Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass die Sicherung des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften eines der wichtigsten Kriterien für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist. Wir kennen es aus der Unternehmensberatung und von den Instituten, die uns darauf hinweisen, dass insbesondere - ich betone: insbesondere - hoch qualifizierte Fachkräfte und Akademiker gebraucht werden.

Hier ein paar Zahlen, wie viele Schüler die allgemeinbildenden und die berufsbildenden Schulen mit einer allgemeinen bzw. Fachhochschulreife verlassen:

Im Jahr 2009 waren 18 461 Schülerinnen und Schüler Abgänger der allgemeinbildenden Schule. Davon verfügten 6 489 Schülerinnen und Schüler über eine allgemeine Hochschulreife und 568 Schülerinnen und Schüler über eine Fachhochschulreife. Das heißt, ca. 38 % hatten eine der beiden Hochschulzugangsberechtigungen.

Etwas anders sieht es an den berufsbildenden Schulen aus. Dort betrug dieser Anteil um die 10 %. Es erlangten zu wenig Schülerinnen und Schüler die allgemeine Hochschulreife oder die Fachhochschulreife. Entscheidend ist die Frage, welche Schlussfolgerungen zieht man aus diesen Zahlen.

Deshalb, meine Damen und Herren, teile ich die in der Begründung zu dem Antrag der FDP formulierte Schlussfolgerung nicht, denn die FDP strebt keine generelle Erhöhung der Hochschulzugangsberechtigtenquote an, sondern sie möchte lediglich den Anteil der an den berufsbildenden Schulen erworbenen Hochschulzugangsberechtigungen erhöhen.

Das, meine Damen und Herren, ist die andere Seite der Medaille; denn dabei handelt es sich quasi um eine Umleitung. Es geht um die Entscheidung, nach der 4. Klasse ans Gymnasium zu gehen, also den klassischen Weg

zu wählen, oder aber in die Sekundarschule zu gehen und dann über den anderen Weg dorthin zu kommen. Es ist also eine Umleitung. Man möchte den Schülerinnen und Schülern die Sekundarschule damit „schmackhaft“ machen, dass sie im Rahmen einer anschließenden Berufsausbildung eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben können.

Das kann man machen, das ist nicht verboten, aber auch das dauert länger. Vor allen Dingen muss man diese Entscheidung nach der 4. Klasse fällen. Das ist vom Prinzip her eigentlich zu früh.

Der Hintergrund ist, dass dadurch die Gymnasien entlastet und die Sekundarschulen aufgewertet werden sollen. Auch das kann man wollen, aber das Hauptproblem - weil diese Entscheidungen grundsätzlich so früh fallen -, das wir heute haben, ist hausgemacht. Es besuchen angeblich zu viele und die falschen das Gymnasium und andere in der Fläche bekommen große Probleme.

Dazu sage ich: Hoppla, aufpassen! Was soll das jetzt? Andere OECD-Staaten haben Hochschulzugangsberechtigtenquoten von 50 bis 60 %. Der Wissenschaftsrat prognostiziert bis zum Jahr 2015 einen Bedarf von 30 % der Arbeitsplätze für Hochschulabsolventen, während bei uns gegenwärtig der Anteil der Hochschulabsolventen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 20 % beträgt.

Im Gegenzug - und das, meine Damen und Herren, ist die entscheidende Blickrichtung - prognostiziert der Wissenschaftsrat, dass der Anteil der Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeitsprofilen in den nächsten zwei Jahrzehnten unter 20 % fallen wird. Damit gehen die Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte weiter zurück. Das heißt, nicht die Kraft auf den Hauptschulbildungsgang, sondern auf höhere Qualifikationen legen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir brauchen insgesamt mehr Schulabgänger mit einer Hochschulzugangsberechtigung - mehr und nicht alle. Ich betone das noch einmal, weil das anscheinend immer nicht ankommt, aber eine gesunde Redundanz hilft ja bekanntlich beim Lernprozess.

Wir sollten uns darüber verständigen, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden können, das Ziel zu erreichen. Wir sollten aber auch fragen, warum nur etwa 10 % der Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen die Hochschulzugangsberechtigung anstreben. Vielleicht liegt es am Bekanntheitsgrad oder Nichtbekanntheitsgrad dieser Angebote. Das glaube ich jedoch nicht.

Ich denke, problematischer ist der Umstand - Frau Ministerin hat es angesprochen -, dass aufgrund der demografischen Entwicklung vielerorts keine Klassen mehr gebildet werden können. Auch hier könnte das Bremer Modell - ich sage es noch einmal - Abhilfe schaffen, ein Alternativmodell zum Gymnasium auch mit den Problemen in der Oberstufe - das sehe ich auch -, auch mit Möglichkeiten der Kooperation mit Berufsschulen. Wir brauchen flexible Lösungen. Dazu sind wir aufgefordert. Dazu fordert uns auch der Bildungskonvent auf.

Die LINKEN haben einen Änderungsantrag eingereicht. Wir schlagen vor, beide Anträge in den Bildungsausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Lange.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich habe das Gefühl, dass Sie die klassische Gymnasialbildung eher einer eng gefassten Elite vorbehalten wollen. Ich sage Ihnen - -

(Frau Feußner, CDU: Wir sind nicht in DDR-Zei- ten! Damals waren es 9 %! Das sollten Sie immer im Hinterkopf behalten!)

- Es ist doch gut, Frau Feußner, ich habe Sie doch gar nicht angesprochen.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

Ich sage Ihnen nur: Sie werden der Dynamik einer wissensbasierten Ökonomie nicht dadurch gerecht, dass Sie den Zugang zu höherer Bildung einengen, sondern nur dadurch, dass Sie das Niveau in Gänze heben werden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Gürth, CDU: Es war doch immer Politik der LINKEN: einengen, einsperren! - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Selbstverständlich kann man dem Antragstext der FDP zustimmen. Es ist immer gut, wenn möglichst viele Menschen Kenntnis über die Bildungswege in SachsenAnhalt haben. Gleichwohl greift dieser Antrag unseres Erachtens zu kurz.

Unser Änderungsantrag zielt daher darauf ab, Menschen mit anderer Bildungsbiografie den Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern. In der Antwort auf die Große Anfrage zur Qualifizierungsinitiative des Bundes kann man nachlesen, dass derzeit nicht einmal 1 % der Studierenden über den dritten Bildungsweg an die Hochschulen gekommen ist.

Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf, den auch die Landesregierung erkennen lässt. In der gleichen Antwort berichtet sie über eine KMK-Initiative zur Analyse des Sachstandes und zur Vereinheitlichung der entsprechenden Regelungen. Zudem sollte die Hochschulqualifikationsverordnung entsprechend geändert werden. Ich weiß nicht, ob das in dem Sinne schon geschehen ist.

Unser Antrag soll hier noch einmal den nötigen Rückenwind geben, damit die Hochschulen für beruflich Qualifizierte stärker geöffnet werden. In einer Zeit, in der Zielvereinbarungen verhandelt werden, ist das vielleicht kein schlechtes Signal.

Hinzu kommt die Frage des Ausbaus der Weiterbildungsangebote an den Hochschulen und der vorherrschenden Studienbedingungen. Vielen, die berufsbegleitend studieren wollen, sind die derzeitigen Studienprogramme zu unflexibel. Daher sollten die Hochschulen verstärkt die Möglichkeit zum Teilzeitstudium eröffnen.

Meine Damen und Herren! Die Koalition hat eine Ausschussüberweisung beantragt. Dort haben wir die Möglichkeit, uns den Ist-Stand zu vergegenwärtigen und die geeigneten Maßnahmen zu diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Lange. - Für die CDU-Fraktion spricht Frau Feußner. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Antrag kann man vom Inhalt her nur unterstützen. Ein gutes System, das im Jahr 1991 eingeführt worden ist und sich bis heute nicht so durchsetzen konnte, wie wir es vielleicht erwartet haben - dies muss Ursachen haben. In anderen Ländern funktioniert es besser. Das ist vorhin angesprochen worden. Das macht auch der Antrag deutlich.

Es ist wirklich so, dass in Baden-Württemberg viel mehr Kinder und Jugendliche von dem zweiten Weg, zur Hochschule zu gelangen, Gebrauch machen. Es sind wesentlich mehr als in Sachsen-Anhalt. Wir sollten vielleicht Ursachenforschung betreiben bzw. dies ergründen. Das ist der Grund, warum wir diesen Antrag in den Ausschuss überweisen wollen. Einfach nur zu sagen: Das muss bekannter gemacht werden, damit macht man es sich zu einfach, sondern man muss wissen, woran es liegt.

Für mich ist eine mögliche Erklärung, dass das auch mit der gewonnenen Freiheit zusammenhängt, endlich ein Gymnasium zu besuchen. Deshalb wird diese zweite Möglichkeit, das Abitur über ein Fachgymnasium abzulegen, nicht gewählt. Es ist sicherlich immer noch den Köpfen: Früher war es eingeschränkt. Es durfte nur ein geringer Anteil von Schülerinnen und Schülern das Gymnasium besuchen. Es sind jetzt noch die Eltern, die zu DDR-Zeiten in die Schule gegangen sind. Deshalb ist dieser Drang, ans Gymnasium zu gehen, noch relativ hoch. Vielleicht verändert sich das zukünftig, sodass man die unterschiedlichen Wege mehr auslotet. Man muss sehen, ob es damit zusammenhängt. Aber das könnte eine Antwort darauf sein.

Frau Mittendorf, ich verstehe aber nicht, wenn Sie sagen: Wir könnten dieses Problem mit Oberschulen lösen, wie sie in Bremen bestehen. Diese bieten neben dem Gymnasium eine gymnasiale Oberstufe bis zum 13. Schuljahr an. Das ist mir wohl bekannt. Nur haben wir in Sachsen-Anhalt in vielen Fällen nur einzügige oder zweizügige Sekundarschulen. Können Sie mir sagen, wie wir dort noch einen gymnasialen Zweig anschließen wollen?

Wir bekommen schon jetzt aufgrund der demografischen Entwicklung unsere Schulen kaum voll bzw. sprechen ständig über Schulschließungen.

Ich hoffe, dass dieser Prozess erst einmal weitestgehend abgeschlossen ist. Aber mehr Schüler haben wir nicht. Wenn wir jetzt noch an einzelnen Sekundarschulen einen gymnasialen Zweig einrichten, dann wäre das wahrscheinlich wieder nur konzentriert in der Stadt der Fall.

Dann können wir es gleich bei den Fachgymnasien an den Berufsschulen belassen. Darin sehe ich keinen wesentlichen Unterschied. Ich glaube, das ist nun gerade nicht die Lösung für den zweiten Weg, zum Abitur zu kommen und den Hochschulzugang zu erreichen.

(Zustimmung von Herrn Kley, FDP)

Man sollte noch einmal genauer darüber nachdenken und diskutieren. Deshalb plädiere ich auch für die Ausschussüberweisung.

Eine letzte Bemerkung. Wenn wir Zahlen verwenden, sollten wir immer ein bisschen vorsichtig sein. Wir sprechen von den OECD-Staaten, von 50 bis 60 % Hochschulzugangsberechtigten und davon, dass wir weit dahinter liegen. - Nein, die haben 50 bis 60 % Abiturienten, die aber nicht alle gleichermaßen eine Hochschulzugangsberechtigung besitzen, wie das in Deutschland der Fall ist. Unser Abitur berechtigt gleichzeitig dazu, eine Hochschule oder eine Universität zu besuchen.

(Zustimmung bei der FDP)

Das ist in anderen europäischen Ländern und darüber hinaus nicht so.

(Herr Kosmehl, FDP: Richtig!)

Ich will nur einmal an das viel gelobte Land Finnland erinnern. Dort gibt es eine richtig hohe Abiturquote. Aber nicht einmal ein Drittel der Abiturienten kann ein Hochschulstudium an einer Universität aufnehmen, weil dort knallharte Aufnahmeprüfungen bestehen. Sie müssen vorher noch mal eine Schule besuchen, um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen. Erst dann können sie ein Studium aufnehmen. Das ist der Unterschied. Das darf man nicht leugnen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das Abitur ist nicht überall gleichermaßen der Maßstab für eine Hochschulzugangsberechtigung. Wenn wir das alles in einen Topf werfen, dann wird die Systematik nicht mehr klar. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Zum Schluss der Debatte hören wir noch einmal Herrn Kley.

(Herr Gürth, CDU: Du musst nicht, wenn du nicht willst!)