Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Dazu sagen wir nein, das wollen wir nicht. Wir wollen eine Veränderung. Die gute Nachricht in der Großen Anfrage ist: Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Gleichstellung zu sprechen; denn - das macht eine Antwort der Landesregierung deutlich - in den nächsten zehn Jahren werden 45 % aller Professuren neu besetzt, also 513 von 1 130 Professuren. Es gibt also genug Bewegung im Bereich der Professuren, sodass man gleichstellungsmäßig tatsächlich etwas nach vorn bringen kann. Packen wir es an!

Dann stellt sich die Frage: Was wollen wir denn anpacken? Wenn man die Hochschulen fragt, dann bekommt man - wir haben das Gespräch gesucht - ganz häufig eine Antwort: Das Thema familienfreundliche Hochschule. Das finde ich toll. Ich finde es toll, wenn Hochschulen sich auf den Weg machen, familienfreundlich zu werden und auf die Belange von jungen Familien Rücksicht zu nehmen.

Aber - auch das muss ich Ihnen sagen - ich glaube nicht, dass eine familienfreundliche Hochschule einen signifikanten Beitrag dazu leistet, dass wir am Ende mehr Frauen unter den Professoren haben. Wenn mir das jemand sagt, der eine Hochschule in Süddeutschland leitet, dann verstehe ich das. Aber jemand, der eine Hochschule in Sachsen-Anhalt leitet, wo wir einen Anspruch auf einen Kita-Platz und vieles mehr haben? Dann glaube ich nicht, dass das der richtige Weg ist, um die Gleichstellung voranzutreiben.

Ich glaube, wir müssen über zwei ganz andere Dinge reden. Erstens. Ich denke, wir müssen über Karrierewege reden, also über die Frage, wie sich Karrieren für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestalten.

In Deutschland gibt es eine Fama, die besagt, dass der Ortswechsel Qualität birgt, dass man also immer, wenn man einen Karrieresprung macht, spätestens nach der Habilitation auf die erste Professur, den Ort wechseln muss. Wenn man dann eine höher dotierte Professur will, muss man wieder den Ort wechseln. Das sei irgendwie ein Qualitätsmerkmal.

Ich muss Ihnen sagen, ich habe mehrfach versucht, nordamerikanischen Kollegen zu erklären, warum ein Ortswechsel ein Qualitätsmerkmal sein soll - man kann das nicht vermitteln. Das ist völlig unverständlich.

Was wir brauchen, sind verlässliche Karrierepfade, Tenure-Track-Positionen. Das funktioniert so: Ein junger Wissenschaftler oder eine junge Wissenschaftlerin arbeitet nach der Promotion vielleicht noch ein paar Jahre an einem Forschungsprojekt,

wird dann zum Beispiel mit Anfang 30 mit einem Zeitvertrag auf eine Professur berufen, etwa mit einem Zeitfenster von fünf Jahren. Danach kommt eine internationale Evaluation. Wenn exzellente Leistungen vorhanden sind, dann bekommt man wieder eine Vertragsverlängerung, wird vielleicht auch besser dotiert.

In der dritten Runde, wenn man wieder exzellent begutachtet wurde, wird dann vielleicht auch eine Entfristung der Stelle vorgesehen. Dann hat der junge Mensch, die junge Frau, die Gewissheit: Wenn ich gut bin, wenn ich gute Leistungen bringe, wenn ich mich in einer Begutachtung durchsetze, dann kann ich meine Karriere auf dieser Stelle machen - das heißt auch: hier an diesem Ort.

Ich sehe einen echten Beitrag zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie darin, dass man bei Exzellenz seine Karriere auch an einem Ort machen kann, dass ein Ortswechsel nicht als Qualitätsmerkmal angesehen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen auch über etwas anderes reden - jetzt sage ich das Reizwort -: über Quoten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Die DFG verlangt Berichte dazu, wie es mit der Gleichstellung weitergeht. Das ist auch gut so, damit das Thema überhaupt einmal aufs Tapet kommt und auch ernsthaft aufs Tapet kommt. Aber Berichte reichen natürlich nicht. Vielmehr brauchen wir verbindliche Zielmarken, die getrennt für Fächer oder Fachgruppen festschreiben, was man eigentlich erreichen will. Wir brauchen verbindliche Zielmarken auf den einzelnen Karrierepositionen.

Das ist das sogenannte Kaskadenmodell. Das heißt, dass man einräumend sagt: Es ist klar, in einem Fach, in dem es unter den Studierenden nur einen Anteil von 20 % Frauen gibt, kann ich nicht sagen, ich will 50 % Promovendinnen haben. Das kann nicht funktionieren. Oder in einem Fach, in dem ich 30 % Frauen unter den Promovenden und10 % freie Stellen habe, kann ich nicht sagen. ich will hier 50 % Professorinnen haben.

Das heißt, wir brauchen Quoten, die verbindlich sind, die nach den Fachgruppen getrennt werden, die die einzelnen Karrierestufen mit in den Blick nehmen, das sogenannte Kaskadenmodell.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für all das gibt es gute Vorschläge. Die DFG hat definiert, welches die Stufen sein könnten, an denen man das festmacht. Die Leibniz-Gemeinschaft hat ein Rechenmodell vorgelegt, wie man für die einzelnen Stufen unter Berücksichtigung der Frauenanteile auf den niederen Stufen und unter Berücksichtigung des Anteils freier Stellen, die zur Verfügung stehen, eine Quote errechnen kann, die

vernünftig ist im Rahmen der Ausgangsbedingungen.

Die Leibniz-Gemeinschaft hat auch einen Vorschlag gemacht, was denn ein Zeithorizont wäre, innerhalb dessen man solche Evaluationen anstreben kann. Die sagen, fünf Jahre. Ich finde, es ist ein guter Vorschlag, alle fünf Jahre hinzuschauen und zu fragen: Was habt ihr denn jetzt geleistet? Habt ihr euch diesen Quoten angenähert?

Man hat natürlich Diskussionsbedarf, welche Fächer bzw. Fachgruppen man nimmt, wie man das trennt, ob man die Institute und anderes wählt. Diesbezüglich besteht Diskussionsbedarf. Das ist aber zu bewältigen.

Wichtig ist, dass diese Quoten verbindlich sind. Das heißt, dass man damit auch etwas erreichen kann, wenn man diese Quoten verwirklicht, dass man beispielsweise aus der leistungsbezogenen Mittelvergabe extra Geld bekommt. Dann sind natürlich 5 % wirklich eher wenig. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel arbeitet mit 10 %. Ich würde mich eher in diese Richtung orientieren.

Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Das Ergebnis ist nicht überraschend, aber betrüblich. Wir haben jetzt ein gutes Zeitfenster, um die Gleichstellung in der Wissenschaft voranzutreiben. Ich denke, wir sollten das tun.

Ich möchte gerne mit Ihnen in eine Debatte darüber eintreten, dass wir über Karrierepfade reden, damit tatsächlich Wissenschaft und Gleichstellung sowie Wissenschaft und Familie vereinbar werden und damit wir ein vernünftiges und verbindliches Quotenmodell definieren, mit dem wir die Gleichstellung in einem absehbaren Zeitraum nach vorne bringen können. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Professor Dalbert. - Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Professor Dr. Wolff. Bitte, Frau Ministerin.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hochschulen und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen des Landes sind in der vorteilhaften Ausgangssituation, gleich an zwei entscheidenden Punkten im Leben eines Menschen attraktive Angebote machen zu können. Ich meine zum einen das Holen junger Menschen, die als Studierende in unser Land kommen, und zum anderen das Halten von Absolventinnen und Absolventen durch Karriereperspektiven im Anschluss an ihre Ausbildung.

Die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen können einer Entwicklung entgegenwirken, die dem Land schadet, nämlich der Abwanderung junger und gut qualifizierter Menschen, insbesondere junger Frauen.

Es ist daher wichtig für uns - ich denke, das ist unstrittig -, dass die Wissenschaftseinrichtungen im Land insbesondere jungen Frauen attraktive Angebote für eine Karriere und damit auch Lebensplanung in Sachsen-Anhalt machen.

Für die Wissenschaft geht es aber nicht nur um ein quantitatives Argument, sondern auch um qualitative Aspekte. Die Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist für die künftige Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems ein entscheidender Faktor. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber umso richtiger. Die Formulierung stammt aus dem unlängst veröffentlichten Evaluationsbericht des Wissenschaftsrats zum fünfjährigen Bestehen der Offensive für Chancengleichheit.

Zwei wichtige Ziele der Politik lassen sich offenbar prima miteinander verbinden: erstens die Gleichstellung von Männern und Frauen voranzutreiben und zweitens die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems zu steigern. Die Gretchenfrage ist nur: Wie kriegen wir das jetzt wirklich hin?

Die Statistik zeigt, dass über die letzten zehn Jahre der Anteil junger Frauen an den Studienanfängern, den Studierenden und bei den abgelegten Prüfungen insgesamt bei mindestens 50 % lag. Die Zahlen hat Frau Dalbert schon korrekt wiedergegeben. Aber die Unterschiede zwischen den einzelnen Fachgruppen sind erheblich. Die Spanne reicht von über 70 % in den traditionell von Frauen dominierten Sprach- und Kulturwissenschaften bis zu knapp 20 % bei den traditionell von den Männern dominierten Ingenieurwissenschaften.

Nun kann man kaum sinnvoll geschlechtsspezifische Quoten für die Vergabe von Studienplätzen an Erstsemester festlegen, um überall ein ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter herzustellen. Was Politik aber kann - das hat in den letzten Jahren in diesem Land die Regierung nach besten Kräften auch versucht -, ist zum einen, zielgruppenorientiert eine Kultur des Interesses an Neuem zu fördern, zum anderen für attraktive Rahmenbedingungen, hier also auch Studienbedingungen, zu sorgen.

Gemeinsam mit verschiedenen Partnern werden in vielen Projekten Mädchen und Frauen dazu motiviert, sich möglichst früh für sogenannte frauenuntypische Berufsfelder zu interessieren. Damit das so geweckte Interesse nicht verpufft, werden an fast allen Hochschulen Sommerschulen sowie Praktikums- und Informationsveranstaltungen insbesondere für Mädchen und Frauen in technischen Studienrichtungen durchgeführt.

Das Land fördert diese und andere Aktivitäten zur Frauenförderung trotz angespannter Haushaltslage mit etwa einer halben Million Euro pro Jahr allein aus dem Wissenschaftstitel.

Sind Studierende dann erst einmal gewonnen, ist in der Tat Familienfreundlichkeit der jeweiligen Hochschule und ihrer Studienorganisation ein wichtiges Thema. Die beiden Universitäten in Halle und Magdeburg und die Hochschulen Harz, Magdeburg-Stendal und Merseburg haben erfolgreich am Audit „Familiengerechte Hochschule“ teilgenommen.

Ziel dieses Audits ist es, nicht nur familiengerechte Arbeitsbedingungen für die Hochschulangestellten zu schaffen, sondern auch familiengerechte Studienbedingungen für die Studierenden zu gewährleisten. Die Kunsthochschule Burg Giebichenstein und die Hochschule Anhalt haben sich in den Zielvereinbarungen ebenfalls verpflichtet, sich dem Audit zu stellen.

Auch finanziell wird familiären Bedürfnissen von Studierenden inzwischen etwas besser Rechnung getragen. Zum Beispiel sehen Stipendienprogramme inzwischen in der Regel Kinderbetreuungszuschläge sowie Unterbrechungsmöglichkeiten aus familiären Gründen vor.

Meine Damen und Herren! Nach dem Studium geht es um das Halten. Dass es einen so großen Unterschied zwischen der Zahl männlicher und weiblicher Promovenden und vor allem Habilitanden gibt, ist unbefriedigend. Gleiches gilt für den Anteil der Professorinnen. Frau Dalbert hat auch hier die Zahlen zutreffend dargestellt.

Dennoch gibt es kleine Lichtblicke. Der Anteil von Frauen bei den abgeschlossenen Promotionen ist leicht angestiegen und liegt immerhin stabil über 40 %. Dazu trägt auch die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlerinnen im Land bei.

Dabei geht es gar nicht immer und auch nicht immer primär um Geld. Hervorheben will ich in diesem Zusammenhang beispielsweise die Mentoring-Programme der Hochschulen. Diese Programme richten sich an Absolventinnen und junge Wissenschaftlerinnen und decken je nach Schwerpunkt der einzelnen Hochschulen sowohl den MINT-Bereich als auch die Geisteswissenschaften ab.

Mit dem „MovE“-Programm an der Otto-von-Guericke-Universität gibt es darüber hinaus ein Programm, das speziell jungen Akademikerinnen bei einer Ausgründung und Existenzgründung helfen soll und sie dabei begleitet.

Die gezielte Förderung von jungen Frauen trägt erste Früchte. Der Anteil der Professorinnen steigt, aber eben viel zu langsam. Die Gretchenfrage bleibt: Warum?

Dafür gibt es zwei Gruppen von Erklärungsansätzen: zum einen immer wieder das Argument, es gäbe keine wirklich geeigneten Bewerberinnen, jedenfalls nicht genug davon. Das ist gewissermaßen ein angebotseitiges Argument. Das trifft bestimmt in einigen Bereichen zu; das zeigen die Zahlen. Deshalb dürfen wir bei der Nachwuchsförderung nicht nachlassen. Die kann man auch noch besser organisieren, als wir das bislang tun.

Zum anderen gibt es aber auch Gründe, die nicht in den Bewerbungen liegen, sondern auf der anderen Seite, auf der Nachfrageseite. Hier müssen wir über die sogenannte gläserne Decke reden. Da geht es sehr stark einfach auch um eingefahrene Denkstrukturen, um Bewusstmachung von inadäquaten Gleichbehandlungen und inadäquaten Ungleichbehandlungen.

Das ist genauso kompliziert, wie es sich anhört. Lassen Sie mich dazu zwei persönliche Anekdoten zur Illustration anführen.

Die eine spielt im letzten Jahrhundert, in den frühen 90er-Jahren an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ich kam aus Nordrhein-Westfalen an die betriebswirtschaftliche Fakultät. Dort wurde eine Gleichstellungsbeauftragte gesucht. Es gab keine Professorinnen. Aus dem Mittelbau wollte - wahrscheinlich mit guten Gründen - niemand diesen Job übernehmen. In NRW war das Thema schon etwas normaler. Ich habe kandidiert, bin gleich gewählt worden und saß prompt in allen Gremien.

Dabei hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Es ging in einer Berufungskommission um eine Professur für den Bereich Wirtschaftsgeografie. Wir waren froh, dass wir auch einige Bewerbungen von sehr guten Frauen hatten. Nachdem eine dieser sehr guten Bewerberinnen vorgetragen hatte, fragte doch glatt eines der männlichen Kommissionsmitglieder, ein sehr netter älterer Herr: Sagen Sie mal, weiß denn eigentlich Ihr Gatte, dass Sie heute hier sind? Das würde doch für Ihre Familie bedeuten, dass Sie umziehen müssen.

Der Vorsitzende der Berufungskommission sah mich ganz nervös an. In der Tat zuckte die Rote Karte in meiner Tasche. Aber bevor ich diese herausziehen konnte, hatte die Bewerberin diese Frage schon so souverän beantwortet, dass es keinen Handlungsbedarf mehr gab.

Der Kandidat, der danach vortrug, war ein sehr maskuliner Mann mit einem dunklen Schnauzbart. Nach dessen Vortrag habe ich ihm, obwohl klar war, dass es total daneben und schräg war, einfach dieselbe Frage mit umgekehrten Vorzeichen gestellt. Er hat ganz erbost reagiert und irgendwas Rotziges geantwortet. Der ältere Professor zuckte ganz nervös und der Vorsitzende der Berufungskommission fragte, ob meine Frage beantwortet

sei. Das war sie in gewisser Weise, und zwar sehr deutlich.