Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Ein weiteres Thema, das die Menschen sehr bewegt, ist die Veredlung, das heißt die Tierhaltung im ländlichen Raum. Ich kann verstehen, dass man sich Sorgen macht, auch dass Ängste entstehen, wenn Veränderungen im Lebensumfeld vorgesehen sind. Aber wir müssen auch sehen, wie die Fakten sind. Sachsen-Anhalt ist das Bundesland, das die wenigsten Vieheinheiten pro Fläche hat, abgesehen von den drei Stadtstaaten. Das heißt, bei uns werden weniger Tiere pro Fläche gehalten als in allen anderen Flächenländern in Deutschland und weniger als halb so viel wie in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Bayern, Ländern, in denen wir zum Teil sehr gern unsere Freizeit und unsere Ferien verbringen.

Anlagen, die heute gebaut werden, sind völlig andere Anlagen als vor 20 Jahren. Die heutigen Anlagen sind umwelt- und tiergerechter. Außerdem - gestatten Sie mir auch diesen Hinweis - gab es zu DDR-Zeiten auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts doppelt so viele Rinder und mehr als doppelt so viele Schweine wie heute.

Berufsstand und Politik sind gefordert, Aufklärung zu betreiben, wie moderne Landwirtschaft aussieht. Wir müssen an jeden Investor appellieren, die enge Kommunikation und Abstimmung mit dem Umfeld zu suchen. Jeder Bauantrag wird einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, und zwar im Hinblick auf beide Seiten: einerseits die Einwohner vor vermeidbaren und unbilligen Belastungen zu schützen, andererseits Investitionen im ländlichen Raum und Wertschöpfung in der Tierhaltung zu ermöglichen.

Wir sind das einzige Bundesland, das einen Raumordnungserlass zu dem Thema Tierhaltungsanlagen herausgegeben hat. Das heißt, bei Vorliegen bestimmter Kriterien ist im Zusammenhang mit dem Bau von Tierhaltungsanlagen ein Raumordnungsverfahren durchzuführen.

Wir stellen uns auch die Frage, ob die Bürgerbeteiligung im Zusammenhang mit Stallbauten ausreichend ist. Deshalb stehen wir in Kontakt mit dem Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr, um zu prüfen, wie planungs- und baurechtliche Instrumente zur Konfliktlösung eingesetzt werden können. Und wir haben - im Gegen

satz zu anderen Ländern - in der Förderung von Ställen eine Obergrenze.

Hier gibt es viele Fragen, die im Raume stehen, die einer Antwort zugeführt werden müssen. Ein ausschließliches „Weiter so!“ kann es auch hier nicht geben, wenn Tierhaltung wieder mehr Akzeptanz finden soll, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU)

Das Thema beschäftigt nicht nur Sachsen-Anhalt. Die Agrarministerkonferenz hat auf ihrer Sitzung im Oktober in Lübeck eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, die aktuellen Fragen und Probleme bei der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in Deutschland aufzugreifen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Auch hierbei geht es um die Reduzierung von Konflikten und die Verbesserung der öffentlichen Akzeptanz.

Ich sage ganz klar: Verstöße gegen Tierschutzvorschriften werden bei uns konsequent geahndet. In der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung muss das Wohlbefinden der Tiere einen hohen Stellenwert haben.

(Zustimmung bei der CDU und von Frau Fischer, SPD)

Wir wollen und wir müssen die Diskussion um die Nutztierhaltung in der Gesellschaft führen. Dazu will ich alle Beteiligten zu einem „Forum Tierhaltung“ an einen Tisch einladen, das heißt Vertreter der Tierproduktion, der Tierzucht, des Tierschutzes, der Wissenschaft sowie Umweltverbände und Verbraucherorganisationen. Ich halte diesen Erörterungsprozess für notwendig und ich bin dazu bereit. Ich sage noch einmal: Ich stehe für Veredlung; aber wir müssen die Menschen mitnehmen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU)

Allerdings stellen wir auch immer wieder fest, dass sich viele Verbraucher sehr zwiespältig verhalten. Wenn sie gefragt werden, sind ihre Antworten sehr ökologie- und tierschutzorientiert. Wenn sie einkaufen, entscheiden sie sich doch für das Produkt mit dem günstigsten Preis.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunehmende Verwertungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Produkte im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe führen zu einer wachsenden Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, damit zu einer erhöhten Nachfrage nach Flächen und damit zu Preissteigerungen am Bodenmarkt.

Wir haben derzeit die Situation, dass der weitgehend freie Markt bei Nahrungs- und Futtermitteln einem stark gestützten Markt für Energie gegenübersteht. Das führt zu pauschalen Konkurrenzvorteilen für die energetische Nutzung.

Eine Förderung für den Einstieg in neue Branchen, Technologien und Märkte ist notwendig, um Entwicklungen zu unterstützen. Aber wir müssen auch rechtzeitig reagieren, wenn ungesunde Entwicklungen auftreten. Über 50 % Maisanteil in der Fruchtfolge, wie in einigen Regionen Niedersachsens, sind auch aus der Sicht des Naturschutzes kritisch.

Sicherlich hat die Landwirtschaft mit erneuerbaren Energien eine neue Einkommensmöglichkeit. Attraktive Subventionen haben aber auch den Einstieg von Investoren außerhalb der Landwirtschaft in den Bioenergiebereich gefördert. Das wiederum birgt Gefahren struktureller Verschiebungen in sich.

Wir müssen meines Erachtens in der Förderung umsteuern. Diese Auffassung wird auch von den Landwirtschaftsministern anderer Bundesländer geteilt. Zum Beispiel können wir mit einer weitestgehenden Nutzung von Reststoffen nicht nur Nutzungskonkurrenz vermeiden, sondern der Energie auch das „Bio“ wiedergeben.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU)

Insbesondere in Tierhaltungsbetrieben können durch den Einsatz von Biogasanlagen Synergieeffekte entstehen, die zu einer wesentlichen Entlastung der Umwelt führen. Das muss Eingang finden in die für 2012 vorgesehene Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU)

Wir sind das Land der grünen Energien, meine Damen und Herren. Das wollen wir auch bleiben. Dieser Weg wird weiter beschritten. Aber Unwuchten in der Förderung müssen beseitigt werden.

Und wir sollten eines nicht vergessen: Energie erzeugen können viele. Rohstoffe für Nahrungsmittel zu produzieren, das ist das Alleinstellungsmerkmal der Landwirte.

Meine Damen und Herren! Die Rahmenbedingungen für unsere Landwirtschaft und den ländlichen Raum werden maßgeblich durch die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union bestimmt. Am 18. November 2010 hat die Europäische Kommission erste Vorschläge für eine Weiterentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik nach dem Jahr 2013 präsentiert. Damit wurde offiziell die Diskussion um die nächste Reform, übrigens die fünfte in gut 20 Jahren, eingeläutet.

Wir haben zurzeit drei Probleme bei der Beurteilung dieser Vorschläge. Erstens wurde der Finanzrahmen für die neue Förderperiode noch nicht abgesteckt. Wir diskutieren somit vor einer völlig unklaren Finanzkulisse. Gerade die Antwort auf die Frage, wie viel Geld für die Agrarpolitik der Zukunft zur Verfügung steht, ist aber mit entscheidend für ihre inhaltliche Ausgestaltung. Um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, ist eine angemessene Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich.

Zweitens hat das Europäische Parlament mit dem Lissabonner Vertrag mehr Entscheidungsbefugnisse und damit mehr Gewicht erhalten. Das betrifft auch die gemeinsame Agrarpolitik und ist hinsichtlich der Auswirkungen im Zusammenwirken von Abgeordneten aus 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union schwierig abzuschätzen. Darüber hinaus sind die Interessenlagen der einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund der differenzierten Bedingungen sehr breit gestreut.

Drittens sind die Vorschläge noch wenig konkret. Die präzisen Verordnungsvorschläge zur Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik sollen voraussichtlich im Sommer 2011 vorliegen.

Zurzeit ist der Kenntnisstand folgender: Auf der Grundlage eines Vorschlages von Agrarkommissar Ciolos bekennt sich die EU-Kommission klar zu einer Zweisäulenstruktur der gemeinsamen Agrarpolitik. Wie bisher sollen bei der ersten Säule die Einkommen der Landwirte durch Direktzahlungen gestützt werden. Die zweite Säule dient der Förderung des ländlichen Raumes.

Diese klare und eindeutige Linie verlässt die EU-Kommission jedoch mit Blick auf die Vorschläge zur Ausgestaltung der Direktzahlungen. Grundlage soll zukünftig

eine abgesenkte Basisprämie mit ökologieorientierten Zuschlägen bei Teilnahme an einjährigen Maßnahmen sein. So soll auch eine gerechtere Verteilung zwischen den Mitgliedstaaten erfolgen. Große Unterschiede in den Direktzahlungen zwischen den EU-15-Ländern und den neuen Mitgliedstaaten haben zu der Forderung geführt, hier zumindest einen teilweisen Ausgleich zu schaffen.

Die Basisprämie sieht die EU-Kommission weiterhin als eine Art Grundsicherung der Einkommen. Auch die höheren EU-Standards gegenüber dem Weltmarkt sollen hiermit ausgeglichen werden.

Ein zweites Element ist die Kappung. Mit einer Kappung der Prämienzahlung ab einer bestimmten Höhe pro Betrieb holt die EU-Kommission ein altes Thema wieder auf den Tisch. Durch die Hintertür hat man schon den ersten Schritt gemacht. Seit der letzten Reform sind größere Unternehmen stärker von Abzügen betroffen und erhalten dadurch geringere Zahlungen.

Allerdings fließen die abgezogenen Mittel bisher in die zweite Säule und kommen somit Maßnahmen der ländlichen Entwicklung zugute und verbleiben in der Region. Trotzdem war das für die ostdeutschen Regionen, die historisch bedingt größere Unternehmensstrukturen haben, ein herber Schlag. Mit einer Kappung würde sich diese Benachteiligung noch verstärken, zumal unklar ist, wo diese Mittel eingesetzt werden.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

Es hat den Anschein, meine Damen und Herren, dass die ostdeutschen Unternehmen zur Geldbeschaffungsquelle oder zum Sparschwein der europäischen Agrarpolitik werden sollen. Das können wir nicht dulden.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Wie soll ein Nebeneinander unterschiedlich hoher Prämienrechte auf ansonsten gleichen Flächen begründet werden? Die Landwirte erhalten die Direktzahlungen unter anderem für ihre gesellschaftlichen Leistungen. Diese sind aber auf allen Flächen gleich hoch.

Bedauerlicherweise plädiert mein neuer grüner Kollege aus Nordrhein-Westfalen für eine Degression der Direktzahlungen. Die bis zum Sommer einheitliche BundLänder-Position in dieser für uns so wichtigen Frage existiert damit leider nicht mehr.

(Zuruf: Fein!)

Die EU-Kommission schlägt des Weiteren ein Hilfskonstrukt einer Freibetragsregelung je Arbeitskraft vor. Das macht diesen Vorschlag nicht besser.

(Zuruf von der CDU: Nee!)

Die EU-Kommission will jedem Unternehmen Freibeträge je beschäftigte Arbeitskraft einräumen. Das bedeutet zusätzlichen bürokratischen Aufwand, der zudem nach unserer Auffassung nicht rechtssicher umsetzbar ist.

Ich möchte einen weiteren Kritikpunkt ansprechen. Die gemeinsame Agrarpolitik hat sich für eine stärkere Marktorientierung ausgesprochen. Hier sollten wir mutig voranschreiten. Aber genau da geht der Vorschlag der Kommission nicht weit genug.

Die Bindungen der Direktzahlungen an die Produktionsrichtung der Betriebe ist ein alter Zopf, der endlich der Vergangenheit angehören sollte. Diese Zöpfe will die Kommission jedoch nicht abschneiden.

In Deutschland sind wir mit der Umsetzung der vergangenen Reformschritte sehr weit gegangen. Bis zum Jahr 2013 werden die Direktzahlungen vollständig entkoppelt und die Prämienhöhen für Ackerflächen und Grünland regional gleich hoch sein. Damit wurde unter anderem das Grünland aufgewertet. Das trägt auch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Umweltwirkungen bei. Diese Leistungen, meine Damen und Herren, werden von der EU nicht ausreichend gewürdigt.

Als Neuerung schlägt die Kommission eine Ökologisierungskomponente vor. Diese soll zusätzlich zur Basisprämie im Rahmen der ersten Säule gezahlt werden. Dazu einige deutliche Worte, was wir in diesem Bereich schon tun:

Die Ökologisierung der Direktzahlungen ist nicht neu, meine Damen und Herren. Nicht nur mit der Aufwertung des Grünlandes, auch unter dem Aspekt der Erhaltung von Flächen in einem landwirtschaftlich und ökologisch guten Zustand werden die Direktzahlungen an die Einhaltung bestimmter Umweltschutzstandards gebunden. Für Deutschland sehe ich mit einer Ökologisierungskomponente keinen Quantensprung.

Agrarpolitik, meine Damen und Herren, ist mehr als Politik für die Landwirtschaft. Das wird auch in der Säulenstruktur deutlich. Die Entwicklung des ländlichen Raumes als zweite Säule ist ein wesentliches Element in der gemeinsamen Agrarpolitik.

Mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, einer nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und einer räumlich ausgewogenen Entwicklung ländlicher Gebiete hat die Kommission die bestehenden Ziele bestätigt. Bewährtes muss auch nicht einem Reformaktionismus unterworfen werden.

Wir begrüßen es, dass sich auch die EU-Kommission für einen notwendigen Anreiz ausspricht, um Umweltschutz attraktiver werden zu lassen. Auch die stärkere regionale Ausrichtung wird von der Kommission betont. Dieser zu begrüßende Ansatz darf jedoch nicht durch enge Vorschriften konterkariert werden, die keinen Platz für Individualität lassen und die nicht administrierbar sind.