Protokoll der Sitzung vom 08.06.2012

Artikel 3 beinhaltet die Kernpunkte des Fiskalpakts, die Festschreibung einer strikten Sparpolitik als alleinigen Weg zur Haushaltskonsolidierung und die Festschreibung einer Schuldenbremse. Wie die Kriterien dafür aussehen, weiß man noch nicht. Aber man weiß - das steht so darin -, dass die Länder, die sich künftig in einem Defizitverfahren befinden, ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm vorlegen müssen, dessen Rahmen auch noch niemand kennt. Dazu heißt es in Artikel 5 Abs. 1 des Fiskalpaktes, dass Inhalt und Form dieser Programme im Recht der Europäischen Union festgelegt würden.

Das heißt, die EU oder vielmehr der Fiskalpakt - er steht außerhalb der EU - diktiert dann, wie das Budgetrecht der Parlamente wahrgenommen werden soll. - Ja, mein Gott, wenn Sie das wollen, verehrte Kolleginnen und Kollegen …

Darüber hinaus wird ein automatischer Sanktionsmechanismus für den Verstoß gegen den Fiskalpakt auf der Grundlage einer umgekehrten qualifizierten Mehrheit eingeführt. Das heißt, Sanktionsentscheidungen müssen nicht mehr durch eine Mehrheit angenommen werden, sondern sie können nur in einer bestimmten Frist durch eine qualifizierte Mehrheit abgewiesen werden.

Auch die Klage von Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof gegen andere Mitgliedstaaten für den Fall, dass diese gegen die Stabilitätskriterien verstoßen, soll künftig möglich sein. So steht es in Artikel 8 des Fiskalpaktes. Außerdem soll eine so genannte Wirtschaftsregierung in Form eines regelmäßigen Eurogipfels tagen.

Schon im Europäischen Parlament gab es eine breite Front gegen diesen Pakt. Dieser Vertrag ist nämlich ein Novum in der Geschichte der EU; denn er steht außerhalb der EU-Verträge. Der Fiskalvertrag entspricht nicht dem EU-Recht, sondern er ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, weil die Briten und die Tschechen eben nicht mit abgestimmt haben.

Solche schwerwiegenden Entscheidungen müssen in der EU, um Vertragsrecht zu werden, aber einstimmig gefasst werden. Insofern haben wir es hierbei nicht mit EU-Recht zu tun. - Ich komme jetzt schon fast in die Lage, den Lissabon-Vertrag zu verteidigen gegen das, was hier abläuft.

Aber auch das EU-Parlament hat weder ein Mitentscheidungsrecht noch kann es zumindest beratend Stellung nehmen. Selbst wenn die Forderung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach der - wie es im Alternativantrag formuliert ist - Beteiligung des Präsidenten des EU-Parlaments umgesetzt wird, so hat das nicht einmal eine Scheibenwischerfunktion, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein reines Placebo.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt keine wirtschaftspolitische, steuerpolitische und sozialpolitische Koordinierung auf der Ebene der EU. Diese wäre aber notwendig, damit eine Währungsunion auch wirklich funktioniert. Der Fiskalpakt ist ein Pakt zur Sicherung der Interessen der Finanzmärkte, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der LINKEN)

Um das noch einmal klarzustellen: Wir haben eine Finanzkrise. Diese wird gegenwärtig wunderbar mit dem Wort „Staatsschuldenkrise“ umschrieben, um die Bürgerinnen und Bürger dazu zu bringen, massive Kürzungsmaßnahmen in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge hinzunehmen, und um die Parlamente glauben zu machen, sie würden das Geld mit vollen Händen ausgeben und müssten nun sparen, sparen, sparen. Ich erinnere an den Slogan des Finanzministers bei den letzten Haushaltsberatungen: Freiheit statt Schuldenspirale. - Nun gut, über das Sparen haben wir damals ausführlich diskutiert.

Die Fraktion DIE LINKE steht für einen sorgsamen Umgang mit den öffentlichen Geldern. Das haben wir gerade bei den Debatten um den Nachtragshaushalt für das Jahr 2011 und den Doppelhaushalt für die Jahre 2012 und 2013 bewiesen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Reduzierung der Staatsverschuldung und auch eine finanzpolitische Stabilisierung der Europäischen Union halten auch wir für zwingend notwendig. Aber dazu tragen weder der ESM noch der Fiskalpakt bei. Sie sind lediglich darauf gerichtet, die Länder zu zwingen, die Ausgaben drastisch zu reduzieren. So wird immer gesagt, die Griechen hätten über ihre Verhältnisse gelebt.

(Herr Barthel, CDU: Das ist auch so!)

Die „Bild“-Zeitung hat das in den vergangenen Jahren sehr anschaulich demonstriert. Inzwischen wird in Griechenland gespart - und es reicht noch immer nicht.

(Herr Barthel, CDU: Zu spät!)

Denn wo spart man? - Arbeitsplätze werden abgebaut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 25 %. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 50 %. Die Löhne wurden gesenkt, ebenso die Renten. Und die Schulden Griechenlands sind in den zurücklie

genden Jahren um 50 Milliarden € gestiegen, von 130 % auf 170 % der Wirtschaftsleistung, trotz dieser Abbaumaßnahmen.

Ähnliche Entwicklungen stehen möglicherweise auch in den anderen EU-Ländern bevor. In diesem Zusammenhang kann man einmal fragen, was aus Deutschland wird. Wir sind immerhin Exportweltmeister und rund 50 % unseres Exports geht in die EU-Länder. Doch bald wird niemand mehr etwas kaufen können, denn alles Geld, das noch vorhanden ist, muss zusammengekratzt werden, um die Gläubiger zu bedienen.

Die Schulden aller Staaten explodierten erst seit 2008. Mit den Schulden wurden die Banken saniert. Und in den Jahren 2010 und 2011 verschärfte sich dieser Kurs noch einmal; denn die internationalen Finanzmärkte machten auf ausgewählte EU-Länder mit Zinserhöhungen und mit der Verweigerung von Refinanzierungskrediten Druck.

Sie schickten die amerikanischen Rating-Agenturen los, um ein Land nach dem anderen nach unten durchzureichen und die anderen unter Druck zu setzen, damit sie für die angeblich von Insolvenz bedrohten Länder einstehen. Jetzt hat es Spanien getroffen. Es wurde von der amerikanischen Rating-Agentur Fitch von „A“ auf „BBB“ herabgestuft.

Kurz vor den Entscheidungen zum ESM passt das natürlich. Man kann uns alle miteinander wieder unter Druck setzen, damit Spanien gerettet wird und damit die Rettungsschirme entfaltet werden. Die Rettungsschirme aber - das sehen wir tagtäglich - kamen und kommen nicht den Ländern zugute, sondern letztlich den Finanzmärkten.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun kommt der Fiskalpakt als Sahnehäubchen für die Finanzmärkte; denn nun sollen den Ländern ganz offiziell die Daumenschrauben angesetzt werden, um auch noch die letzten Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Kultur und Soziales einzusparen. Die Rüstungsausgaben dagegen wurden zum Beispiel in Griechenland nicht angegriffen. Sie mache immerhin einen Anteil von 4 % des BIP aus.

Ich weiß, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das sind internationale Argumente, die hier im Land nicht so ziehen; denn es geht um Bundespolitik. Aber in diesem Fall muss in Sachsen-Anhalt Bundespolitik gemacht werden. Wir müssen uns entscheiden, für welchen Kurs in Europa wir stehen wollen und welche Auswirkungen das vor allen Dingen für unser Land und für unsere Kommunen haben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb möchte ich auf die Punkte eingehen, die uns unmittelbar berühren. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf wird darauf hingewiesen, dass

der Fiskalpakt für die Bundesrepublik überhaupt kein Problem sei, da bereits - ich zitiere -

„ambitionierte Regelungen für Bund und Länder im Grundgesetz verankert sind, die den Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion im Wesentlichen entsprechen. Deshalb ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Vertragsabschluss keine zusätzlichen finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben wird.“

Hierin gibt es die Formulierung „im Wesentlichen“ und das Wörtchen „grundsätzlich“. Das heißt, so glatt ist es eben nicht. Es gibt nämlich eine unterschiedliche Betrachtung der Schulden. Für die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse werden die Schulden des Bundes und der Länder gezählt. In der Europäischen Union werden die Schulden des öffentlichen Sektors insgesamt gezählt, das heißt von Bund, Ländern, Kommunen und den Sozialversicherungen - möglicherweise auch noch von diversen Fonds und Anstalten öffentlichen Rechts.

Dieses Gesamtschuldenpaket muss auf 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts begrenzt werden. Die öffentlichen Schulden sollen 60 % des BIP nicht überschreiten. Gegenwärtig gibt es 2 Billionen € Schulden. Das sind 83 % des BIP. Deutschland hat - das schreibt die Schuldenbremse vor - ab dem Jahr 2016 eine Defizitgrenze von 0,35 % der Wirtschaftsleistung einzuhalten. Die Länder müssen ihr strukturelles Defizit bis zum Jahr 2020 abgebaut haben.

Sie erinnern sich vielleicht: Das Land SachsenAnhalt hat gegenwärtig ein strukturelles Defizit von 595 Millionen €, ausgehend vom Stand 2010, und das bei einem ausgeglichenen Haushalt für 2012. Gegenwärtig beträgt die Abbaurate 10 % pro Jahr. Dazu kommen noch die Kommunen, die bundesweit mit rund 140 Milliarden € verschuldet sind. In Sachsen-Anhalt sind es direkte Schulden von 4 Milliarden €. Wenn alles andere einbezogen wird, sind es ungefähr 9,6 Milliarden €. Auch diese Milliarden müssen wir dann mit abbauen.

Diese neuen Regelungen sollen nicht erst ab dem Jahr 2020 greifen, sondern schon ab dem Jahr 2040.

(Zuruf von der CDU: Ab 2014!)

- Natürlich, es steht so im Vertrag.

(Zuruf von der CDU: Ja, 2014, Sie sagten 2040!)

- Entschuldigung!

(Herr Gallert, DIE LINKE: Der aufmerksame Zuhörer bemerkt das!)

- Das freut mich! - Das hat direkte Folgen für die künftige Haushaltspolitik.

Selbst das künftige FAG muss unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Eine weitere Verlagerung von Aufgaben auf die kommunale Ebene wird nicht möglich sein. Weder Bund noch Länder können diese Aufgaben bezahlen und erst recht nicht die Kommunen.

Schon jetzt reicht die Streichung aller sogenannten freiwilligen Aufgaben nicht, um die Defizite auszugleichen, und das meiste Tafelsilber der Kommunen ist auch schon verscherbelt.

Ich war schon entsetzt, als ich in der „FAZ“ vom 15. Mai 2012 die Meinung eines Mitgliedes des Sachverständigenrates las. Er sagte:

„Im Schnitt dürfte die Schuldenbegrenzung für die Kommunen unproblematisch sein. In einzelnen Bundesländern mit hochverschuldeten Kommunen wie Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt könne es zwar zu Einschränkungen kommen. Das aber“

- so er weiter -

„sehe ich mit Blick auf die Schuldenbegrenzung eher als positiv.“

Dazu kann ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einfach nur sagen: Sagen Sie das einmal Ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den ehrenamtlichen Kommunalpolitkern.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit den Regelungen des Fiskalpaktes wird in die grundgesetzlichen Regelungen eingegriffen. Die Regelungen im Grundgesetz werden ausgehebelt. Der Bundestag wird in einer Euro-Fiskalunion nicht mehr über den eigenen Haushalt beschließen können. Brüssel muss ihn künftig genehmigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Haushaltsrecht das Königsrecht der Parlamente. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Es steht hierbei der bundesdeutsche Föderalismus zur Disposition;

(Zustimmung bei der LINKEN)