Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Das wird den Kreis der unmittelbar Betroffenen in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal stark ausweiten. Dieses Thema wird uns in den nächsten Monaten stark betreffen. Wir haben

schon die ersten Schreiben von denjenigen erhalten, die sich davon - vor allen Dingen im Schönebecker Raum - betroffen sehen. Wir wissen, dass die materiellen Schäden, die durch dieses Grundhochwasser möglicherweise entstehen werden, wahrscheinlich eine ähnliche Dimension erreichen können wie die Schäden, die durch die unmittelbare Hochwasserkatastrophe entstanden sind.

Was will ich damit sagen? - Die Höhepunkte der Scheitel sind vorbei, aber die Katastrophe ist es aus der Perspektive vieler und auch aus der Perspektive dieses Landes, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch lange nicht.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Natürlich - das haben alle getan und das ist auch wichtig - muss und soll man in einer solchen Rede Dank sagen, Dank den vielen freiwilligen Helfern, die ohne jegliche Organisation Bereitschaft gezeigt haben mitzuhelfen, die sich zum großen Teil über soziale Netzwerke koordiniert haben und die dazu aufgerufen haben.

Ich möchte dem einen oder anderen Politiker - wir hatten gestern einen denkwürdigen Auftritt der Kollegin Merkel dazu -, der diesen sozialen Netzwerken mit einer substanziellen Skepsis gegenübertritt, auch einmal sagen: Seht, es gibt auch eine Möglichkeit der Selbstorganisation. Manchmal ist es nicht ganz schlecht, wenn Politiker von dieser Organisation entlastet werden und die Menschen sich über soziale Netzwerke selber organisieren.

Ich habe hier und da den Eindruck, dass da Skepsis aufkommt nach dem Motto: Wir müssen die Leute organisieren, das dürfen sie nicht allein tun. - Wir sollten dieser Skepsis entgegentreten und den Menschen Dank sagen, die diese Hilfe über soziale Netzwerke organisieren.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Dank sagen müssen und wollen wir genauso den organisierten freiwilligen Helfern, der Feuerwehr, der Wasserwehr, den Hilfskräften, dem THW, den Hilfsorganisationen, die weit über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus Bereitschaft gezeigt haben. Dank wollen wir sagen den hauptamtlichen Mitarbeitern in den verschiedenen Institutionen - auch das ist hier gesagt worden - in den Kommunen und im Land, die bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gegangen sind. Herzlichen Dank - auch das möchte ich sagen - vor allen Dingen den Mitarbeitern des LHW und dessen Direktor Herrn Henning. Sie haben viel geleistet in den letzten Tagen.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch Folgendes möchte ich tun: Ich möchte ausdrücklich den Helfern der Bundeswehr danken, die ebenfalls unwahrscheinlich motiviert in diesen Ein

satz hineingegangen sind und die oftmals viel mehr geleistet haben, als per Befehl von ihnen verlangt worden ist. Ich habe mich in den letzten Tagen mit Soldaten und Offizieren unterhalten; diese haben gesagt, dass sie selten eine so extrem motivierte Truppe erlebt haben. Das hatte einen einfachen Grund: Für diesen Einsatz sind sie wirklich von allen gelobt worden. Und das hat motiviert. Daher wollen wir uns auch ausdrücklich bei den Mitarbeitern und den Soldaten der Bundeswehr bedanken.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Politik hat im Folgenden drei Aufgaben zur realisieren: zum Ersten die Bewertung des Krisenmanagements, zum Zweiten die Bewertung der bisherigen Hochwasserschutzstrategie und zum Dritten die Klärung der finanziellen Unterstützung.

Zum Ersten: Krisenmanagement. Darüber ist im Plenum heute noch nicht gesprochen worden, aber man muss es zumindest einmal benennen. Es gab natürlich eine Menge von Klagen darüber, dass Betroffene schlecht oder gar nicht informiert gewesen sind. Es gab Probleme bei der Koordinierung, vor allem der vielen, vielen freiwilligen Helfer, die naturgemäß überhaupt keine Ortskenntnis besitzen. Und es gab selbstverständlich kontroverse Debatten über Prognosen, die dann so nicht eingetreten sind.

Aber - das möchte ich ganz deutlich sagen - wir haben es mit einer Katastrophe zu tun, und Katastrophen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben nicht planbar und deswegen auch nicht beherrschbar sind.

Deswegen müssen wir die Dinge sachlich aufarbeiten. Weder einen Deckel darüber zu stülpen noch irgendwelche unberechtigten Vorwürfe machen hierbei Sinn. Diese Aufarbeitung wird noch andauern. Das können wir ruhig und sachlich tun, ohne gegenseitige Vorwürfe.

Deswegen werden wir als Opposition hierbei sogar unsere besonders kritische Brille ein wenig absetzen und in den nächsten Wochen und Monaten einfach schauen, wo Dinge optimiert werden können. Aber eines bleibt: Eine Katastrophe ist nicht planbar, solche Probleme wird es immer geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der CDU und bei der SPD)

Ich möchte an einer Stelle dann allerdings doch kritisieren, und zwar hinsichtlich des Umgangs mit einem Problem, das wir bei einer solchen Hochwasserkatastrophe immer beobachten werden. Wir haben es bei einer solchen, vor allen Dingen über einen längeren Zeitraum existierenden Bedrohungssituation zum einen mit Solidarität zu tun. Aber Bedrohungssituationen lösen Angst aus und

Angst löst irgendwann Aggression aus. Das haben verschiedene Verantwortungsträger zu spüren bekommen, Herr Trümper in Rothensee, Herr Stahlknecht in Aken. All diese Dinge sind die logische Konsequenz aus einer solchen Bedrohungssituation. Das würde überall auf der Welt so passieren.

Deswegen ist es für uns als politische Verantwortungsträger extrem wichtig, in solchen Bedrohungssituationen alles zu tun, um den Druck von den Menschen zu nehmen und ihn nicht unnötig zu verstärken. Dabei hatten wir es mit einem substanziellen Fehler zu tun, und zwar mit der Reaktion des Innenministers auf das sogenannte Bekennerschreiben einer „Germanophoben Flutbrigade“, ein Schreiben, das in sich vor Blödsinn strotzt, das aber dazu benutzt worden ist, eine dramatisierende Alarmstimmung auszulösen, indem alle freiwilligen Helfer aufgefordert worden sind, sofort Verdächtige zu melden und zu beobachten.

Das ist in einer solchen Situation ein ganz schwieriges Signal. Es gab Recherchen im Internet. Wir haben inzwischen eine vierstellige Zahl von Mordaufrufen, die danach im Internet erschienen sind, nach dem Motto: Für die müssen wir Auschwitz wieder aufmachen! Wir wussten klar, das sind die Linken! Da brauchen wir nur ein paar Sandsäcke an die Beine zu binden und dann versenken mit denen! - Eine vierstellige Zahl von solchen Mordaufrufen!

Eigenartigerweise wusste auch Herr Stahlknecht, dass es Autonome sind, „Der Spiegel“ wusste, dass es Linke sind, und die Junge Union wusste, dass es die Antifa war.

(Minister Herr Stahlknecht: Das ist Unsinn, was Sie erzählen! Ich habe zu keiner Zeit gesagt, wem dieses Schreiben zuzuordnen ist! Bitte halten Sie sich an das, was ich ge- sagt habe!)

- Dann sind Sie in den Medien falsch zitiert worden. Sie sind zitiert worden: „Autonome haben …“

(Minister Herr Stahlknecht: Dann sollten Sie keine Rede halten zu Sachverhalten, von denen Sie überhaupt keine Ahnung ha- ben!)

- Wir können die Dinge nachrecherchieren, Herr Stahlknecht. Ich kann Ihnen die entsprechenden Quellen dann vorlegen. - Auf jeden Fall war es falsch, eine solche Dramatisierung in diese Situation hineinzubringen. Wir können froh und glücklich sein, dass nichts passiert ist. Das können wir heute schon sagen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Übrigens feiern freie Kameradschaften diese Geschichte inzwischen als Super-PR-Gag und freuen sich sehr darüber, wie der Innenminister aus Sachsen-Anhalt darauf reagiert hat.

Zum Zweiten: sachliche Analyse. Wie erfolgreich waren die bisherigen Strategien bei der Hochwasserbekämpfung? Klar, es tauchen wieder alle Debatten um die alten Feindbilder auf: Die Libellen waren es, die Denkmalschützer, die Umweltschützer, die Deichbauer usw. usf.

Auch hierzu brauchen wir eine sachliche Analyse, aber wir wissen hierzu selbstverständlich mehr als bei der Evaluierung des Krisenmanagements. Man muss eben klar sagen: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Seit dem Rhein-Hochwasser im Jahr 1993 wissen wir, dass es um vier Fragen geht: erstens um Klimaschutz, zweitens um die Verbesserung der Aufnahmefähigkeit des Bodens für Niederschlagswasser, drittens um Retentionsflächen und viertens um technischen Hochwasserschutz im engeren Sinne. Letzterer hat auch etwas mit Retentionsflächen zu tun, das wissen wir wohl.

Das Problem ist: Wie ist die Bilanz? - Wir haben kein Erkenntnisproblem, aber wir haben ein Umsetzungsproblem. Nun muss man sagen: Herr Aeikens, Ihre Verteidigungsrede hin und her, aber wir wissen aus Interviews in der Presse, dass Sie es zum Teil besser wissen. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind genau das Problem. Das Problem besteht einfach darin, dass all das, was jenseits des unmittelbaren Deichbaus passiert ist, unter dem Strich ernüchternd, um nicht zu sagen beschämend ist.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Sie haben die Zahlen fast selber genannt: 155 ha neue Fläche durch Deichrückverlegung, aber gleichzeitig: 2004 bis 2011 14 000 ha neue Versiegelungsfläche durch Verkehrsflächen und Siedlungsflächen. Diese Flächen sind nicht vollständig versiegelt,

(Herr Schröder, CDU: Zur Hälfte!)

aber die Aufnahmekapazität in diesem Bereich ist stark reduziert worden. Ja, wir hatten das größte Hochwasser seit Menschengedenken, aber ich glaube nicht, Herr Aeikens, dass wir die höchsten Niederschläge seit Menschengedenken haben. Dieses Hochwasser ist auch von uns in SachsenAnhalt produziert worden, indem wir den Flüssen den Raum genommen haben, indem wir mehr Fläche versiegelt haben.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Seit der Elbflutkatastrophe 2002 zusätzlich 14 000 ha neue Verkehrs- und Siedlungsflächen, die zum größten Teil versiegelt worden sind. Das Wasser kann dort nicht mehr versickern, dieses Wasser verstärkt die Hochwasserkatastrophe.

(Zurufe von der CDU)

Im Grunde genommen - da können Sie jetzt dazwischen rufen - -

(Minister Herr Dr. Aeikens: Das war genauso ein Unsinn, wie Sie ihn vorhin erzählt haben bei den Niederschlagsmengen!)

- Herr Aeikens, bestreiten Sie, dass es seit 2004 14 000 ha mehr bei dieser Siedlungsfläche gibt?

(Minister Herr Dr. Aeikens: Informieren Sie sich über die Niederschlagsdaten! Informie- ren Sie sich darüber, wie viel Geld wir für all die Maßnahmen ausgeben! Das ist ein fei- ner Zug von Ihnen! - Zurufe von der CDU - Unruhe)

Liebe Kollegen, wir können uns diese Debatte leisten. Wir können jetzt darüber reden, ob es einen Zusammenhang zwischen Hochwasserkatastrophen und der Ausdehnung von Siedlungsflächen gibt.

(Zuruf von der CDU)

Darüber können wir diskutieren - das mache ich mit Ihnen gern -, und zwar mit Fachleuten. Sie können diesen Zusammenhang leugnen. Er existiert aber, und wir müssen ihm in die Augen sehen und müssen diesen Zusammenhang auch darstellen, den brauchen wir nicht zu leugnen.

Dieses Problem kennen im Grunde genommen alle. Wir brauchen tatsächlich eine Umkehr bei den Prioritäten. Ja, es gibt einen Plan, den Flüssen 5 900 ha Retentionsfläche in Sachsen-Anhalt zurückzugeben. Aber die bisherige Realisierung ist extrem gering, wir sind dabei viel zu langsam. Das ist übrigens etwas, das inzwischen alle gesagt haben. Auch Herr Aeikens hat gesagt, dass wir bei der Realisierung viel zu langsam sind.

Selbst wenn wir diese 5 900 ha bei uns realisieren, müssen wir immer noch wissen, dass das nicht, wie ich gestern fälschlicherweise sagte, 5 % der ursprünglichen Retentionsfläche des Flusssystems in Sachsen-Anhalt sind, sondern lediglich 2,5 %. Das heißt, selbst dann liegen wir immer noch stark in dem Bereich, die Flüsse einzuzwängen.

Wir werden allerdings - das ist genauso klar - nie wieder zu dem natürlichen Zusammenhang zurückkommen, sondern wir müssen einen vernünftigen Kompromiss finden. Das Problem ist nur, dass diese Kompromissfindung in der Vergangenheit fast immer zuungunsten der Retentionsfläche und zugunsten des technischen Hochwasserschutzes erfolgte.

An dieser Stelle möchte ich Folgendes sagen. Ja, in Fischbeck ist ein alter Deich gebrochen. Das Problem war aber: Wenn nicht dieser alter Deich in Fischbeck gebrochen wäre, dann wäre mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Deich 7 km nördlich davon in Hohengöhren gebrochen. Er war schon seit über einer Woche abgerutscht.