt, nämlich die entsprechende Produktion im Lande zu halten.
Wir hoffen natürlich alle, dass das in dieser Branche gelingt. Aber wenn es gelingt, dann gibt es auch entsprechende Beschäftigungszuwächse. Aber es ist aus unserer Sicht ein Zeichen einer unangemessenen politischen Kurzatmigkeit und nicht einer durchdachten und langfristig nachhaltig angelegten Standortpolitik, wenn zum jetzigen Zeitpunkt schon irgendwelche riesigen Erfolge verlangt werden.
Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsminister meint offenbar noch etwas anderes. Er meint nämlich, dass es wegen der gentechnologischen Skepsis in der deutschen Bevölkerung gar keinen Markt für die Produkte der Biotechnologie gibt. So verlautbarte es zumindest. Ich bin gespannt, wie er das heute im Plenum darstellt. Vielleicht wird das an dieser Stelle noch einmal zurechtgerückt. Ich hoffe es jedenfalls; denn diese Ansicht ist eigentlich völlig unverständlich. Wenn Sie erlauben, will ich es sehr drastisch formulieren: Es ist auch sehr provinziell gedacht.
Zum einen wird ein Großteil der innovativen Produkte im Bereich der roten, also der medizinischen Biotechnologie anfallen. Dagegen gibt es selbst in Deutschland gar keine Widerstände. Im Gegenteil: Diabetiker überall auf der Welt und allemal in Deutschland sind glücklich über gentechnisch produziertes Insulin. Das berühmte Medikament Epo wird nicht nur für Doping missbraucht, wie man den Sportteilen der Zeitungen entnehmen kann, sondern es zirkuliert in den Blutkreisläufen von Millionen von Patienten. Die sind glücklich darüber; denn es rettet ihre Lebensqualität. Manchmal rettet es auch ihr Leben, meine Damen und Herren.
Das muss man immer wieder deutlich zum Ausdruck bringen, wenn gelegentlich selbst ernannte Moralisten, die es in Deutschland zuhauf gibt, uns ethisch und moralisch belehren, was die Gentechnologie betrifft.
(Herr Gürth, CDU: Völlig richtig! - Frau Bull, DIE LINKE: Ich stimme Ihnen zu, aber ein Span- nungsfeld ist zumindest da! Nicht dass man die anderen diskreditiert!)
- Nun gut. Aber Sie stimmen sicherlich auch zu, dass die gentechnologische Debatte insgesamt eine ziemliche Asymmetrie in diesem Punkt aufweist.
Aber wie dem auch sei, ganz klar ist - das ist eigentlich völlig unstrittig -: Von einer Marktsättigung in diesem Bereich kann überhaupt nicht die Rede sein. Bei der roten Biotechnologie erwarten alle noch satte Zuwachsraten. Die rote Biotechnologie spielt in unserem Land eine sehr beachtliche Rolle, wenn man zum Beispiel auch an den Weinberg-Campus in Halle denkt.
Bei der grünen Biotechnologie mag dies, was die Akzeptanz betrifft, in Deutschland heute noch anders sein. Zu viele Ängste sind in den letzten Jahren, ich möchte fast sagen: Jahrzehnten geschürt worden - gerade auch von einer so genannten grünen Politik, die nicht erkennen will, dass die grüne Biotechnologie gerade die Chance bietet, auf einen großflächigen Einsatz zum Beispiel von Pestiziden zu verzichten und damit letztlich die Welt nicht vergiftet, sondern eher entgiftet.
Aber wie dem auch sei, nicht der deutsche Lebensmittelmarkt zählt, sondern der Weltmarkt, wie übrigens bei allen anderen Gütern auch. Wir wohlernährten Europäer befinden uns da in einer manchmal sehr bequemen Position. Für viele, viele Menschen in armen Entwicklungsländern sieht das anders aus. Dort gibt es eine große Nachfrage nach Nahrungsmitteln, die weit verbreitete Mangelerscheinungen lindern helfen. Ein gutes Beispiel dafür ist der so genannte goldene Reis, den übrigens ein deutscher und ein Schweizer Forscher entwickelt haben und der Millionen von Kindern in armen Entwicklungsländern vor der Erblindung retten könnte, weil er mit dem wichtigen Vitamin A angereichert ist.
Meine Damen und Herren! All dies macht, wenn man auf den Weltmarkt blickt, in der roten, in der grünen Biotechnologie klar: Das Land Sachsen-Anhalt ist gut beraten, die Offensive in der Biotechnologie unvermindert
fortzusetzen, und es ist gut beraten, eine umfassende Evaluierung der Erfolge, eine Bilanz erst dann vorzunehmen, wenn eine solche Bilanz sinnvoll ist. Dies dürfte nach vernünftiger Abwägung aller Umstände erst im Jahr 2011 etwa der Fall sein.
Bis dahin, Herr Minister, gilt es einen geraden Kurs und keinen Schlingerkurs zu fahren. Erfolgreiche Wachstums-, Innovations- und Standortpolitik braucht einen langen Atem. Genau deshalb bitten wir das Hohe Haus, unserem Antrag auf unveränderte Fortsetzung der Biotechnologie-Offensive zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Vonseiten der Regierung muss, einmal völlig unabhängig von dem Antrag und der weiteren Perspektive, was die Förderung betrifft, ein Weiteres hinzukommen. Es betrifft den Stil der öffentlichen Auseinandersetzung. Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden.
Wenn ein Wirtschaftsminister an den Zukunftschancen einer Zukunftsbranche des Landes öffentlich zweifelt, dann ist das für den Standort schon nicht günstig. Aber wenn der Ministerpräsident noch eins draufsetzt und über die Gehälter in der Branche wettert, dann ist das nun wirklich alles andere als ein gutes Signal.
Ein innovationsfreundliches Klima entsteht nicht allein durch monetäre Förderung; auch die Identifikation der politischen Entscheidungsträger mit der Spitzenforschung ist vonnöten. Ohne dieses Bekenntnis wird sich kein Forschungsunternehmen im Land wohlfühlen können und willkommen geheißen sehen. Es werden in Zukunft keine Start-ups nach Sachsen-Anhalt kommen und Sachsen-Anhalt als Unternehmenssitz wählen, wenn wir öffentlich in dieser Weise über die Branche reden.
Ohne den politischen Rückhalt haben wir keine Chance, das zu werden, was wir wirtschaftlich einmal werden wollen: ein Land wie Baden-Württemberg oder Bayern. Es wird uns dann eben doch nicht gelingen, deutschlandweit Spitzenkräfte anzuwerben und sie ins Land zu holen, von ausländischen Spitzenkräften ganz zu schweigen, denen diese Diskussion vollkommen fremd ist und die dafür nicht das geringste Verständnis aufbringen.
Das Gegenteil wird dann eintreten: Die vorhandenen Spitzenforscher werden abwandern, und zwar in jene Regionen, die ein attraktiveres Umfeld bieten, dahin, wo ihre Existenzberechtigung nicht aufgrund kurzfristiger, aktueller politischer Stimmungsmache angezweifelt wird.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich, dem Antrag der FDP-Fraktion zuzustimmen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Bevor wir nun Herrn Minister Haseloff hören, haben wir die Freude, Schülerinnen und Schüler der Albert-Schweitzer-Schule aus Aschersleben auf der Südtribüne zu begrüßen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf Ihren Antrag zu sprechen komme, Herr Profes
sor Paqué, lassen Sie mich kurz ausführen, wie sich die Situation im Bereich der Biotechnologie rund vier Jahre nach Beginn der Biotechnologie-Offensive darstellt.
Das Land und korrespondierend die IBG haben im Rahmen dieser Offensive signifikante Beträge in den Bereich Biotechnologie investiert. Insgesamt sind dies seitens des Landes nach unseren Informationen ca. 150 Millionen € in Form verlorener Zuschüsse sowie 65 Millionen € in Form von Beteiligungen seitens der IBG.
Von der IBG wurden bisher 18 Beteiligungen in diesem Technologiebereich eingegangen. Dadurch wurden rund 400 zumeist hochwertige Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten. Einige Beteiligungen sind wissenschaftlich und marktlich bedingt terminiert worden bzw. werden nicht weiter verfolgt werden können. Das ist aber heute, denke ich, nicht das Thema.
Neben den Beteiligungsverhältnissen der IBG in der Vergangenheit sind aber auch zusätzliche Fördermittel in den Bereich der Biotechnologie-Infrastruktur geflossen. Das betrifft sowohl den Aufbau des Bioparks in Gatersleben als auch die Errichtung bzw. den Ausbau des Technologiezentrums in Halle, insbesondere des TGZ II und des TGZ III. In Magdeburg betrifft es Zenit I und Zenit II, zumindest den Fachleuten ein fester Begriff, was diese Branche anbelangt.
Darüber hinaus sind allein zwischen 2003 und 2006 insgesamt 44 FuE-Projekte aus dem Bereich Biotechnologie mit rund 21 Millionen € aus EFRE-Strukturfondsmitteln gefördert worden. Das sind 15 % des Gesamtvolumens der zwischen 2000 und 2006 seitens des Landes ausgereichten FuE-Fördermittel, also ein deutlich überproportionaler Anteil.
Insgesamt sind im Land etwas mehr als 40 Biotechnologieunternehmen mit rund 5 500 Mitarbeitern tätig. Seit Beginn der Offensive ist die Zahl der Beschäftigten in diesem Wirtschaftsbereich um etwa 950, also um 14,5% gestiegen. Dieser Anstieg geht jedoch zum überwiegenden Teil auf einen starken Beschäftigungszuwachs im Bereich der klassischen pharmazeutischen Industrie zurück. Aus den Bereichen Pflanzenbiotechnologie und Umweltbiotechnologie ist jedoch kein Zuwachs in diesem Zeitraum zu vermelden.
Bei der Betrachtung der Beschäftigtenzahlen zeigt sich somit, dass trotz intensiver Förderung vor allem in den neuen so genannten Lifesciences nicht der erhoffte Beschäftigungseffekt erzielt werden konnte, da von den genannten Mitarbeitern weiterhin mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Bereich der seit Jahrzehnten in Sachsen-Anhalt vorhandenen starken pharmazeutischen Industrie, der klassischen Züchtungsforschung, heute als Biotechnologie erfasst, sowie der Medizintechnik tätig sind. Letztere werden allein aus systematischen Gründen auch unter dem Begriff „Lifesciences“ zusammengefasst - früher wurden sie branchenmäßig gesondert geführt -, sodass es oftmals statistisch zu Überlappungen der Darstellung kommt, was neue Lifesciences im originären Sinne sind und was letztlich klassische Strukturen sind, die es hier immer gegeben hat.
Nun zu Ihrem Antrag. Zunächst einmal geht es nicht um die Frage eines Abbruchs der Biotechnologie-Offensive des Landes und eine Reduzierung der Fördermittel in diesem Bereich. Die in dem Antrag dargestellten Besonderheiten der Biotechnologiebranche in Bezug auf relativ langfristige Umsetzungszeiträume und die daraus resul
tierenden wirtschaftlichen Effekte sind uns durchaus bekannt und werden auch weiterhin Beachtung finden.
Auch aus der Sicht des Wirtschaftsministeriums zeichnen sich Investments in der Biotechnologie dadurch aus, dass sie einen sehr langen zeitlichen Vorlauf bis zum Exit benötigen, einen überdurchschnittlich hohen Kapital- und Förderungsbedarf im Sinne von FuE-Förderung haben, ein überdurchschnittlich hohes Risikoertragsprofil aufweisen, eine überdurchschnittliche Investitionssumme pro Arbeitsplatz aufweisen und einen sowohl zeitlich als auch qualitativ überdurchschnittlichen Betreuungsaufwand erfordern. Dessen sind wir uns bewusst. Das ist nicht der Grund dafür, dass wir diese Branche nicht weiter fördern werden. Es heißt jedoch nicht, dass sich nach vier Jahren der Biotechnologie-Offensive eine Zwischenbilanz der bisherigen Ergebnisse von vornherein verbietet.
Um die in Sachsen-Anhalt vorhandenen Innovationspotenziale exakt darzustellen und daraus schwerpunktmäßig zukünftige Handlungsempfehlungen mit dem Ziel der wirtschaftlich effektivsten Entwicklung dieser Potenziale ableiten zu können, hat mein Haus eine ClusterPotenzial-Studie in Auftrag gegeben. Dies ist übrigens im Koalitionsvertrag so vereinbart worden. In dieser Studie wird auch die Biotechnologiebranche vertiefend untersucht. Man hat dabei bereits interessante Ergebnisse zutage gefördert.
Bereits nach dem Vorliegen der ersten Ergebnisse habe ich die Vertreter der Biotechnologiebranche - konkret im Bereich der grünen, roten und weißen Biotechnologie sowie in den Bereichen der Pharma- und der Medizintechnikbranche - zu einem Branchen-Gespräch am 21. September 2007 eingeladen, um gemeinsam über geeignete Schritte zur weiteren Entwicklung der Gesamtstruktur zu diskutieren.
Eine wichtige Zielstellung des Branchengespräches ist es, die sich im Rahmen der Cluster-Potenzial-Studie abzeichnenden Entwicklungschancen der Biotechnologiebranche mit den wirtschaftlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Unternehmen des Landes abzugleichen und Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik aufzuzeigen.
Aus dem vorliegenden Material jedoch geht hervor, dass es an den Biotechnologiestandorten Magdeburg, Halle und Gatersleben trotz aller Anstrengungen bisher nicht gelungen ist, eine intrinsisch wie extern wirkende Attraktionskraft für neue Unternehmungsgründungs- oder Ansiedlungsinitiativen signifikanter Größe oder Qualität zu entwickeln. - Das sind wörtliche Zitate.