Protokoll der Sitzung vom 10.07.2013

(Zuruf von der CDU: Theoretisch!)

Wenn aber die Landesregierung meint, dass von Niedriglöhnen auch ein positiver Effekt auf die Nachfrage ausginge, nämlich nach personen- und haushaltsnahen Dienstleistungen, dann bleibt einem schon vor Verblüffung der Mund offen. Auch die Hilfe für andere Leute zur Bewältigung ihrer Alltagsprobleme muss eigentlich ihren Preis haben und darf nicht mit Niedriglöhnen abgespeist werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Interessant sind auch die Antworten zu den Auswirkungen von zu zahlenden Mindestlöhnen. Alle Varianten sind möglich, positiv, negativ und neutral, also so, wie man die Diskussion in der Koalition auch kennt. Alles ist machbar.

Aber so einfach sollten wir es uns nicht machen; denn der Strukturwandel in der Wirtschaft und die demografische Entwicklung zeigen klar, dass sich Deutschland auf Dauer seinen Niedriglohnbereich im gesamtwirtschaftlichen Kontext nicht leisten kann, ohne seine Wirtschaftsstärke zu verlieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser scheinbare Widerspruch in sich löst sich auf, wenn man das Thema Niedriglohnsektor nicht mit betriebswirtschaftlicher Blindheit betrachtet, sondern wenn man volkswirtschaftlich denkt und handelt; denn die Einführung der Branchenmindestlöhne - Kollege Steppuhn hat darauf verwiesen - zeigt doch insgesamt eine positive Wirkung. Qualität und Leistung haben eben ihren Preis. Das gilt offenbar nur für Personengruppen von der Geschäftsführerebene aufwärts.

Bis jetzt zeigen internationale Erfahrungen, dass sich Mindestlöhne nicht unbedingt beschäftigungshemmend auswirken. Das ist die vorsichtige Einschätzung, die in der Antwort auf die Große Anfrage enthalten ist. Das zeigen auch die praktischen Erfahrungen in den Branchen, die diesen Schritt schon vollzogen haben.

Allerdings - das möchte ich auch noch einmal sagen - zeigt die internationale Praxis auch, dass gesetzliche Lohnuntergrenzen noch nicht das Ende des Niedriglohnsektors bedeuten. Auch das ist ein Fakt. Auch das kann man sicherlich überall auch nachlesen.

Allerdings wäre es in Deutschland ein wichtiges Signal, wenn es so weit wäre; denn beschworen wird zwar immer wieder eine mögliche Ausweitung atypischer Beschäftigungsformen und flexibler Arbeitszeitmodelle, damit die Unternehmen die Kostenfunktion hinsichtlich des Produktionsfaktors Arbeit optimieren. Aber vielleicht besinnt man sich im Zeitalter des demografischen Wandels auch darauf, vielleicht andere Kostenfunktionen zu optimieren als die wichtigste, die man als Unternehmer eigentlich hat.

Am Ende meiner Ausführungen möchte ich noch kurz zu zwei Dingen Stellung nehmen. Das eine ist die Zahlenbasis, mit der wir hier arbeiten können. In der Antwort auf die Große Anfrage wird klar gesagt, dass wir nicht alle Beschäftigtengruppen eindeutig abbilden können, weil nicht alle erfasst werden.

Das heißt, für viele Beschäftigte in kleinen und Kleinstunternehmen werden die Arbeitsbedingungen nicht einmal annähernd widergespiegelt, sondern höchstens über gefühlte Wahrheiten verkündet. Da ist die Lage prekärer, als es manche offizielle Pressemitteilung verlauten lässt. Deshalb sind auch die Antworten auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion nur die halbe Wahrheit über Sachsen-Anhalt.

Zum Thema Leiharbeit haben Sie eine Menge gesagt. Ich will das nicht wiederholen. Unsere Positionen dazu kennen Sie. Seit Dezember 2011 ist Leiharbeit nur vorübergehend zulässig. Aber die Rechtsprechung hat vergessen, den Zeitraum für den Begriff „vorübergehend“ zu definieren. Dazu wird es endlich Zeit; denn alle anderen Regelungen wie Tarifvereinbarungen oder die Zustimmung von Betriebsräten sind keine verlässliche Basis dafür, dass der Leiharbeit als ein Mittel für Lohndumping ein entschiedener Kampf angesagt wird.

Über die Tarifbindung haben Sie zum Schluss gerade noch gesprochen. Auch die Frage des Kollegen Steppuhn ging noch einmal in diese Richtung. Ja, Herr Minister Bischoff, wir haben das Problem der Kleinteiligkeit. Deshalb ist es wichtig, über dieses Verhältnis zwischen Tarifbindung und gesetzlichem Mindestlohn zu reden. Es hat keiner etwas dagegen, dass die tarifpartnerschaftliche Lohnfindung, lieber Kollege Rotter, eine nach oben offene Skala ist. Aber es gibt ein Minimum, das in Deutschland gelten sollte. Da zeigt sich eigentlich, dass die aktuelle Forderung des DGB nach 8,50 €,

(Beifall bei der LINKEN)

die wir auch aufgegriffen haben, eigentlich schon längst durch Inflation und andere Lohnentwicklungen überholt ist.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, hoffen wir, dass wir mit der Antwort auf die Große Anfrage weitere Debatten im Landtag anstoßen können. Wir werden nach wie vor die Forderung erheben, Leiharbeit einzuschränken oder teurer zu machen und das Lohndumping durch Werkverträge zu verhindern. Das betrifft ebenso die Austrocknung des Sumpfes, sich durch Aufstocker die unternehmerische Unproduktivität vom Staat finanzieren zu lassen.

Wenn Sie, meine Herren und Damen von der Koalition, schon mit einer solchen Großen Anfrage den Ball auf den Elfmeterpunkt legen, dann muss er auch ins Tor geschossen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Dr. Thiel, wollen Sie eine Anfrage von Herrn Rotter beantworten?

Gern.

Herr Dr. Thiel, es ist durchaus möglich, dass ich Ihnen während Ihres Redebeitrags nicht immer richtig zugehört habe. Falls dies der Fall gewesen sein sollte, möchte ich mich gleich dafür entschuldigen.

Aber ich glaube nicht gehört zu haben, welche Höhe der gesetzliche Mindestlohn im Moment hat, den die Partei DIE LINKE fordert. Vielleicht können Sie mich und uns über die Summe noch einmal aufklären.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Das kann man re- cherchieren, Herr Rotter! - Frau Bull, DIE LINKE: Aber nicht so auf die Schnelle!)

- Ich kann es aber doch von Ihnen hören, oder?

Sie haben vorhin selbst gesagt, dass wir noch nicht im Bundestagswahlkampf sind. Deswegen wollte ich es mir eigentlich ersparen, die Debatte zu nutzen, um unser Bundestagswahlprogramm zum Thema „Gute Arbeit“ vorzustellen. Aber es gibt dazu eine klare Ansage. Wir fordern 10 € als gesetzlichen Mindestlohn und dann eine schnelle Angleichung in den nächsten Jahren auf einen Betrag,

(Herr Thomas, CDU: 12 €! )

- nein - der die Armutsgrenze in Deutschland fixiert. Die liegt oberhalb von 10 €.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erinnere mich noch ganz gut an Diskussionen im Bundesrat, als Ihr Parteifreund Ministerpräsident Bouffier gesagt hat, dass er keine Initiative unterstützen werde, mit der ein Mindestlohn von 8,50 € festgeschrieben werde; denn das läge bei ihm unter der Armutsgrenze. - Danke schön.

Vielen Dank, Herr Dr. Thiel. - Das Schlusswort hat Herr Kollege Steppuhn. Bitte, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das dann auch noch sagen, wenn jetzt alle gesagt haben, wie viel Mindestlohn denn gefordert wird. Die SPD fordert natürlich nach wie vor 8,50 € pro Stunde.

(Unruhe bei und Zurufe von der LINKEN)

Ich will aber auch sagen, dass es uns mehr darum geht, dass wir in Deutschland überhaupt einen Mindestlohn bekommen. Natürlich muss der weiterentwickelt werden. Wir haben innerhalb der Sozialdemokratischen Partei auch über 10 € diskutiert. Aber, Kollege Dr. Thiel, wir haben natürlich gewusst, wenn wir 10 € gefordert hätten, dann hätte DIE LINKE morgen 11 € gefordert.

(Herr Thomas, CDU: Genau so ist es! - Wei- tere Zurufe von der CDU)

Uns ist es erst einmal viel wichtiger, überhaupt einen Mindestlohn zu bekommen, damit er dann überhaupt da ist.

(Frau Bull, DIE LINKE: Man muss Sie immer zum Jagen tragen!)

Herr Rotter, bevor Sie zu früh klatschen und dann auch nicht mit Beifall sparen, will ich schon sagen: Es ist aller Ehren wert, dass die CDA innerhalb der CDU Beschlüsse hat, wonach man sich für einen Mindestlohn ausspricht. Tatsache ist jedoch, dass das aktuelle Regierungshandeln in Berlin keinen Mindestlohn geschaffen hat, egal auf welcher Basis.

(Herr Schröder, CDU: Bundesparteitags- beschluss!)

Es gibt nach wie vor nur die Branchenmindestlöhne. Deshalb muss man darüber reden, dass es in Deutschland für die Branchen, für die tarifliche Mindestlöhne nicht möglich sind, auch noch keine Möglichkeit gibt, Mindestlöhne zu schaffen. Das liegt in der Verantwortung der Bundesregierung. An dieser Stelle hätte man schon lange handeln können. Aber das ist nicht passiert.

(Herr Borgwardt, CDU: Von Rot-Grün gibt es aber auch keine Vorschläge!)

Ich will zwei, drei Punkte nennen, die mir wichtig sind.

(Unruhe)

- Wir können das noch einmal ausdiskutieren, das machen wir an anderen Stellen doch auch, Kollege Rotter.

Zum Thema Leiharbeit. Die Zeitarbeit wurde angesprochen. Ich weiß nicht, ob Sie das verfolgt haben: Es hat schon einmal einen Branchenmindestlohn für die Leih- und Zeitarbeit gegeben bzw. war ein übergreifender Mindestlohn vom DGB verhandelt worden. Dieser Tarifvertrag ist ausgelaufen, hat keine Nachwirkung, ist aufgekündigt und soll neu verhandelt werden. Aber im Moment gibt es keinen Mindestlohn für die Leih- und Zeitarbeit. Es hat ihn aber eine Zeit lang gegeben.

Da die Angaben in der Antwort der Landesregierung älter sind, konnte hiermit der Mindestlohn in der Branche der Leih- und Zeitarbeit nicht bewertet werden. Die Daten der Arbeitsagentur zeigen jedoch, dass die tatsächliche Anzahl der bei uns im Land Sachsen-Anhalt beschäftigten Leiharbeiter in der Zeit, in der es einen Mindestlohn für Leiharbeit gegeben hat, zurückgegangen ist. Es war also nicht mehr so lukrativ für die Unternehmen.

(Frau Take, CDU: Das war der falsche Schluss!)

Man hat wieder direkt eingestellt, allerdings nur für den Zeitraum, der bewertbar war und in dem dieser Tarifvertrag Gültigkeit besaß.

Ich denke, es wäre gut, wenn es für den Bereich der Leih- und Zeitarbeit wieder einen Mindestlohn gibt. Aber die Tarifvertragsparteien werden wahrscheinlich noch Zeit brauchen, um das entsprechend zu regeln.

Herr Thiel, ich habe ein wenig die Sorge, dass wir unseren Arbeitsmarkt zu schlecht reden. Ich denke, wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann können wir feststellen, dass sich seit den 90er-Jahren auf dem Arbeitsmarkt eine Menge getan hat. Wir haben mehr Arbeitsplätze, wir haben mehr Beschäftigung und wir haben auch mehr gute Arbeit.

(Herr Rotter, CDU: Das stimmt! - Herr Tho- mas, CDU: Und mehr Einkommen!)