Protokoll der Sitzung vom 10.06.2011

Alternativantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/113

Die Einbringerin für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist Frau Professor Dalbert. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren haben die rot-grüne Bundesregierung und der grüne Umweltminister Jürgen Trittin einen gesellschaftlichen Kompromiss zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie eingeläutet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit wurde eine grüne Energiewende auf den Weg gebracht. Es war eine Energiewende, die 370 000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen hat und die dazu ge

führt hat, dass wir heute in Deutschland 17 % unseres Stroms durch erneuerbare Energien produzieren. Mit dieser Bilanz sind wir Vorreiter und Vorbild in der Welt.

Zehn Jahre lang haben die CDU, die CSU und die FDP den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert, behindert und uns mit Häme bedacht. Als Gipfel dieser Verhinderungspolitik hat die schwarzgelbe Bundesregierung im Herbst dann die Verlängerung der Atomlaufzeiten ermöglicht.

Dann kam der 11. März 2011. Fukushima hat dem Wort „Restrisiko“ mit einer dreifachen Kernschmelze eine ganz neue Bedeutung verliehen und hat damit ein Umdenken eingeleitet, ein Umdenken über die Parteigrenzen hinweg. Und das ist gut so.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher stehen wir heute, nach zehn Jahren, erneut vor der Möglichkeit, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zum geordneten Atomausstieg herzustellen. Insofern ist dies eine Zeit der Hoffnung, der Hoffnung, dass wir diese hoch gefährliche Risikotechnologie nun endlich los werden. Es ist auch eine Zeit der Hoffnung und der Chance auch für unser Sachsen-Anhalt, weil wir alle Möglichkeiten haben, um unser Land zu einem Musterland für 100 % erneuerbare Energien zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber es ist auch eine Zeit der Besorgnis, der Besorgnis, dass der Atomausstieg und die damit verbundene Energiewende nicht ernst gemeint sein könnte, dass es nur um ein grünes Mäntelchen für eine rückwärts gewandte Energiepolitik gehen könnte.

(Frau Weiß, CDU: So ein Quatsch! - Herr Leimbach, CDU: Das ist reine Panikmache, Frau Professor Dr. Dalbert!)

Die Bundesregierung hat einen Beschluss vorgelegt zum Atomausstieg in den Jahren 2021 oder 2022. Ich bitte darum, unseren Antrag an dieser Stelle zu ändern, weil dieser Beschluss zum Atomausstieg inzwischen vom Bundeskabinett getroffen und nicht, wie es in unserem Antrag steht, angekündigt wurde.

Wir haben nun die Chance, die Atomenergie endgültig zu begraben und mit großen Schritten die Energiewende hin zu 100 % erneuerbaren Energie zu gestalten. Daher werden wir GRÜNE den vorgelegten Vorschlag der Bundesregierung sehr genau prüfen. Wir werden prüfen, ob es wirklich ein Weg ist zu einem endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie und hin zu 100 % erneuerbaren Energien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden dies zusammen mit unseren Bündnispartnern und Bündnispartnerinnen und mit den Menschen tun, mit denen wir in den letzten drei

Jahrzehnten in den Parlamenten und auf den Straßen gegen die Atomenergie gekämpft haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wir werden am 25. Juni nach einer breiten Debatte auf einem Bundesparteitag entscheiden, wie wir uns zu den Vorschlägen des Bundeskabinetts verhalten werden.

Für uns ist klar, dass ein Atomausstieg bis zum Jahr 2017 technisch, rechtlich, wirtschaftlich und energiepolitisch seriös machbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zunächst hatte das Bundeskabinett einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der ein Moratorium des Ausstiegs für zehn Jahre vorsah, um dann in den Jahren 2021 und 2022 die AKWs abzuschalten. Nunmehr liegt ein Vorschlag für eine stufenweise Abschaltung der Atomkraftwerke auf dem Tisch. Dies ist besser als der ursprüngliche Vorschlag; aber dieser Vorschlag sieht immer noch vor, dass sechs Atomkraftwerke erst in den Jahren 2021 und 2022 abgeschaltet werden. Dieser Zeitraum ist länger, als wir ihn für notwendig erachten, und er ist auch länger, als es die Mehrheit der Bevölkerung will.

(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Kurze, CDU: Nee! - Unruhe bei der CDU)

Wir werben daher sehr dafür, den Atomausstieg bereits früher und nicht erst bis 2022 zu realisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden auch prüfen, ob dies ein Eckpunkt sein kann, bei dem wir uns auf den Kabinettsvorschlag zu bewegen können.

Aber was für uns gar nicht geht, das sind Hintertürchen. Wir werden deshalb die 700 Seiten des vorgelegten Gesetzespakets sehr genau prüfen, um festzustellen, ob es tatsächlich ein Atomausstieg ohne Hintertüren ist, der rechtssicher und unumkehrbar ist. Denn alles andere ist für uns energiepolitisch und wirtschaftlich nicht hinnehmbar und mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Entgegen der Ankündigung von Frau Merkel findet sich in dem vorgelegten Paket immer noch die Kaltreserve. Das heißt, man hält sich noch immer ein AKW für schlechte Zeiten in der Hinterhand. Ich muss Ihnen sagen: Bei mir weckt das solche Zweifel.

Auch bezüglich der Rechtssicherheit gibt es erhebliche Bedenken, und zwar deshalb, weil bei dem Vorschlag ein schrittweises Abschalten der Atomkraftwerke vorgesehen ist, was dann dazu führt, dass baugleiche Atomkraftwerke zu unterschiedlichen Zeiten abgeschaltet werden. An dieser Stelle muss nachgebessert werden, damit das tatsäch

lich rechtssicher ist. Das zeigt aber auch, dass dieser Text eben noch nicht in Stein gemeißelt ist und dass er noch verändert werden muss.

Deswegen werbe ich dafür, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, dass wir früher aus der Atomenergie aussteigen. Dann werden wir auch früher dieses Risiko los und können früher den Ausbau hin zu 100 % erneuerbaren Energien in Angriff nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt noch eine Leerstelle in dem vorgelegten Vorschlag: Wir brauchen endlich eine Vereinbarung über eine ergebnisoffene und bundesweite Suche nach dem besten Standort für ein Endlager für diesen hochgiftigen Atommüll. Diese Suche muss auf dem neuesten Wissensstand und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass es eine Vorfestlegung auf einen nachweislich ungeeigneten Standort, nämlich Gorleben, gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen auch endlich damit aufhören, bei der Suche nach einem Atommüllendlager politische Opportunitätserwägungen nach vorn zu stellen. Es geht hierbei um die Sicherung von Atommüll, der noch in 100 000 Jahren gefährlich sein wird. Deshalb brauchen wir die nach menschlichem Ermessen beste Lösung, und nicht eine nach politischen Erwägungen kurzfristig bequemste Lösung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit jedem Tag, an dem die AKWs länger laufen, produzieren wir auch mehr hochgefährlichen Atommüll. Ich möchte doch Herrn Aeikens und die CDU fragen, wie sie mit ihrer Verantwortung für den Atommüll umgehen wollen. Einerseits setzen sie sich eben nicht für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie ein - der wäre im Jahr 2017 möglich -, andererseits verweigern sie sich der ergebnisoffenen Endlagersuche, weil sie das Ergebnis für Sachsen-Anhalt schon festgelegt haben.

(Zuruf von der CDU)

- Sie sagen: Hier gibt es keinen geeigneten Standort. Damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft mit Herrn Seehofer und Frau Lieberknecht, die dasselbe von ihren Ländern sagen.

Aus meiner Sicht ist das kein glaubwürdiger Umgang mit dem Atomausstieg. Denn dazu gehört eben die Frage, wie wir künftig mit dem Atommüll umgehen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wissen Sie, Frau Budde und Herr Gallert, wer die Endlagerfrage benutzt, um Ressentiments zwischen Ost- und Westdeutschen zu schüren, der gewinnt vielleicht die Lufthoheit über den Stamm

tischen. Aber das ist für mich kein glaubwürdiges Vorgehen bei der Suche nach dem besten Weg für den Ausstieg aus der Atomenergie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit Sorge erfüllt uns auch der Umstand, dass in dem vorgelegten Paket keine Verbesserung der Sicherheit der Atomkraftwerke vorgesehen ist. Nach dem Vorschlag werden immerhin noch elf Jahre lang Atomkraftwerke in Deutschland laufen. Deshalb wollen wir, dass das, wenn es zu einem zehnjährigen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke kommt, an die aktuellen sicherheitstechnischen Anforderungen gekoppelt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Noch etwas finden wir in dem vorgelegten Vorschlag nicht, nämlich ein Mehr an Bürgerbeteiligung. Was wir finden, ist eine Planungsbeschleunigung für Kohlekraftwerke.

Wir haben bereits gestern hier im Hohen Haus darüber gesprochen: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. Damit meine ich gestaltende Bürgerbeteiligung, von Anfang an. Nur dann sind wir in der Lage, den Umbau der Energiewirtschaft mit dem Ausbau der Netze und dem Bau neuer Speicher zeitnah und gesellschaftlich verträglich auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)