Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Meine Damen und Herren! Das Programm, über das wir soeben im Rückblick diskutiert haben, geht dem Ende entgegen. Das heißt, wir sind, weil die Aufgabe bestehen bleibt, gefragt, wie wir die Perspektiven gestalten wollen. Dazu liegt Ihnen unser Antrag vor. Ich will zu einigen wenigen Punkten die Diskussion eröffnen. Ich sage gleich, dass wir uns damit umfassender im Ausschuss befassen sollten, weil das Plenum dafür eher nicht der geeignete Ort ist.

Erstens. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Schulsozialarbeit ein grundsätzlicher Bestandteil schulischer Bildungsangebote ist. Deshalb gehört sie ins Schulgesetz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das haben Sie beim letzten Mal abgelehnt. Ich finde, es bleibt trotzdem wichtig und richtig. Deshalb steht es auch wieder in dem Antrag.

Zweitens. Ich denke, wir, und zwar alle Fraktionen, sind zum jetzigen Zeitpunkt gefragt, ein klares und unmissverständliches Bekenntnis abzugeben, dass Schulsozialarbeit mindestens im bisherigen Umfang fortgesetzt wird. Auch die verordnete Zwischenzeit zwischen den beiden EU-Programmen muss abgesichert werden.

Wir können es momentan leider nur über die Europäische Union machen, weil uns als Land das Geld fehlt. Ich habe ja angedeutet, dass dieses Thema eine eigene Debatte wert sei. Aber das ist zumindest besser als nichts, wenngleich ich bei der Frage der Sonderprogramme erhebliche Nachteile sehe. Insofern sehe ich das als einen pragmatischen Weg. Denn es bleibt ein Sonderprogramm. Damit haben wir es auch weiterhin mit den damit verbundenen Nachteilen zu tun.

Was die ständige Befristung der Beschäftigungsverhältnisse betrifft, was die vage Perspektive der Fortführung der Aufgabe betrifft und nicht zuletzt was die Lebens- und Arbeitsenergie betrifft, die man in die Bürokratie und in das Beantragungsgeschehen investieren muss - das ist kein vergnügungssteuerpflichtiger Vorgang, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem ist es jetzt schon an der Zeit, über grundsätzliche konzeptionelle Fragen nachzudenken, die mittel- und langfristig auf uns warten werden. Da wäre zum Beispiel die Frage, wie bauen wir Schulen - trotz der Landeszuständigkeit; daran will ich auch nicht rütteln - in kommunale Bildungslandschaften ein? Einige Landkreise, wie der Salzlandkreis, aus dem ich komme, haben damit richtig gute Erfahrungen gemacht.

Wir müssen damit beginnen - Frau Professor Dr. Dalbert hat es angesprochen -, langfristig auch die Rolle der Kommunen bei der Finanzierung miteinander zu diskutieren. Das drücken wir momentan weg. Das wird aber auf uns zukommen. Es ist bereits vor einigen Jahren von Herrn Professor Olk höchst selbst schon einmal thematisiert worden. Welche Konsequenzen dies für die regionalen Netzwerkstellen hat, ist eine Frage, die wir jetzt miteinander erörtern oder im Auge behalten müssen.

Ein wichtiges Thema, das bei allen Rednerinnen und Rednern anklang, ist, wie wir es endlich hinbekommen, die beiden Systeme Jugendhilfe und Schule, zwei untereinander fremdelnde Systeme, endlich zu einer flächendeckenden, kreativen Kooperation zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es reicht eben nicht aus, dass wir uns immer hierher stellen und sagen: Ja, an vielen Stellen wird das schon noch werden oder ist das schon der Fall oder wie auch immer. Nein, man muss einmal ganz konkret nachspüren, woran es liegt, dass es nicht funktioniert.

Mir fällt zum Beispiel die unterschiedliche Zuständigkeit ein; es sind zwei verschiedene Ebenen. Genau genommen ist nachmittags der Sozialminister zuständig und vormittags der Kultusminister. Es ist offenbar eine Lebensaufgabe, zwei kulturelle Verwaltungen, geschweige zwei Ebenen miteinander in Übereinstimmung zu bringen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Diese fragmentierte Zuständigkeit muss man langfristig überwinden. Ich behaupte im Übrigen auch, dass in diesem Bereich noch viele Synergien unterwegs sind. Denn wir reden ja immer darüber, dass wir mit unseren finanziellen Ressourcen vernünftig umgehen müssen.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Von Reserven! Von Reserven!)

Ein anderer Punkt ist, meine Damen und Herren, was wir vom Bund erwarten. Hierzu ist unser Vorschlag klar und eindeutig: Die Frage der Schulsozialarbeit gehört als ein Instrumentarium in das SGB VIII; sie muss darin verbindlich und explizit geregelt werden. Im Übrigen finde ich, dass sich auch der Bund an der Schulsozialarbeit finanziell beteiligen sollte.

Es gibt aber auch, so glaube ich, eine ganze Reihe von Möglichkeiten der Neujustierung, die wir bereits jetzt vornehmen können, die bereits jetzt im Rahmen der EU-Förderung möglich sind.

Ehrlich gesagt: Bei solchen Formulierungen wie „Lehrkräfte entlasten“ rollen sich meine Fußnägel ein wenig nach oben; denn dies bedient dieses Konzept, diese Denkweise, Schulsozialarbeit ist

als Notnagel zuständig. Das ist sie aber nicht. Das ist etwa damit vergleichbar, dass Inklusion irgendetwas mit Behinderten zu tun habe. Das ist aber viel zu kurz gegriffen. Schulsozialarbeit im Allgemeinen richtet sich an alle Kinder, an alle Schülerinnen und Schüler; sie ist nicht der Notnagel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke, wir können dem ein Stück weit entgegentreten, indem wir zum Beispiel Schulen auffordern, ein Gesamtkonzept vorzulegen, aus dem ersichtlich ist, wie man Schulsozialarbeit an den Einrichtungen sicherstellen will, das heißt mit pädagogischen Mitarbeitern, unter Berücksichtigung der Fragen, wie das Lernklima gestaltet werden soll, wie die Unterrichtsqualität ausgestaltet werden soll usw. Den Schulen könnte dann für diesen hoffentlich erfolgreichen Weg in Aussicht gestellt werden, die Schulsozialarbeit zu fördern. Dies wird immer gern an die freien Träger delegiert. Ich denke, da gehört es nicht hin.

Gegen das Nebeneinander und das Fremdeln der unterschiedlichen Systeme Schule und Schulverwaltung auf der einen Seite und Jugendhilfe auf der anderen Seite hilft zum Beispiel das Konzept offene Schule. Ich sage immer: Man darf die Schule auf keinen Fall allein der Schulverwaltung überlassen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir haben immer noch sehr viele Schulen, die eher als Closed Shops für Alleinarbeiterinnen agieren.

Nächster Punkt: Schulsozialarbeit als Sonderbaustelle. In diesem Fall helfen zum Beispiel solche Überlegungen: Wir müssen Schulen zu Ganztagsschulen fortentwickeln und dort schneller vorankommen. Ich habe immer den Eindruck, es geht ein Stück weit im Schneckentempo. Wenn wir so weitermachen, pro Jahr zwei bis drei, vielleicht auch vier Schulen umzuwandeln, dann schaffen wir in zehn Jahren noch nicht wirklich den Durchbruch.

Die Qualitätsentwicklung an den Schulen selbst ist eine ganz wichtige Frage. Es geht eben nicht nur um akademische Festvorträge am Ort X und Y, sondern es geht darum, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in den Schulen selbst arbeiten zu lassen. Aus meiner Sicht fehlen auch Plattformen für den regionalen Erfahrungsaustausch der Schulen.

Nicht zuletzt muss es uns gelingen - das ist ein alter Hut, aber es stimmt immer -, eine deutliche Verminderung des verwaltungstechnischen Aufwandes hinzubekommen. An die sinnlosen Kräfte, die das ganze Beantragungsverfahren bindet und die lediglich eine tagesstrukturierende Maßnahme für die Verwaltung sind, kann man ruhig Hand anlegen.

Vorletztes Stichwort: Wir müssen überlegen, wie wir die unterschiedlichen Programme, mit denen die Schulsozialarbeit finanziert wird, etwa das Bildungs- und Teilhabepaket - es gibt noch sehr alte „Finanzierungen“ aus Programmen der letzten Jahre; mir sind drei verschiedene Möglichkeiten des Einsatzes von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern an den Schulen bekannt -, in Übereinstimmung bringen. Man muss schauen, wie man das System des Nebeneinanders in ein vernetztes, kooperatives Miteinander umwandelt.

Meine Damen und Herren! Wir hatten am vergangenen Dienstag den Tag der sozialen Arbeit. Das war mir bisher auch nicht bekannt. Ich sage es noch einmal: Menschen mit Tunnelblick verstehen unter „sozialer Arbeit“ nur das Gedöns um Menschen mit Behinderungen, um Randgruppen und um Randprobleme. Das ist ein Überbleibsel aus sehr, sehr paternalistischen Zeiten, aus einem paternalistischen Verständnis heraus. Es sind altväterliche Vorstellungen von sozialer Arbeit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das ist es aber gerade nicht. Es geht darum, Menschen als ganzheitliche Wesen anzusprechen, eben nicht nur die, die nah am Versagen oder am Misserfolg sind. Es geht wirklich darum, Schüler ganzheitlich anzusprechen, aber ihre Unterschiedlichkeit zu berücksichtigen. Die Schüler sind nun einmal unterschiedlich, sie haben - scherzhaft gesagt - kleine oder große Ohren oder sonst etwas. Jeder Schüler, jede Schülerin ist anders, ist besonders. Wir müssen lernen, mit dieser Verschiedenheit umzugehen. Dazu gehört Pädagogik und dazu gehört Schulsozialarbeit. Das ist das Kerngeschäft dieser beiden Bereiche.

Wir müssen es auch hinbekommen - letzter Punkt -, dass diese Arbeit angemessen bezahlt wird. Einige der Optionen habe ich vorhin genannt. Uns liegt mittlerweile ein Rechtsgutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vor. Dieser hat sich genau mit der Frage beschäftigt, wie es gelingen kann, freien Trägern, die wir nach wir vor als wertgeschätzte Partner behalten wollen, ein bisschen zu helfen - vorsichtig gesagt -, ihre Fachkräfte nicht nur nach Tarif, sondern nach einem Tarif zu bezahlen, der sich am öffentlichen Dienst orientiert. Dies braucht unser Engagement. Soziale Arbeit - ich sage es noch einmal - darf nicht zu prekärer Beschäftigung verkommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich bin in fast allen Schulen am Ende immer gefragt worden, wie ich die Perspektive der Schulsozialarbeit einschätze. Ich habe fairerweise immer gesagt, dass ich den Eindruck habe, dass keine Fraktion, keine Partei aus dieser Nummer mehr herauskommt, auch wenn, wie gesagt, die Leidenschaften unterschiedlich verteilt sein mögen.

Bitte, meine Damen und Herren, enttäuschen Sie uns nicht. Enttäuschen Sie aber vor allem die vielen Akteurinnen und Akteure an den Schulen nicht. Lassen Sie uns sachlich und fair über verschiedene Optionen und Möglichkeiten in der Zukunft diskutieren. Ich denke, wir haben als Parlament eine wichtige Aufgabe, und zwar kurzfristig und mittelfristig, aber auch langfristig. Mir scheint, dass die langfristigsten Aufgaben die schwierigsten sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Bull. - Für die Landesregierung spricht der Minister Herr Dorgerloh. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben einen Antrag vorliegen, der sehr eng mit dem verknüpft ist, was wir bei der Großen Anfrage eben schon besprochen haben. Deswegen will ich viele Dinge, die ich in diesem Zusammenhang schon gesagt habe, nicht wiederholen.

Ich will ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen, die, glaube ich, bei diesem Thema angezeigt sind, wenn wir uns einmal anschauen, wie in diesem Kontext der Istzustand in Sachsen-Anhalt ist, und wie das vielfältige pädagogische Hilfssystem für Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen aussieht.

Als Erstes müssen wir feststellen: Wir haben eine sehr gute Schüler-Lehrer-Relation. - Ich bin froh, dass der Finanzminister gerade nicht da ist.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU)

Wir verfügen in Sachsen-Anhalt über 2 000 pädagogische Mitarbeiterinnen im Landesdienst, die die Arbeit an Grundschulen, Sekundarschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Förderschulen und Ganztagsschulen unterstützen.

Darüber hinaus haben wir mit dem ESF-Programm 211 Projekte, 130 bildungsbezogene Angebote, 14 regionale Netzwerkstellen, die Koordinierungsstelle usw. - ich will nicht noch einmal alles wiederholen - gefördert.

Daneben gibt es noch Konzepte und Programme sowie Projekte, die den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern befördern sollen, produktives Lernen, Lerncamps, die wir jetzt hinzugenommen haben, und den schrittweisen Ausbau von Ganztagsangeboten.

Im Übrigen will ich es gleich korrigieren: Wir haben nicht pro Jahr drei oder vier Umwandlungen von Schulen in Ganztagsschulen, sondern in der Regel um die zehn. Das ist auch eine Ressourcenfrage.

Außerdem müssen die Anträge von den Schulen kommen. Das heißt also, die Schulen müssen sich auf den Weg machen, Ganztagsschule zu werden.

Wir haben in den letzten Haushalt extra noch einmal 1 Million € zusätzlich für den Ausbau von Ganztagsangeboten eingestellt, um hierfür einen besonderen Akzent zu setzen.

Wir kommen dabei schrittweise voran. Wir müssen die Schulen aber noch mehr mitnehmen. Das muss so weit gehen, dass wir im Rahmen der Schulbauförderung auch dafür sorgen, dass die räumlichen Gegebenheiten für eine Ganztagsbetreuung geschaffen werden müssen. Das alles bedeutet aber eine gewaltige Kraftanstrengung für ein Land wie Sachsen-Anhalt; das muss man auch einmal konstatieren. Man muss aber auch einmal ganz klar sagen: Die Rahmenbedingungen sind so schlecht nicht.

Als Kultusminister habe ich natürlich ein großes Interesse daran, dass die Arbeit der Lehrkräfte auch in den nächsten Jahren durch qualifiziertes pädagogisches und sozialpädagogisches Personal unterstützt wird. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir überall in Europa, aber auch in Deutschland nicht nur Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen haben und brauchen, sondern darüber hinaus weiteres, nicht lehrendes, nicht unterrichtendes Personal benötigen - Stichwort: multiprofessionelle Teams; das ist kein Fremdwort für die schulische Wirklichkeit.